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SINN UND WELTERFAHRUNG – PHILOSOPHIE UND ORDENSLEBEN

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Die unentwegt anfallenden Ausgrabungen im historischen Stadtkern erinnern stets daran, dass nicht allein die baulichen Ursprünge Kölns, sondern auch die Entstehung seines zivilen und sozialen Umfeldes weit in die Vergangenheit zurückreichen. Vor allem kulturelles Leben kann eigentlich nur da fruchtbar gedeihen, wo vorher andere Kräfte einen Nährboden geschaffen haben.

Nicht ohne Grund und aufrichtigen Dank schaut man am Rhein auf die legendäre Römerzeit zurück, die dafür unersetzliche Voraussetzungen schuf. Eine konsequente Fortführung fand dieser Prozess mit dem Einzug des Christentums. Dessen erste repräsentative Kulturbauten waren die schon im 4. Jahrhundert entstandene Bischofskirche des Heiligen Maternus und später die über Märtyrergräbern errichteten Gedächtnisbauten St. Gereon und St. Ursula, die für die sakrale Zentralisierung die Fundamente legten. Was historisch kaum weniger zählt, ist der hohen Aktivität regierender Kirchenfürsten des Mittelalters zuzuschreiben, die nach den verheerenden Zerstörungen der Völkerwanderung der Bürgerschaft wieder Auftrieb gaben – ungeachtet der ständigen Querelen zwischen Erzbischöfen und Stadtvertretern, die erst 1475 mit der Erhebung Kölns zur Freien Reichsstadt ein wirkliches Ende fanden. Gleichwohl war die Zeit der erzbischöflichen Alleinherrschaft stadtgeschichtlich an Glanz und Auswirkung einmalig.

Exorbitante überregionale Bedeutung hingegen erlangte Köln als damals größte deutsche Stadt zunächst auf dem Gebiet der Wissenschaften. Noch bevor irgendwo im Rheinland eine Universität existierte, gab es in Kölner Klöstern (Dominikaner, Franziskaner, Benediktiner) philosophische und theologische Zentren, die mit den berühmten Universitäten in Paris und Oxford in engem Austausch standen. Wegbereiter dieser geradezu expansiven neuen geistigen Strömung war um die Wende des 11. / 12. Jahrhunderts der Benediktiner-Abt Rupertus aus Deutz gewesen, der mit seinen exegetischen Schriften ungewöhnliches Aufsehen erregte und großen Einfluss gewann.

Zum führenden Vertreter der scholastischen Philosophie indessen wurde im 14. Jahrhundert in der Domstadt der Dominikanermönch Albertus Magnus. Er war in Lauingen an der Donau als Albert von Bollstädt geboren, entstammte einem schwäbischen Adelsgeschlecht und erhielt, seitdem er 1228 Lektor geworden war, früh den Beinamen »von Köln«. Immer wieder kehrte er von seiner anstrengenden Lehrtätigkeit in Paris in die Rheinmetropole zurück, um im Kloster das Generalstudium seines Ordens aufzubauen. Das hatte weitreichende Folgen. Denn immerhin spielte sich das intellektuelle Leben in Deutschland einhundert Jahre lang fast ausschließlich bei den Dominikanern ab. Ihr Zentrum war Köln. Albert und sein ebenso berühmter Schüler Thomas von Aquin brachten es fertig, die mittelalterliche Philosophie in Köln zu einem System zu festigen, das dem gesamten Abendland sein geistiges Gewicht verleihen sollte.

Dies hatte Konrad Adenauer zu seiner Oberbürgermeister-Zeit in einem an seine Heimatstadt gerichteten Grußwort im Blick, als er schrieb: »Das Heilige Köln, von den Römern gegründet, von den Kräften des Christentums geformt, im humanistischen Geist gewachsen, war im hohen Mittelalter einmal das Herz Europas.«

Eine so schwerwiegende Mitgift hat in der Stadt selbst gewiss tiefe Spuren hinterlassen und mit so mutigen wie weit ausholenden Predigten auf die Gläubigen in Kirchen und Klöstern ohne Zweifel mächtigen Einfluss ausgeübt. Nicht ohne Gefahr, versteht sich. Man denke da nur an den umstrittenen Querdenker und Mystiker Meister Eckhart, der keineswegs der Obrigkeit nach dem Mund redete. Und dies nicht nur in der lateinischen, sondern auch in der dem einfachen Volk zugänglichen deutschen Sprache. Wie es philosophische Einsicht und Wahrheit erforderten, las er ohne Scheu Hierarchie und Adel gleichermaßen die Leviten. Außerdem war er bemüht, mit der Radikalisierung der Armutsidee einer neuen Autonomie zu Wort und Realität zu verhelfen. Schon ganz früh war für ihn auch die Frauenbewegung ein wichtiges Anliegen.

Meister Eckhart war zwar ein Außenseiter, aber nicht allein am aufrührerischen Werk seiner Zeit beteiligt. Noch viele andere nahmen an den fundamentalen Veränderungen kirchlicher und geisteswissenschaftlicher Lehre wie den kulturellen Reformen teil. Mit einer stattlichen Reihe exorbitanter Geistesgrößen hatte Albertus Magnus, der am 15. November 1280 in Köln starb und in der Krypta der Dominikanerkirche von St. Andreas seine letzte Ruhestätte fand, einen neuen Begriff von Mensch und Religion formuliert und für seine Anschauungen die bedeutendsten Denker der Hochscholastik mobilisiert. Ihnen gehörte auch der am 8. November 1308 in Köln verstorbene und in der Kirche der Franziskaner (Minoriten) beigesetzte Johannes Duns an. Um 1266 in Schottland geboren, deshalb meist Duns Scotus genannt, hatte er als eloquenter Protagonist der Kölner Theologie- und Philosophenschule überall außergewöhnliche Beachtung gefunden. Erst 1306, ein Jahr vor seinem plötzlichen Tod, war er nach Köln berufen worden.

Wer Bedenken hegt, ob aus jenem voraufgegangenen spirituellen Geschehen auch eine horizontale Ausbreitung für das in längeren Schüben entwickelte, aber erst Jahrhunderte später voll zum Durchbruch gekommene Musikleben abzuleiten wäre, sollte solche unterschwellige, dem späten Mittelalter entronnene Bildungsströme nicht übersehen oder unterschätzen. Ohne die noch vor der Gründung der Kölner Universität im Jahre 1388 als der ältesten städtischen Hochschule in Europa auf den Plan getretenen monastischen Vordenker wäre die Aufbereitung des Nährbodens der Geisteswissenschaften wohl nicht möglich gewesen. Unbestreitbar wurden in Köln damit auch für Kunst und Kultur die Weichen gestellt. Und wie man spätestens seit Bach und Beethoven weiß, schließen Philosophie und Musik einander nicht aus. Und wer wollte Stephan Lochners Altarbildern, jenen einzigartigen Meisterwerken der Kölner Malerschule des Spätmittelalters, deren kunstreiche Darstellung mit unverminderter Kraft in die Gegenwart hinüberstrahlen, den abgrundtiefen Zusammenhang mit derlei Imagination und Spiritualität absprechen. Damit haben Albertus Magnus und seine Schüler im Denkvermögen ihrer Zeit, über das Philosophische und Theologische hinaus, erkenntnisreiche Maßstäbe gesetzt und in Köln, nicht in Paris, wo sie ebenfalls lehrten, fruchtbarste und weitreichende Wurzeln geschlagen, um Wissenschaft und Kunst, nicht zuletzt auch der Musik ihren Weg zu bahnen. Universal in Wissen und Bildung, überall begehrt und anerkannt, haben diese führenden Köpfe der Stadt am Rhein zu ihrer heutigen Reputation verholfen, auf die sich ihre Bürger und Oberhäupter so gerne berufen.

Kein Zufall also, dass Papst Johannes Paul II. jenen Praeceptores Germaniae bei seinem Köln-Besuch im November 1980, der Wiederkehr des Todestages von Albertus Magnus, besondere Ehre widerfahren ließ, indem er die Krypta von St. Andreas und die naheliegende Minoritenkirche besuchte, um an den Sarkophagen der bedeutendsten Kölner Philosophen im Gebet zu verweilen. Auch dem Lochner-Altar im Hohen Dom erwies er seine Reverenz. Nicht nur aus Frömmigkeit.

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