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ALTE UND NEUE MACHTFÜLLE – IN DER NACHHUT HILLERS: GÜNTER WAND

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Lange Zeit beeinflusste das Phänomen des Dirigenten maßgeblich die Entwicklung und Struktur des Musiklebens. Große Dirigenten machten so Geschichte, einige darunter, die für die Nachwelt sogar zum Mythos geworden sind. Heute scheint es damit allemal vorbei. Toscanini, Furtwängler oder Karajan stehen längst nicht mehr im Rampenlicht der Öffentlichkeit.

Unter diesem Aspekt sind auch die Leistungen der drei großen Persönlichkeiten Hiller, Wüllner und Steinbach hervorzuheben, zumal ihnen das nicht unbeträchtliche Verdienst zukommt, in Köln aus privaten Einrichtungen der Oberschicht ein stabil funktionierendes bürgerliches Musikleben aufgebaut und etabliert zu haben. Das ist nicht wenig und wirft auch Fragen zur heutigen Zeit auf. Beispielsweise, ob sich etwa Parallelen ergeben oder möglicherweise sogar direkte Vergleiche ziehen lassen.

In diesem Zusammenhang könnte man einmal unbefangen darüber nachdenken, was jene früheren Kollegen des 19. Jahrhunderts etwa mit dem langjährigen Gürzenich-Kapellmeister Günter Wand verbindet. Schließlich erntete er die Früchte von deren hochmotiviertem Eifer, kreativen Einfällen und straffer Organisation.

Wie jene, die selbst für die allgemeine Musikrezeption als Pioniere solide Grundlagen schaffen mussten, hatte auch Günter Wand nach den fatalen Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges notgedrungen und mit aufopfernder Bereitschaft organisatorisch wie im Musikalischen schwerste Aufbauarbeit zu leisten, um den buchstäblich am Boden liegenden Opern- und Konzertbetrieb wieder in Gang zu bringen. Dies war trotz aller Misere günstigeren Bedingungen unterworfen als zu Beginn des bürgerlichen Musikzeitalters. Praktisch ging es dabei nicht um die Errichtung von Grund auf, vielmehr um Wiederherstellung des einmal Vorhandenen. Darum brauchte Wand bei Stadtvätern und Behörden auch keine Kämpfe auszufechten oder für die Wiederankurbelung von Konzert und Oper mit dem Klingelbeutel betteln zu gehen. In Rat und Bevölkerung fand er gleichermaßen volle Zustimmung und Unterstützung für sein weitsichtiges Bemühen.

Näherliegendere Bezugspunkte zu den Vorgängern waren indes andere. Zum einen resultieren diese aus der ungewöhnlich langen Dauer von Wands Kölner Engagement, zum andern daraus, dass es bis zur Nachkriegszeit zwischen den Vertragspartnern (Rat der Stadt Köln und Künstler) eine ziemlich konsequent eingehaltene Regel der Unabhängigkeit gab, überdies die strikt befolgte Anordnung zugunsten beider Seiten, Dirigenten niemals auf Lebenszeit zu verpflichten.

Was Ferdinand Hiller und Günter Wand gemeinsam ehrt, ist ihre über dreißig Jahre währende Treue zu Köln. Als knapp Vierzigjähriger war Hiller über zentrale berufliche Stationen »in eine noch ziemlich ländliche, patrizisch und autochthon regierte Stadt von 60.000 Einwohnern gekommen«, wie er in seinem Tagebuch festhielt. Er war Dirigent, Pianist, Komponist, Schriftsteller und Leiter des Konservatoriums in Personalunion. Eine fast selbstmörderische Tätigkeit. Ferdinand Hiller jedoch blieb jederzeit kündbar.

Günter Wand, 1939 blutjung und nach Anfängen in der Provinz Opernkapellmeister in Köln, war Mitte 1944 für kurze Zeit nach Salzburg gegangen und dann unmittelbar nach Kriegsende wieder in die Rheinstadt zurückgekehrt. Auf Anhieb wurde er dort – anders als Kollege Hiller – auch gleich mit weitreichenden Kompetenzen und einem Vertrag auf Lebenszeit ausgestattet. Alleinverantwortlich leitete er damit die musikalischen Geschicke Kölns. Das konnte auf Dauer nicht gut gehen. Es gelang ihm so lange, bis die Animositäten, Querelen und Reibungen unerträglich wurden: zwischen Orchester und Leiter, in Rat und Öffentlichkeit. So hat es etwas seltsam Rührendes an sich, wenn manche glauben, insbesondere nachdem er Köln im Zorn den Rücken gekehrt hatte, Günter Wand partout verteidigen und verklären zu müssen. Im Nachhinein lassen sie ihn nur noch als Lichtgestalt erscheinen, der im Hinblick auf den durchaus beachtlichen späten Ruhm in Köln viel Unrecht widerfahren sei. Wer indessen in der ausgedehnten Kölner Ära selbst lange genug Zeuge seiner musikalischen Aktivitäten war, mag vielleicht zu anderen Einsichten gelangt sein.

Den kritischen Beobachter mochten da nicht durchweg selbstgefällige Glücksgefühle, sondern vor allem in späteren Jahren ein aus der Realität gewonnener Unmut befallen. Der Wahrheit käme man gewiss näher, wenn man Wand nach zunächst höchst produktiven, vorrangig auch auf die moderne Musik gerichteten Jahren späterhin spürbare Lustlosigkeit und zunehmende Routine vorwerfen würde. Ohne vorab gesicherte Altersversorgung, so ist zu vermuten, wäre bei ihm gewiss einiges anders verlaufen. Seine mimosenhaften Unbeherrschtheiten hätten sich seine Vorgänger niemals leisten können.

Ob die von den Kölner Stadtoberen ermöglichte Symbiose des Wuppertalers Wand mit ihrer Stadt mehr auf lebenslang abgesicherter existenzieller Grundlage als auf selbstkritischer künstlerischer Einschätzung beruhte, ist heute schwer zu beurteilen. Was den Gürzenich-Kapellmeister indes stets verbittert hat, war die leidige Tatsache, dass er in der überregionalen Presse und bei der Fachkritik nur bei vereinzelten Gastauftritten oder Schallplattenaufnahmen, ansonsten aber kaum wahrgenommen wurde. Das muss Gründe gehabt haben.

Wohl jeder, der in Köln ein Amt übernimmt, und sei es Seine Eminenz, der Kardinal selbst, wird infolge der sattsam bekannten Mentalität und Befindlichkeit der einheimischen Bürger auf eigene Weise Lernprozesse durchzumachen und zwischen Domtürmen und Rathaus mit Gewissheit auch manchen Verdruss zu überstehen haben. Nicht erst in unseren Tagen. Da kennen Kölner, wie sie sagen, nichts. Selbst der unlängst verstorbene Karlheinz Stockhausen hat das bis zuletzt, wie in seinem Porträt (Seite 164) nachzulesen ist, in seiner Wahlheimat schmerzlich zu spüren bekommen. Und wie er viele andere auch.

Sicher ist, dass in der drängenden Aufbauphase des 19. Jahrhunderts die Berufung und Tätigkeit eines städtischen Kapellmeisters und Konservatoriums-Leiters mit viel weniger Aufsehen, Wohlstand und Selbstherrlichkeit vonstatten gegangen ist als in unserer Zeit. Günter Wand ist hoch anzurechnen, dass er sich anders als die Kollegen früher nach jahrelangen Ambitionen am Opernhaus und Aufgaben an der Musikhochschule ausschließlich seiner Arbeit als Gürzenich-Kapellmeister widmete. Ein Vorteil, den auch andere Städte nutzten. München etwa mit Wolfgang Sawallisch, der neben seiner Anbindung an die Bayerische Staatsoper auch als gefragter internationaler Konzertdirigent hohes Ansehen besaß. Im Blick auf die Vorfahren liegt der entscheidende Unterschied zu Wand in der Tatsache, dass diese nicht lebenslänglich verpflichtet worden waren, sondern gegenseitig kündbare Zeitverträge geschlossen und peinlich darauf zu achten hatten, dass das sorgsam zu errichtende Gebilde eines zugleich von der Stadt organisierten und mitfinanzierten Musiklebens nicht durch Willkür oder dünnhäutige Reizbarkeiten beeinträchtigt werden konnte. Insofern dürfte es im Nachhinein als Fehlentscheidung zu betrachten sein, dass der Rat der Stadt Köln den zweifellos talentierten, in vielem aber noch unerfahrenen Aufsteiger Wand bereits an dessen Karriereanfang zum unkündbaren Generalmusikdirektor erhoben hat – was als »eheliches« Treuegelöbnis womöglich gewisse Anerkennung verdient, als tragfähiger kommunaler Beschluss jedoch als höchst bedenklich einzustufen ist. So eigennützig dieser Vorgang für die Stadt gewesen sein mag, so wenig hatte er mit Weitsicht und Praxiskenntnis zu tun. Er blockierte die Karriere des Künstlers, dem auf diese Weise unfreiwillig Fesseln angelegt wurden, die seinem künstlerischen Fortkommen vielleicht mehr geschadet als genützt haben.

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