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Mike Fegin prallte auf den Asphalt, ohne den Sturz abfangen zu können. Ein greller Schmerz in seinem rechten Bein, dann verlor er das Bewusstsein, wachte irgendwann wieder auf, hörte eine Stimme von oben. Sie war von Seiks, der sich mit besorgtem Blick über die Brüstung lehnte. Seiks rief ihm zu, dass er ein Seil beschaffen wolle, oder eine Leiter, irgendwas, und dann verschwand er.

Der Schmerz in Fegins Fuß pocht jetzt bis in die Hüfte, der Fuß steht in einem bizarren Winkel zum Unterschenkel. Fegin ist längst klar, dass er es nicht mehr zurück auf den Turm schaffen wird, absolut unmöglich. Seit einer Ewigkeit wartet er jetzt auf seinen Partner, zusammengekrümmt hinter einem roten Golf, den irgendjemand in einer anderen Zeit an der Straße abgestellt hat, die jetzt von der Mauer geteilt wird. Über den Beton dringt gedämpft das Heulen der Blaulichter und das Rasseln und Kreischen der Baumaschinen. Vor ihm die leere Oranienstraße, flackernde Leuchtreklamen in den Läden, zerborstene Fensterscheiben. Und die Leichen der Toten, die Seiks und er erledigt haben.

Fegin zieht sich an der Tür des Autos nach oben, tritt vorsichtig auf, knickt wieder ein. Keine Chance.

Er untersucht seine Ausrüstung, das Gewehr, die Munitionstaschen. Genug, um ein paar Hundert von ihnen endgültig zu eliminieren. Genug, um etwas zu tun, was effektiver ist als das endlose Warten auf dem verfluchten Turm. Immerhin.

Also robbt Fegin los, wie er es gelernt hat, damals noch bei der Bundeswehr, das Gewehr vor sich. Vorn an der Straße keine Bewegung. Oder doch?

Er hört sie, bevor er sie sieht. Ihr hohles Stöhnen, dieses erbärmliche Röcheln. Da sind sie: drei Gestalten, unendlich langsam. Und doch so viel schneller als er. Drei Schüsse, zwei Treffer. Den dritten erledigt Seiks vom Turm aus.

»Komm zurück, Mike, verdammt noch mal? Ich bin wieder da! Hilfe ist unterwegs, dauert nicht mehr lange! Wir holen dich raus!«

Aber der Polizist hat seine Entscheidung gefällt.

»Keine Chance«, brüllt Fegin, »ich ziehe das hier durch, keine Sorge!«

Seiks hat Tränen in den Augen. Er denkt an Sabine und die Kinder. An die Stunden mit Fegin auf dem Turm, an ihre gemeinsamen Abende, an seinen verfluchten Dickschädel.

Fegin kriecht weiter, ein einsamer Kämpfer im Feindesland. Hinter feindlichen Linien, schießt es ihm durch den Kopf, als er die rote Linie überquert. Und dann: Ich habe überhaupt kein Ziel. Ich habe keinen Befehl, und ich habe kein Ziel. Das macht ihm für einen Moment große Sorgen, doch als er nach rechts in die Seitenstraße blickt und die Horde sieht, weiß er, dass er ganz einfach einen gigantischen Fehler gemacht hat.

Er legt das Gewehr an und feuert. Er leert ein Magazin und dann noch eins, doch für jeden Toten, den er trifft, tauchen zwei neue auf, eine Wand von Leibern, die unaufhaltsam auf ihn zukommt.

Die Gestalt (männlich, zirka zwanzig Jahre, Lederjacke), die als erste an ihm ist, bekommt seinen rechten Arm zu fassen, krallt sich fest. Der imprägnierte Stoff der Uniformjacke reißt nicht, und Fegin gelingt es, mit der Rechten, in der er immer noch sein Gewehr hält, auf den Schädel der Leiche einzuschlagen. Tatsächlich geht der Tote, grunzend, schnaubend, zu Boden. Fegin will anlegen und der Sache ein Ende bereiten, als er einen heißen Schmerz im Nacken spürt. Etwas Warmes fließt in seinen Kragen. Der Polizist ahnt, dass es sein Blut ist, denn der Schmerz wird intensiver. Er hört ein hässliches Geräusch, dann ist er frei. In der Drehung sieht er, dass das Wesen hinter ihm (weiblich, Alter unbestimmt, Kopftuch) etwas Rotes, Tropfendes zwischen seinen Zähnen hält, und er begreift, dass dies ein Stück aus seinem Körper sein muss; Gewebe, Fleisch. Er greift sich an die Wunde. Schmerz spürt er nicht, ein gnädiger Schock legt seine Empfindungen lahm, denn noch ist Fegins Organismus im Kampfund Fluchtmodus. Adrenalin wird durch Adern ins Gehirn gepumpt, er fühlt sich gut, kräftiger denn je. Nichts produziert mächtigere Drogen als der menschliche Körper im Kampf ums Überleben.

Fegin hievt sich auf die Knie, sieht auf seine blutige Hand, er hebt sie zur Faust und schlägt der Frau ins Gesicht. Sie torkelt einen halben Meter zurück, doch der Schlag bleibt ohne nachhaltige Wirkung, sofort kommt sie wieder auf ihn zu. Aus dem Augenwinkel sieht Fegin die Mauer und den Turm, darauf Seiks und andere, die ihm zuwinken. Er schätzt die Entfernung ab, aber er muss feststellen, dass es endgültig zu spät ist. Also rammt er der Leiche den Gewehrkolben ins Gesicht, Knochen splittern; es ist leichter, als er gedacht hat. Mike Fegin, Vater von zwei Kindern, stimmt einen Schrei an, wie er ihn noch nie von sich gegeben hat, den Schrei eines Urzeitmenschen, der seine Lanze in die Brust eines Säbelzahntigers gerammt hat.

Er ist so begeistert von seinem Schrei, dass er die beiden Toten nicht bemerkt hat, die ihn nun links und rechts an den Schultern packen. Erstaunt, wie stark der Griff der Leichen ist, die äußerlich so gebrechlich scheinen, sieht Fegin ein, dass er sich nicht aus dieser Lage befreien kann. Beim Versuch einer schnellen Bewegung verliert er sein Gewehr. Es entgleitet seiner feuchten Hand.

Fegin tritt nun seitlich auf die Toten ein. Der erste, ein männliches Wesen, geht zu Boden, fast ein Kinderspiel, doch die zweite Leiche setzt mit ihrem Gebiss an und reißt ihm eine tiefe Wunde in die Schulter, die Fegins rechten Arm endgültig außer Gefecht setzt. Das Adrenalin ist verbraucht, der Schmerz kommt in einem einzigen Schwall, der seinen Körper durchströmt. Alle Euphorie ist verflogen, stattdessen Verzweiflung. Ein weiterer Toter (junger Mann) wirft sich an seine Beine, reißt ihn zu Boden. Im Sturz sieht Fegin aus einem seltsamen Winkel einen Teil der Mauer, den Turm, Seiks und die Verstärkung, viel zu spät.

Eine Leiche (Frau) beugt sich über ihn und greift in sein Gesicht, er bemerkt den Gestank schon nicht mehr. Ein Blitz jagt durch Fegins Hirn, als etwas in seine Augen greift, zudrückt, dann ist da nur noch Schwarz. Fegin spürt, wie von allen Seiten an seinen Beinen, an seinem Oberkörper gezerrt wird. Wild verzweifelt, und doch geht all das mit einer gespenstischen Ruhe vor sich. Der letzte Gedanke, den Fegins Verstand produziert, ist ein Gebet. Doch am Ende seines Lebens steht Polizeihauptmann Mike Fegin kein gnädiger Gott zur Seite.

Berlin Requiem

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