Читать книгу Flusenflug - Peter Maria Löw - Страница 10

Das 2. Abenteuer Krieg in Espelkamp

Оглавление

Nachdem wir nunmehr ein kleines Portfolio mit unserem ersten Unternehmen eröffnet hatten, konnte es planmäßig weitergehen. Denn es sollte ja nicht bei diesem einen Unternehmen bleiben. Tatsächlich wollten wir eine Unternehmensgruppe, einen Konzern, ein ganzes Firmenimperium kurz vor der Weltherrschaft aufbauen. Unsere etwas blauäugige Idee war es, mit unseren überschaubaren Mitteln, einem überschaubaren persönlichen Einsatz und in überschaubarer Zeit zu einem unüberschaubaren Reichtum zu gelangen. Wir entwickelten also ein Modell, das akademischen Ansprüchen sicher gerecht geworden wäre, das dann aber doch erhebliche Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung bereitete.

Unser Plan sah nämlich Folgendes vor: Wir wollten zunächst ein erstes Unternehmen erwerben – das hatten wir nun bereits getan – und dabei das alte, erfahrene und in der Vergangenheit erprobte Management auf seinem Posten belassen. Mit diesem Management wollten wir für das jeweilige Wirtschaftsjahr ein Budget vereinbaren, das am Ende des Jahres zu einem kalkulierten Gewinn führte. Und mit diesem budgetierten Gewinn wollten wir zum einen teilweise unsere Darlehensverbindlichkeiten aus der Akquisition zurückzahlen, zum anderen den verbleibenden Rest wieder reinvestieren, das hieß weitere Unternehmen kaufen. Dieses Modell wollten wir also skalieren, d. h. ein zweites, ein drittes, ein viertes Unternehmen usw. erwerben, sodass wir uns irgendwann als Herren eines mächtigen Firmenimperiums wähnten, das unglaublich hohe Gewinne erwirtschaften und uns nach einigen Jahren, wenn wir dieses Imperium dann verkauften, eine gewaltige Summe Geldes einspielen sollte. Bei diesem Plan, so schön er sich in der Theorie anhörte und wie sehr er auch die persönlichen Fantasien anregte, zeigte es sich jedoch schon bald, dass er zum völligen Scheitern verurteilt war. Was am Universitäts- oder später am Biertisch ceteris paribus21 wunderschön konstruiert war, sollte in der realen Welt leider ohne ceteris paribus, sondern mit all seinen unbekannten Einflüssen, nicht umsetzbar sein.

Martin jedenfalls zog zunächst schon wieder durch die Gegend auf der Suche nach einem zweiten Unternehmen und ich genoss noch meine Beraterposition bei McKinsey und das damit verbundene Prestige. Da ereilten mich aus Espelkamp besorgniserregende Nachrichten. Der Cashflow stimme nicht, teilte mir Martin mit, es seien einfach zu wenig Gelder auf den Geschäftskonten. Die Umsätze wären zwar planmäßig, aber irgendwie komme das Geld nicht bei uns an. Besorgt trafen Martin und ich uns am folgenden Wochenende konspirativ in der Firma, also außerhalb der Geschäftszeiten und ohne es dem Management vorher mitzuteilen. In einer Nacht- und Nebelaktion durchforsteten wir die noch nicht digitalisierte Buchhaltung, was bedeutete, wir wälzten Verkaufsstatistiken, Verträge und Bankkonten. Das war aus technischen Gründen nicht ganz so einfach, denn die Akten befanden sich in einem unzugänglichen Keller. Und dieser war, welch ein Zufall, erst vor kurzem, durch wen auch immer, unter Wasser gesetzt worden. Alle Unterlagen waren nicht nur völlig durchnässt, sondern auch von dicken Schlammschichten überzogen. Das hieß, vor dem Prüfen musste jedes Blatt erst einmal gereinigt werden. Gott sei Dank hatten wir unseren braven Mitarbeiter Stiwo Wirstle dabei, der nicht nur Steuerberater war, sondern auch echte »Hands on«-Qualitäten besaß.

Zusammen mussten wir nach Auswertung der »gereinigten« und bereinigten Zahlen feststellen, dass sich einer der beiden Geschäftsführer, Herr Landmeier (das L von A + L), offenbar entschlossen hatte, die Geschäfte so zu führen, wie er es vor unserer Übernahme gewohnt war, nämlich, indem er sämtliche freie Liquidität von den Bankkonten der Gesellschaft einfach auf seine eigenen überwies. Dass dies nicht nur eine nette alte Gewohnheit oder rein reflexartig geschehen war, war uns allen klar. Auch die Verschlammungsaktion der Akten erschien nun in einem neuen Licht. Nach den Erfahrungen mit der Überzahlung des Kaufpreises war das Vertrauen in Herrn Landmeier nun derart erschüttert, dass wir uns entschlossen, ihn wegen Untreue fristlos zu entlassen. Auch diesmal wirkte die lautstarke Drohung mit dem Staatsanwalt, ich hatte vom Bankdirektor gelernt. Die Beweislage war so eindeutig, dass Herr Landmeier sich gezwungen sah, auch diesen ihm nicht zustehenden Betrag unverzüglich zurückzuüberweisen und die Kündigung klaglos zu akzeptieren. Da war es nur noch einer …

Nachdem wir uns so bereits intensiv in die Buchhaltung eingearbeitet hatten, war uns en passant aufgefallen, dass selbst bei Korrektur des »Landmeier-Effekts« die Buchhaltung irgendwie immer noch nicht aufging. Es fehlten immer noch Beträge in nicht unerheblicher Höhe. Wir entschlossen uns daher, einen Privatdetektiv zu engagieren, der das Geschäftsverhalten des anderen Geschäftsführers, Herrn Althaus, unter die Lupe nehmen sollte, natürlich diskret und ohne, dass er dies merkte. Tatsächlich meldete sich besagter Privatdetektiv nach einer Woche wieder. Er hatte eine Reihe von Käufen von gebrauchten Maschinen direkt bei Herrn Althaus durchgeführt. Diese Gebrauchtmaschinen waren in der Regel Kopierer, bei denen der Leasingvertrag ausgelaufen war. Er wies uns nach, dass diese Geräte eben nicht in das Lager der Gesellschaft zur Aufarbeitung und zur Neuvermietung zurückgegangen und, wie es korrekterweise hätte erfolgen müssen, diesem Lager auch nicht zugebucht worden waren. In Wahrheit, und das hatte der fleißige Detektiv herausgefunden, hatte Herr Althaus die Geräte zwar in Empfang genommen, diese jedoch unter der Hand, ohne Rechnung und natürlich nur gegen bar zugunsten seines privaten Geldbeutels verkauft. Drei solcher Fälle konnten wir Herrn Althaus nachweisen und auch hier war die Reaktion unsererseits eindeutig: fristlose Kündigung und Wiedergutmachung des angerichteten Schadens. Im Gegenzug zogen wir in Erwägung, Herrn Althaus trotz der eindeutigen Untreue nicht der Staatsanwaltschaft zu übergeben.

Somit sah nach wenigen Monaten unserer strahlenden Unternehmertätigkeit die Situation wie folgt aus: Wir besaßen eine Gesellschaft ohne Geschäftsführung, wir selbst hatten ungefähr DM 7 Mio. Schulden und wir beide, Martin und ich, verfügten zu allem Übel über keinerlei Erfahrung, wie man eine solche kleine Firma irgendwo in Ostwestfalen überhaupt leitete. Dies war für mich in dieser zweifelsfrei sehr existenzbedrohenden Situation der Zeitpunkt, an dem ich ich mich entschloss, mein sehr bequemes McKinsey-Leben im oberen Luxusbereich aufzugeben und mich höchstpersönlich um meine Firma zu kümmern. Ich kündigte also mein Anstellungsverhältnis bei McKinsey und zog aus meinem 5-Sterne-Hotel, das sicherlich viele Hundert DM am Tag kostete, in ein kleines möbliertes Zimmer in einem Bauernhof in der Nähe von Preußisch Oldendorf, das nur mit DM 17 pro Tag zu Buche schlug und preisentsprechend ausgestattet war. Von nun an war ich also der Herr Geschäftsführer.

Was zunächst wie eine Katastrophe anmutete, sollte sich für meine Unternehmerkarriere zu einem wahren Segen entwickeln. Denn in dieser existentiellen Situation war ich zum einen gezwungen, das Handwerk der Firmenführung von der Pike auf zu erlernen. Zum anderen brachte die Entlassung der beiden alten Geschäftsführer ein ganz beachtliches Trostpflaster mit sich. Beide hatten sich als Geschäftswagen teure, auf die Firma zugelassene Luxusgefährte gegönnt, die nunmehr disponibel waren. Sicherlich hätte man, um den Cashflow zu stärken, an einen Verkauf denken können, aber so waren wir nun einmal nicht. Ich für meinen Teil interpretierte dies eher als einen Wink des Schicksals. So erhielt Martin als junger Familienvater die nagelneue Mercedes 500 SEL Limousine und konnte endlich die alte Kiste seines Vaters abmelden. Für mich fiel ein schickes Mercedes Cabrio 500 SL in dunkelblau metallic mit schwarzen Ledersitzen und allen erdenklichen Extras ab, ein Fahrzeug, das man sich als 32-jähriger selten aus eigener Kraft leisten kann. Entsprechend fiel das Urteil in meinem Freundeskreis aus. Entweder wurden mir illegale Geschäfte im Bereich der Drogenkriminalität oder des Menschenhandels unterstellt oder man ging einfach davon aus, dass ich mich in offensichtlichem Größenwahn übernommen hätte. Ganz anders war der Effekt bei der Damenwelt, die offenbar sehr schnell vom Auto auf den Halter schloss. Jedenfalls öffnete mir dieser Wagen sehr viele Türen.

Derweil häuften sich die Probleme in unserer Gesellschaft. Sie besaß nur eine händische Einnahmenüberschussrechnung und keine moderne Buchhaltung. Wir installierten somit erstmalig ein einfaches EDV-System und »hackten« alle Buchungsdaten höchstpersönlich in mehreren Wochenendsitzungen in die Computer. Doch das alleine reichte nicht. Da wir eigentlich kein Geld übrig hatten, andererseits eine moderne EDV-Infrastruktur aus unserer Sicht unverzichtbar war, mussten wir also eine günstige Lösung finden. Unser Technikleiter in Espelkamp hatte von einem jungen Mann in Rahden gehört, der sich mit diesem neumodischen Kram auskennen würde. Wenn ich von jungem »Mann« spreche, so war das ein wenig übertrieben. Herr Lars Windhorst war damals gerade erst 15 Jahre alt geworden und eigentlich noch Schüler. Er hatte in der Garage bzw. im Hobbyraum seines Vaters eine Art Computerwerkstatt eingerichtet. Dort versuchte er, neben dem Schulunterricht Computernetzwerke für die Handwerker der Region zusammenzuschrauben. Es handelte sich tatsächlich um jenen Lars Windhorst, der später als »Wunderkind« mit Bundeskanzler Helmut Kohl auf Chinareise ging und anfing, Wolkenkratzer in Fernost zu bauen, bis er ein-, zweimal doch kräftig auf die Nase fiel, auch einen Flugzeugabsturz überlebte, um heutzutage wieder als sehr erfolgreicher Investor im Corporate Bereich weltweit von sich reden zu machen. Als solcher ist er vor kurzem bei Hertha BSC mit einem vielfachen Millionenbetrag eingestiegen.

Jener junge Herr Windhorst war genau unser Mann. Bei Stundenlöhnen im Taschengeldbereich, aber einer sehr guten Expertise, wo man die günstigsten Komponenten bekommen konnte, waren wir uns sehr schnell handelseinig. Herr Windhorst errichtete uns für kleines Geld eine umfängliche Computerinfrastruktur, er arbeitete sogar samstags und sonntags, dann aber nur gegen Extrazulage. Wir mussten ihn kostenlos mit Pizza und Coca Cola versorgen. Sein Geschäft schien auch sonst an Fahrt aufzunehmen. Kam er anfangs noch mit einem Mofa nebst kleinem Anhänger aus dem drei Kilometer entfernten Rahden angebraust, so fuhr er ein halbes Jahr später bereits mit eigenem Kfz vor. Natürlich nicht er selbst, sondern er setzte damals einen älteren Schulfreund, der schon den Führerschein hatte, als Fahrer und Chauffeur ein, eine Marotte, die er bis heute beibehalten hat. Im Verlaufe der Wochenendsitzungen löste sich dann der Coca-Cola-Konsum mit steigender Uhrzeit mit dem Konsum des einen oder anderen Glases Wein ab, was zu fröhlichen Gelagen bis in die späten Abendstunden führte.

Dabei fragte er uns neugierig, wie man das mit dem Firmenkauf eigentlich so mache, auch wenn man kein Geld besäße, auf welche Dinge man achten müsse und welche Fehler zu vermeiden seien. Ich griff bei meinen Antworten auf meinen noch überschaubaren Erfahrungsschatz zurück und zitierte den Ratschlag meines Vaters, dass man am besten ganz unten anfangen solle und sich dann Stufe für Stufe im Leben hocharbeiten müsse. Diese Weisheit, so mein Tipp, dürfe man auf keinen Fall berücksichtigen, sonst würde man weit unter seinen Möglichkeiten enden. Wir hätten uns so auch entschlossen, nicht etwa als Lehrling, sondern gleich als Firmenbesitzer, also oben, einzusteigen. Rotwein, insbesondere der von der Tankstelle, löst bekanntlich die Zunge und so war dieser doch etwas großspurige Vortrag von mir vielleicht nicht vollständig durchdacht, jedoch unser Herr Windhorst schien gerade diesen Aspekt besonders beherzigen zu wollen. Und so stieg er später offensichtlich ganz oben ein, um dann aber auch ziemlich tief zu fallen. Wer einen solchen Sturz überlebt, der kann es wirklich zu etwas bringen. Herr Windhorst scheint es ganz eindeutig heute geschafft zu haben. Ich habe ihn jedenfalls noch das ein oder andere Mal getroffen und die Erinnerungen an diese alten Zeiten waren für beide Seiten, so glaube ich, ganz erquicklich.

Zurück zu den Problemen bei A + L. Es gab auch keinen richtigen Vertrieb. Die einzigen Vertriebspersonen waren die »Herren« Althaus und Landmeier selbst gewesen. Die gab es nicht mehr. Wir mussten also den Vertrieb neu aufbauen und das in einem wettbewerbsintensiven Umfeld. Hier kam mir eine gewisse Kreativität, aber auch ein gesundes Maß an Frechheit zugute. Wie konnte ich es schaffen, gutes Vertriebspersonal von den etablierten Wettbewerbern in unsere doch etwas klapprige Firma zu bekommen? Denn gute Vertriebsleute sind wie scheue Rehe. Sie kennen weder Loyalität, noch haben sie große Skrupel und sind beim ersten Sturm weg. Also dachte ich mir Folgendes aus: Die neuen Vertriebsmitarbeiter sollten ein extrem niedriges Grundgehalt von DM 1000 pro Monat erhalten, jedoch, und das war die Chance gegenüber den Wettbewerbern, das Doppelte an Provision gezahlt bekommen. Dies sollte dazu führen, dass der schlechte Vertriebsmitarbeiter bereits nach kurzer Zeit die Firma wieder verließ, da er mangels Provision und zu niedrigem Grundgehalt nichts verdiente. Der gute Vertriebsmitarbeiter jedoch würde durch die verdoppelten Provisionen überproportional stark verdienen und war dadurch besonders motiviert.

Und ein zweites Element hatte ich mir ausgedacht. Bei allen Wettbewerbsunternehmen erhielten die Vertriebsmitarbeiter immer einen Opel Astra. Dies schien wohl das typische Branchenauto zu sein. Ich hatte mir über das Wesen des Vertriebsmitarbeiters, insbesondere über seine narzisstische Natur, Gedanken gemacht. Ein guter Vertriebsmitarbeiter war ein extrovertierter Mensch, der sich an seinen Erfolgen nicht nur selbst erfreute, sondern seine Umwelt daran teilhaben lassen wollte. Mit anderen Worten, das Social standing war für ihn etwas sehr Wichtiges und das Prestige bildet sich, jedenfalls in Deutschland, vor allen Dingen im Auto ab. So hatte ich mir einen perfiden Plan einfallen lassen. Die Vertriebsmitarbeiter sollten nicht etwa einen von uns vorgegebenen Vertriebswagen erhalten, sondern ihnen würde eine feste Leasingrate für ein Leasingfahrzeug als Firmenwagen zur Verfügung gestellt werden. In der konkreten Auswahl des Wagens wären sie jedoch völlig frei.

Tatsächlich ging dieses Konzept unerwartet gut auf. Potentielle Vertriebsmitarbeiter rechneten sich anhand der Leasingrate schon einmal aus, welchen größtmöglichen Wagen sie mit der an sich niedrigen Leasingrate finanziert bekommen würden. So sammelte sich auf dem Parkplatz für Mitarbeiter schon bald eine farbenprächtige Palette von BMW 635 CSi, Porsche 911 oder große Mercedes-Benz-Schlitten, alle im Schnitt mehr als sechs Jahre alt. Fuhr der Vertriebsmitarbeiter nun mit seinem Wagen nach Hause und stellte ihn vor seine Garage, so konnte jeder der Nachbarn deutlich erkennen, welchen sozialen Aufstieg er vermeintlich genommen hatte und wie erfolgreich er war. Und daraus ergab sich auch schon der zweite Vorteil meiner Strategie. Der Vertriebsmitarbeiter konnte nicht mehr zu seiner alten Firma zurückwechseln, denn welcher soziale Abstieg wäre damit verbunden gewesen, wenn er aus seinem großen BMW wieder in den verhassten kleinen Opel Astra hätte steigen müssen? Diesen sozialen Abstieg hätte er nie und nimmer verkraftet. So war das Autoprogramm nicht nur eine Maßnahme, gute Mitarbeiter anzulocken, sondern auch ein Mittel, um sie an die Firma zu binden.

Das Entlohnungspaket war ein voller Erfolg. Es führte u. a. dazu, dass die besten Vertriebsmitarbeiter deutlich mehr verdienten als ich selbst mit meinem monatlichen Geschäftsführergehalt von DM 12 000. Ich freute mich sogar über jede Mark, die ein Vertriebsmitarbeiter mehr als ich verdiente, da die Firma von diesen Erfolgen überproportional profitierte.

Mit der Zeit entwickelte sich unser kleiner Büromaschinenhändler zum Magneten für alle guten Vertriebsleute der Region, selbst aus anderen Branchen. Die Umsätze der Firma legten stark zu, sodass wir unsere Zinsraten pünktlich bedienen konnten. Dennoch blieb es ein waghalsiger Ritt auf Messers Schneide. Die diversen Bankdirektoren, bei denen wir unsere Akquisitionsgelder geliehen hatten, gaben sich die Klinke in die Hand und stellten sich fast immer mit dem gleichen Satz vor: »Lieber Herr Dr. Löw, wie konnte es passieren, dass es Ihnen erst nach geraumer Zeit aufgefallen ist, dass Ihre Geschäftsführer Gelder von den Bankkonten entwendet haben, und war es wirklich Ihr Plan, dass Sie innerhalb kürzester Zeit kein Management mehr haben? Haben Sie überhaupt schon mal selber eine Firma geführt?« Diese Floskeln waren ja noch zu ertragen. Als viel schlimmer stellte es sich heraus, dass besagte Bankdirektoren nunmehr anfingen, ein jeweils eigenes Controlling einzurichten, das hieß, dass sie von uns im Wochen- oder Tagesrhythmus diverse unsinnige Statistiken und Aufstellungen verlangten, um für den möglichen Fall einer Insolvenz ausreichend dokumentieren zu können, wie intensiv sie sich doch um die Firma gekümmert hätten. Jedenfalls kann ich im Nachhinein sagen, dass ich in dieser Zeit ziemlich schlecht geschlafen habe, auch wenn die Aufgabe an sich höchst interessant und unterhaltsam war. Denn mit Gesamtschulden in Höhe von ca. DM 7 Mio. ist eine beginnende Existenz schon oft im Keim erstickt worden.

Nach einem Jahr Geschäftsführertätigkeit vor Ort hatte sich der Umsatz um fast 50 Prozent auf über DM 10 Mio. erhöht. Die Beschäftigung war von 27 auf 41 Mitarbeiter gestiegen. Auch die Profitabilität des Unternehmens hatte sich deutlich verbessert. In der Branche war man auf uns aufmerksam geworden. Wir erhielten Angebote zur Übernahme der Gesellschaft von diversen Wettbewerbern, akzeptierten aber im Endeffekt doch das beste Angebot von den beiden untreuen Herren Landmeier und Althaus, denen es im Pensionärsstand offensichtlich langweilig geworden war, und die damit wohl auch weitere Ermittlungen der Behörden verhindern wollten. Und die beiden Herren bestanden – aus nachvollziehbaren Gründen – nicht wie alle anderen darauf, dass wir noch ein, zwei Jahre als Geschäftsführer im Unternehmen bleiben sollten, auch ein Vorteil.

Wir verkauften also das Unternehmen nach circa 13 Monaten im Februar 1994 mit einem Gewinn von DM 1 Mio., also zu einem Kaufpreis von DM 8 Mio. Damit konnten wir alle unsere Schulden bezahlen. Zusätzlich hatten wir jeweils ein Geschäftsführergehalt von ca. DM 140 000 bezogen. Wir behielten unsere schicken Dienstwagen – nunmehr im Privateigentum – und machten darüber hinaus immer noch einen unternehmerischen Gewinn von DM 1 Mio., zu zweit natürlich und vor Steuern, aber für eine Tätigkeit von etwas mehr als einem Jahr war dies doch ein respektables Ergebnis.

Wir bestanden bei den Herren natürlich auf Bezahlung durch offiziellen Bankscheck. Ein Bankscheck hat die gleiche Bedeutung wie Bargeld. Wenn er verloren geht, kann man das Geld nicht noch einmal erhalten. Ich kann mich noch erinnern, wie Martin und ich taktisch planten, wie wir diesen wertvollen Scheck in Höhe von DM 8 Mio. von der Übergabe beim Notar bis zur Abgabe in der Bank sicher beförderten. Als alter Fallschirmjäger konnte ich Überfallsund Diebstahlsfantasien weitgehend ausräumen, aber ein Unfall? Ein Meteorit? Eine Sintflut? Wer konnte das schon wissen? Irgendwie erreichten wir dann aber doch sicher die Bank und zahlten ein. Ein schönes Gefühl.

21Ceteris paribus (lat.): unter sonst gleichen Bedingungen; in der betriebswirtschaftlichen Modellentwicklung versteht man darunter, dass Regelhaftigkeiten ermittelt werden sollen, indem man in der Modellanordnung zahlreiche andere Einflussgrößen, die in der wahren Welt sehr wohl vorkommen können, dadurch zu eliminieren versucht, dass man sie ignoriert.

Flusenflug

Подняться наверх