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Das 8. Abenteuer Das ostdeutsche Kombinat 37

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Nachdem wir mit unserer Halle in Selmsdorf einen Brückenkopf in die neuen Bundesländer errichtet hatten, startete Martin seine Erkundungsreisen in den Osten von hier aus. Während ich mich noch mit bautechnischen Problemen in Selmsdorf herumschlug, hatte Martin eine neue Akquisitionsmöglichkeit in Klosterfelde, Brandenburg, ausgemacht. Idyllisch gelegen, unweit der DDR-Politikersiedlung Wandlitz und ebenfalls nicht weit entfernt vom Göringschen Jagdsitz Carinhall mit angeschlossenen gigantomanischen Parteischulungsgebäuden, die sinnigerweise heute als Hotel genutzt werden, befand sich eines der großen Kombinate aus DDR-Zeiten. Es handelte sich um den VEB38 Spanplatten Klosterfelde. Hier wurden damals zentral alle Küchen und Spanplatten für die Genossen hergestellt. Das Areal bestand aus ca. 10 ha Industrieanlagen mit eigenem Bahnanschluss. Der pittoreske Ehrensaal zeugte noch vom ehemaligen Stolz der Arbeiterklasse auf die hier vollbrachten Heldentaten.

Nach der Wende hatte sich die Treuhand des Kombinats angenommen und es aufgrund völlig veralteter Produktionsweisen und einer fehlenden Umweltverträglichkeit mal eben abgewickelt. Eine kanadische Gesellschaft hatte daraufhin das gesamte Areal mit allen Gebäuden mit der Absicht übernommen, in die verwaisten Hallen eine Produktion von polyurethanbasierten Sandwichplatten aufzubauen. In Kanada hatten die beiden Gründer bereits positive Erfahrungen damit gemacht. Die Produktion sollte vollautomatisch erfolgen, das heißt, eigentlich hatten die Kanadier nichts Geringeres vor, als den Fertighausbaumarkt in Deutschland zu revolutionieren. Die potentiellen Kunden sollten zusammen mit einem Entwickler an einem Computer ihr Muster- und Wunschhaus selbst designen. Dieser Entwurf wurde daraufhin direkt in die Produktionsanlage eingespeist.

Dann sollte Folgendes geschehen: Zunächst wurde zwischen zwei Spanplatten in einem automatisierten Verfahren Polyurethan mit einer Stärke von 18 cm eingespritzt, wodurch ein Standardpaneel mit einer Länge von circa 4 Metern und einer Breite von etwa 1 Meter entstand. Dieses Standardpaneel wurde in einem weiteren Arbeitsschritt in eine CNC gesteuerte Bearbeitungsstation eingeführt. Dort erfolgte entsprechend dem Hausbauplan die Herstellung eines maßgeschneiderten Stücks für die spätere Montage. Die einzelnen bearbeiteten Paneelstücke wurden nummeriert und wie bei einem Modellbauhäuschen z. B. mit den Teilen 1 bis 250 nach einem vorgegebenen Plan einfach zusammengesetzt, und fertig war das Paneel-Fertighaus. Eine geniale Idee, die nicht nur die Baukosten stark nach unten drückte, sondern aufgrund der Eigenstatik der einzelnen Paneele zur Folge hatte, dass man das Haus wie ein Kartenhaus zusammensetzen konnte, ohne Tragwerke oder Stützen. Selbst das Dach konnte aus den Paneelen hergestellt werden. So etwas gab es in Europa bisher noch nicht und das war auch das Verhängnis der lieben Kanadier.

Um nämlich in Deutschland Baumaterialien herstellen zu dürfen, bedarf es einer Genehmigung, und zwar des Deutschen Instituts für Bautechnik in Berlin. Was die Kanadier nicht bedacht hatten, war, dass sich das zuständige Gremium auch aus Vertretern der hiesigen Fertighausbauindustrie zusammensetzte. Und die hatten – selbstverständlich nur aus Verbraucherschutzgesichtspunkten und nicht wegen des Wettbewerbs – keinerlei Interesse, ein solch revolutionäres Verfahren zuzulassen. So wurde den Kanadiern zwar freundlich in Aussicht gestellt, dass die Genehmigung bald komme, tatsächlich verschob sich die Entscheidung aus allerlei unerfindlichen Gründen von der einen auf die andere der dreimonatlichen turnusmäßigen Sitzungen. Die Kanadier hatten im Vertrauen auf eine baldige Entscheidung bereits sämtliche Anlagen gekauft und eingebaut sowie das zum Vollbetrieb notwendige Personal eingestellt. Dieses saß nun Däumchen drehend in der Produktionsstätte und wollte, obwohl gar nichts zu tun war, natürlich auch den zugesagten monatlichen Lohn erhalten. Dies konnten sich die Kanadier nur zwei Jahre lang leisten, und, nachdem wieder einmal die bautechnische Genehmigung verschoben worden war, mussten die beiden Gründer schließlich Insolvenz anmelden.

Einer der Gründer, so wurde uns später erzählt, sei daraufhin wahnsinnig geworden und befände sich seitdem in einer geschlossenen Anstalt – schon wieder ein Zombie! Wir jedenfalls wurden vom East German Investment Trust (EGIT), einer Aktivität der Ermgassen & Co. mit Sitz in London, die sich mit einem kleinen Anteil beteiligt hatte, auf die Gesellschaft in Insolvenz angesprochen, ob dies denn nicht etwas für uns sei? Natürlich war das etwas für uns und so verhandelten wir mit dem Insolvenzverwalter einen Asset Deal, übernahmen das ganze Kombinat samt mehreren Lokomotiven, dem Ehrensaal und zehn Mitarbeitern für einen symbolischen Kaufpreis, um damit als TEK Dach und Wand GmbH das Geschäft neu zu starten. Der EGIT wurde Minderheitsgesellschafter mit 20 Prozent.

Unser erster Gang führte uns zum Deutschen Institut für Bautechnik und, weil wir dort wohl nicht als ganz so bedrohlich empfunden wurden, erhielten wir schon nach zwei Wochen die bautechnische Genehmigung, auf die die kanadischen Vorgänger ein paar Jahre vergeblich gewartet hatten. Unser treuester und zuverlässigster Mitarbeiter wurde ein ehemaliger Stasi-Betriebsoffizier, der getreu dem Motto »Wes Brot ich ess, des Lied ich sing« seinen neuen Herren seine Dienste in alter, bewährter Manier andiente, die wir auch gerne annahmen.

Die Geschäfte liefen durchaus erfreulich an. Aufgrund der unglaublichen Dämmeigenschaften unserer Paneele konnten wir z. B. am Südpol eine Forschungsstation errichten. Aber auch die deutlich weniger spektakulären, jedoch aufgrund ihrer Menge deutlich lukrativeren Familienhausprojekte nahmen immer mehr an Fahrt auf. In der Branche gelangten wir mit unseren innovativen Verfahren und der High-Tech-Produktion zu einer gewissen Berühmtheit. Wir bauten ganze Siedlungen und gerade im Osten war die Akzeptanz unserer Produkte enorm hoch. Die Umsätze stiegen und wir konnten die Belegschaft mehr als verdoppeln. Nach einem Jahr waren wir bereits Weltmarktführer für selbsttragende Dämmpaneele mit einem inzwischen zweistelligen Millionenumsatz.

Da kam wie aus dem Nichts ein amerikanischer Finanzinvestor, Allen Case, daher. Er sprach uns an und verkündete breitschultrig, er werde jetzt die TEK Dach und Wand von uns kaufen. Er wolle damit ganz groß in den USA rauskommen und dann die ganze Welt beliefern. Nun gut, dachten wir, uns würde es reichen, wenn er nur die Firma bezahlen könnte. »Money is not the problem« war sein Mantra, das er gebetsmühlenartig vortrug, während er uns mit allerlei Giveaways39 eindeckte. Als Kaufpreis wurden schnell DM 10 Mio. vereinbart. Die Notarverträge waren ausgearbeitet. Allen Case erklärte sich großzügigerweise bereit, die Notarkosten zu übernehmen. Dann war der Notartermin. Doch wer nicht erschien, war Allen Case! Er kam nicht nur nicht, sondern blieb von da an komplett verschollen. Kein Anruf, kein Schreiben wurde mehr beantwortet. Unsere Nachforschungen ergaben, dass es sich wohl um einen Hochstapler gehandelt hatte, der nicht seinen ersten Deal platzen ließ. Das war natürlich ein wenig peinlich für uns. Ärgerlich war aber auch, dass wir nicht nur unseren erhofften Kaufpreis abschreiben mussten, sondern auch auf den gesamten Notarkosten sitzenbleiben sollten. Allen Case hatte zwar dem Notar mitgeteilt, dass er alle Kosten trage, aber ohne Case griff die gesamtschuldnerische Haftung und da waren wir beide eben dran. Fast jedenfalls, denn ich teilte dem Notar mit, dass unser Minderheitsgesellschafter, der EGIT, diese Rechnung zahlen würde. Als die Zahlungsaufforderung des Notars mit Ankündigung der Vollstreckung in London ankam, wurde tatsächlich flugs der gesamte Betrag gezahlt. Mit solchen Kleinigkeiten wollte sich der EGIT wohl nicht aufhalten. Das Case-Spektakel jedenfalls war dem EGIT dann zu viel. Der Trust verkaufte uns seine 20 Prozent-Anteile an der TEK Dach und Wand für DM 200 000.


Kurz darauf gelang es uns, die gesamte Firma an den vergleichsweise hochseriösen, irischen, börsennotierten Konzern Kingspan zu veräußern, der uns einen Kaufpreis von DM 6 Mio. zahlte. Zwar keine DM 10 Mio., aber dennoch ein schönes Ergebnis. Kingspan betrieb die Anlage am Standort Klosterfelde, weitete sie deutlich aus und begann dann dieses Fertighauskonzept nach Großbritannien und Irland zu exportieren.

Es war das Jahr 1996. Wir jedenfalls waren wieder um einige Erfahrungen reicher. Bewährt hatte sich einmal mehr der Plan, Unternehmen zu erwerben, zu restrukturieren und zu verkaufen. Vermisst haben wir noch lange die beiden Dampfloks, mit denen wir wie Lukas der Lokomotivführer auf dem Betriebsgelände auf und ab gefahren waren; ein Kindheitstraum, der wahr geworden war.

Inzwischen hatten wir nach der System Kopie AG bereits wieder eine neue Holdinggesellschaft gegründet, die Certina AG. Unsere Firma in Selmsdorf hatten wir ja bereits Certina40 genannt. Mir gefiel dieser Name und das zugehörige Logo, das ich mir bei einem guten Rotwein ausgedacht hatte, so gut, dass ich beides weiter nutzen wollte. So entstand die Certina AG. Da die Geschäfte gut liefen und wir hoch hinaus wollten, musste nur noch ein deutlich größeres und schöneres Büro her. Wir richteten uns im Luitpoldblock in München direkt neben dem späteren Literaturhaus ein. Das Büro im 3. Stock hatte jetzt schon 350 m2 und freien Blick über den Wittelsbacher Platz hin zum Palais Ludwig Ferdinand, wo der Vorstand der Siemens AG residierte. Dass dort in der Nazizeit die Gestapo ihr rüdes Regiment ausgeübt hatte und mein Großvater dort mehrmals intensiv verhört worden war, spielte keine Rolle mehr. Wir wollten, wie einst die Gründer von Siemens, zu einem großen Konzern aufsteigen.

Schon der 100 m2 große Empfangsbereich sollte dem Besucher diesen Eindruck vermitteln. Hier ließen wir aus den bewährten (und kostengünstigen) TEK-Paneelen einen repräsentativen Empfangstresen – eher eine ganze Empfangsinsel – aufbauen. Auf dem Teppichboden grüßten Zitate des Kleinen Prinzen von Saint-Exupéry, natürlich in Französisch. Und auf Marmorsäulen thronten wie Beutestücke aus einem Feldzug Exponate aus den von uns erworbenen Firmen. Am Anfang waren es noch wenige, am Schluss glich das Ganze etwas einer Wanderausstellung des Deutschen Museums. Und als Krönung gönnten wir uns einen Raum, in dem wir ein Solarium aufstellten. Denn nur ein gesund aussehender Körper kann große Taten vollbringen.

37Ein Kombinat (lat. combinatus ›vereinigt‹, über russ. комбинат), manchmal auch Großkombinat genannt, ist ein Zusammenschluss von produktionsmäßig eng zusammenarbeitenden Industriebetrieben zu einem Großbetrieb in sozialistischen Staaten (Wikipedia).

38Volkseigener Betrieb.

39Werbegeschenken.

40Certina Modulproduktion GmbH.

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