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Das 5. Abenteuer Das erste Sabbatjahr 28

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Doch zuvor beschloss ich ein sogenanntes Sabbatjahr einzulegen. Ein bisschen Abwechslung sollte mir guttun und wer hat schon etwas gegen einen längeren Urlaub? Es war meine erste derartige Auszeit, sollte aber nicht meine letzte bleiben. In der Zukunft würde ich immer wieder ein solches mehr oder weniger langes Sabbatjahr einlegen.

Wenn Abschnitte meines wirtschaftlichen Lebens abgeschlossen waren, große Veränderungen anstanden oder eine entscheidende Weichenstellung für die Zukunft geplant werden musste, war der Einschub eines Sabbatjahres ein sehr probates Mittel. Es ist eben eine typische Eigenschaft des Menschen, dass er im Vertrauten unbedingt verharren will und jegliche Abweichung erst einmal ablehnt. Jeder Wechsel wäre mit einer Veränderung der lieb gewonnen Gewohnheiten, der Denkschemata und des Umfeldes verbunden, drei Dinge, die dem Menschen eine vermeintliche Sicherheit vorgaukeln. So verharren die meisten bis zu ihrem Lebensende oder bis zum Ende ihrer beruflichen Laufbahn in denselben Tätigkeiten und Abläufen, machen immer das Gleiche und wollen es um keinen Preis aufgeben.

Da ich jedoch nicht so enden wollte, brachten mir diese Auszeiten nicht nur viele neue Erlebnisse und damit auch viel Spaß, sondern sie boten mir die Gelegenheit, über das Vergangene nachzudenken, es zu analysieren, gemachte Fehler festzustellen und konzeptionelle Schwächen aufzudecken. Indem ich in einem Reflexionsprozess alles in Frage stellte, vermochte ich aus diesen Versatzstücken etwas Neues zu schaffen. Ich habe später, nach den positiven Erfahrungen meines ersten Sabbaticals, ungefähr alle fünf Jahre ein solches Sabbatjahr eingelegt, auch wenn es nicht immer ein ganzes Jahr dauern sollte. Irgendwann hatte ich erkannt, dass mir der Wandel immer dann besonders gut gelang, wenn ich mich zuvor bewusst möglichst weit aus den Lebenswirklichkeiten des gewohnten Alltagslebens entfernt hatte. Dies bedeutete, dass ich gezielt Dinge unternahm, die meinem sonstigen Lebensablauf diametral entgegenstanden.

So sollte ich den Kilimandscharo besteigen, in diversen Klöstern der Benediktiner und Zisterzienser jeweils einige Wochen in Klausur verbringen, mehrfach auf Athos mit orthodoxen Mönchen diskutieren, in buddhistischen Klöstern in Nordindien meditieren, auf dem Motorrad zahlreiche Extremtouren wagen – zum Beispiel die Wüste Namib und die Etosha-Pfanne durchqueren –, von München nach Jerusalem über Syrien und Jordanien ins Heilige Land pilgern oder, von der chilenischen Küste kommend, in die Anden preschen, dort Cuzco, Machu Picchu und den Titicacasee in fast luftleerer Höhe ansteuern, in Ladakh im Himalaya auf 5500 Metern Höhe den höchsten befahrbaren Pass der Erde mit meiner Royal Enfield Bullet überqueren, einige Bücher schreiben, einige Marathonläufe absolvieren29, in Thailand, Israel und Myanmar mit den dortigen Marines gemeinsame Fallschirmeinsätze durchführen usw.

Im August 1995 sollte also mein erstes Sabbatical beginnen. Zunächst vertrödelte ich meine Zeit noch etwas orientierungslos, ich ging auf Gletschern Skifahren, besuchte alle möglichen Freunde, die ich lange nicht gesehen hatte, las mehrere erbauliche Bücher und brachte meinen Körper durch vermehrten Sport wieder einigermaßen in Form. Dann absolvierte ich noch eine Wehrübung bei der Bundeswehr, sprang dort ein wenig mit dem Fallschirm, nahm an einer Militärübung in Frankreich teil und kehrte nach zwei Monaten im Oktober 1995 fit und gut gelaunt zurück.

Doch es drängte mich zu mehr. Irgendetwas Ausgefallenes wollte ich noch anhängen. Da ich einen Pilotenschein aus der Zeit meines Rechtsreferendariats in den USA besaß, dachte ich, es wäre vielleicht eine schöne Sache, nach Australien zu gehen, mir ein Flugzeug zu mieten und dort ein wenig herumzufliegen. Man könnte ja vielleicht auch noch ein Boot chartern und das Great Barrier Reef erkunden, ein toller Plan, der zu einem Sabbatical gut passen würde. So rief ich also meinen Freund Ralf Schläpfer an. Er war der Einzige, dem ich zutraute, mich auf einer solch unkonventionellen Tour, und das auch noch kurzfristig, zu begleiten. Ich kannte Ralf bereits aus meiner Zeit bei INSEAD. Wir beide waren im gleichen Jahrgang und hatten auch sonst viele gemeinsame Interessen. Ralf war ebenfalls Offizier, nur in der Schweizer Armee, und er erläuterte mir gerne, welche Verteidigungsstrategien er und die Schweizer Armee hätten, wenn die Deutschen sie einmal angreifen würden. Schläpferli, wie ich ihn immer nannte, hatte ebenfalls ein Jurastudium absolviert, hatte ebenfalls als Jurist promoviert und das Ganze ebenso mit einem MBA bei INSEAD abgeschlossen. Ähnlich wie ich war er dann zu einer Unternehmensberatung gegangen, allerdings einer mit Sitz in der Schweiz. Dort war Schläpferli zu dieser Zeit immer noch und irgendwie wurmte es ihn offenbar zu sehen, dass ich mit meinen unternehmerischen Aktivitäten tatsächlich erfolgreich gewesen war. Und so bekam ich von ihm doch häufiger die ewig gleiche Geschichte zu hören.

Ralf und ich hatten nämlich beide am renommierten Negotiationkurs an unserer MBA-Schule teilgenommen. Dort mussten circa 300 Studenten in fünfzehn »Negotiation Battles« immer one on one gegeneinander antreten. Nachdem es zwei Gruppen gab, die die jeweiligen identischen Verhandlungsseiten repräsentierten, wurde dann innerhalb dieser Gruppen ein Ranking ermittelt. Es gab also nach jedem Battle eine Rankingliste30, auf der sich die Teilnehmer, sortiert von den besten zu den schlechtesten, wiederfanden. Aus diesen fünfzehn Listen wurde am Ende des Terms eine konsolidierte Gesamtliste ermittelt, auf der sich dann die Endsieger befanden. In diesem Wettbewerb hatte es dann Ralf Schläpfer tatsächlich geschafft, sich nicht nur gegen alle anderen »Mitspieler« durchzusetzen, sondern auch mich zu schlagen, da ich nur auf dem zweiten Platz der 300 Teilnehmer gelandet war. Und dieser Umstand wurde und wird mir nun gebetsmühlenartig bei jeder Gelegenheit vorgehalten, bis heute! Das Leben scheint sich hier auf den Negotiationkurs zu reduzieren.

Jedenfalls war meine Einschätzung richtig. Ralf sagte sofort zu und wir landeten irgendwann Ende Oktober 1995 in Sydney. Dort war es gerade Sommeranfang, das Wetter also für deutsche Verhältnisse sehr schön.

Die erste Herausforderung stellte sich für uns schon am Mietwagenstand. Denn wir wollten zunächst einmal den Südosten Australiens per Auto erkunden. Aus München, Berlin, Zürich oder anderen europäischen Städten kannten wir das Problem, dass es bei schönem Wetter immer sehr schwierig war, ein Cabrio zu mieten. So hatte Ralf bereits bei Abflug eines reservieren lassen. Etwas überrascht waren wir nun, als uns der Angestellte mitteilte, dass wir gleich unter zehn Cabrios wählen konnten. Alle seien verfügbar. Entweder hatten sie unendlich viele Cabrios oder irgendetwas stimmte nicht. Letzterer Fall erwies sich als richtig, als wir abends, auf Kangaroo Island angekommen, feststellen mussten, dass wir nicht auf dem Weg zu einer gesunden Bräune waren, sondern eher wie in kochendes Wasser geworfene Hummer aussahen. Wir hatten uns einen ziemlich schweren Sonnenbrand eingefangen. Jetzt erst wurde uns klar, warum kein Mensch im Sommer in Sydney und Umgebung ein Cabrio mietet, die UV-Strahlung ist einfach zu hoch. Ein Cabrio in Sydney ist eher ein Winterfahrzeug. So fuhren wir also die nächsten Tage und Wochen in unserem Cabrio bei geschlossenem Verdeck, labten unsere Wunden und versuchten, mit Kapuzenpullover und Sonnenschutzcreme Stärke 50++ einigermaßen über die Runden zu kommen.

Nachdem wir irgendwann dann über Canberra wieder nach Sydney zurückgecruist waren, sollte Phase zwei unserer Reise beginnen. Wir begaben uns, frohgemut wie wir waren, zum nächsten Flughafen außerhalb von Sydney, um dort ein Flugzeug anzumieten. Auch Schläpferli besaß eigentlich eine Fluglizenz. Was er aber nicht hatte, war ein gültiges Medical, also ein medizinisches Zeugnis, das ihn für flugtauglich erklärte. Dieses war nämlich blöderweise eine Woche vorher abgelaufen. Ein neues Medical zu erhalten stellte sich als schier unmöglich heraus, denn er hatte eine US-amerikanische Lizenz und hätte ein hochkompliziertes Konversionsverfahren durchlaufen müssen. Ich dagegen besaß ein Medical mit längerem Gültigkeitsdatum. Dies beruhte jedoch nur auf der Tatsache, dass sich der attestierende Arzt versehentlich beim Ablaufdatum um zwei Jahre verschrieben hatte. Ich hatte also ein materiell ungültiges Medical, das jedoch formal mit dem eingetragenen Datum richtig aussah. Das musste reichen. Und so gelang es mir, das Flugzeug zu mieten und noch besser, ich war der einzige formelle »pilot in command«, hatte also schon von Gesetzes wegen als Einziger das Sagen. Ralf schäumte ein bisschen. Unter meinem Kommando mitzufliegen war offenbar nicht seine Traumvorstellung. Aber so sind halt nun einmal die harten Regeln der Luftfahrt.


Wir flogen mit unserer Cessna 182 fröhlich Richtung Norden an der Küste entlang. Immer wenn wir etwas Interessantes entdeckten, landeten wir am nächsten kleinen Flughafen und sahen uns um. Wir steuerten einsame Inseln an und übernachteten dort, flogen in die Berge, über das Great Barrier Reef und wieder zurück. Dass dabei natürlich auch das ein oder andere Missgeschick auftreten konnte, war eigentlich klar, wurde jedoch von Ralf immer wieder genutzt, um meine Pilotenqualifikation in Frage zu stellen. So war ich beispielsweise einmal bereits im Landeanflug auf einen wunderschönen Flugplatz einer tropischen Insel, als urplötzlich eine farbenfrohe Beleuchtung des Flugplatzes eingeschaltet und aus Geschütztürmen Kanonenrohre bedrohlich auf unser Flugzeug gerichtetet wurden. Ich beschloss in letzter Sekunde, unsere Landung abzubrechen und unsere Maschine doch nicht neben einer ganze Reihe von Flugzeugen, die sich als Militärdüsenjets erwiesen, zum Stehen zu bringen. Tatsächlich handelte es sich um ein Restricted Area und einen Militärflughafen, dessen unbefugte Benutzung im schlimmsten Fall mit einem Abschuss belohnt worden wäre.

Ein andermal beabsichtigte ich, über eine, wie es aussah, ziemlich weit ausladende Halbinsel in einem Shortcut hinwegzufliegen. Mir war schon klar, dass die Berge, die man im Hintergrund sehen konnte, eine beträchtliche Höhe hatten. Ich hatte aber ein sehr breites Tal ausgemacht, in das ich hineinfliegen wollte, um dann auf der anderen Seite irgendwie schon wieder herauszukommen. So würde ich mir ein mühseliges Umfliegen der Halbinsel ersparen. Schläpferli war natürlich wieder einmal etwas nörglerisch und warnte vor allen möglichen Gefahren. Es war sehr schönes Wetter und so entschloss ich mich als »pilot in command«, einfach einmal reinzufliegen. Nun, das schöne, sehr breite Tal wurde nach zehn Minuten Flugzeit dann immer enger und enger, die Berghänge vor allen Dingen immer höher, und unsere kleine Maschine hatte irgendwann schon etwas Schwierigkeiten, in dieser Höhe und der dünnen Luft noch zu steigen. Das Ende des Tales kam bald in bedrohliche Nähe. Auch mir erschien es jetzt ein wenig unsicher, ob unsere Maschine die geforderte Höhe überhaupt noch rechtzeitig erreichen könne. In einem meisterhaften U-Turn konnte ich Schläpferli dann doch noch von meinen Flugkünsten überzeugen. Der fand das in der Zwischenzeit aber trotzdem nicht mehr witzig. Ich erklärte ihm, er solle sich nicht so haben, irgendwie hätten wir das ja geschafft, das hätte ich schon vorher im Gefühl gehabt. Nur wegen seines Genörgels würden wir jetzt wieder zurückfliegen.

In Cairns angekommen hatte Schläpferli endgültig keine Lust mehr weiterzufliegen. Wir mieteten uns erstmal ein Auto und setzten den dritten Teil unserer Reise fort. Wir fuhren also ein wenig Richtung Süden an der Küste entlang, um ungefähr in der Höhe der Whitsunday Islands ein Boot zu mieten. Ralf, der immerhin einen Segelschein besaß, hatte schon alles organisiert. Er hatte ein Segelboot für sechs Personen vorbestellt für zehn Tage. Er erklärte mir, Segeln sei eigentlich ganz einfach. Es mache nichts, dass ich überhaupt keine Ahnung vom Segeln hätte, er würde mir einfach Kommandos geben, auf dem Boot wäre er ja der »pilot in command«.

Schon bei der Bestellung des Bootes war Ralf jedoch ein kleines Missgeschick unterlaufen. Auf dem Verpflegungszettel, den man vorher ausfüllen musste, hatte er nämlich nicht begriffen, dass es sich bei den einzutragenden Angaben um die Mengen pro Tag handelte, sondern er ging beim Eintragen stattlicher Zahlen davon aus, dass es um die Verpflegung für die gesamte Zeit gehen würde. So erhielten wir also statt einer normalen Verpflegungsausstattung für zehn Tage für zwei Personen die zehnfache Menge. Das Boot jedenfalls quoll bei unserer Ankunft mit Lebensmitteln über. Der Vermieter hatte sich dabei nichts gedacht, da das Boot ja für sechs Personen ausgelegt war und manche Leute auf See großen Hunger entwickeln können. Wir hatten an die sechzig Steaks an Bord, was ja noch ging, aber zwanzig komplette Käsekuchen stellten schon eher eine körperliche Herausforderung dar. Darüber hinaus gab es natürlich Unmengen an Cornflakes, Kaffee, und mit unserem Eiervorrat hätten wir ganze Kindergärten, und zwar für Ostern, ausrüsten können. Aber alles hat natürlich auch zwei Seiten, und so sollten sich diese Vorräte auf hoher See zu einer ganz hervorragenden Tauschwährung mit anderen Segelbooten entwickeln. Im Gegenzug gegen Mückenschutz, frische Fische oder sonstige Dinge, die wir vergessen hatten, kam uns unsere Käsekuchenwährung sehr zugute. Selbst kleinere Arbeiten, wie z. B. das Auffüllen unserer Tauchflaschen, konnten damit ganz vortrefflich beglichen werden. Bis heute erinnere ich mich noch mit Staunen an die gastrischen Höchstleistungen unserer Körper, die in kurzer Zeit Unmengen von gegrillten Steaks verkraften mussten.

Nun steuerten wir also mit unserem 6-Mann-Segelboot, mit einer Besatzung bestehend aus einem Skipper aus der meerreichen Schweiz, der immerhin einen Segelschein besaß, und einem Matrosen ohne Segelkenntnisse mitten auf das Meer hinaus, um die Whitsunday Islands und das Great Barrier Reef zu erkunden. Gleich am ersten Tag zog ein kräftiger Sturm auf. Nachdem diese Segelboote nicht sonderlich wendig sind, beschloss unser Captain zu meiner großen Überraschung und meinem noch größeren Entsetzen mitten in den Sturm hineinzusteuern. Dies sei besonders effizient, meinte er, denn dann sei man auch schnell wieder heraus. Nun erlebte ich also auch einmal hautnah diese Szenen, die man aus Robinson-Crusoe-Filmen kurz vor Untergang des Schiffes kannte. Das Boot befand sich urplötzlich in einer doch sehr bedenklichen Schräglage. Irgendwie gelang es uns noch, den Großteil der Segel einzuholen. Das Wasser schwappte von vorne, von hinten und von der Seite in völlig unregelmäßigen Abständen über das Boot. Aus dem Bauch des Schiffes hörte man die klirrend zerspringenden Gläser der Bordausstattung und das Schlagen der Schranktüren. Ich hatte mich schlauerweise immerhin schon einmal am Boot festgebunden, damit es mich nicht gleich ins Meer spülte. Andererseits, so dachte ich mir, war das auch wieder nicht so praktisch, falls das Boot unterginge.

Wie lange wir tatsächlich in dem Sturm waren, weiß ich nicht mehr so genau, denn ähnlich wie in der Nähe eines Schwarzen Lochs scheint auch in einem solchen Sturm eine andere Art des Zeitablaufs zu herrschen. Ob es ganz kurz war oder sehr, sehr lange, kann ich nicht mehr genau sagen. Ich weiß nur, irgendwann war dieser Sturm so urplötzlich vorüber, wie er gekommen war. Schläpferli grinste vergnügt und meinte: »Siehst du, ich hab’s dir doch gesagt«. Ich konnte ein wenig nachvollziehen, warum sich Ralf bei meinen Flugkünsten unwohl gefühlt hatte. Wir erreichten also irgendwann wohlbehalten unsere Inseln, bis auf einige Gegenstände der Ausrüstung, die über Bord gegangen waren. So segelten wir also weiter von Insel zu Insel. Es war sehr idyllisch.

An eine Insel erinnere ich mich besonders. Wir betraten sie mit unserem kleinen Beiboot und bei jedem Schritt gab der kilometerlange Sandstrand ein Geräusch von sich. Zuerst dachte ich, es würde sich um einen Hörfehler handeln oder ich hätte vielleicht ein Problem im Fuß, aber dieses »quak, quak«, dieses froschartige Geräusch, setzte sich bei jedem Schritt fort. Als ich in den Sand heruntergriff, fühlte er sich eher wie fein gemahlenes Mehl an. Sobald ich aber meine Hand öffnete, fiel der vermeintliche Sand nicht zu Boden, sondern flog mit dem Wind einfach davon. Wie sich herausstellte, handelte es sich nicht um Sand, also Quarzsand, sondern um reines Silikon, das in fein gemahlener Konsistenz auf natürlichem Wege irgendwie den Silikonstrand dieser Insel geformt hatte. Optisch sah er aus wie blütenweißer normaler Sandstrand. Es ist doch immer wieder bemerkenswert, welche Wunder die Erde für uns bereithält. Es war Urlaub und so verwarfen wir schnell aufkeimende Geschäftsideen zur Vermarktung des »Natursilikons« an Schönheitschirurgen etc.

Auf einer anderen Insel hatte sich unser Skipper Ralf nach intensivem Studium der Tidentabellen entschlossen, mit mir einen Landgang zu machen. Wir »parkten« unser Boot also zweihundert, dreihundert Meter vor der Küstenlinie dieser Insel und schipperten mit dem Dingi an Land. Inzwischen hatten, es war schon gegen Abend, zwei andere Segelboote auf ungefähr gleicher Höhenlinie zur Insel hin, aber in einigem seitlichen Abstand von uns, ihre Anker geworfen.

Wir blickten also abends vom schönen Südseestrand auf das blaue Meer hinaus. Wir hatten unseren Grill mit den Steaks aufgebaut, ein duftender Käsekuchen wartete nachher auf dem Boot auf uns. Da beobachtete ich ein merkwürdiges Phänomen. Die Lichter unseres Bootes, insbesondere das Licht oben am Mast, begannen sich mit dem Mast etwas eigenartig zu bewegen. Erfolgten die Bewegungen zunächst mit der Dünung sachte von links nach rechts, so kam es mir vor, als ob sie in diesem Lauf ab und zu stecken blieben, also an einer Stelle verharrten, um dann umso schneller die restliche Bahn abzulaufen. Es ergab sich also eine irgendwie ruckelige Bewegung. Nun mag man ja auf der südlichen Halbkugel sehr viele andere Gesetzmäßigkeiten erkennen, aber dieser Befund stimmte mich doch etwas besorgt. Kratzte das Boot etwa mit dem Schwert am Grund und verursachte das vielleicht die Friktionen? Konnte das sein? Ich fragte Ralf, ob vielleicht die Ebbe eingesetzt habe. Er aber versicherte mir, dass er alles genau studiert hätte, und dass wir uns beim »Parkieren« bereits in einer Ebbephase befunden hätten, der Meeresspiegel also nur noch ansteigen könne. Dies widersprach aber wiederum meiner Wahrnehmung, denn das Wasser hatte sich seit unserer Anlandung am Strand um mehr als zehn Meter Richtung Meer zurückgeschoben. Ich ermahnte Ralf dringlich zum Boot zurückzufahren, denn irgendwas schien hier nicht zu stimmen. »Vielleicht handelt es sich um die Vorboten eines Tsunamis, bei dem sich das Wasser auch entgegen der Tidentabelle zurückzieht?«, warf ich in die Runde, und zumindest das bewegte Ralf dazu, schnellstmöglich auf das Boot zurückzueilen. Dort holten wir den Anker ein und fuhren sicherheitshalber zweihundert Meter weiter hinaus in tieferes Gewässer, um dort erneut den Anker zu werfen.

Das Spektakel setzte sich fort, das Wasser ging offenbar mit einer doch unerwartet hohen Sinkrate zurück. Das ließ sich am besten bei einem Stück Käsekuchen von unserem Schiff aus beobachten. Denn die anderen beiden Schiffe, die immer noch in »erster Insellage« ihre Anker geworfen hatten, begannen nun auch mit ihren Lichtern am Mast in ruckelige Bewegungen zu verfallen. Irgendwann beschränkte sich diese Bewegung nicht mehr auf einen von links nach rechts gleichmäßig verlaufenden 100 Grad Winkel, sondern verlagerte sich auf eine einzige Seite des Bootes. Das hieß, die Lichter – inzwischen war es schon recht dunkel – bewegten sich, militärisch gesprochen, nur noch von 1 Uhr bis vielleicht 2 Uhr und dann immer mehr in Richtung 3 Uhr. Dann erreichten uns hektische Funkrufe: »Mayday, Mayday, Mayday. We are dipping, we are dipping, we are dipping!«, waren die Meldungen, die bei uns immer aufgeregter eingingen. Doch wir konnten auch nichts gegen die physikalischen Gesetzmäßigkeiten ausrichten. So zogen wir es vor, von unserem Aussichtspunkt aus das Ganze erst einmal in Ruhe zu beobachten, das Rotweinglas, wie einen Rettungsring, in der Hand. Irgendwann lagen die beiden fremden Schiffe völlig auf dem Trockenen, seitwärts auf dem Sand, wie zwei schlafende Walrösser. Dies war nicht weiter gefährlich, sah aber doch irgendwie drollig aus.

Als wir am nächsten Morgen aufwachten, waren beide Boote verschwunden. Die Flut hatte eingesetzt. Da wir nun nicht davon ausgingen, dass der Sand sie verschluckt hatte, war es wohl so, dass sie beim ersten Wasser unter dem Kiel fluchtartig diese Location verlassen hatten. Meine Analyse hatte inzwischen ergeben, dass unser erfahrener Skipper irgendetwas durcheinandergebracht haben musste. Jedenfalls war es so, dass wir zum unglücklichsten aller Zeitpunkte, nämlich zur Flut, unseren Ankerplatz gefunden hatten. Ein zweiter ungewöhnlicher Umstand kam hinzu, nämlich dass der Tidenhub an dieser Stelle mit fast zehn Metern besonders hoch war, was ebendiese merkwürdigen Effekte ausgelöst hatte. Die Crews der beiden tapferen Schiffe, die am Schluss bäuchlings am Strand lagen, hatten sich wohl blindlings auf die Expertise unseres »pilot in command« verlassen und einfach da geankert, wo wir bereits ankerten. Dieser Lemminge-Effekt hatte dann besagte Konsequenzen und lehrte mich, dass ich mich eben nicht unkritisch auf die Meinung irgendeines anderen verlassen durfte.

Unsere Taucherlebnisse waren ebenfalls abenteuerlich. Wir hatten nicht nur ein schönes Schiff, sondern auch sechs Tauchausrüstungen an Bord und das Great Barrier Reef war gleich vor der Tür. Doch wie sollten wir es anstellen? Aus Filmen war mir ja bekannt, dass es auf hoher See vielleicht nicht so ratsam ist, wenn die gesamte Mannschaft gleichzeitig von Bord geht. Andererseits waren die Tauchgründe zu verlockend und so versuchten wir immer, einen besonders sicheren Ankerplatz zu finden, auch wenn wir ringsum kein Land mehr sehen konnten. Dort gingen wir beide dennoch das ein oder andere Mal zusammen tauchen. Gott sei Dank war das Schiff beim Auftauchen immer noch da, denn bis zur nächsten Insel in der Südsee wäre es doch etwas weit gewesen.

Noch unheimlicher war die Situation, wenn wir den Anker nicht mehr losbekamen, weil er sich irgendwo verhakt hatte. Das war manchmal der Fall in Bereichen, in denen eine etwas höhere Strömung herrschte. Dort sprang Ralf todesmutig mit Tauchgerät in die Fluten, um den Anker zu befreien. Etwas unklar war mir dabei aber die Frage, was passieren würde, wenn das Schiff in der Strömung beim Lösen des Ankers einfach davonschwimmen würde. Denn mit mir als völlig ungeübtem Segler an Bord war es nicht sicher, ob und wann es mir gelingen würde, den armen Ralf auf offenem Meer wieder einzusammeln. Diese Besorgnis trieb Ralf offenbar auch um. Daher hatte er sich folgende Technik ausgedacht: Er hängte sich einfach an die Ankerkette und zog sich so nach und nach durch die Strömung wieder zum Schiff heran. Ich muss sagen, diese Technik hat ausgezeichnet funktioniert. Jedenfalls kann ich vermelden, dass es Ralf Schläpfer bis heute sehr gut geht.

Nachdem sich unsere Bootsreise dem Ende zu näherte, hatte sich auch unser Bestand an Käsekuchen, Steaks und sonstigen Utensilien fast auf null reduziert. Denn jedem Bekannten oder Unbekannten, der uns über den Weg lief, konnten wir mit einem freundlichen Präsent eine große Freude bereiten und damit für die Offenherzigkeit der Europäer im Allgemeinen Werbung machen.

Wir schlossen die Reise wieder in Sydney ab und bereits auf dem Rückflug Ende November 1995 hatte es sich für mich »aussabbaticalt«. Jetzt musste es wieder geschäftlich weitergehen.

28Das Sabbatjahr, auch Schmittah () genannt, ist in der Tora (Bibel) ein Ruhejahr für das Ackerland. Nach 6 Jahren Bebauung wird das Land – in Analogie zum Sabbat als Ruhetag – ein Jahr brach liegen gelassen (Ex 23,10–11 EU; Lev25,1–7 EU) (Wikipedia), heute versteht man darunter auch eine längere Auszeit vom Berufsalltag.

29Zweimal den legendären New York Marathon.

30Rangliste.

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