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Das Geheimnis des Heiligen in der Schöpfung

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Von hier aus erhalten die beiden Elemente „Ehre“ und „Furcht“ durchaus einen Sinn. Der evangelische Theologe und Religionswissenschaftler Rudolf Otto (1869-1937) kann uns einen neuen Zugang zu dem Begriff Albert Schweitzers von der „Ehrfurcht vor dem Leben“ eröffnen. Er hat darauf aufmerksam gemacht, daß das Numinose, das Geheimnis des Heiligen, das in der Schöpfung aufleuchtet, vom Menschen auf zwei Weisen erfahren wird. Einerseits wird das Heilige erlebt als mysterium fascinosum, als ein Geheimnis, das erstaunen läßt, fasziniert und begeistert etwa durch die Schönheit, die überaus komplexe und sinnvolle Konstruktion und Gestaltung der Lebewesen. Sofern das Geheimnis des Heiligen in der Schöpfung in uns Staunen, Freude und Bewunderung auslöst, bringen wir ihm „Ehre“ entgegen und „verehren“ es. Andererseits wird das Heilige in der Schöpfung aber auch als ein mysterium tremendum erfahren, als ein Geheimnis, das erschauern läßt. Denn dieses Mysterium des Heiligen in der Schöpfung reicht in eine Dimension hinein, welche die sichtbare Welt unendlich übersteigt. Mit dieser Dimension sind wir nicht vertraut, wir berühren hier das Ganz-Andere, die fremdartige unsichtbare Welt des göttlichen Ursprungs, angesichts dessen der Mensch seine eigene Dimension als Geschöpf erfährt, als ein endliches, ohnmächtiges und sterbliches Lebewesen, das nicht selbst Herr über das Leben ist.

In unserer modernen technokratischen Zivilisation hat diese zweiseitige Erfahrung des Numinosen, des Heiligen in der Schöpfung, durch ein rationalistisch und materialistisch verengtes Weltbild praktisch keinen Platz mehr. Sie gilt als veraltet und wird als naiv und sentimental belächelt. Aber die gegenwärtige ökologische Krise globalen Ausmaßes belehrt uns eines anderen: Das Weltbild technokratischer Allmacht hat die Natur entwürdigt zu einem materiellen Rohstofflager für eigennützige ökonomische Zwecke. Dieses Weltbild erweist sich heute als eine dreiste Überheblichkeit und ein verhängnisvoller Irrtum, der die Menschheit und alles Leben auf dieser Erde an den Rand der Vernichtung bringt. Insofern lehrt uns heute die Natur durchaus das „Fürchten“, wenn wir glaubten, wir könnten sie willkürlich meistern. Wir entdecken heute allmählich, daß die Schöpfung weitaus intelligenter ist als der Mensch und daß wir allen Grund haben, die Natur neu zu entdecken als eine Erscheinung des Heiligen und Göttlichen und sie auf eine neue Weise zu „ehren“ und die Macht, die sich in ihr ausspricht, durchaus zu „fürchten“, sofern wir nicht in Einklang mit ihr leben.

Dem Leben dienen

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