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DER GROSSE NEUSTART - ZURÜCK IN DER ZUKUNFT

Das Gebot der Stunde im Kielwasser der Pandemie heisst herunterfahren und neu starten wie es das World Economic Forum in Genf festgestellt hat. Es bedarf der Spannungsaspekte, um Neues an den organisch richtigen Punkten in Gang zu bringen. Alle sind zu Veränderungen gezwungen. Mancher Verlust wird sich als Gewinn erweisen.

Eine Rückkehr in die alte Normalität wird es nicht geben. Die neue Normalität ist dabei, als vorgezogener Strukturwandel erste positive Signale zu senden. Sie erzwingt von uns, dass wir ohne Selbstgefälligkeit mit der Vergangenheit brechen. COVID-19 ist eine Krise mit Umwälzungen auf allen Ebenen: der medizinischen, der sozialen, der politischen, der ökonomischen und der kulturellen Ebene, begleitet von einer geballten Sichtbarmachung des Rückstandes vieler Industrieländer bei der Digitalisierung.

Die Diskussion des aus der Computersprache bekannten Herunterfahrens und Neustarts will eine gerechtere, nachhaltigere und widerstandsfähigere Zukunft prägen. Die alten, überholten Vorstellungen sind in Gleichklang zu bringen mit einer neuen, realistischeren Bewertung der Grenzen.

Gemäss einer alten Wikinger-Weisheit können wir über den Wind nicht bestimmen, der an keinem Ort verweilt. Wir können nur die Segel nach ihm richten. Das Anlaufen neuer Küsten verlangt das Verlassen des alten Hafens, und Fortschritt verlangt Streben, ohne Risikoaversion und Skepsis gegenüber Neuem. Diese Eigenschaften sind für satte Wohlstandsgesellschaften nicht typisch. Absolute Berechenbarkeit und totale Sicherheit gibt es aber nicht im Reich der Ungewissheit. Der in einem der nächsten Kapitel dieses Buches gewürdigte darwinistische Zeitgeist im 19. Jahrhundert sah den „Kampf ums Überleben“ und die „Natürliche Selektion“ als Metapher für die Gesellschaft. Gemäss dem Muster der Welt ist eine Null-Risiko-Strategie also in sich unmöglich.

Neues Spiel, neues Glück

Setzen Sie auf Agilität und Innovation, auf Expeditionsstil und Widerstandskraft sowie auf Einfachheit, Reduktion, Teilen und Verbinden. Neues Spiel, neues Glück! In Chancen denken, nicht in Defiziten. Alle Konzepte und Modelle, die persönlichen wie die professionellen, auf den Prüfstand stellen, auch die Frage der Mobilität.

Die Freizeit- und Reiseindustrie wird unter dem Dach einer neuen Genügsamkeit – ohne blendende Kulisse und Superlative – andere, bessere Wege finden (müssen). Die Bildungsfunktion des Tourismus ist anzuerkennen, die der Sicherstellung internationaler Verständigung dient. In einer zunehmend digitalen Welt scheint Erholung nun mehr und mehr in der Natur und im Rückzug gesucht zu werden. Damit regeneriert sich der Mensch von seiner selbst geschaffenen Infrastruktur.

Im Expeditionsstil vorwärtszukommen bedeutet auch, dass dauerhafte Konsumgüter modischen Massenartikeln den Rang ablaufen, dass über Produktion, Lieferketten sowie Wege nachzudenken ist und die Umstellung auf eine zirkuläre Kreislaufwirtschaft anstatt der linearen Weltwirtschaft zur Bekämpfung der Armut. Die weltweite Arbeitsteilung ist eine der wirkungsvollsten Massnahmen zur Bekämpfung der Armut in Entwicklungs- und Schwellenländern, wird jedoch mit Arbeitslosigkeit in den Industrieländern erkauft.

Zweifellos gehört eine gewisse Abgeklärtheit dazu, die Verführungen zu durchschauen, mit denen uns der Markt vom wirklich Wohltuenden ablenkt. Das neue „Must have“ jeder Saison ist die Nachhaltigkeit. Das neue „New normal“ beinhaltet zu heilen, was zerstört ist, zu integrieren, was uneinheitlich ist, um wieder die archetypische Harmonie und Ordnung als innere Dimension herzustellen, die das ausgleichende Fundament im Wandel allen Seins ist. Die richtige Mischung aus Realitätssinn und Tatkraft wird uns das Gefühl zurückgeben, dass unser Pilgerweg, eine Wanderung durch innere und äussere Landschaften, die Mühe wert ist. Die Antwort auf Unwägbarkeiten der Zukunft heisst Phantasie.

Exzellenzinitiative – Wir müssen besser werden

Wir können selbst daran mitwirken, dass ein Teil unserer Vision Wirklichkeit wird, indem wir unsere Eigenständigkeit und Flexibilität kultivieren. Nicht zuletzt ist für eine Renaissance guter, menschlich anständiger Umgangsformen zu sorgen als Leitkultur des gesellschaftlichen Austauschs. Gutes Benehmen dient dazu, das Zusammenspiel im räumlichen und zeitlichen Rahmen des Alltags geschmeidig zu machen.

Der Verzicht auf Sachlichkeit und Vernunft im sozialen Leben ist ein Angriff auf den humanistischen Wertekonsens des europäischen Abendlandes, wenn Mitbürger das Gewaltmonopol, das auch der demokratische Rechtsstaat innehat, nicht mehr respektieren. Die moderne westliche Idee des Individualismus ist zu einer Karikatur seiner selbst verkommen. Nicht die Meinungsfreiheit steht im Zentrum der Demonstrationen, sondern Ignoranz und Radikalität mit verheerenden Folgen.

Die Antwort kann nur Nulltoleranz heissen bei Missachtung der Regeln, denn die politischen Grundfreiheiten und Partizipationsrechte werden kaum eingeschränkt. Das heisst nicht, dass die derzeitigen Einschränkungen durch die Politik in ihrem gesamten Spektrum angemessen sind. Man kann aber demgegenüber feststellen, dass es nicht als visionär erscheint, sich in einer Pandemie ohne Abstand und Masken zusammenzurotten mit dem Willen, dass sie endet.

Freiheit unbedingtes Gut

Der Rahmen offener Gesellschaften lässt unterschiedliche Reaktionen auf Seuchen zu. Dabei handelt es sich um heikle Rechnungen zu Kosten und Nutzen der Einschränkungen, die niedrigschwelliger sein könnten und damit Druck vom Kessel nehmen würden. Sind die dirigistischen Massnahmen wirklich erforderlich? Ist die Therapie vielleicht gefährlicher als die Krankheit? Im demokratischen Staat sind die persönlichen Freiheiten und Rechte ein unbedingtes und kein gewährtes Gut. Alle Zwänge wie die Schliessung ganzer Bereiche sind prinzipiell zu begründen. Es geht nicht um die Beliebtheit von Massnahmen, sondern darum, was je nach Fallhöhe ansteht und kollektiv das zu tun, was getan werden muss ohne regulatorischen Wahn.

Es geht um eine Neukalibrierung des Denkens und der Werteordnung. Bei der Wiederbelebung von Moral sind Elternhaus, Schulen und Kirchen gefragt, aber auch eine Aufklärungs- und Informationskampagne, eine eigentliche Exzellenzinitiative mit Signalgebung in den Fächern „Respekt und Solidarität“. Überfällig ist, in einem freiwilligen Geist von Moral und Verbundenheit zusammenzufinden, der Unterschiede in Ehren hält und auch die Beiträge jener Menschen anerkennt, die eine andere Weltanschauung haben als wir selbst, aber ohne dass sie jemandem schaden.

Das Abendland hat seinen Wertekompass verlegt

Das Abendland hat mittlerweile seinen Wertekompass verlegt. Das christliche Abendland ist nicht mehr wirklich christlich. Aber was ist es dann? Man hat den Herrgott vom Thron gestossen und sich selbst daraufgesetzt. Gemäss dem deutschen Philosophen Peter Sloterdijk hat man das Beten verlernt, eine Methode, sich mit dem Jenseitigen zu verbinden. Und gemäss dem Historiker Yuval Harari von der Hebräischen Universität in Jerusalem ist der Tod für uns kein göttliches Dekret mehr, sondern ein technisches Problem.

Bedenklich erscheint dies nicht nur, weil täglich in den Medien von Vergnügungslust gepaart mit Gewaltlust im grossen Stil zu berichten ist, namentlich in urbanen Verhältnissen, die aber auch unter Sex & Crime in den Feriendestinationen der Massen erscheint. Nichts ist mehr heilig. Bedenklich erscheint dies vor allem, weil andere Religionen in der Lage sind, aus Gottesglauben und Gemeinschaftsgefühl eine gefährliche Waffe zu schmieden. Darüber, dass auch dem Geheimnisvollen ein Platz einzuräumen ist – oder, allgemeiner, dem Nichttrennen von Materiellem und Immateriellem – und durch Mutation und Transformation nichts bleibt, möge sich jeder seine eigenen Gedanken machen, denn Innehalten, Nachdenken und Verändern tun not.

Neben Religion und Werten die grosse Politik

USA und China – Kampf der Titanen

Die USA haben in zwei Weltkriegen und einem Kalten Krieg eine Schutzfolie über Europa gelegt. Diese Folie erhielt bereits vor Präsident Donald Trump tiefe Risse. Die America-First-Politik von Trump, die nun von Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris rückgängig gemacht wird, führte die Spaltung in den transatlantischen Beziehungen zu ihrem Höhepunkt. Die politische Entwicklung der Zukunft mit Wettlauf um die Technologie-Führerschaft kennen wir nicht.

Der Einparteistaat China ist auf dem Weg zur neuen Supermacht. Vergessen wir nicht, dass China bis etwa 1500 dem Abendland in fast allen Bereichen überlegen war. Nach dem Willen der jetzigen Staatsführung kehrt China gerade auf diesen Spitzenplatz zurück, mit seiner Mischung aus kommunistischem Überwachungsstaat und wirtschaftlichem Superkapitalismus. Sein Hang zur Selbstbeschädigung ist aber ebenso unverkennbar, das zeigt unter anderem die Abschnürung Hongkongs von seinen westlichen Wurzeln oder der Taiwan-Konflikt.

Russland bleibt in dem Sinne von Bedeutung, als dass es in sein altes Muster der Entfremdung zurückfällt.

Europa – Auf der Suche nach dem europäischen Volk und den gemeinsamen Werten

Europa ist mit der Suche nach dem europäischen Volk beschäftigt und nach den gemeinsamen Werten, auf denen das gemeinsame Haus als Rechtsgemeinschaft steht. Die differenzierten, originären Kulturen werden die Europäische Union (EU) in Brüssel keine einheitliche Zivilisation der in ihr versammelten Länder finden lassen und in ihrem jetzigen Zustand ist sie keine Wertegemeinschaft mehr. Ob der Zusammenhalt der EU gesichert ist oder die Fliehkräfte sich verstärken, kann nicht vorausgesagt werden.

Solange es kein normatives Wir-Gefühl mehr gibt, kann die EU in den grossen Fragen nicht mit einer Stimme sprechen, stellt der deutsche Historiker Heinrich August Winkler in seinem Buch „Zerbricht der Westen?“ fest. Winkler warnt vor allem vor neuem deutschen Grössenwahn: „Deutschland taugt aufgrund seiner Geschichte nicht zur moralischen Leitfigur Europas.“ Deutschland sah offenbar eine Möglichkeit, sich vom Ruf als Schreckensnation des 20. Jahrhunderts zu befreien, indem es lange den Eindruck eines Landes der asylpolitisch unbegrenzten Möglichkeiten erweckte. Seine Kommunen und Sicherheitsbehörden sehen sich aber nicht in der Lage, den neuen hausgemachten Kampf der Kulturen zu bewältigen. Der importierte Islamismus steht mit seinem mittelalterlichen Menschenbild für alles, wofür die westlichen Demokratien nicht stehen und bedeutet die grösste Gefahr für die Freiheit Europas.

Europa – Ohne Vorbilder

Die Probleme Europas, an seine ehemaligen grossen Menschheitsleistungen anzuschliessen, sind nicht nur auf das Versagen von Kirche und Politik zurückzuführen. Den neuerdings in Europa kulturell stark durchmischten Männern und Frauen der nachrückenden Generation fehlt es mehrheitlich an Ehrgeiz nach Spitzenleistungen. Stattdessen sehen wir uns erdrückenden Problemen gegenüber in der Selbstfindung beider Geschlechter, die ihren Niederschlag finden in Anarchie, Gewalt, Kriminalität und Oberflächlichkeit sowie Unwissenheit.

Nur noch sehr wenige Meister der Etikette, der Fairness und des gesunden Menschenverstandes aus Kultur, Sport und Wissenschaft oder der Politik und Wirtschaft dienen uns in Europa als Vorbilder. Mit Blick auf die europäische Wissenschaft sei das Kräfteverhältnis bei den Nobelpreisen am Beispiel der Ökonomie genannt: Hier liegen die Vereinigten Staaten klar in Führung. Unter den 76 bisherigen Gewinnern im hochdotierten Bereich Ökonomie sind 57 US-Amerikaner.

Investigative Wissenschaftler und proaktive Politiker gesucht

„If you fail to plan, you are planning to fail.“

Benjamin Franklin

Europa fehlt es nicht nur an Genius – an Wunderkindern in der Experimentalforschung und Wissenschaftstheorie der in Stockholm gewürdigten Nobelpreis-Kategorien –, sondern vor allem an Gestaltungswillen und Handlungsmaximen sowie breit gestreuter intellektueller Neugier, um die Lösung von komplexen Problemen ergebnisoffen zu planen.

Nach Jahrzehnten in Frieden und Wohlstand hat Europa, im Gegensatz zu Asien sowie an der globalen Peripherie Ozeanien, den Notstand verlernt. Vermutlich wird genau das am schwierigsten sein in der Vorbereitung auf die nächste Pandemie, die nur eine Frage der Zeit ist: Ein Bewusstsein für den biologischen Notstand zu entwickeln und dann schnell, entschlossen und verhältnismässig zu handeln. Verhältnismässig will heissen, das Mantra der Sicherheit auch bei Seuchengefahr nicht überzustrapazieren. Das Risiko kann im Leben nie ausgeschaltet werden, und oft haben wir eine Gleichung mit vielen Unbekannten in komplexen Gemengelagen zu lösen. Europa muss erst wieder lernen, ohne Improvisationen mit Seuchen zu leben. Die Statistiken zur Sterblichkeit ab 2020 werden die Verhältnismässigkeit der Corona-Massnahmen erhellen.

Ärzte und Spitalmitarbeiter können allein keine Seuchen eindämmen. Dazu braucht es staatliche Leadership mit einem ausgereiften Pandemieplan ohne Endzeitstimmung und den wirtschaftlichen Anreiz zur Impfstoffherstellung. Neben investigativen Wissenschaftlern sowie proaktiven Politikern, die nicht die Contenance verlieren, sind auch krisenerprobte Experten der Logistik gesucht und an die Spitze der Verantwortung zu berufen. Als ausserordentliche logistische Herausforderung gilt die „letzte Meile“ jeder Testoffensive sowie jeder Impfkampagne, eine ausgefeilte Leistungserstellung in Produktion und Verteilung vorausgesetzt.

Die Krisenmanager schliesslich sollten nicht zu viel Gefallen finden an ihrer Machtfülle. Besser wäre ein vorab definierter, effizienter Krisenstab, der Güterabwägungen professionell trifft, Politik sowie Volk rechenschaftspflichtig bleibt und auch die Transitionsstrategie bereits geplant hat.

Vom Sinn des Lebens in der globalisierten Welt

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