Читать книгу Dornröschen war ein schönes Kind - Petra Nouns - Страница 10
ОглавлениеDAS TELEFON KLINGELT: DER STATIONSARZT DER INNEREN des Bielefelder Krankenhauses. Er vergewissert sich zunächst, ob er mit Mechthild Hold, der Tochter von Brunhild und Heinz Mangel, spricht, dann kündigt er eine sehr traurige Nachricht an. Was folgt, dauert nur zehn Sekunden. Dies ist die erste Todesnachricht, die Mechthild in ihrem Leben hört: « ... wir konnten nichts mehr für ihn tun. Ihr Vater ist vor einer halben Stunde verstorben. Mein herzlichstes Beileid. »
Für einen Moment steht die Welt still. Mechthild hört sich sagen: « Oh, nein! »
Dann ist es vorbei. Die Welt dreht sich weiter, während der Arzt kurz schildert, was passiert ist. Auf dem Bahnsteig am Bielefelder Bahnhof ist Vater infolge eines zweiten schweren Infarktes zusammengebrochen und schon auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben. Mutter hat eine Beruhigungsspritze bekommen und liegt nun in Zimmer 314 auf Station 3A.
Mit der Ruhe eines Roboters notiert Mechthild alles, Vaters Tod lässt sie vollkommen kalt. Selbst der Gedanke daran, daß das Ganze vielleicht nicht passiert wäre, hätte sie die Eltern bloß mit dem Wagen nach Bad Oeynhausen gefahren, bewirkt nichts weiter. Aber jetzt gilt es, Betroffenheit zu zeigen und zu tun, was in einem solchen Fall eben zu tun ist.
« Ich komme sofort. »
Mechthild starrt das Telefon an. Ich komme sofort, hat sie gesagt. Sie ruft Horst über das Handy an.
Personalausweis, Bargeld – Kreditkarte hat sie nicht -, alles ist in der Handtasche verstaut, ein Köfferchen gepackt. Sie wird wohl in Bielefeld übernachten müssen. Horst soll hier bei Mandy bleiben. In Windeseile erledigt sie das Notwendigste. Das Mittagessen muß vorbereitet, ein Beerdigungsinstitut eingeschaltet und Frau Niederath stellvertretend für die Nachbarschaft über den Todesfall informiert werden.
« Mein aufrichtiges Beileid, Frau Hold! Und ich werde ein wenig nach Mandy und Ihrem Mann sehen. Machen Sie sich keine Sorgen! »
Und noch ist keine einzige Tränen geflossen. Mein Vater ist gestorben, scheppert das nun schon wiederholt Ausgesprochene blechern in ihrem Kopf.
Horst kommt und umarmt sie hölzern. In diesem Moment schließt Mandy die Haustür auf. Mechthild löst sich aus der merkwürdigen Umarmung und blickt in Mandys fragende Augen.
« Mandy, es ist etwas passiert. » Dann muß es wieder ausgesprochen werden: « Der Opa ist tot. »
Mechthild spürt, wie nun für ein paar Sekunden Mandys Welt stillsteht.
So ist der Tod. Der Tod ist: Der Opa ist tot. Der Opa ist krank, das ist das Leben. Ebenso wie: Der Opa liegt im Krankenhaus. Das war das Leben vor ein paar Wochen, als er den Herzinfarkt hatte. Der Opa ist gestorben, auch das ist nicht der Tod, sondern das Leben, das Leben danach. Der Tod ist einzigartig, und er ist nur in diesem einen Moment: Der Opa ist tot.