Читать книгу Dornröschen war ein schönes Kind - Petra Nouns - Страница 13

BIELEFELD IST GRAU UND FEUCHT. Mechthild tritt aus dem Bahnhofsgebäude heraus und steigt in ein Taxi. Es ist ein Nichtrauchertaxi wie ihr eigenes, aber sie riecht es beim ersten Atemzug: Es stinkt nach kaltem Zigarettenqualm. Der Fahrer ist bestimmt ein Aushilfsfahrer, der auf die Anweisungen seines Chefs pfeift. Wahrscheinlich wirtschaftet er auch in die eigene Tasche. Aber was kümmert sie das? Kann sie sich nicht endlich auf den Tod ihres Vater konzentrieren? In wenigen Minuten wird sie Mutter gegenüberstehen. Wie werden sie sprechen? Wie werden sie sich ansehen?

« Oh, Mutter! Ist es wirklich wahr? »

« Mein Gott! Es ist so schrecklich! »

Im Fernsehen sagen Frauen so etwas in solchen Fällen. Sie tragen dann gutsitzende schwarze Kleider. Mechthild schämt sich für ihre Jeans und die Wachsjacke – Kleidungsstücke, die sie ohne Sensibilität für die Situation ausgesucht hat. Ob Mutter schon Schwarz trägt? Dann müßte sie zufällig etwas Schwarzes dabeihaben, denn man rechnet in einer Kur ja nicht unbedingt mit dem Tod. Wieder möchte Mechthild ihre Gedanken anhalten. Angestrengt versucht sie, endlich wie eine Trauernde zu denken. Was waren die letzten Worte, die Vater zu ihr sagte? Mit welchem Gesichtsausdruck hat sie ihn zuletzt gesehen, mit welcher Geste hat er sich verabschiedet? « Seid fleißig. Und macht Umsatz », hat er mehr geknurrt als gesagt. Eine Hand andeutungsweise zum Gruß gehoben und mit einem Mundwinkel ein Lächeln gezuckt. Er war eben ein Rauhbein. Heißt es nicht, Menschen mit harter Schale hätten einen besonders weichen Kern? Diese Art Gedanken sind recht anständig. Mechthilds schlechtes Gewissen zieht sich ein wenig zurück. Sie versucht, so weiterzudenken. Er hat noch so viel vorgehabt. Einen Gartenteich wollte er anlegen. Mit Goldfischen, weißen und orangefarbenen. Vor vielen Jahren hatte sie sich mal ein Kleid geschneidert aus Pannesamt. Das glänzende Material war gemustert wie ein Fisch mit goldenen und orangefarbenen Schuppen. Es war lange Zeit ihr Lieblingskleid.

Die Gedanken sind frei. Wer kann sie erraten? Sie fliegen vorbei wie nächtliche Schatten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen.

Mechthild gibt auf. Sie läßt ihre Gedanken um ihre Vergangenheit kreisen. Wie verlorengegangene Satelliten werden sie von dem schwarzen Loch tief in ihr angezogen. Dann kommt der nächste Impuls von außen. Das Taxi hält. Sie sind angekommen.