Читать книгу Dornröschen war ein schönes Kind - Petra Nouns - Страница 5

ERSTER TEIL

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ER VERDREHT DEN RÜCKSPIEGEL, um sich betrachten zu können. Es lohnt sich. Das Handy am Ohr, ein breiter, strahlender Männermund im kantigen Gesicht und lachende Augen, als er Martinas « Karlsplatz, Telefonzelle » vernimmt, dazu eine dichte blonde Trendfrisur. So gefällt er sich. « Firma dankt! » Er steckt das Handy zurück in die Halterung am Armaturenbrett. Die Wintersonne streichelt das staubfreie Plastikcockpit, bescheint das Funkgerät, das Horst mit der Zentrale verbindet, den Halter für Haftnotizblock und Kugelschreiber, das Nichtraucherschild, den Hinweis, daß Tiere in diesem Taxi nicht befördert werden dürfen, und den Christophorus, dessen starke Beine der reißende Fluß umspült, dessen Arm das Kind auf seiner breiten Schulter hält.

Horst dreht den Funkkanal ab, er wird ihn vorerst nicht mehr brauchen.

Bis heute ist er nicht dahintergekommen, wie Martina es fertigbringt, die guten Fahrten am Computer der Zentrale vorbeizuschmuggeln und ihm zuzuspielen. An manchen Tagen bewegt er sich eine Achtstundenschicht lang nur zwischen Flughafen und Hotels. Alles dank Martina.

Auch wenn er nicht weiß, wie sie es anstellt, er weiß, warum. Sie ist scharf auf ihn. Und das seit nunmehr drei Jahren. Er atmet tief ein, kneift die Pobacken zusammen, stößt sein Becken in Richtung Lenkrad, um den Schritt seiner knackigen Jeans zu lockern, und gibt Gas. Schon ist er bei der Telefonzelle am Karlsplatz.

Seine Laune verfinstert sich, als er sieht, wer da wünscht, in seinem gepflegten Fahrzeug befördert zu werden. Ein Penner. Kurz und dick, kaputtes bläulichrotes Gesicht, eine glimmende Zigarette im knittrigen Mundwinkel. Seine mittelgescheitelten roten Locken fallen auf die blonden des afghanischen Schafes, das in den siebziger Jahren zu dem buntbestickten Mantel verarbeitet wurde, in dem er heute steckt und aussieht wie ein arbeitsloser Zirkusdirektor. Er steigt hinten ein.

« Guten Tag. Zum Flughafen bitte! »

« Nichtrauchertaxi. »

Horst wartet. Die Zigarette fliegt aus dem Fenster.

« Achtzig Mark. »

Horst wartet darauf, daß der Penner aussteigt. Er versteht sein Geschäft und weiß, wie man Besoffene und Spinner los wird. Überhöhter Preis, Vorauskasse, das wirkt meistens.

Über seiner rechten Schulter winkt ein Hundertmarkschein. « Stimmt so. »

Bis zum Flughafen wird kein Wort gesprochen. Horst schaut ab und zu in den Rückspiegel, den er jetzt auf den Fahrgast gerichtet hat.

« Ankunftsebene, bitte. »

Beim Aussteigen steckt er Horst einen weiteren Hunderter zu. « Warten Sie, bitte. »

Horst blickt ihm nach, wie er sich mit seinen kurzen Beinen davontrollt und durch die große Glastür der Ankunftshalle verschwindet. Er steckt den zweiten Hunderter ein, stellt die Standheizung an und das Radio lauter, lehnt sich zurück und schließt die Augen.

Das wird er nachher Martina erzählen müssen! Ein kleines Geschenk ist mal wieder fällig. Sie ist wirklich clever, die Martina. Fünf Jahre, und das Reihenhaus wird abbezahlt sein, wenn sie beide weiter so fleißig zusammenarbeiten. Seine Mechthild kann stolz auf ihn sein. Er hat das Leben fest im Griff. Einen zweiten Benz wird er anschaffen, sobald die Stadtverwaltung die nächsten Konzessionen freigibt. Eine Weile gibt er sich seinen Träumen vom Sondermodell der E-Klasse hin, mit Ledersitzen, Wurzelholzausstattung und Canon-CD-Wechsler mit vier Boxen. Den neuen wird nur er fahren und Mechthild natürlich ab und zu. Bloß keinen Aushilfsfahrer an so ein edles Fahrzeug lassen. Mit Personal ist es ohnehin schwierig, alles unzuverlässiges, unehrliches Volk. Versuchen, wo sie können, an ihm vorbei in die eigene Tasche zu wirtschaften, rauchen im Wagen und wissen nicht mit heiklen Situationen und schwierigen Fahrgästen fertig zu werden.

Er schaut auf die Uhr. Zwanzig Minuten wartet er schon. Ob der Penner wohl zurückkommt? Eine halbe Stunde gibt er ihm, keine Minute länger. Dann wird er mit dem nächstbesten Fahrgast abhauen, denn verschaukeln läßt er sich nicht.

Nach vierzig Minuten sieht er ihn aus der Ankunftshalle kommen. Auf dem Arm ein Kind, neben ihm eine Sensation. Sie ist einen Kopf größer als er, wobei über die Hälfte der Sensation nur aus Beinen besteht, Gazellenbeine in hautfarbenen Nylons auf halsbrecherischen Absätzen. Dazu ein sehr kurzes, sehr knappes, sehr teures Kostüm, ein bildschönes, milchkaffeefarbenes Gesicht und zu allem Überfluß rabenschwarzes glänzendes Haar bis zu den Gazellenhüften.

Horst springt aus seinem Taxi, öffnet der Dame hastig die Tür. Sie gleitet auf den Rücksitz, ihre Beine mit filmreifer Eleganz plaziert, mustert Horst von Kopf bis Fuß, und ihr Blick verrät, daß er ihr gefällt. Sie greift lächelnd in ihr Täschchen, um sich ein Zigarillo herauszufischen. Was fängt sie bloß mit diesem schmierigen Penner an, fragt sich Horst.

Vater und Kind sind auf der anderen Seite eingestiegen. Das Kind kuschelt sein Köpfchen in die Schafslocken. Es ist edel gekleidet: dunkelblauer Matrosenanzug, winterlich wattiert, und eine weiße, bauschige Mütze. Horst aber hat nur Augen für die schöne Mama. Er nimmt seinen Fahrerplatz wieder ein und richtet seinen Rückspiegel nun auf sie.

Ein dritter Hunderter wird ihm über die Schulter gereicht.

‹ Sheraton ›, bitte. »

Der Benz rauscht los. Erst jetzt fällt Horst die Lautstärke des Radios auf. Take off your coat! Take off your dress! Schnell stellt er leiser.

« Ach, lassen Sie doch die schöne Musik! » tönt die Sensation von hinten. Eine exotische Mischung aus schweren Düften, dem ihres Parfums, ihres Zigarillos und ihres Unbeschreiblichen, liegt in der Luft. Horst dreht voll auf.

You can leave your hat on! Er klopft lässig den Takt auf seinem Sportlenkrad und wirft übermütig ein Lächeln über die rechte Schulter. Alle drei lächeln zurück. Die Schöne, der Penner und das Kind, das ein Schimpanse ist. Bevor Horst auf dieses Tier reagieren kann, beginnt die Schöne vom Einkaufsparadies Paris zu berichten. Ihre Bébé ist dort gerade frisch eingekleidet worden.

« Sieht sie nicht goldig aus, unsere Bébé? Nur in Paris gibt es diese unglaublich süße Kindermode. Und in Rom natürlich! Klassisch, klassisch, klassisch! Nichts von all der neonfarbenen Kampfkleidung, die die armen kleinen Deutschen tragen müssen! » plappert die Schöne.

Das glaubt mir keiner, denkt Horst.

You can leave your hat on! fällt die Schöne mit rauchiger Stimme ein, und Horst bekommt eine Gänsehaut.

Diese Fahrt ist die letzte, die Martina ihm heute zugeschustert hat. Er schenkt ihr zum Dank rote Unterwäsche. In das Schleifchen am Büstenhalter steckt er einen Fünfzigmarkschein.

Zuerst muß er wegschauen, während sie auf dem Rücksitz schnell die neue Wäsche mit ihrer alten vertauscht, dann darf er ran.

Sie treffen sich immer nur abends nach Einbruch der Dunkelheit an der Endstation der Linie fünf. Mit seinem Taxi fahren sie dann ein Stück in den dunklen Stadtwald hinein, um die Erfolge des Tages zu feiern. Im Winter auf dem Liegesitz, im Sommer auf dem weichen Waldboden.

Manchmal auch auf der Kühlerhaube. Dann räkelt Martina sich wie ein Model auf der Automobilmesse. Manchmal kommt ein Funkruf dazwischen. Dann machen sie ganz schnell. Er kann alles, langsam oder schnell, behutsam oder gewaltig, er versteht sein Geschäft. Martina schätzt das.

Fünfzig Mark für fünf Fahrten ist der Schnitt. So geht das mehrmals pro Woche, selten hat sie weniger als achthundert Mark zusätzlich im Monat, oft tausend und mehr. Das legt sie auf die hohe Kante.

Horst setzt sie danach wie immer rasch und unauffällig an der Haltestelle ab und macht sich auf den Heimweg. Er ist äußerst zufrieden mit dieser Schicht. Die Börse ist gut gefüllt, Martina hat er’s mal wieder gezeigt, und der reiche Penner mit dem Affen und der Traumfrau hat seine Firmenkarte mit der Handy-Nummer eingesteckt. « Wir rufen Sie an, wenn wir Sie wieder brauchen », waren die letzten Worte der Schönen. Stammkunden braucht das Geschäft ebenso wie gute Verbindungen zur Zentrale.

Horst sorgt gut für Mechthild und Mandy. Die Familie muß schließlich zusammenhalten. Er freut sich auf seinen wohlverdienten Feierabend. Nur das Taxi wird er heute noch gründlich reinigen müssen. Es riecht immer noch nach Zigarillo und, Horst ist sicher, auch nach Bébé.

Dornröschen war ein schönes Kind

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