Читать книгу Dornröschen war ein schönes Kind - Petra Nouns - Страница 6
ОглавлениеMANDY RÜMPFT DIE NASE, als sie Arm in Arm mit ihrer Freundin Naomi in die Anliegerstraße einbiegt. Die Reihenhäuser stieren mit ihren Küchen- und Klofenstern ihre Spiegelbilder auf der gegenüberliegenden Seite an. Einträchtig sind sie aufgestellt zum Spalier, Einförmigkeit stolz betonend und dennoch Raum für Individualität gewährend. Aus einem Guß, die ganze Siedlung. Ihre Bewohner erwirtschaften peu à peu den Marktwert der Parzelle, die sie ihr eigen nennen, auch wenn sie größtenteils noch der Bank gehört. Dreißig Jahre ihres Lebens haben die meisten dafür reserviert.
Aber nicht deshalb kräuselt sich Mandys Nase. Das Reihenhaus ist schon in Ordnung, die Siedlung auch. Sie kennt zu viele Leute in ihrem Alter, die sich ein Zimmer mit ihren Geschwistern teilen müssen, in Wohnblocks mit fünfzig Parteien. Sie gehört zu den Privilegierten, deren Eltern Eigenheimbesitzer sind. Natürlich gibt es interessantere Wohnungen. Man könnte in einer ausgebauten Fabriketage wohnen oder wie Naomi in einem Fachwerkhaus mit Kaninchenstall. Dieses Hexenhäuschen findet Mandy schon spannender als ihr Zuhause. Aber spannend ist es nur für Besucher. Sie weiß, daß Naomi sich täglich in Grund und Boden schämt, wegen der eigenwilligen Einrichtung, der fünf kleinen, ständig streitenden und schreienden Brüder und wegen der unverbesserlich unkonventionellen Gudrun, ihrer Mutter.
Nicht das Haus straft Mandy mit Verachtung.
« Schau dir diese Peinlichkeit an! Mein Alter bei seiner Lieblingsbeschäftigung: Er wichst sein Auto. »
Zwischen je zwei Häusern, die spiegelverkehrt aneinanderkleben, ist Platz für zwei Autostellplätze. Und hier unterscheiden sich die Ideen der Bewohner durchaus. An allen Fenstern hängen Häkelgardinen über Nippes und Topfpflanzen, vor jedem Eingang steht ein pflegeleichtes, winterhartes Nadelgewächs, aber jeder Autoplatz hat sein eigenes Gesicht. Die einen haben dort eine alarmgesicherte Betongarage errichtet, die anderen ein kesseldruckimprägniertes dunkelbraunes Holzgestell, überwuchert von liebevoll Jahr um Jahr hochgezogener Klematis. Den Vogel aber hat Horst abgeschossen. Er und seine Familie leben schließlich vom Auto. Das Auto ist der Patron, und entsprechend ist sein Domizil. Was zunächst nur wie eine schicke, große Garage wirkt, beherbergt eine kleine private Waschstraße! Sie ist Horsts ganzer Stolz.
Der Benz steht nun blitzsauber tropfend vor seiner Waschstraße und wird sorgfältig abgeledert. Mit feinstem Handschuhleder, danach mit Lappen und Flüssigprodukten, die eigens für die Weltraumforschung entwickelt wurden.
Im Vorübergehen ruft Mandy: « Nicht so häufig, Papa. Ist ungesund für erwachsene Männer! » Naomi prustet los. Horsts Magen zieht sich zusammen.
Mandy ist ihm längst über den Kopf gewachsen. Von Anfang an hat sie ihm angst gemacht. Zuerst mit ihrem Geschrei, das er nicht verstehen, geschweige denn abstellen konnte. Mechthild konnte das, ganz einfach, fröhlich und liebevoll. Damals hatte die Mutter die Tochter noch gut im Griff.
Später brachte Mandy ihn zur Verzweiflung mit ihrem sprudelnden Temperament und dann mit ihren Fragen. Sie kannte mindestens doppelt so viele Fragen, wie er Antworten wußte. Auch hier hielt Mechthild mit, auch noch, als Mandy in der Grundschule war.
Aber seit sie in die Pubertät gekommen ist, wird Mandy bösartig. Fertigmachen will sie ihn offenbar. Aber das soll sie nur versuchen! Man wird ja sehen, wer hier der Herr im Haus ist! Er hält einen Moment inne bei seiner Arbeit und ballt die Faust in der Tasche. Er hat es ja von Anfang an gewußt. Mechthild ist zu weich. Und diese Naomi ist reines Gift!
Die Mädchen verschwinden im Hauseingang.
« Böse Mandy, schäm dich! Jetzt hat er Aua! » Naomi macht einen Schmollmund.
« Ach was, der kapiert gar nicht, worum es geht! » Mandy verzieht keine Miene. Sie öffnet kurz die Wohnzimmertür.
« Hallo Mama! Bin wieder da! Naomi ist auch hier. Sie bleibt bis zehn. »
Sie nimmt eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank.
« Und meine Mutter kapiert auch nichts. »