Читать книгу Dornröschen war ein schönes Kind - Petra Nouns - Страница 15

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ALS DIE URNE EINE WOCHE später ins Grab gesenkt wird, kommen auch Mechthild endlich die Tränen. Mutter schluchzt, Mandy weint still. Nachbarinnen, Vaters Schwestern und Cousinen und einige schaulustige alte Frauen schneuzen in ihre Taschentücher.

Es ist wie bei Hochzeiten im Fernsehen und bei Siegerehrungen. Die dichte Atmosphäre zwischen Anspannung und Erleichterung, zwischen Sehnsucht und Erfüllung treibt Mechthild immer die Tränen in die Augen. Hymnen haben die gleiche Wirkung. Die Internationale, von Tausenden auf einer Demo in Berlin gesungen, ließ ihr einmal den Boden unter den Füßen wanken, als sie siebzehn war. Sie wäre fast ohnmächtig geworden vor lauter unbekannten, beängstigend mächtigen Gefühlen, die sie überkamen, als dieses gewaltige Kampflied durch die Menschenmassen wogte. Sie hätte sich vor dem Begräbnis also keine Sorgen darüber zu machen brauchen, ob sie sich eventuell mit trockenen Augen blamieren würde. Sie hätte wissen können, daß die Stimmung ausreichen würde, damit ihre Tränendrüsen die Flüssigkeit produzieren, die echte Anteilnahme beweist. Sie kann also weinen, wie es in den Spielregeln vorgesehen ist. Und überhaupt hat sie sich ein wenig gefangen. War sie zunächst kalt und verwirrt, als sie von Vaters Tod erfuhr, so ist sie jetzt kalt und ernüchtert. Während der Rückfahrt von Bielefeld hat Mutter nämlich ausgeholt zu einem schmerzhaften Schlag.

Horst war mit dem Benz gekommen, um sie abzuholen. Er chauffierte, Mutter saß neben ihm, Mechthild hinten. Schon während der Entlassung aus dem Krankenhaus, während der Fahrt und auch noch, nachdem sie an einer Raststätte eine Pause eingelegt hatten und Mutter zwei Kognaks zur Beruhigung getrunken hatte, plapperte sie in einem fort. Alles, was ihr in den Sinn kam, redete sie sich von der Seele.

« Wie sie wohl die Urne schicken? Mit dem Zug? Ich darf gar nicht an die ganzen Formalitäten denken! Hoffentlich kümmert sich die Versicherung auch um alles. Und Hauptsache, sie bezahlt die Überführung. Möchte nicht wissen, was das alles kostet! Gut, daß er eine Zusatzversicherung abgeschlossen hat. In unserem Alter sollte man sich absichern, man weiß ja nie, hat er immer gesagt. Wenn er sich auch nie um die Kleinigkeiten gekümmert hat, die wirklich wichtigen Dinge hatte er immer im Griff. Geldangelegenheiten, Vorsorge, Versicherungen, da konnte ihm keiner etwas vormachen. Wie soll ich das bloß alles allein schaffen? Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst anfangen soll! Ich kenne mich doch gar nicht aus mit den Papierangelegenheiten. Sonntags morgens hat er immer alles am Schreibtisch erledigt, nach dem Frühstück, jeden Sonntag. Da konnte kommen, was wollte! »

Mechthild hatte über Nacht ihre Gedanken ein wenig ordnen können. Sie wußte nun, was zu tun war: Kann sie schon nicht richtig trauern und schon gar nicht trösten, so kann sie wenigstens helfen – helfen bei den trockenen, groben Dingen. Sie hat schließlich nicht nur ihren Haushalt bestens im Griff, sondern auch die Buchführung, die Bank- und Versicherungsgeschäfte des Taxiunternehmens und die Verwaltung ihrer Kleinfamilie. Froh, endlich ein Ende des verworrenen Fadens zu packen zu bekommen, hatte sie sich regelrecht hineingesteigert in Hilfsbereitschaft. Sie legte Mutter beruhigend die Hand auf die Schulter und redete nun von hinten auf sie ein. Sie versprach, ihr Witwenleben mit all den wichtigen und unwichtigen Dingen künftig mitzuverwalten, sorgfältig wie ihr eigenes. Und gerade als sie in einem Anflug von überwältigender Fürsorglichkeit auch noch vorschlagen wollte, Mutter solle doch am besten so schnell wie möglich zu ihnen ins Haus ziehen, bemerkte sie, daß Mutter ihr gar nicht zuhörte. Gedankenverloren schaute sie aus dem Fenster. « Wie gut », wandte sie sich plötzlich an Horst, « wie gut, daß wir dich noch haben! Du wirst dich um alles kümmern. Du bist ja so tüchtig. Gut, daß noch ein Mann in der Familie ist. » Dabei legte sie ihre schwiegermütterliche Hand auf Horsts muskulösen Unterarm, und er lächelte sie von der Seite an. « Wenigstens noch einer, der etwas von Geschäften versteht », war ihr abschließender Kommentar.

Der Hieb saß.

Dornröschen war ein schönes Kind

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