Читать книгу Dornröschen war ein schönes Kind - Petra Nouns - Страница 11

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HORST SIEHT MECHTHILD HINTERHER, wie sie in den Zug steigt, sich noch einmal kurz umdreht und nickt. Sie ist blaß, ihr Blick kühl und entschlossen. Ihr verlegenes Lächeln, das er so gut kennt, fehlt.

Heinz ist gestorben. Schlimm für Brunhild. Alt war er nicht, erst einundsechzig. Seit seinem Infarkt hat er sich doch recht gut erholt, wollte ab sofort seinen Lebensabend in seinem schönen Garten genießen! Horst wird kalt ums Herz.

Was nun?

Heinz wird seiner einzigen Tochter etwas hinterlassen. Fünfundzwanzig Prozent ist der Pflichtanteil. Vielleicht hat er auch mehr vorgesehen für Mechthild. Was soll Brunhild auch anfangen mit dem Geld – in ihrem Alter?

Fünfundzwanzig Prozent, aber wovon? Das ist die Frage. Man wird sehen. Könnte er nur Brunhild jetzt schon beistehen! Horst schlendert in seine Gedanken über die Familiensituation vertieft zurück zum Taxistand. Dort angekommen, beschließt er, für heute Feierabend zu machen. Die Stimmung, die ein Toter in der Familie auslöst, ist ihm nicht geheuer. Besser, denkt er für einen kleinen Moment, besser er läßt Mandy heute nicht zu lange allein zu Hause. Aber als er in die heimische Anliegerstraße einbiegt, hält er nicht vor seiner Waschstraße, sondern fährt geradeaus weiter und biegt in die Parallelstraße ein.

Die ganze Zeit während der Fahrt hat er die Wohnungsschlüssel der Schwiegereltern provokant neben seinem rechten Knie baumeln sehen. Wegen der Blumen, die gegossen werden müssen, hatte Mechthild sie ihm gegeben. Er befestigte sie gleich an seinem Bund, und das hat ihn irgendwie mit Stolz erfüllt.

Leise und vorsichtig schließt er nun die Haustür auf. Damals, als er dieses Haus zum ersten Mal betreten hat, kam er auch vom Bahnhof. Mechthild war von ihrer Mutter dort abgeholt worden. Beide machten einen etwas verstörten Eindruck. Mechthild sagte kein Wort während der ganzen Fahrt, schaute nur starr geradeaus mit ihrem traurigen, trotzigen, achtzehnjährigen Gesicht. Brunhild, der Mechthild auch heute noch verteufelt ähnlich sieht, hat gequält fröhlich geplaudert über das herrliche Wetter, über den schönen aufgeräumten Zustand von Mechthilds Zimmer und über den Luxus, statt des Busses sich ein Taxi zu leisten – zur Feier des Tages ihrer Ankunft. Sie sollte sich doch wohl fühlen!

Noch konnte er sich keinen Reim auf dieses Mutter-Tochter-Gespann machen. Aber Mechthild gefiel ihm. Immer wieder betrachtete er im Rückspiegel dieses geheimnisvoll strenge Gesicht, was Brunhild nicht entging. Sie bat ihn, Mechthilds Gepäck ins Haus zu bringen, gab ihm ein gutes Trinkgeld und bot ihm einen Kaffee an.

Der kleine Jeanspopo wippte die Treppe hinauf und verschwand, mehr bekam Horst an diesem Tag von Mechthild nicht zu sehen. Er verhandelte nur mit Brunhild.

« Sie ist normalerweise nicht so spröde. Aber die weite Reise ... »

« Woher kommt sie denn gerade? » wollte er wissen. « Aus Berlin », antwortete Brunhild knapp und fügte schnell hinzu:

« Aber geben Sie mir doch Ihre Karte, junger Mann! Falls wir Sie noch einmal brauchen. »

Horst verstand: Möchten Sie nicht meine Tochter heiraten ?

Er gab ihr die Firmenkarte seines Chefs.

« Ich arbeite für diese Firma. Noch bin ich angestellter Fahrer. Tagschicht und Wochenendnachtschicht. So lange, bis ich mein eigener Chef bin. »

Brunhild verstand: Wenn ein Reihenhäuschen wie dieses und eine Taxikonzession drin ist, sofort!

Sie sprachen dieselbe Sprache.

Selbstbewußt hatte er sich vor Brunhild aufgebaut. Im taillierten Oberhemd mit langen Kragenspitzen, in einem knappen schwarzen Lederblouson und mit stufig geschnittenen Haaren mit Nackenlocken. Er gefiel schon immer den Frauen. Damals verzichtete er darauf, Brunhild zu verführen, obwohl ihn das sehr gereizt hätte. Sie sah wirklich noch gut aus. Aber er wußte, daß es auf lange Sicht günstiger war, von ihr nur in frivolen Träumen begehrt zu werden und die hübsche Tochter zu heiraten. Heute ist Mechthild so alt wie ihre Mutter damals und ihr sehr ähnlich, nur zu dick. Sie hat sich nicht so gut gehalten. Brunhild ist einfach disziplinierter. Aber Mechthild ist schon in Ordnung. Und dann gibt es ab und zu Martina, die für richtig scharfen Sex sorgt. Martina ist dünn, drahtig und sehr beweglich. Dabei hat sie einen kleinen runden Arsch und BH-Körbchengröße C. Nur ihr Gesicht darf er nicht zu genau anschauen, das törnt ihn ab. Könnte er sich seine Traumfrau basteln, dann hätte sie die Figur von Martina, das Gesicht von Mechthild und die Kohle von Brunhild.

Wie er so denkt, streicht er durch das Wohnzimmer, entlang der Eichenschrankwand und öffnet ein Fach nach dem anderen. Porzellan, Silber, Blumenvasen und Strickzeug. Er schleicht weiter an der nächsten Wand entlang und schaut hinter jede Landschaftsidylle in Öl. Dann untersucht er das Schlafzimmer und den Hobbykeller. Sogar Mechthilds altes Zimmer, das auch mal Kindergästezimmer für Mandy war und nun Bügelzimmer, nimmt er sich sorgfältig vor, obwohl es eher unwahrscheinlich ist, daß er hier fündig wird. Er sucht keinen Safe. Zwar wäre es nicht schlecht, zu wissen, ob es einen gibt und wo er versteckt ist, für den Fall der Fälle eben. Selbstverständlich sucht er auch kein Bargeld oder Schmuck. Er ist erstens kein Dieb und zweitens nicht blöd. Was er sucht, sind Kontoauszüge, Sparbücher oder Unterlagen zu Depotkonten. Der Alte war ein hartnäckiger Sparer. Er hat hier und da angelegt, ab und zu auch Glück mit Aktien gehabt.

Nach drei Stunden gibt Horst auf. Schlecht gelaunt läßt er sich in den Fernsehsessel fallen. Unglaublich, welche absurden Verstecke sich diese Alten für die dreieinhalb Dokumente ihres Lebens ausdenken! Ein kleiner harmloser Ordner mit Auszügen eines Girokontos für die Rentenüberweisungen, das ist alles, was in diesem durch und durch geordneten Haushalt zu finden ist. Er nimmt den gehäkelten Dackel, dessen Aufgabe es ist, Zugluft zu verhindern, vom Fensterbrett und würgt ihn. Die Klingel läßt ihn zusammenfahren. Es dauert ein paar Sekunden, bis ihm klar ist, daß es nur Mandy sein kann.

Sie steht vor der Eingangstür, blaß, traurig und trotzig wie Mechthild in dem Alter.

« Willst du nicht endlich nach Hause kommen? Ist nicht so spaßig, sich das Gesülze von Frau Niederath anzuhören. Seit einer Stunde sitzt sie bei uns in der Küche und wartet darauf, dir Beileid wünschen zu können. Die unsensible Kuh! Ich schätze, sie geht nicht, bevor du den Kuchen probierst, den sie gebacken hat. Was machst du überhaupt so lange hier? Ich sehe hier schon eine Ewigkeit das Licht brennen? »

Horst schaut verlegen auf die Uhr.

« Ich mußte nachdenken. »

Mandy sieht ihn für einen Moment an, als ob er gesagt hätte: « Ich mußte noch mal kurz zum Mond. » Dann dreht sie sich um und geht voraus.

Er trottet hinterher und läßt den Wagen ausnahmsweise unter freiem Himmel stehen.

« Herr Hold! Mein herzlichstes Beileid! Nein, wie furchtbar! Und so plötzlich! Er hatte sich doch so gut erholt! Wer rechnet denn damit? Aber es ist, wie es ist. Ich habe Ihnen erst einmal einen schönen Kuchen gebacken. Sie haben ja jetzt so viel um die Ohren! Müssen sich um alles kümmern, Haushalt, Mandy, das Geschäft und was noch alles auf Sie zukommen wird! Sie sind ja jetzt der einzige Mann in der Familie ... »

Mandy verdreht die Augen und schaut zu, wie Horst Frau Niederath zur Tür hinausbefördert. « Danke. Vielen Dank. Ganz lieb von Ihnen ... » murmelnd.

Horst und Mandy stochern eine Weile schweigend im nachbarschaftlich wohlgemeinten Kuchen herum. Horst überlegt, ob er je mit Mandy allein am Tisch gesessen hat. Er weiß nicht, was er sagen soll.

Er will mit Hast du deine Hausaufgaben gemacht? anfangen. Aber eine innere Stimme sagt ihn, daß er für eine solche Frage bestraft werden würde.

Sie schweigen also so lange, bis Horst es nicht mehr aushält. Ihm sind ein paar Worte eingefallen, die er der Situation angemessen befindet:

« Nachher machen wir Mamas Auflauf warm. »

Mandy sagt nichts.

« Und danach sehen wir ein Stündchen fern. »

Sie schaut auf, ihm direkt in die Augen, und er weiß, daß er etwas Falsches gesagt hat.

« Oder du gehst früh schlafen, und ich fahr noch ein bißchen, um den Ausfall wieder reinzuholen. Morgen sieht die Welt gleich anders aus. »

Mandy zieht es vor zu verschwinden. Sie will Naomi sehen. Wieder allein und im Grunde erleichtert darüber, setzt Horst seine Gedanken nun ruhiger fort. Noch hat er zwar keine Ahnung vom Umfang des Vermögens, von dem mindestens ein Viertel in Kürze auf ihn zukommen wird und irgendwann der Rest, aber Brunhild wird ihn schon ins Vertrauen ziehen. Sie ist eine kluge Frau, jedenfalls klug genug, zu wissen, daß Geld in Männerhände gehört. Die Männer müssen es haben, und die Frauen müssen es zusammenhalten. Das weiß er, das weiß sie.

Horst schaltet den Fernseher ein und streckt sich auf dem Sofa aus. Er schaut eine Weile die Decke an und denkt an Brunhild und Heinz. Brunhild war Hausfrau, Heinz verdiente das Geld, Brunhild schaltete und waltete im Hintergrund, Heinz agierte draußen in der feindlichen Welt. Sie waren ein gutes Team, ein sehr gutes. Horsts Augen werden feucht.

Er ruft Martina an.

Zum ersten Mal machen sie es in ihrer Wohnung. Sie hat ein zebragestreiftes Plüschbett. Und weil er weiß, daß Mandy nicht vor zehn Uhr zu Hause sein wird, bleibt er noch ein Stündchen liegen und erzählt ihr von Heinzens Tod. Sie hört ihm aufmerksam zu.

Dornröschen war ein schönes Kind

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