Читать книгу Dornröschen war ein schönes Kind - Petra Nouns - Страница 9

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« NA, WIE WAR DIE MATHEARBEIT? »

« Super! » Naomi schaut siegessicher durch ihre violetten Kontaktlinsen. « Höchstwahrscheinlich keine Fünf! Bestimmt aber keine Sechs! Was will man mehr? »

« Ich will mehr, viel mehr! Ich werde Astronomie und Physik studieren. » Mandy schmeißt trotzig ihre Jacke und ihren Rucksack auf Naomis Bett.

« Ich weiß, Süße, du wirst das schaffen. Aber unsereins wird sich mit viel Glück und einer klugen Freundin wie dir gerade mal mit Ach und Krach durchs Abi lavieren. Und wozu brauche ich Abi? Wozu die Schinderei auf der Kack-Schule? »

« Wenn ich erst aufs Einstein komme, wird’s dir wieder gefallen. »

« Klar, das wird geil! »

« Ja, supergeil! Bis zum Sommer werde ich meine treusorgenden Eltern schon überzeugen. »

« Vielleicht sollte doch meine Mutter mal mit ihnen sprechen. Ihnen sagen, was du für mich tust und so. »

« Ne, laß mal, Gudrun kommt nicht so gut an bei denen. »

« Claro. »

« Daß ich dir helfe, wissen sie doch. Nein, ich muß anders vorgehen: Ab sofort wieder öfter in der Schule erscheinen, jede Arbeit mitschreiben, ab und zu mal eine Hausaufgabe abgeben, und ich sag dir: Bis Mai gibt es kein Fach, in dem ich nicht Eins stehe! Und dann wird mein Stern aufgehen. Ich werde zum Wiener gehen und ihm meine Noten unter die Nase reiben. Und dann werde ich ihm was vorheulen von meinen geistig beschränkten Eltern und ihn um Hilfe bitten. Das wird ihm schmeicheln, dem eitlen Blödmann. Er wird sich für meinen weiteren Bildungsweg verantwortlich fühlen, und wenn ich meine Alten dann zum nächsten Elternsprechtag schleife, wird er ihnen was von meiner Begabung erzählen und sie davon überzeugen, daß ich aufs Gymnasium gehöre. Vor allem meinen Vater. Der ist nämlich der Bremsklotz. »

« Der soll doch stolz auf dich sein, der Blödmann! »

« Ist mir scheißegal, ob der stolz ist oder nicht. Alles, was ich verlange: Er soll einmal sein Gehirn einschalten und seine Unterschrift unter den Antrag auf Schulwechsel setzen. »

« Muß es denn unbedingt dein Alter sein, der unterschreibt? Kann das nicht genauso gut deine Mutter machen? Der Schule ist das doch scheißegal. »

« Ich glaube, die müssen beide unterschreiben. Und egal, wie, ohne meinen Vater macht meine Mutter nix. Keine Chance. So ist sie eben. »

Naomi rollt den Joint zusammen und leckt versonnen die Klebefläche an.

« Ich begreif die Welt nicht. Gudrun will mich mit antiautoritärer Gewalt durchs Abi boxen, obwohl ich darauf scheiße. Und dich wollen sie nicht aufs Gymnasium lassen, obwohl du genial bist. Wie erklärst du das? »

« Ganz einfach. Deine Mutter hat Abi, mein Vater nicht einmal Hauptschulabschluß. »

« Hm. »

Naomi paßt einen Filter aus gerollter Pappe ein, und Mandy gibt ihr Feuer. Dann holt sie eine Flasche Sekt aus ihrem Rucksack, öffnet sie und nimmt schnell den ersten Schluck bevor sie überschäumt. Naomi macht einen kräftigen Lungenzug.

« Und deine Mutter? »

« Weiß nicht genau. Ist irgendwie ein Tabuthema. Ich glaube, so was um die mittlere Reife. Jedenfalls kann sie sich nicht vorstellen, daß man sich mehr wünschen kann, als Arzthelferin zu werden. »

Der Joint und die Flasche gehen hin und her.

Sie planen, wie so oft, ihre Zukunft. Nach Berlin wollen sie nach dem Abitur. Mandy wird studieren, Naomi erst einmal jobben, im Musikbiz. Connections auftun und die Szene kennenlernen. Wenn Mandy dann die erste dicke Kohle verdient, werden sie die Rollen tauschen. Naomis Studium ist dann an der Reihe. Wozu das Kack-Abi, wenn nicht für die Hochschule für Gesang, Tanz und Schauspiel? Am Ende dieses steinigen Weges wird dann ein Leben im Dienste der Wissenschaft und der Kunst zum Wohle der Menschheit stehen. Mit jeder Menge Knete und coolen Typen.

Gegen fünf Uhr schlafen sie über Sekt, Dope und ihren Träumen ein. Um halb zehn werden sie von Gudrun geweckt. « Naomi, Schätzchen, ich bin noch mal weg. Die Kleinen schlafen schon. Nur Ramses ist noch auf. Er soll um zehn ins Bett gehen. Wenn er mag. Vertragt euch! » « Scheiße, ich muß los! » Mandy erwischt gerade noch den Bus um einundzwanzig Uhr vierzig und kommt pünktlich zu Hause an.

Mechthild erwacht auf ihrer Couch gegenüber dem Fernseher, als sie die Haustür klappen hört. Sie läuft schnell in die Küche, läßt die Flasche und das Stanniolpapier im Mülleimer verschwinden.

« Du hast bestimmt Hunger! Soll ich dir schnell was Warmes machen? »

« Schon gut, ich mach mir ein paar Käsebrote. »

Mechthild nutzt den Moment zwischen Butterbroten und Schlafengehen, um ein wenig zu plaudern.

« Wart ihr diesmal bei Naomi zum Lernen? »

« Ja, ja. »

« Es ist schön, wenn einer dem anderen hilft. »

« Eine der anderen. »

« Hauptsache, es hilft. »

« Na ja, Naomi hat wahrscheinlich eine Vier geschrieben. Aber sie ist schon happy, wenn’s keine Fünf ist. »

« Solltest du dir nicht erst einmal an die eigene Nase fassen, dich um deine Noten kümmern? »

« Sagtest du nicht eben, daß es schön ist, sich gegenseitig zu helfen? »

« Sicher. Aber lenk nicht ab. Wie war deine letzte Mathearbeit? »

« Eins, weißt du doch! » Mandy schaut ihre Mutter befremdet von der Seite an.

« Da siehst du mal wieder, wie schwer es auf dem Gymnasium ist! Du willst es ja einfach nicht glauben! » Mechthild wird jetzt richtig munter. « Das ist schon ein gewaltiger Unterschied zur Realschule! » ereifert sie sich. « Schau, Naomi steht Fünf in Mathe und lernt mit dir, damit du Eins stehst! »

« Bist du blau, Mama? »

Mandy zieht sich irritiert mit ihrem Berg Käsebroten und einem Liter Milch zurück. Dope macht hungrig.

« Nacht, Mama. Und wenn’s dich beruhigt: Ich tue mein Bestes, damit Naomi auf eine Vier kommt. Mehr ist nicht drin. Beim besten Willen nicht. »

Mechthild sieht ihr besorgt nach. Über die Schule kann man mit ihr einfach nicht vernünftig reden. Es fällt ihr unendlich schwer, zuzugeben, daß sie ihre Einser Naomi zu verdanken hat. Lieber verweist sie auf Naomis Ausrutscher. Es ist wirklich ein schwieriges Alter. Da hat Mutter schon recht. Aber wenigstens ist der Kontakt zwischen ihr und Mandy noch nicht ganz abgerissen. Zumindest öffnet sie sich ab und zu und erzählt, wenn auch etwas verworren, was sie mit Naomi tut. Und nur gut, daß sie ihr diese verrückte Idee mit dem Einstein-Gymnasium anvertraut hat. Davon soll sie bloß nichts Horst erzählen. Mechthild kann sich seine Reaktion lebhaft vorstellen: Lerne erst einmal, deiner Mutter im Haushalt zu helfen! Und was ist mit der Firma! Interessiert dich einen Dreck, was? Auf die Buchführung hast du noch nie auch nur einen Blick geworfen! Aber studieren möchte das Fräulein! Dazu gehört mehr, als du dir überhaupt vorstellen kannst! Ich will nichts mehr hören von diesem Blödsinn! Kannst froh sein, wenn du die Berufsschule schaffst!

Toben würde er.

Sie hat Mandy versprochen, mit ihm zu reden. Dies ist wohl das problematischste Versprechen, das sie ihrer Tochter je gegeben hat. Noch vor dem nächsten Elternsprechtag soll es passieren, so ist es abgemacht.

Mechthild setzt sich an ihre Nähmaschine. Horst fährt Nachtschicht. Sie will das Gänseblümchen heute fertigstellen. Seit drei Jahren ist sie zu keinem Elternsprechtag mehr erschienen. Was soll man groß fragen, wenn es keine schlechten Noten gibt? Aber das nächste Mal wird sie hingehen, und Horst muß mit. Beim letzten Elternsprechtag des Kindes muß man natürlich als Elternpaar auftreten. Das gehört sich so. Horst wird stolz sein. Und die fixe Idee vom Gymnasium wird sich bis dahin hoffentlich, hoffentlich in Luft aufgelöst haben. Vielleicht klappt die Bewerbung bei Dr. Frentel. Wenn Mandy erst einen Ausbildungsvertrag bei einem Arzt hat und das schöne Geld schnuppert, das sie schon während der Ausbildung verdienen wird, dann vergißt sie diesen Unsinn bestimmt.

Die weißen Blütenblätter werden jetzt Stück für Stück an die Kapuze des grasgrünen Overalls genäht. Drahtverstärkungen bringen sie auf Stand rund um den Gesichtsausschnitt, der mit gelbem Plüsch verbrämt ist. Dieser Plüschrand wird zusammen mit dem gelbgeschminkten Gesichtchen der kleinen Julia von nebenan den Blütenkopf bilden. Mechthild wird es sich nicht nehmen lassen, die Kleine selbst zu schminken.

Bevor sie endlich schlafen geht, macht sie sich noch ein Stündchen an Mandys Turban zu schaffen. Dabei nascht sie Käse und Salzgebäck, ohne es zu merken. Dann fällt sie todmüde ins Bett.

Gegen sechs Uhr morgens kommt Horst und zieht ihr die rote Wäsche aus, die sie sich für ihn gekauft hat und die sie nachts für ihn trägt, denn sie ist nicht nur eine gute Hausfrau, sie ist auch eine pflichtbewußte Ehefrau. Sie weiß, gibt sie sich keine Mühe, holt er sich woanders, was er braucht. Er befriedigt sich in ihr. Auch davon merkt sie fast nichts. In den ersten Ehejahren war das ganz anders. Sie döst noch eine halbe Stunde, dann steht sie auf. Um acht muß sie die Eltern abholen.

Dornröschen war ein schönes Kind

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