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Das Zeitalter der Religionskriege

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Um 1800 wurde der Glaube daran, dass es eine heiligende Tugend sei, fürs Vaterland zu sterben, zu einem Kennzeichen europäischer Frömmigkeit. In den Religionskriegen der frühen Neuzeit hatte dieser Glaube einen theologischen Sprung nach vorn gemacht.138 Hervorgerufen worden waren diese Konflikte durch Martin Luthers Dissens, der seinerseits an die auf Reform drängenden Kräfte des spätmittelalterlichen Katholizismus anknüpfte. Ein Kompromiss fand sich nicht, und da zudem einige deutsche Fürsten Luther unterstützten, kam es zur Kirchenspaltung; auch ebnete Luther anderen Reformbewegungen den Weg. Im Lauf des 16. Jahrhunderts wuchsen viele dieser reformorientierten Gruppen zu Konfessionen heran, wobei die Hauptrichtungen auf dem europäischen Kontinent aus Lutheranern, Calvinisten und Wiedertäufern bestanden (allerdings entsprechen diese Bezeichnungen nicht den Namen, welche die Gruppen sich selbst gaben). Neben Unterschieden in der Lehre war das gezielte Gedenken an die eigenen Märtyrer (und das Abstreiten des Märtyrerstatus für Mitglieder anderer Konfessionen) der Schlüssel für die Bildung der jeweiligen Gruppenidentität (das gilt auch für den römischen Katholizismus).139 Ebenso beteiligten sich alle Konfessionen zu dieser oder jener Zeit am heiligen Krieg und verübten Gewalttaten im Namen Gottes. Selbst die Täufer oder Wiedertäufer, die sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu einer radikal pazifistischen Kirche entwickelten, gingen eine kurze, aber intensive Verbindung mit der religiösen Gewalt ein.140 Deren Hauptepisode, die Herrschaft der Wiedertäufer in Münster (1533–1535), ist durch den Terror seitens der religiösen Anführer und den folgenden Rachefeldzug samt Massaker und Folter, den die Wiedertäufer nach ihrer Niederlage erdulden mussten, berühmt geworden. Tatsächlich stellte das Königreich von Münster keine Abweichung von dem zentralen Pazifismus der Wiedertäufer dar. Vielmehr bildete es, wie James Stayer gezeigt hat, eine theologisch folgerichtige Möglichkeit der grundlegenden, extremen Weltablehnung der Sekte.141 Wenn man dies versteht, begreift man auch die gleichzeitige Existenz des Kriegerischen und des Friedfertigen im Wiedertäufertum des 16. Jahrhunderts, woraus erhellt, dass Münster kein Zufall war. Stayers Einsicht kann auch auf andere radikal-asketische Gruppen übertragen werden, zum Beispiel auf die Qumran-Gemeinde. Zu jener Zeit verband sich das weltverneinende Asketentum mit der Vorstellung einer Reinigung am Zeitenende. Von daher erklärt sich auch die plötzliche Wendung der Taboriten vom Pazifismus zum Bellizismus im Jahre 1419, die bei den Zeitgenossen heftige Kritik auslöste. Das werden wir im fünften Kapitel und im Nachwort erörtern.142

Auch wegen des deutschen Bauernkriegs 1524/25 und der französischen Religionskriege beschäftigen wir uns hier mit dem 16. Jahrhundert. Der Bauernkrieg (tatsächlich eine Reihe von regionalen Aufständen, denen die Einheit fehlte) wurde von frühen lutherischen Ideen inspiriert, vom Reformator selbst aber abgelehnt. Vor ihrer endgültigen Niederlage durch die Heere der deutschen Fürsten hatten die Bauern und die mit ihnen verbündeten Stadtbürger Programme verfasst, in denen sich sozialökonomische und religiöse Zielvorstellungen miteinander verbanden. Sie wollten zu einem idealisierten alten Gewohnheitsrecht zurückkehren, mit dessen Hilfe sie hofften, den von ihren Herren ausgeübten Druck und den Einfluss des Frühkapitalismus abzuwehren. Dieses „alte Recht“ (im Gegensatz zu den damals üblichen Rechten und Gesetzen der Adelsherrschaft), mit dem sie sich identifizierten, war ein egalitäres „Gottesrecht“ (eine Auffassung, die sich auch bei manchen Hussiten im 15. Jahrhundert finden lässt). Luther reagierte auf diese Forderungen mit zwei Traktaten. Im ersten kritisierte er den Adel wegen seiner Gier, und die Bauern, weil sie es wagten, sich in ihren materiellen Forderungen und ihren Handlungen auf das Evangelium zu berufen und dergestalt Paulus’ Mahnung, der Obrigkeit untertan zu sein (Röm 13, 1–7), in den Wind schlugen. Als der Konflikt sich zuspitzte und die Bauern Erfolge erringen konnten, wandte sich der Reformator von ihnen ab und forderte ihre erbarmungslose Unterdrückung, wenn nötig bis zum Tode. Den hohen Herren aber versprach er das Märtyrertum, sollten sie in Verteidigung der gottgewollten Ordnung sterben.143 Doch während Thomas Müntzer, einer der Rebellenanführer, gewiss millenaristisch dachte und die Beseitigung aller unfrommen Christen forderte, gab es im Bauernkrieg auch Revolten, die kein radikal eschatologisches Programm verfolgten. Manche forderten eine Reformation im Rahmen des Heiligen Römischen Reichs, die zu mehr Gleichheit, nicht aber zur radikalen Vernichtung der existierenden Ordnung und ihrer Akteure führen sollte.144 Das Jahr 1525 bietet ein deutliches Beispiel für ein konstruktives, von der Bibel inspiriertes politisches Potential, dessen Verwirklichung zwar Krieg erforderlich machte, nicht aber, jedenfalls nicht für alle Beteiligten, die systematische Ausrottung des Feindes.

Da die französischen Religionskriege viel Material für die Analyse bieten, sollten sie detaillierter dargestellt werden. Der französische Protestantismus war überwiegend calvinistisch. Jean Calvin war Reformator im schweizerischen Genf, einer frankophonen Republik nahe der Grenze zum Königreich des Hauses Valois. Die Hugenotten – so nannten die Katholiken ihre protestantischen Feinde in Frankreich – wurden in den späteren Regierungsjahren der Könige Franz I. (reg. 1515–1547) und seines Sohns Heinrich II. (reg. 1547–1559) zeitweilig unterdrückt. Wie in der Schweiz während der 1520er und 1530er Jahre äußerte sich die Gewalt der französischen Calvinisten zur Zeit von Franz I. und Heinrich II. vornehmlich als Ikonoklasmus, also als häufig ostentative Zerstörung religiöser Bilder und Statuen der Katholiken.145 König Heinrichs Unfalltod bei einem Turnier führte zu einer Periode größerer Schwäche für das Haus Valois, einen Zweig der kapetingischen Dynastie. Heinrichs Söhne waren bei seinem Tod noch nicht volljährig, sondern unterstanden der Vormundschaft seiner aus Italien stammenden Frau, Caterina de’ Medici. Die Machtkonstellation verhieß nichts Gutes: Aristokratische Gruppierungen kämpften um die Vormacht am Hof, während das religiöse Leben konfessionell gespalten war. Caterina und ihre drei Söhne schwankten zwischen Tolerierung und Unterdrückung und mussten zudem die mächtige Familie Guise im Zaum halten, die unter der Ägide eines militanten Katholizismus gegen ein Bündnis calvinistischer Adliger und Fürsten antrat. Caterina mag andere Vorstellungen davon gehabt haben, was es bedeuten könnte, katholisch und königlich zu sein, und auf welche Weise ein König das zerrissene Reich zu religiöser Einheit zurückführen würde.146

Die eigentlichen Religionskriege brachen 1562 aus und sollten bis in die 1590er Jahre dauern. Zwischenzeitliche Friedensschlüsse stellten sich als bloße Waffenstillstandsphasen heraus. Das schlimmste Blutvergießen geschah während einer dieser scheinbaren Ruhepausen. Am 24. August 1572, dem Bartholomäusfest, massakrierten, angeführt von den Guisen, städtische Bürgerwehren und katholische Adlige in Paris die Hugenotten und viele hochrangige Calvinisten, die gekommen waren, um die Heirat der Schwester des Königs mit ihrem entfernten Cousin Heinrich von Navarra zu feiern. Der König, Karl IX. (reg. 1561–1574), war wohl anfänglich an der Planung nicht beteiligt, musste dann aber gute Miene zum bösen Spiel machen.147 Das Dilemma der letzten Herrscher des Hauses Valois bestand darin, sich als gute Katholiken zu erweisen, ohne die Herrschaft zu verlieren. Oder, weniger instrumentalistisch formuliert: Was der König unter gutem und effizientem Regieren verstand und was seiner Auffassung nach das Wesen des Katholizismus ausmachte, war nicht immer unter einen Hut zu bringen.148 Für einzelne Monarchen, aber auch für die Monarchie als Institution waren die Gefahren keineswegs gering. Zuerst publizierten die Calvinisten, sodann die ultrakonservativen Katholiken Widerstandstheorien. In ihrer extremeren Version sahen sie vor, dass die Pflicht zum Widerstand auf den einzelnen Bürger überging, falls es den vermittelnden Instanzen (im damaligen Sprachgebrauch: den „Magistraten“)149 nicht gelang, gegen einen ungerechten oder unfrommen Herrscher vorzugehen. Wie Kapitel V detailliert zeigen wird, war es auch dieser Gedanke des Übergangs, der für ähnliche Methoden und Zielvorstellungen in Sachen Gewalt zwischen Staat und „terroristischen“ Gruppen im Westen sorgte. Es waren dieselben Vorstellungen von einem durch Waffengewalt zu verteidigenden oder zu verwirklichenden Gemeinwohl, die in der longue durée sowohl die großen, stärker institutionalisierten, wie auch die kleineren, weniger institutionalisierten politischen Entitäten motivierten. Verstärkt wurde diese parallele Entwicklung durch die für das christliche und post-christliche Denken im Westen typische Dialektik zwischen Universalismus und Auserwähltheit: Eine auserwählte Avantgarde handelt im Namen der zukünftigen globalen Übereinkunft, die sie herbeizuführen gedenkt, wobei die Vorreiter dieser Universalität sich oft für makelloser halten als die Personen außerhalb der Avantgarde. So dachte auch Marx. Sein Proletariat, so meinte er, habe einen „universellen Charakter“ aufgrund seiner „universellen Leiden“.150

Die Bartholomäusnacht brachte viele Märtyrer hervor, möglicherweise an die 10.000 (und, im Widerspruch zum hugenottischen Selbstverständnis, viele Übertritte zum Katholizismus). Es war ein spektakuläres Ereignis, das in Rom mit jener Huld begrüßt wurde, mit der sonst Siege gegen die Türken aufgenommen wurden. Aber zwei der noch dramatischeren und umstrittenen Märtyrertode ereigneten sich erst in der vorletzten Phase der französischen Religionskriege.151 Das war zum einen die Ermordung des Anführers der Katholikenfraktion, des Herzogs von Guise, und zum anderen, als Vergeltung, die Ermordung des Monarchen, Heinrich III., durch einen jungen Dominikaner – ein Selbstmordattentat.

Diese beiden Ereignisse bildeten den Höhepunkt der schwersten Krise der Monarchie. Der wachsende Einfluss des ultrakatholischen Herzogs von Guise hatte Heinrich III. (reg. 1574–1589), den Bruder und Nachfolger Karls IX., zur Verzweiflung gebracht. Der Herzog führte die Katholische (oder auch Heilige) Liga an, einen Städtebund, der sich die Ausrottung des Calvinismus in Frankreich zum Ziel gesetzt hatte. Zusammen mit seinen aristokratischen Sympathisanten hatte der Bund den König gezwungen, sich auf sein Programm, ein hugenottenfeindliches Edikt, einzulassen, das kirchlich-religiöse wie auch politisch-institutionelle Maßnahmen vorsah. Noch demütigender für den König war wohl der 12. Mai 1588, der „Tag der Barrikaden“, als die katholischen Bürgerwehren von Paris Heinrichs Versuch, die Kontrolle über die Stadt zu gewinnen, vereitelten und die königliche Leibwache gefangen nahmen. Bei diesem Drama hatte der Herzog von Guise die Hauptrolle gespielt und die Rebellen, deren Anwärter auf den Königsthron er war, selbst angeführt und ermutigt, dabei aber auch die Leben der Schweizer Gardisten und des Königs gerettet. Dennoch erfolgte die Vergeltung rasch. Am 23. Dezember 1588 ermordete die Leibwache des Königs den Herzog, und am folgenden Tag wurde auch sein Bruder, Ludwig Kardinal von Guise, getötet. Schnell verbreitete sich das Gerücht, der König habe die Leichen zerstückeln und in den Öfen des Palastes verbrennen lassen, damit sie nicht zu Reliquien werden konnten. Der König wollte aus diesen Vorkämpfern eines militanten Katholizismus keine Märtyrer machen. Aber sie wurden es dennoch. In den Augen der Liga waren die beiden Männer würdige Nachfolger ihres Vaters, Franz von Guise, der 1563 von einem Calvinisten umgebracht worden war. In Flugschriften wurde gegen den König gewütet, den man aller möglichen Laster bezichtigte, darunter des Atheismus, der Teufelsanbetung und einer pervertierten Sexualität. Er war angeblich ein „Sündenbock, Frau für mehrere Männer, und Mann für alle Frauen“ („bouc emissaire, femme de plusieurs hommes, & homme de toutes femmes“) und „ein Phantom eines Mann-Weibs“ („un phantosme d’homme femme“).152 Der König wurde exkommuniziert, und einige Flugschriften der Liga wagten sich in ihren Auffassungen von Widerstand und Volkssouveränität sehr weit vor. Interessanterweise nannten sie den Zirkel von Monarchisten um den damaligen Vertrauten des Königs, den Herzog von Épernon, Épernonisten, so wie die Kirchenväter den Namen einer häretischen Sekte vom Namen des jeweiligen Häresiarchen abgeleitet hatten (also Marcioniten von Marcion, Arianer von Arius usw.). Dergleichen begegnet später auch in der Französischen Revolution zur Bezeichnung bestimmter Gruppierungen (wie etwa der Hébertisten). Die Liga selbst steigerte sich in schwindelerregende spirituelle Höhenflüge und verglich das Bündnis aller guten Katholiken gegen Ketzerei und machiavellistische Tyrannei mit der mystischen Kommunion in der Eucharistie, die von allen guten Katholiken gegen den Calvinismus verteidigt wurde.

Das Märtyrertum rief nach Rache, und die geschah durch Gottes Hand, doch konnte diese Hand eine menschliche Hand bewaffnen. Zumindest behaupteten das zwei Flugschriften, die 1588/89 in Paris zirkulierten. Ein Grabgedicht (tumbeau, von lat. tumulus) für die beiden Guisen sollte Vergeltung und Gedenken hervorrufen: „Um ihnen zu geben, was ihnen gebürt, und um des Tyrannen ach! so unmenschliche Tat zu rächen, griff das Volk spontan zu den Waffen und wird sie nicht aus der Hand geben, bis der Verräter und seine Günstlinge ihr Leben lassen. Und um so eine tragische Tat zu verewigen, haben wir hier das Porträt dieser tugendhaften Edlen platziert … Der du vorübergehst, trauere und mache zugleich Taten, Leben und Tod dieser Fürsten, die du hier siehst, unsterblich. Sie starben für Jesus Christus und das öffentliche [Wohl], und sie werden ewiglich leben.“153 Ein zweites, koloriertes Flugblatt zeigte die Bildnisse der beiden Märtyrer vor dem Hintergrund eines Wandteppichs, auf dem die Instrumente der Passion Christi dargestellt waren. Aus dem Himmel regnete Blut auf die Brüder. Zwischen dem Teppich und den Bildnissen war Christus am Kreuz dargestellt, einem Kreuz, das fest mit der Ebene der Märtyrer verbunden ist. In einer Anspielung auf die Apokalypse des Johannes (6, 9–10) erklärt eine Inschrift am Fuß des Kreuzes, dass ihr Blut „unaufhörlich zu Gottes Güte emporschreie, sie und uns zu rächen für so tyrannische Taten“.154

Die bildlich dargestellte Parallele zum blutüberströmten Christus war kulturell bereits eingeführt. Der katholische heilige Krieger Blaise de Montluc hatte in der Nacht vor dem Tod Heinrichs II. durch die Hand eines protestantischen Adligen bei einem Turnier geträumt, er habe „den König auf einem Thron [gesehen], das Gesicht von Bluttropfen überströmt, ganz ähnlich wie, so schien es mir, man Jesus Christus malt, nachdem die Juden ihm die [Dornen-]Krone aufgesetzt haben. Seine Hände hielt er [zum Gebet] gefaltet.“ In Tränen war Montluc erwacht.155 Binnen eines Jahres nach dem Tod der Brüder Guise erstach Jacques Clément, ein junger Dominikaner, den König, bevor er seinerseits von der Leibgarde umgebracht wurde. Der Märtyrer und Königsmörder Clément hatte die ultrakatholische Vorstellung von Gottes Gerechtigkeit in die Tat umgesetzt (wobei er, darauf wurde hingewiesen, in Methode, List und Gestus bis aufs Wort einem Modell im Alten Testament – Buch der Richter 3,15–22 – folgte).156 Seine Apologeten stellten sich vor (oder berichteten), er habe sich mit einem ekstatischen Gebet auf die Tat vorbereitet. Der Dominikaner habe laut und deutlich die schreckenerregenden letzten Verse von Psalm 138/139 (21–24) gesprochen und sich auf den Tod vorbereitet, indem er den Herrn eindringlich bat, seine Motive zu erforschen, da er Christi Feinde „mit vollkommenem Hass liebe“.157 Der Hass auf Gottes Feinde wurde einer Opferung gleichgesetzt. Die Kämpfer der Liga stilisierten sich zu Nachfolgern der makkabäischen Krieger-Märtyrer und drohten dem König von Frankreich, in dem sie das Ebenbild des archetypischen Vorläufers des Antichristen, Antiochus Epiphanes, sahen, mit düsterem Nachdruck an, sie würden Gott „als großes und ihn erfreuendes Opfer den Hass [darbringen], den wir für Euch [empfinden], und unsere Verachtung für Euer Verhalten“.158 Mittelalterliche Predigten hatten erklärt, auf welche Weise die Liebe zu Christus im Kreuzfahrer einen Prozess der Verfeinerung durchlief, indem sie sich in den Eifer für Christus und sodann in Hass auf seine Feinde verwandelte.159 Diese Vorstellung wirft ein Schlaglicht auf die Aggression, die der Liebeshandlung par excellence – dem Martyrium – innewohnt, wie auch auf den kontinuierlichen Übergang vom Märtyrer zum heiligen Krieger. Das war keine ausschließlich katholische Vorstellung. Auf ihrem Weg zur Hinrichtungsstätte sangen auch Calvinisten Psalmen, die – folgt man der Erläuterung, die ihr Übersetzer ins Französische, Clément Marot, beifügte – nach Rache verlangten und das Bild des Antiochus heraufbeschworen.160

Die Ligisten fanden es nicht problematisch, dass die Katholiken zugleich Märtyrer und Verfolger sein konnten. In einer anonymen Flugschrift heißt es dementsprechend: „Der katholische Christ erfreut sich am Tod des Heiden und des Ketzers, denn darin wird Gott Ruhm und Ehre zuteil; und [er erfreut sich] am Tod des katholischen Hauptmanns oder Soldaten“, der sich „ewigen Segen im Paradies“ erwirbt.161 Ein weiteres Argument für die Koexistenz von Martyrium und Tötung für Gott berief sich auf Augustinus’ Rechtfertigung von Zwangsmaßnahmen gegen die donatistischen Häretiker. Die frühen Christen hatten allerdings das Martyrium angenommen und nie zum Schwert gegriffen. Jedoch sei dies nur geschehen, weil es vor Konstantins Übertritt keine christlichen Magistrate gab. Die Christen „waren genötigt, sich unter das Joch zu beugen, und sich, statt Widerstand zu leisten, willig dem Martyrium hinzugeben“. Aber in der nachkonstantinischen Ära hatten die Christen nun das Recht wie auch die Pflicht zum Widerstand – eine Umkehr, die durch eine wundersame epochale Verschiebung bewirkt wurde.162

Die Ultrakatholiken leisteten noch einige Jahre nach dem Übertritt des von Heinrich III. vorgesehen Erben, des Calvinisten Heinrich von Navarra, zum Katholizismus Widerstand. Und während dieser als König Heinrich IV. das Reich befriedete, wurde auch er 1610 Opfer eines dolchbewehrten religiösen Attentäters. Kurz danach brachen jenseits des Kanals, auf den britischen Inseln, Bürgerkrieg (1642–1651) und Revolution aus – eine Revolution, die gleichermaßen als erste Revolution der Moderne und als letzter Religionskrieg eingeschätzt wurde (obwohl die Gregorianische Reform den einen und die Französische Revolution den anderen Titel beanspruchen kann). Diese Alternativen rühren nicht einfach nur von unterschiedlichen historiographischen Positionen her – einer Tendenz, dem Glauben von Akteuren wie Oliver Cromwell kein Gewicht beizumessen, oder einer Tendenz, die sozialen und politischen Dimensionen des Konflikts herunterzuspielen. Von Bedeutung ist auch – wie Glenn Burgess hervorragend gezeigt hat – die komplizierte Auffassung der Zeitgenossen von Religion und Politik als bisweilen unterschiedenen, bisweilen miteinander verschmolzenen Dimensionen.163 Für irische Katholiken, für Schotten unterschiedlicher Konfessionen wie auch für Engländer ebenso vielfältiger Glaubensrichtungen spielten ekklesiologische und dogmatische Überlegungen bei der Parteinahme für oder gegen das Parlament, den König oder die Revolutionsarmee keine geringe Rolle. Die Sache der politischen Freiheit (oder Freiheiten) gegenüber dem König war mithin nicht immer identisch mit der Sache der religiösen Freiheit (oder Freiheiten), aber normalerweise waren sie ineinander verschränkt. Auch auf den britischen Inseln trat nur eine Minderheit für konfessionsübergreifende religiöse Toleranz ein.164

Das 16. und 17. Jahrhundert markierten einen Neubeginn. Die Ideologien, von denen die mittelalterlichen Kreuzzüge gegen Muslime und Heiden oder gegen schutzlose Ketzer wie die Albigenser inspiriert worden waren, gab es zwar noch, doch endeten, gesamteuropäisch gesehen, die Religionskriege im Patt zwischen den miteinander konkurrierenden christlichen Konfessionen, auch wenn auf eher lokaler Ebene Städte, Provinzen und Staaten gewonnen wurden oder verloren gingen. Wie in den Hussitenkriegen führten die frühmodernen protestantischen und katholischen Parteiungen, dogmatischer Differenzen ungeachtet, einen Krieg gegeneinander, bei dem jede Seite das Spiegelbild der anderen war.165 James Turner Johnson skizzierte zwei Konsequenzen, die sich aus dieser Situation einer ungefähren Symmetrie in Überzeugungen und Macht ergaben. Einerseits versuchte eine Reihe von Denkern, deren Theorien in den Ansätzen von Hugo Grotius (1583–1645) und John Locke (1632–1704) kulminierten, die religiösen Legitimationen für einen gerechten Krieg zu begrenzen oder gänzlich zu entkräften. Andererseits hielten militante Gläubige, Puritaner wie auch Katholiken, am gottgewollten Krieg fest und begriffen die Rechtfertigungen und Praktiken ihrer Gegner als dessen teuflisches Nachbild. Hierfür nur ein Beispiel: 1562 hatten Calvinisten angeblich den Plan gefasst, Toulouse einzunehmen, wo sie „niemanden am Leben lassen wollten, bis die Straßen in Ströme von Blut verwandelt wären, das bis zu den Zügeln ihrer Pferde reichte“. Dieser vorgebliche heilige Krieg beschwor das apokalyptische Vorbild – Offenbarung 14 – herauf; die Katholiken hielten mit einem echten makkabäischen Kreuzzug dagegen, der dieselbe Form einer radikalen Säuberung annahm.166

Wir werden Puritanern und anderen englischen Abweichlern, die der auf den britischen Inseln vorherrschenden anglikanischen Kirche ablehnend gegenüberstanden, im Zusammenhang mit dem englischen Bürgerkrieg von 1642 bis 1651 und in Amerika begegnen. Für Grotius und Locke erschienen die Ansprüche der einander bekriegenden christlichen Konfessionen auf göttlichen Beistand in ihrer Spiegelbildlichkeit gleichermaßen unwirksam. Verständlicherweise setzten ähnlich denkende Theoretiker und Diplomaten zunehmend auf naturrechtliche Rechtfertigungen für den Krieg und suchten diesen schließlich vertragstheoretisch oder durch reine Staatsräson zu begründen. Doch in der zweiten von Johnson skizzierten Alternative (die man insofern „neo-mittelalterlich“ nennen könnte, als sie die mittelalterliche Tradition des heiligen Kriegs in die Moderne überführte) verstärkte die Zwillingshaftigkeit das Gefühl, Satan, Gottes Affenbild, sei am Werk. Ketzerische Konfessionen ahmten die Märtyrer, Helden, Formen des gottgewollten Krieges und Argumente des wahren Glaubens nach.

Heiliger Krieg

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