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Den Teufel vergessen, noch einmal

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Die Härte, mit der kleine Gruppen von Auserwählten gegen den Staat kämpfen, von dem sie ihrerseits brutal unterdrückt werden, hat nicht einfach nur mit Überlebensfragen zu tun. Was ihnen – dem Staat wie den selbsternannten Auserwählten – gemeinsam ist und sie zugleich trennt, weckt in ihnen den Verdacht, es sei etwas Satanisches im Spiel.68 Tatsächlich ist der Teufel in struktureller Hinsicht das theologische Prinzip sowohl für Ähnlichkeit wie für Andersheit, für nahezu perfekte Nachahmung ebenso wie für wesentliche Unterschiedenheit. Wenn der moderne Forscher dies anerkennt, kann er zu verschiedenen (nicht immer miteinander vereinbaren) Hypothesen gelangen.69 Er oder sie kann etwa die Behauptung aufstellen, dass Gesellschaften als Systeme Unterschiede hervorbringen müssen, um Zweideutigkeiten aufzulösen, und dass diese notwendige Konstruktion von Unterschieden durch Gewaltanwendung bewirkt werden kann. Ebenso lässt sich die Ansicht vertreten, dass Nicht-Unterschiedenheit oder Zweideutigkeit mit systemischer Notwendigkeit gewaltsam-feindselige Reaktionen hervorruft. Wollen Forscher oder Forscherinnen die Theologie in ihre Überlegungen einbeziehen, können sie hervorheben, dass in der gesellschaftsinternen Interpretation dieser Dynamik der Teufel der Dreh- und Angelpunkt ist (sei es als Prinzip der Unterschiedenheit oder der verstörenden Zweideutigkeit). In dieser Hypothesenfamilie bringt das Christentum den Teufel aus zwei Gründen ins Spiel: entweder um ihn für Andersheit und Zweideutigkeit verantwortlich zu machen, oder um Andersheit zu erzeugen und Zweideutigkeit aufzulösen. Aber ein Forscher, der religiöse Ideen nicht auf soziale Prozesse reduziert, sollte das Umgekehrte gleichfalls in Betracht ziehen: Die theologische Behauptung der Existenz Satans – das Zerrbild und zugleich das völlige Gegenbild Gottes – nährt eine geschärfte Aufmerksamkeit für Andersheit und Zweideutigkeit und sorgt für äußerst gewalttätige Reaktionen darauf.70 Die Alternativen, in denen Religion jeweils eine sekundäre oder primäre Rolle spielt, lauten: Ist der Glaube an Satan (und die Dämonisierung von Menschen) eine Hypostase von Andersheit (oder von Mimesis)? Oder ist der Glaube an Satan die Ursache für die manisch-genaue Prüfung von Andersheit (oder von Mimesis)?

In christlichen und post-christlichen Kulturen (und in den monotheistischen Glaubensrichtungen, die sich von Abraham herleiten) können sowohl Unterschiedenheit (oder Abweichung) wie auch Ähnlichkeit zu Gewalt führen. Ersteres ist im eschatologischen Horizont des Universalismus inakzeptabel (alle Menschen sollten gleich sein), Letzteres erscheint, auf dem Weg zum Ende der Geschichte, als hinterhältiger Trick. Polytheistische Religionen reagieren weniger extrem; sie haben Integrationsmechanismen. Einer davon ist der Synkretismus, der Unterschiedenheit auflöst. Ein anderer besteht in der Angleichung von Entitäten mit augenscheinlich ähnlichen Funktionen oder Erscheinungsweisen. So ist Huitzilopochtli, der Schutzgott der Azteken, zugleich auch der Sonnengott Tonatiuh, wobei sich die Frage, ob der eine in negativer Hinsicht die Nachäffung des anderen sein könnte, gar nicht stellt.71

Für die monotheistischen Religionen ist Ähnlichkeit eine Gefahr.72 Thomas Sizgorich hat erläutert, wie die grenzerhaltenden Mechanismen in den christlichen Glaubensrichtungen der Spätantike und in den Ausprägungen des frühen Islam funktionierten. Sie wurden dringend benötigt – sehr viel dringender als in einer Welt voller unterschiedlicher Götter und ohne Satan.73 Als man in Rom noch zu den heidnischen Göttern betete, wies ein Bericht über das Märtyrertum warnend auf Wundertäter hin, die nicht zum wahren Christentum gehörten, sondern trügerische Ebenbilder des Guten seien:

„Wann immer jemand von Gott abfällt, wird er von rebellischen Engeln begleitet; und dämonische Diener helfen ihm mit allen möglichen Arzeneien, Magiern (magos), Priestern (goes) und Zauberern (mantis). Das erstaunt nicht, denn der Apostel sagt: Sogar Satan verstellt sich zum Engel des Lichtes. Es ist also nicht verwunderlich, wenn sich auch seine Diener verstellen als Diener der Gerechtigkeit [2 Kor 11, 14–15]. Tatsächlich wird sogar der Antichrist als Christus erscheinen.“74

Zudem ist der Teufel verantwortlich zu machen für die erstaunliche Gewandtheit, mit der historische Akteure sogar binnen einer Generation die Identifizierung des Feindes und seiner Haupteigenschaften von einem Objekt auf einen anderes zu übertragen in der Lage waren. Im kolonialen Amerika bestand der Gegner in den 50er und 60er Jahren des 18. Jahrhunderts im Despotismus des absolutistischen Frankreichs (das damals in Quebec regierte) in Verbindung mit katholischer Idolatrie und religiöser Tyrannei. Als die englische Krone die nordamerikanischen Kolonien besteuern wollte, wurde aus der französischen schnell die englische Tyrannei mitsamt dem anglikanischen Establishment (und dem Krypto-Katholizismus der anglikanischen Kirche). Das mag darauf hindeuten, dass Ideologie und Theologie so wachsweich sind, dass sie den politischen Feindseligkeiten je nach Lage der Dinge angepasst werden können. Die Religion scheint ein Kostüm zu sein, das man je nach Bedarf an- und ablegen kann. Aber dem ist nicht so. Diese Flexibilität verdankte sich von Grund auf Satans wandlungsfähigem, bisweilen proteusartigem Wesen, jedenfalls in den Augen der Zeitgenossen. Der Teufel wandte verschiedene Tricks an, änderte seine Strategien, setzte unterschiedliche „Glieder“ seines Körpers ein. Als es ihm um 1800 nicht gelungen war, die Auserwählten Nordamerikas durch eine betrügerische Religion zu verderben, nämlich durch die despotische römische Kirche und ihre Zeremonien (ihre zahllosen Sakramente und die schwelgerische Liturgie), setzte er eine politische Pest in die Welt: Napoleons tyrannische Macht. Die Heiligung des Krieges könnte sogar ebenfalls ein Trick des Teufels sein. Zuerst hatte Satan den von Kaiser Konstantin mitsamt Frieden garantierten Herrschaftsbereich missbraucht, dann die falsche Hoffnung auf göttliche Nachsicht verbreitet, mit der heuchlerische Mönche, die ein Leben in Armut zu führen vorgaben, hausieren gingen, und schließlich hatte er gar das trügerische Versprechen der Heiligung durch Vernichtungskriege im Namen Gottes gegeben – das war über ein Jahrtausend hinweg seine Strategie gewesen, wie sie der hussitische Pazifist Petr Chelčický zeichnete.75 Mithin war Satan wachsweich, nicht die Theologie. Indem die Christen dem Gegner den Wechsel der äußeren Identität zubilligten, waren sie ehrlicherweise im Einklang mit ihrer Einschätzung von diesem Wechselbalg par excellence.

Augustinus von Hippo war Zeuge der Vielzahl abweichender christlicher Glaubensformen, die nach der offiziellen Anerkennung des Christentums durch Rom in Umlauf gekommen waren, und er sprach mit Verachtung von „Häretikern, die durch den christlichen Namen gewissermaßen geweißt waren“.76 Aber das war beileibe keine bloße Kriegsbemalung, sondern die Farbe der Geschichte selbst. Augustinus dürfte aufrichtig geglaubt haben, dass Satan, nachdem er mit der heidnischen Götzenanbetung gescheitert war, nun die falschen Märtyrer einer häretischen Sekte dafür benutzte, die nämliche fehlgeleitete Verehrung ins Werk zu setzen:

„Dieser Drache sah es, diese uralte Schlange sah es: dass die Märtyrer verehrt und die Tempel verlassen wurden. Da er also für die Christen keine falschen Götter machen konnte, schuf seine listige und verderbliche Wachsamkeit falsche Märtyrer. … Er will den Unterschied zwischen wahren und falschen Märtyrern verwischen; er will das Auge des Herzens blind machen, damit wir den Unterschied nicht mehr erkennen, und dafür suchte er etwas, das den wahren Märtyrern täuschend ähnlich sah.“

Und trotzig ermahnte Augustinus seine Herde, mit Frömmigkeit und Glauben das zu trennen, was der Teufel miteinander zu vermengen suchte. Aber diese Aufgabe war nicht so einfach, denn der Erzfeind bediente sich des Phänomens der Verfolgung, um „falsche mit wahren Märtyrern zu vereinigen“.77 Ebendiese Logik und diese Tradition hatten ein Jahrhundert zuvor die Gegner von Augustinus’ Kirche, die sogenannten Donatisten, der höchsten Autorität Nordafrikas, dem Bischof und Märtyrer Cyprian von Karthago, entlehnt, um nahezu dasselbe zu verkünden wie später Augustinus. Bei Cyprian heißt es, dass nicht „die Kirche den Häretikern, das Licht der Finsternis, der Glaube dem Unglauben, die Hoffnung der Verzweiflung, die Vernunft dem Irrtum, die Unsterblichkeit dem Tod, die Liebe dem Hass, die Wahrheit der Lüge, Christus dem Antichrist“ anheimfallen dürfe.78 In Anlehnung an Cyprians Antithesen vertraten die Donatisten seit Beginn ihres Konflikts mit den von ihnen sogenannten Caecilianern die Auffassung, dass der Teufel mit List und Tücke zur Bildung einer falschen Kirche beigetragen habe. Diese sei als trojanisches Pferd bestens geeignet, um jene Christen zu überwältigen, die nicht Sklaven heidnischer Götzenanbetung geblieben waren und sich von heidnischer Verfolgung nicht in ihrem Glauben hatten wankend machen lassen. Die falsche Kirche würde diese wahren Christen vernichten, indem sie dafür sorgte, dass diese sich „verderbten Verrätern anschließen“ – jenen also, die während der großen Verfolgung von 303 bis 306 nach- und aufgegeben oder die Heiligen Schriften den heidnischen Verfolgern übergeben hatten. Wie ihr Gegner Augustinus vertrauten auch die Donatisten darauf, dass der Unterschied deutlich sei. Sie fragten: Wer kann „annehmen, dass die Kirche der Märtyrer und die Konventikel der Verräter ein und dasselbe sind? Niemand, denn sie sind einander so entgegengesetzt wie Licht und Finsternis, Leben und Tod, ein heiliger Engel und der Teufel, Christus und der Antichrist.“79 Aber wie bei Augustinus war das Vertrauen auf fromme, geoffenbarte Klarheit von grundsätzlichen tiefgreifenden Ängsten vor Satans strategischen Künsten nicht zu trennen.

Diese Ängste lebten nach den Donatisten fort. Die Mailänder Verbündeten von Gregor VII., die Patarener, hielten die etablierte Kirche von Mailand ebenfalls für ein satanisches Trugbild. „Ich ermahne euch“, sagte der zukünftige Märtyrer Ariald, „euch jeglicher Verbindung mit falschen Priestern zu enthalten, denn zwischen Licht und Finsternis, zwischen Gläubigen und Ungläubigen, zwischen Christus und Belial sollte es kein Abkommen (conventio), keine Teilhabe, keine Gemeinschaft geben.“80 Und vor dem Hintergrund des Hundertjährigen Krieges, der Kirchenspaltung und der bevorstehenden hussitischen Revolution unterschied Jean Gerson (1363–1429), Kanzler der Sorbonne zu Paris, bei den gefallenen Rittern zwischen „Märtyrern Gottes“ und „Märtyrern der Hölle“ (martyrs d’enfer). Erstere waren jene Bewaffneten, „die ihr Leben für eine gerechte Sache und für die Verteidigung von Gerechtigkeit und Wahrheit, mit aufrichtiger Absicht hingaben“, während die anderen „für einen ungerechten Streit oder mit schlechter Absicht und verderbtem Tun“ kämpften.81 Einige sahen eine Funktion des heiligen Kriegs gerade darin, die Unterscheidung zwischen den wahren Gläubigen und den Heuchlern im eigenen Lager treffen zu können. Es war eine echte Feuerprobe, in der zutage treten sollte, was die Menschen wirklich fühlten und dachten.82 Die revolutionären Avantgarden, so wusste auch die Rote Armee Fraktion, hatten den Durchblick; sie würden nicht „auf die von den Ausbeutern getragenen Masken“ hereinfallen, vielmehr würde ihr gewaltsames Handeln dazu beitragen, dass diese Masken fielen. Ganz besonders war es der RAF um die Entlarvung des westdeutschen Rechtsstaats zu tun: Der Anschlag der palästinensischen Organisation „Schwarzer September“ während der Olympischen Spiele in München hatte den Rechtsstaat gezwungen, sich abzuschminken und auf der Bühne der Geschichte als das aufzutreten, was er war: Parteigänger im Kampf gegen die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt.83

Heiliger Krieg

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