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I. DER AMERIKANISCHE WAY OF WAR IM SPIEGEL DER VORMODERNE
ОглавлениеSchon hören wir den Trommelwirbel, das Trompetengeschmetter, und die Rufe der Hauptleute, die ihre Heerscharen aufstellen und ordnen.
(American Theological Review, 1859)
Endlich liegt sie vor uns. Die große Schlacht unserer Zeit. (Gandalf, der ostwärts in Richtung Mordor blickt)
(Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs)
Denn wir befinden uns in einem „Desert Storm“ und kämpfen gegen den Feind.
(Liedbeitrag im evangelikalen Radiosender WIHS, Middletown, Connecticut, 2005)
Eine bestimmte Art, Krieg zu führen, ist für den Westen typisch. „Westen“ bezeichnet hier jene kulturellen Regionen, die vor der Reformation die religiöse Vorherrschaft des päpstlichen Rom anerkannten und nach den Religionskriegen der Frühneuzeit entweder protestantisch wurden oder katholisch blieben. Ebenso gehören ihre Ableger in den Vereinigten Staaten und anderswo zum „Westen“. Mit Way of War sind nicht Methoden der Kriegführung gemeint, sondern die damit verbundenen Ideale, Ideologien und Konzeptionen.1 Der Schwerpunkt liegt also auf kulturellen Kräften, insofern sie den historischen Akteuren und ihren Zeitgenossen die Kriegführung als sinnhaft vermitteln und insofern sie handlungsleitend wirken.
Dieses Kapitel verfolgt zwei Ziele. Zunächst stellt es dar, inwiefern die Kriege Amerikas, die scheinbar von einer idiosynkratischen Ideologie beseelt waren und offenkundig auf einem besonderen Terrain geführt wurden,2 tatsächlich typisch westlicher Provenienz sind. Genauer gesagt soll gezeigt werden, wie viel sie dem Einfluss tiefsitzender christlicher Ideen von Freiheit, Reinheit, Universalismus, Märtyrertum und Geschichte verdanken, die noch bis vor kurzem in Westeuropa vorherrschend waren. Insbesondere Lesern, die sich mit der protestantischen Vielfalt in der Neuen Welt auskennen und von daher eher zur gesonderten Betrachtung ihrer Spielarten neigen, mag es ungerechtfertigt erscheinen, die vielen Konfessionen und Denominationen, die sich seit der Reformation vervielfältigt haben, unter dem Etikett „westliches Christentum“ zusammenzufassen.3 Dennoch: Sind die Unterschiede zwischen ihnen analytisch so bedeutsam wie das Trennende zwischen all diesen religiösen Glaubensrichtungen auf der einen und dem Hinduismus, Buddhismus oder der Religion der Azteken auf der anderen Seite?
Außerdem will dieses Kapitel in die erwähnten typisch westlichen Ideen einführen. Spätere Kapitel gehen stärker in die Tiefe, was die Querverbindungen zwischen ihnen angeht, und beziehen weitere Konzeptionen wie zum Beispiel die Rache mit ein. Aber die Leser haben dann bereits gesehen, wie diese Ideen zusammenwirken und so ihren spezifischen Ausdruck finden. Die Kombinationen können variieren, aber die Variationen bleiben innerhalb eines begrenzten Themenspektrums.
Was also könnte einem unvoreingenommenen Beobachter, der von außen auf die amerikanische Kriegführung blickt, als idealtypisch erscheinen?
Erstens dies: Amerikanische Kriege haben mit der moralischen Identität Amerikas zu tun. Um nur ein Beispiel zu nennen: Für Theodore Roosevelt (1858–1919) war die Eroberung Kubas und der Philippinen 1898 eine Expansion, welche die Länder und ihre Bevölkerung reinigen, das heißt auf eine höhere Entwicklungsstufe heben würde, zugleich aber auch für die Amerikaner eine Selbstreinigung und –überwindung bedeutete. Diese Vorstellung war nicht die Obsession eines Einzelnen, sondern charakteristisch für die amerikanische politische Kultur nach dem Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 bis hin zum Ersten Weltkrieg.4 Der Konflikt zwischen dem Norden und dem Süden war selbst als reinigend begriffen worden. Horace Bushnell (1802–1876) und der aus der Schweiz stammende Philipp Schaff (1819–1893), ein Theologe und Kirchenhistoriker, stimmten darin überein, im Bürgerkrieg eine (wie Schaff formulierte) „Bluttaufe“ zu sehen, die „auch zu der Hoffnung einer herrlichen Regeneration“ berechtige.5 Diese Vorstellung von einer Regeneration war im Norden so verbreitet wie im Süden. In einem dicht mit Quellen belegten Buch hat Harry Stout gezeigt, wie die Konföderierten selbst in der Niederlage noch den Krieg als Möglichkeit der Reinigung sahen.6 Natürlich war die spirituelle Kriegführung der materiellen klar überlegen. Wie eine Zeitung 1863 erklärte, rangierte letztere für Gott „weit unterhalb der stillen Siege, die der Christ über seine inneren Feinde erringt“.7 Aber es herrschte auch breite Übereinstimmung darin, dass der materielle Krieg für eine gerechte Sache den inneren Kampf gegen die Laster zu stärken vermöge. Das Thema der Regeneration kann bis in die Kolonialzeit mit ihrer eingefleischten protestantischen Tradition zurückverfolgt werden. Der missionarische Geist der Christenheit besagte, dass die versprochene Regeneration mehr Länder umfassen könne als nur Amerika. Senator Albert Beveridge, der mit Nachdruck für die Annektierung der Philippinen eintrat, verkündete, seine Nation sei Gottes „auserwähltes Volk, weshalb ihm bei der Regeneration der Welt die Führungsrolle zufällt“.8
Zweitens sind die Kriege Amerikas tatsächlich „Weltkriege“.9 Schon über ein halbes Jahrhundert vor dem älteren Roosevelt hatte Kriegsmarineminister George Bancroft (1800–1891) konstatiert, die amerikanische Revolution habe „die Regeneration der Welt versprochen“.10 Und in der Jahrhundertmitte predigte in New York Henry Ward Beecher (1813–1887) für die nördliche Seite des Bürgerkriegs, dass „eine Schlacht am Potomac für unsere Verfassung als Dokument der Freiheit die Schlacht der gesamten Welt ist. Wir kämpfen nicht nur für unsere Freiheit, sondern für jene Ideale, die überall auf der Erde das Samenkorn und die Stärke der Freiheit bilden.“11 Das war auch zu Beginn des Bürgerkriegs ein verbreitetes Thema. Eine im Norden erscheinende Zeitschrift, das presbyterianische Banner of the Covenant, schlug für einen nationalen Fastentag (den Abraham Lincoln im August 1861 auf den letzten Donnerstag im September legte) eine Hymne vor. Harry Stout weist darauf hin, dass diese Hymne „mit einer Andeutung von globalem Imperialismus endet“: „Entblöße das gleißende Schwert und führe/unsere treuen Heere voran,/Und schlage die Rebellenbanden, bis/es keinen Verräter mehr gibt./Und dann voran zu größeren Eroberungen, geführt/durch deinen Himmelssohn./Marschieren wir über die unblutigen Felder der Erde,/bis die ganze Welt für uns gewonnen ist.“12
Schon die Generation der Gründungsväter vertraute darauf, dass die neuen Staaten von der Vorsehung eingerichtet worden waren und von ihr die Möglichkeit erhalten hatten, als erste Nation überhaupt den im Naturrecht kodifizierten Freiheiten Ausdruck zu verleihen. So wurde Amerika zu einem Vorkämpfer für Menschenwürde, der implizit, bisweilen auch explizit, mit einer weltumspannenden Mission betraut war.13 Das fromme Amerika verschränkte das Nationale ebenfalls mit dem Universellen in der Vorstellung, dass gerechtfertigtes Blutvergießen daheim zu globalem Einfluss ermächtigen werde. Von einigen Geistlichen wurde prophezeit, dass eine wiedergeborene Union den Erdball missionierend umspannen und die Nationen in des Vaters Haus führen werde. Diese Reaktion kehrte auch später wieder, nach 1898 und 1918.14 Solange der Kampf für die Befreiung der schwarzen Sklaven zum Beispiel mit dem nationalen Freiheitskampf der Italiener gegen die Vorherrschaft des katholischen Österreich und den Kirchenstaat gleichgesetzt werden konnte, war es durchaus sinnvoll, vom zukünftigen globalen Einfluss einer abstrakten Freiheit zu träumen.15 Eine aus dem Jahr 1953 datierende moderne Legende schreibt dem Konzernchef Charles Wilson die Äußerung zu: „Was gut für das Land [Amerika] ist, ist auch gut für General Motors, und umgekehrt.“ Noch gewisser ist, dass seit dem Bürgerkrieg, vielleicht schon seit der Revolution galt: Was gut ist für Amerika, ist gut für die Menschheit überhaupt.
Die Äußerungen George W. Bushs zu den amerikanischen Kriegen im Nahen Osten liegen auf einer Linie mit diesen Konzeptionen. Im für das amerikanische Präsidentenamt typischen Predigerton ließ Bush jr. (2001–2008) in seiner Rede zur Lage der Nation von 2004 verlauten, dass „die Sache, der wir dienen, gerecht ist, weil sie die Sache der ganzen Menschheit ist“. (Die kausale Konjunktion „weil“ ist bemerkenswert, sie besagt, dass Universalismus Rechtmäßigkeit impliziert.) Zwei Jahre zuvor hatte der Präsident anlässlich der gleichen Gelegenheit verkündet, dass „wir in dieser Kriegszeit die große Möglichkeit haben, die Welt jenen Werten näherzubringen, die dauerhaften Frieden bringen werden“.
Drittens sind, wie Fred Anderson und Andrew Cayton zeigen konnten, die Kriege Amerikas eo ipso Kriege für die „Freiheit“.16 In seiner Rede zur Lage der Nation von 2002 schwärmte Präsident Bush: „Der Preis der Freiheit war uns bewusst. Die Macht der Freiheit haben wir demonstriert. Und in diesem großen Konflikt [mit dem Terrorismus] werden wir, meine amerikanischen Landsleute, den Sieg der Freiheit erleben.“17 Auch hier ist Bushs Ausdrucksweise alles andere als ungewöhnlich; das Freiheitsthema wird immer wieder angeschlagen, vom Unabhängigkeitskrieg (und noch früher) über den Spanischen Krieg von 1898 und weiter bis zum Kalten Krieg mit der Sowjetunion.18 1941, am Vorabend des geplanten Kriegseintritts, hielt ein ferner Vorläufer von Bush, Franklin D. Roosevelt, ebenfalls eine Rede zur Lage der Nation, in der er den Amerikanern vier Freiheiten versprach: Meinungs- und Redefreiheit, Religionsfreiheit, Freiheit von Not, Freiheit von Furcht. Einige Jahre später, als das Bündnis zwischen den USA, Großbritannien und der Sowjetunion sich aufgelöst hatte, stand im beginnenden Kalten Krieg – so ein Dokument des Nationalen Sicherheitsrats (NSC), das für die militärische Aufrüstung plädierte – die „Idee der Freiheit“ gegen die „Idee der Sklaverei unter der grausamen Oligarchie des Kremls“.19 Während dreier Jahrhunderte hat sich der Inhalt des Begriffs „Freiheit“ verändert, doch die Berufung darauf blieb eine Konstante.20
Zu diesem dritten Charakterzug gehört auch die Vorstellung, dass die Kriege Amerikas der Freiheit dienen, nicht einem als gegensätzlich dazu begriffenen „Imperium“ – ein Begriff, der oft neu bestimmt oder gänzlich verneint wurde.21 Als Beispiel sei ein Gedicht aus der Bürgerkriegszeit zitiert:22
„Andere Fahnen stehen für ein Imperium;
Manche für den Hochmut hohen Ranges;
Diese allein ist das Emblem der Freiheit,
Die Charta, die des Menschen göttliches Recht enthält.
…
Fahne der Freiheit! Fahne des Ruhms!
Fahne der ganzen Menschheit!
Führe die Vorhut der marschierenden Nationen;
Flattre! Das Banner der Freien.“
Auf ähnliche Weise interpretierte das Methodistenblatt Northern Christian Advocate die Intervention auf Kuba und den Philippinen: „Wenn wir gegen Spanien in den Krieg ziehen, dann nicht aus Rache oder aus Stolz auf militärische Macht oder zur Ausweitung unseres nationalen Territoriums; vielmehr greifen wir um der Freiheit der Unterdrückten und der Befreiung der Leidenden willen und in Anerkenntnis der Forderungen der Menschheit an eine starke und florierende Nation zu den Waffen.“23 Nichts anderes sagte Präsident Bush in seiner Rede zur Lage der Nation von 2004: „Wir haben kein Bedürfnis nach Vorherrschaft, keinen imperialen Ehrgeiz. … [W]ir verstehen unsere besondere Berufung: Diese große Republik wird der Sache der Freiheit als Vorkämpferin dienen.“24
Viertens empfängt die Sache Amerikas durch das Blut von „Märtyrern“ und „Helden“ schnell die höheren Weihen. Für dieses kulturelle Bedürfnis nach beispielhaften Personen steht zum Beispiel die fast augenblickliche Erhöhung der Gefreiten Jessica Lynch, die in den ersten Wochen des zweiten Irakkriegs (2003) gefangen genommen und befreit wurde (und von der man anfänglich behauptete, sie habe heftig gekämpft, um der Gefangennahme zu entgehen), oder die des Footballstars Pat Tillman, der sich aus echtem Patriotismus den Rangers anschloss und im April 2004 in Afghanistan getötet wurde (allerdings, wie man später herausfand, durch Beschuss eigener Truppen, nicht der Mudschahedin).25 Als Horace Bushnell (1802–1876) unmittelbar nach dem Sieg des Nordens über den Süden die Ereignisse reflektierte, rief er aus, nun sei das „Regieren von der Vorsehung bestimmt“. Ebendieser Bushnell hielt den Krieg mit all seinen Verlusten (und der Bürgerkrieg hatte massive Verluste gebracht) für notwendig: „Gefühle müssen geboren werden, die Kinder des Donners sind; es muss Helden und heroische Nationalitäten geben, und Zeugnisse von Märtyrern.“26 Helmers Gedicht von 1862 pries die Fahne nicht nur als „Emblem der Freiheit“, sondern auch als „Banner der gemordeten Märtyrer“; es schrie nach Rache und beschrieb den toten Soldaten, der „geheiligte Wunden in der Brust“ nun „in Frieden zu Gottes Füßen ruht“.27 Beider Zeitgenosse, Oliver Wendell Holmes (1809–1894), rief in seiner Army Hymn den „Herrn der himmlischen Heerscharen“ an: „Deine Hand hat unsere Nation befreit; Für sie zu sterben heißt Dir dienen.“28
Fünftens werden Amerikas Kriege im Rahmen einer speziellen Geografie ausgetragen, der eine Vorstellung von ständig und unumkehrbar vorwärtsfließender Zeit innewohnt. In der Revolutionsepoche setzten die abtrünnigen Kolonisten einer Alten Welt des Despotismus und der Ausschweifung eine Neue Welt entgegen, die, so Eric Foner, für sie „der zukünftige Sitz ‚vollkommener Freiheit‘“ war.29 Ein Jahrhundert später schätzte der Northern Christian Advocate den Konflikt mit Spanien so ein, dass der Krieg nicht nur „für Menschlichkeit und Freiheit“ geführt werde, sondern auch gegen eine Alte Welt lateinamerikanischer Tyrannei und Katholizität.30 Und vor nicht allzu langer Zeit rügte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die politischen Eliten Frankreichs und Deutschlands, welche beiden Nationen er dem „alten Europa“ zuschlug, weil sie im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern nicht bereit waren, an der Seite der USA in den Krieg gegen Saddam Hussein zu ziehen. Rumsfeld stellte später klar, dass die Unterscheidung „keine Frage von Alter, Größe oder geographischer Lage“ sei, sondern eine der „Haltung“ und „Vision“, die diese Länder „in die transatlantischen Beziehungen“ einbrächten.31 1898 erflehte der Western Christian Advocate, die führende Zeitung der Methodisten in Ohio, den Beistand Gottes zur Befreiung „des unglücklichen Kuba … Spaniens hilflosem Opfer“. Das Blut von Kubas Märtyrern, so erklärte der Leitartikler in deutlicher Anspielung auf die Offenbarung des Johannes (Kapitel VI), schreie zum Himmel: „Vertreibe von den Küsten dieser Deiner Neuen Welt/den Nacht-Vogel der Alten Welt.“32 Das Licht gehörte zum Neuen, Blindheit und Dunkelheit zum Alten. Verbunden mit dieser Zeitstruktur ist die intensive Hoffnung, oft auch Überzeugung, dass der bevorstehende Krieg der geschichtlich letzte sein oder zumindest eine langwährende Friedensära eröffnen werde.
Sechstens sind, zumindest idealerweise, die Kriege der Alten Welt grausam, diejenigen Amerikas gnadenreich. Die generelle Überlegenheit des Neuen gegenüber dem Alten findet hier, in der spezifischen Dimension von Krieg und Frieden, ein Pendant. 1793 hatte ein anonymer „Bürger“ mit Blick auf die noch jungen Kriege in Europa, in denen das revolutionäre Frankreich gegen die benachbarten Monarchien im Felde stand, seine amerikanischen Landsleute aufgerufen, Gott dafür zu danken, dass er dem Land solches erspare, „während die Nationen der alten Welt gemäß dem Willen oder der Laune despotischer oder ehrgeiziger Herrscher in Blut getaucht sind“.33 Ein Zeitgenosse Thomas Jeffersons brachte bombastische Verse zu Papier:
„Alle früheren Reiche wurden durch Schuld,/Eroberung, Blut oder Usurpation erbaut:/Doch wir, belehrt durch ihr Leid und ihre Verbrechen,/Beladen mit ihren Geschichten und für bessere Zeiten bestimmt;/Unsere Verfassungen auf Freiheit gegründet,/die sich alle Segnungen aller Länder zu eigen machen;/wir machen uns die große Sache der Menschheit zu eigen,/Eine Welt gleich unserem Imperium, eine Welt, wo unsere Gesetze herrschen.“34
In seinem berühmten Gedicht Columbia schlug Timothy Dwight ganz ähnliche Töne an: „Eroberung und Massaker überlassen wir Europa,/Wo Nationen in Blut gebadet werden und Städte im Feuer versinken;/Deine Helden aber sollen die Rechte der Menschheit verteidigen.“35
Weniger poetisch gab sich John O’Sullivan, als er 1839 in einem Artikel mit dem Titel The Great Nation of Futurity (Die große Nation der Zukunft) den Ausdruck manifest destiny (offenkundige Bestimmung) prägte. Mit inbrünstiger Gewissheit verkündete er, dass, anders als in der Alten Welt, „unsere Annalen keine schreckenerregenden Blutbäder verzeichnen“. Wie Jon Pahl kürzlich erklärte, gehörte gerade dieser Glaube an die eigene Unschuld zu den Gründen, die nach 2001 in Afghanistan und im Irak massive Gewalttaten ermöglichten.36
Der heutige Normalbürger der Europäischen Union, einer Region ohne große Sympathie für Kriege und ihre Kosten,37 dürfte das alles recht seltsam finden. Anderson und Clayton haben die Auffassung vertreten, dass die Verbindung von Krieg, Imperium und Freiheit – für die Nation und die Welt – ein tiefsitzendes Charakteristikum der US-amerikanischen politischen Kultur ist. Jedoch stehen die USA damit keineswegs einzig da. Die eben skizzierten politischen Eigenschaften lassen sich, in unterschiedlichen Kombinationen und mit unterschiedlichen Schwerpunkten, in der Vergangenheit bei vielen westeuropäischen Subkulturen und Nationen finden. Beispiele dafür können bis zur Ära der Kreuzzüge zurück aufgezeigt werden. Da diese Ära aber nur eine Gelegenheit in der Geschichte des Westens ausmacht, bei der solche Vorstellungen zutage traten, werde ich mich ebenso auf andere Epochen beziehen.
Erstens also: Amerikanische Kriege haben mit der moralischen Identität Amerikas zu tun. Das zeigt der Bürgerkrieg mit großer Deutlichkeit. Die Gegenseite lag nicht nur politisch, sondern auch moralisch falsch. Wir haben bereits in der Einleitung die abfälligen Bemerkungen des Südstaatlers FitzHugh über die laxe Sexualmoral des Nordens zitiert. Und FitzHugh und andere betrachteten diese Mängel nicht aus der Warte einer säkularen Ethik.38 Oft genug ging es um Ketzerei (FitzHugh benutzte den Ausdruck „Ungläubige“). Die Konföderation konnte als gottgewollte Abspaltung von der „Verunreinigung“ eines religiös abtrünnigen Nordens dargestellt werden. Vor diesem Hintergrund wurde der Krieg ein Kampf für die Reinheit.39 Jefferson Davis beschwor wie ein frühmittelalterlicher Prälat Gott, seiner Seite Sieg, Frieden und Freiheit zu gewähren und „unsere Heime und Altäre vor Besudelung zu bewahren“.40 Gegen Ende des Kriegs donnerte die Richmond Daily Dispatch: „All jene, die den Herrn Jesus Christus lieben, müssen und werden diesem Ungeheuer Ketzerei [gemeint ist der Abolitionismus] selbst bis zum Tod Widerstand leisten.“41 Die Gegner der Sklaverei unter den Nordstaatlern wiederum konnten von den gefallenen Soldaten als Sühneopfern zur Reinigung der Nation sprechen. In den Memoiren eines von ihnen heißt es: „Jede Spur der großen nationalen Sünde, der Sklaverei, soll mit ihrem Blut abgewaschen werden.“42 Die Rhetorik von Besudelung und Reinigung war so alt wie das spätantike Christentum; aber es war keine Rhetorik, es war Gläubigkeit.
Amerikanische Kriege haben mit der moralischen Identität Amerikas zu tun? Das gilt auch für viele Kriege des Westens. Der erste Kreuzzug von 1096 bis 1100 war, wie seine Nachfolger, eine Bußexpedition.43 Der erste Kreuzzug sollte nicht nur Jerusalem von der Anwesenheit der Muslime reinigen, sondern auch das „Heer Christi“ (siehe dazu Kapitel IV). Darin glich er der zweiten oder „roten“ Taufe durch das beim Martyrium fließende Blut. Im amerikanischen Bürgerkrieg war es „das scharlachrote Taufbecken der Schlacht“.44 In ebendiesem Sinne dankte der südfranzösische Troubadour Marcabru im 12. Jahrhundert dem „himmlischen Herrn“, der in seiner Freundlichkeit für einen zweiten „Waschplatz ganz in der Nähe“ gesorgt habe – jenseits der Pyrenäen, im muslimischen Spanien, das näher liege als das Heilige Land.45 Da nun die spirituelle Kriegführung noch dem gerechtesten physischen Kampf überlegen war, waren die Teilnehmer an letzterem gehalten, ihre Reinheit zu bewahren. Wer das nicht tat und sich stattdessen auf dem Weg nach Jerusalem mit Frauen von loser Moral am Straßenrand einließ, rief Gottes Zorn herab und riskierte so die Niederlage gegen die Türken.46 Während des amerikanischen Bürgerkriegs gab es Leserbriefe und Leitartikel im Presbyterian – einer protestantischen Kirchenzeitschrift, die die Sache des Nordens verfocht –, in denen die Besorgnis zum Ausdruck gebracht wurde, dass in der Armee der Sonntag nicht geheiligt oder zu viel geflucht werde oder dass, da die Zivilbevölkerung in dieser Kriegszeit nicht moralisch lebe, Gott den Krieg durch Züchtigungen verlängern könnte.47 Auch als um 1200 die Kreuzzugsideologie zu voller Blüte gelangt war, herrschte allgemeine Übereinstimmung darüber, dass nur ein von allen Lastern gereinigtes Christentum über die Muslime siegen könne. Mithin gab es gewissermaßen eine Heimatfront. Dort kämpften all diejenigen, die nicht am Kreuzzug teilnahmen, gegen die Versuchungen des Teufels, während die Kreuzfahrer gegen seine fleischlichen Vertreter fochten. Gesellschaftsreform und heiliger Krieg waren zwei Seiten einer Medaille.
Es kann also nicht überraschen, dass der Northern Christian Advocate einen kurzen Artikel über den Krieg mit Spanien markig betiteln konnte: „Erst rein, dann friedlich“.48 Und während des Unabhängigkeitskriegs schrieb ein Gelehrter: „Reformation [gegen Sündhaftigkeit] ging Hand in Hand mit Selbstverteidigung.“49 Der dunkle Zwilling der Amerikanischen Revolution, die Französische Revolution von 1789, stellte ebenfalls Reform und Gewalt einträchtig nebeneinander. Die Revolution sollte die „Regeneration“ Frankreichs bewirken. „Regeneration“ (ein Begriff, den man auch im protestantischen Amerika benutzte), war dem christlichen Wörterbuch entlehnt. Christlicherseits verstand man darunter die Neugeburt eines Menschen, der, vom Sündentod erlöst, jene Gottesebenbildlichkeit wiedererlangt, in der die Menschen ursprünglich erschaffen wurden.50 Die Generalstände verfolgten das Ziel einer „Regeneration“ der Nation.51 Als 1794 Jean-Jacques Rousseaus sterbliche Überreste ins Pantheon überführt wurden, schrieb Jean-Jacques Cambacérès dem Genfer Philosophen die „heilsame Regeneration“ Frankreichs zu.52 Der Abbé Grégoire verfasste einen Traktat mit dem Titel Essay über die physische, moralische und politische Regeneration der Juden, der die christlichen eschatologischen Hoffnungen auf die religiöse Erlösung des „alten Israel“ noch (wie im Titel skizziert) auf andere Dimensionen des Lebens ausweitete.53 Die Reinheit des Revolutionärs war moralischer Provenienz. Kritiker haben über die verschrobene Rigidität eines großen Teils der revolutionären Führerschaft, darunter viele Jakobiner um Robespierre, gespottet. Aber das war für gewöhnlich keine Heuchelei. Die Aspekte der methodischen Gewaltsamkeit – die Politik der Terreur und die Verteidigung des Vaterlands auf dem Schlachtfeld, die sich in einen weite Teile Westeuropas umfassenden Expansionskrieg verwandelte (um nur zwei Beispiele zu nennen) – waren ebenso ohne Tugend undenkbar, wie sie wiederum der Tugend dienten. In der Epoche zwischen den Kreuzzügen und der Französischen Revolution vereinten die Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts ebenfalls regelmäßig sozialpolitische Reform mit reinigender Kriegführung. Nach der Revolution fanden im Preußen der Befreiungskriege gegen Napoleon und in den am Ersten Weltkrieg beteiligten europäischen Staaten Erinnerungsfeiern für das Martyrium auf den Schlachtfeldern statt, was zum Teil auch dazu diente, die Nation zu erlösen – als ob diese wie ein Individuum sterben und wiederauferstehen könnte.54 Alle diese Momente verkörpern eine westliche kulturelle Konfiguration, die aufgrund ihrer longue durée Spezialisten der neuesten Geschichte oft verborgen bleibt. Sie wiederholen unermüdlich, dass religiöse Akteure in der Vormoderne Gewalt nur einsetzten, um die Gesellschaft auf religiöse Weise zu verändern. Wie wir in den Kapiteln V und VII sehen werden, stimmt das nicht so ganz, und es lässt die Frage offen, was als religiös bezeichnet werden kann und von wem.
Dennoch waren im Zeitalter der Kreuzzüge wie in der amerikanischen Geschichte Stimmen – und keineswegs unbedeutende Stimmen – vernehmbar, die darauf drangen, dass „Regeneration“ sehr viel wichtiger sei als Krieg, und zwar so wichtig, dass Letzterer geringzuschätzen sei und die religiösen Energien lieber gegen Mitchristen – tatsächlich falschgläubige Christen – eingesetzt werden sollten. Alan Heimert hat dies für das Amerika des 18. Jahrhunderts gezeigt, wo viele evangelikale Calvinisten den Kampfeseifer lieber gegen ketzerische „Arminianer“ als (während des Siebenjährigen Kriegs) gegen die katholischen Franzosen oder gegen die religiös-politische Tyrannei des Mutterlands richten wollten. Nation und religiöse Denomination mussten einander nicht immer verstärken.55 Im Extremfall konnten Kritiker ihr eigenes Land als vom wahren Glauben abgefallene Nation bezeichnen – das biblische Modell dafür war ein Israel, das schließlich den Status der Auserwähltheit verloren hatte.
Zweitens: Amerikas Kriege sind „Weltkriege“. Sie sind von universeller Bedeutung, selbst wenn sie so lokale Konflikte wie der Bürgerkrieg oder der Unabhängigkeitskrieg gegen Großbritannien sind. In der Tat ist es eigenartig, wenn die von Stout so gründlich erforschten abolitionistischen Geistlichen des Nordens behaupten: „Das jetzige Land hat noch nie eine solche Gelegenheit gehabt, die Welt zu segnen“, oder: „Die Welt kann nicht auf uns verzichten. Für die Welt lebt oder stirbt die Freiheit hier und jetzt.“56 Die Vorstellung, dass ein Land die Welt segnen und die Welt auf ein Land nicht verzichten könne, ist ziemlich seltsam und liegt dem Alltagsverstand sehr fern. (Und wie konnte die Welt zu einer Person und einem Subjekt werden?57) Allerdings ist der „Universalismus“, die Vorstellung einer an die Welt insgesamt und damit potentiell an alle Menschen gerichteten normativen Botschaft, seinem Wesen nach christlicher Provenienz. Er wurde geboren aus einer schicksalhaften Legierung von Roms Idee einer gottgewollten imperialen Bestimmung – in den Worten des augusteischen Dichters Vergil: die römischen Waffen und die römischen Gesetze bis in die fernsten Gebiete der Erde zu tragen – mit Christi Aufforderung an die Apostel, hinauszugehen und allen Völkern zu predigen („aller Kreatur“, Mk 16, 15).58 Dieser Universalismus ermöglicht eine weltweite religiöse Mission, aber eben dadurch auch einen weltumspannenden Konflikt im Dienst geheiligter Ideale. (Ob er tatsächlich oder nur in der Vorstellung weltumspannend ist, ist eine andere Frage.) Der erste Kreuzzug und weitere nach ihm sollten, so war es gedacht, Auswirkung auf die gesamte Welt haben. Viele Kreuzfahrer wurden durch ein ganzes Gefüge von apokalyptischen Szenarien motiviert, in denen sich Spekulationen über die Offenbarung des Johannes mit späteren Prophezeiungen vermischten, insbesondere jenen des Pseudo-Methodius und der Tiburtinischen Sibylle (zwei äußerst populären Mythen um einen „letzten Kaiser“) samt ihren Bearbeitungen aus dem frühen Mittelalter.59 Eine verbreitete inhaltliche Schnittmenge dieser Szenarien besagt, dass, sobald Jerusalem zurückerobert sei, Christus, der allerhöchste König, zurückkommen werde. Die beiden Schlachten, mit denen die Offenbarung des Johannes endet, betreffen demgemäß die „Könige der Erde“ und „die Völker an den vier Enden der Erde, … Gog und Magog“. (General Edmund Allenbys erfolgreicher Feldzug von 1918, der das Heilige Land von den Ottomanen zurückeroberte, rief im zeitgenössischen Amerika ähnliche Visionen hervor.)60 Aber bevor die letzten Schlachten stattfinden könnten, müssten zuerst die Engel (verstanden als Prediger) das Evangelium in der ganzen Welt verkünden (Offb 14, 6). Der Krieg werde total sein, denn am Zeitenende – und viele Kreuzfahrer glaubten es herangekommen – werde der Antichrist alle geschichtlichen Feinde der Christenheit in einer einzigen, gigantischen Verschwörung vereinigen: Juden, götzenanbetende Heiden, Tyrannen, Häretiker und falsche Glaubensbrüder.61 Diese Helfershelfer würden von den Engeln niedergemäht, denen sich, so eine Variante des Szenarios, die Heiligen und christlichen Auserwählten anschließen würden.
Würgeengel – Missionsengel: Der Wechsel zwischen Interventionismus und friedlicher Beeinflussung (oftmals verbunden mit politischem Isolationismus) in der amerikanischen Ideologie hat vermutlich hier seine tiefen Wurzeln.62 Mediävisten haben gezeigt, auf welche Weise Kreuzzug und Missionswesen keine Gegensätze waren, sondern ein gemeinsames ideologisches System bildeten. Mitte des 13. Jahrhunderts gestattete Papst Innozenz IV. (reg. 1243–1254) Kreuzzüge unter der Bedingung, dass Gewalt notwendig sei, um christlichem Predigen den Weg zu bahnen,63 eine normative katholische Auffassung, die modernen protestantischen Erweckungspredigern nicht unbekannt ist. Die Frömmigkeit der amerikanischen Soldaten im ersten Golfkrieg lobpreisend äußerte ein Pastor: „Das Evangelium wurde durch unsere Reservisten in den Armeen der beteiligten Nationen verbreitet, und durch diese Truppen den Völkern ihrer Heimatländer nahegebracht. Dies war auch die Tür, durch welche das Evangelium zu den muslimischen Völkern der Welt gelangte. Gott nutzte den Konflikt, um mit der Befreiung dieser Länder durch die Macht des Heiligen Geistes zu beginnen.“64 Franklin Graham und den Baptisten der Südstaaten lag die Öffnung des Iraks für die Missionarstätigkeit am Herzen: Sie erklärten 2003, dass dort „ein Krieg um die Seelen“ eröffnet worden sei.65
In der vom Banner of the Covenant 1861 vorgeschlagenen Hymne für den nationalen Fastentag der Union verband sich die Säuberung vom inneren Feind („Verräter“) mit der Eroberung der Welt für Christus. So jedenfalls sah George Ide (1804–1872) gleich nach dem Bürgerkrieg die Bedeutung der Hymne. Das wiedervereinigte Land werde „als eine breite Phalanx“ unter Gott zur spirituellen „Eroberung der Welt“ marschieren.66 Diese Idee eines zwiefachen – einheimischen und ausländischen – Schlachtfelds ist axiomatisch. Der Zweifrontenkonflikt kann entweder simultan oder sequentiell ausgetragen werden. Wie wir noch erörtern werden, glaubte im frühen 15. Jahrhundert Johanna von Orléans, es sei ihre Aufgabe, zuerst den französischen Bürgerkrieg zu beenden, indem sie die Engländer vom Kontinent vertrieb, dann müsse sie die hussitische Ketzerbewegung in Böhmen zerschlagen und schließlich einen Feldzug zur Rückeroberung Jerusalems und der Vernichtung des Heidentums führen.67 Das war ein verbreitetes Szenario. Im späteren Mittelalter fand es seinen Ausdruck in der Legende vom zweiten Karl dem Großen und ihren Gegenlegenden (da der Mythos vom zweiten Karl eher pro-französisch war, entwickelten sich pro-deutsche Varianten), die sich auf die Joachim von Fiore (gest. 1202) zugeschriebenen Prophezeiungen stützten. Gemäß einer Version war diesem letzten Weltherrscher bestimmt, England zu erobern, Rom und Florenz zu zerstören, dann das Mittelmeer zu überqueren und zum König der Griechen ernannt zu werden, seiner Herrschaft die muslimischen Völker zu unterwerfen und „ein Edikt zu verfügen, demzufolge jeder sterben werde, der nicht den Gekreuzigten anbete“. Am Ende, nach Erlangung der Weltherrschaft, werde er seine Krone dem Ölberg in Jerusalem vermachen. Ein weiterer sehr verbreiteter Text war Jean de Roquetaillades Vademecum, worin der Autor in seine Version von der Endzeit die Ausrottung von Ketzerei, Habgier und Stolz bei der Geistlichkeit hineinwebt.68 In Spanien zirkulierte eine sehr populäre Prophezeiung des geheimnisvollen Fray Joan Alamany, wonach ein letzter Herrscher einen Kreuzzug der Armen gegen Muslime, Juden und Spaniens falsche Christen anführen, dann nach Jerusalem ziehen und nach dem Sieg über den Antichrist einen tausendjährigen Frieden stiften werde.69 Dieses Szenario, das äußere und innere Feinde einbegriff, hatte sehr viel ältere Wurzeln. So ermahnte zum Beispiel Mitte des 11. Jahrhunderts ein Dichter den Adel des deutschen Reichs, sich hinter dem jungen König zu versammeln, um lokale Feinde niederzuwerfen (in Süditalien siedelnde Normannen und vielleicht den rebellischen Herzog von Lothringen), dann die Sarazenen zu besiegen (die zu der Zeit das Heilige Land beherrschten) und ebenso die „Hunnen“, den Osten vor Heiden zu beschützen und die Welt, soweit bekannt, zu erobern.70
In der christlichen Tradition geht der Universalismus mit der Ideologie des Auserwähltseins für gewöhnlich Hand in Hand. Die Botschaft ist universell, wird aber von der Minderheit einer Elite verbreitet und erst am Ende der Geschichte zum Eigentum auch der breiten Masse. In Übereinstimmung damit geht es in den letzten Kriegen Amerikas einerseits um die ganze Welt, andererseits um ein Bündnis oder eine Koalition der guten gegen die bösen Nationen, angeführt von den Vereinigten Staaten als der Vorhut dieser Koalition.71 Am ersten Kreuzzug nahm eine bunte Ansammlung von militärischen Gruppierungen teil, die von mächtigen und weniger mächtigen Fürsten angeführt wurden – es gab sehr viele Franzosen („Franken“) unter Hugo von Vermandois, Robert von der Normandie, Stephan von Blois; ferner Provençalen unter Raimund von Saint-Gilles, süditalienische Normannen unter Bohemund von Tarent und seinem Neffen Tankred, Lothringer (ebenfalls „Franken“) und Deutsche unter Gottfried von Bouillon.72 Obwohl die Chronisten um diese Verschiedenheit wussten, stellten sie das Heer häufig als allein aus „Franken“ bestehend dar, jener ethnischen Gruppe, die – manchen Berichten zufolge – Urban II. in seiner 1095 gehaltenen Predigt, mit der er zum Kreuzzug aufrief, als von Gott zur Eroberung des Heiligen Landes bestimmt hervorhob. (Kürzlich wurde die Auffassung vertreten, dass viele Kreuzfahrer sich selbst als „Franken“ betrachteten, auch wenn sie eine andere ethnische Identität besaßen.73) „Christenheit“ (christianitas) war ein weiterer verbreiteter Kollektivausdruck für das gegen die Muslime kämpfende christliche Heer (exercitus christianus). Die Armee der Kreuzritter, so sieht es Jan van Larhooven, „begriff sich selbst als eine Repräsentantin der westlichen Christenheit“. Das war keine bloße Metonymie. Die Theologie machte diese Repräsentanz möglich, so wie sie einem Baptisten in seiner Predigt zum von Präsident Lincoln verfügten Thanksgiving Day (November 1863) die Behauptung gestattete, dass „wir in diesem Kampf [um die Freiheit] für die Welt stehen, die Welt repräsentieren“.74 Die Prägung durch die Theologie zeigt sich auch im Jansenismus des 18. Jahrhunderts, dem sich die Dialektik der Französischen Revolution mit ihren zwei Idealen verdankte: Das eine besagte, dass die ungeteilte Zustimmung aller Bürger notwendig sei, das andere behauptete, dass eine politische Minderheit jene zur Führung eines regenerierten Frankreich notwendige klare Sichtweise besitze.75
Auch für die Marxisten war das Proletariat zugleich „Avantgarde“ und, am eschatologischen Horizont des Endes aller Geschichte, universell. Es ist, in Karl Marx’ Worten, ein Stand, „welcher die Auflösung aller Stände ist, eine Sphäre, welche einen universellen Charakter durch ihre universellen Leiden besitzt“. Um sich zu emanzipieren, muss das Proletariat „sich von allen übrigen Sphären der Gesellschaft und damit alle übrigen Sphären der Gesellschaft … emanzipieren“, um so die „völlige Wiedergewinnung des Menschen“ zu erreichen.76 Die Verbindung zwischen Freiheit und Universalismus ist auch hier augenfällig, desgleichen die jüdisch-christliche Korrelation zwischen Märtyrertum und Fortgang der Geschichte.
Allerdings gibt es Konzeptionen, die auf sehr viel radikalere Exklusivität setzen. Dass das Heer des ersten Kreuzzugs metonymisch für die Christenheit stand, mag in den Augen einiger Chronisten (und der Teilnehmer, die sie repräsentierten) wahr gewesen sein. Andere jedoch – Ekkehard von Aura und Raymond d’Aguilers (Raimund von Aguilers) – spielten mit der Idee einer radikaleren Ausschließlichkeit (siehe Kapitel IV). Gottes Heer steckte voller Verräter, und es konnte keine einfache Gleichsetzung einer realen nationalen Gruppe mit den zum Heil Vorherbestimmten geben. Heutzutage existieren auf protestantischer Seite ähnliche Überlegungen, die davon ausgehen, dass die christliche Botschaft zwar bis in den letzten Winkel des Globus vordringen kann, aber nur von einer Minderzahl der Menschen angenommen wird, während die anderen der Verdammung anheimfallen. Und es geht noch weiter: Für manche Evangelikalen ist Amerika zwar sehr viel besser als andere Staaten, jedoch keineswegs mit einer auserwählten Nation gleichzusetzen. Das extremste Beispiel ist vielleicht die Westboro Baptist Church, die zuletzt in Verruf geriet, weil ihre Mitglieder die Begräbnisse gefallener US-Soldaten störten. Diese mussten sterben, so glauben die Sektierer, weil Amerika schlecht und sündhaft ist.77 Im Lichte dieser – mittelalterlichen wie zeitgenössischen – Konzeptionen ist das Universelle eine Arena, in der die Menschen ihre Wahl für das Gute oder das Böse treffen müssen, nicht aber eine allumfassende Gruppe, deren Mehrheit, wie man hofft, durch Gottes Gnade errettet werden kann. Die Bestseller-Romanreihen des selbsternannten Propheten und Autors Timothy LaHaye, Left Behind (dt. Finale, eine Serie, die für Teile der Leserschaft fast biblischen Status hat) und Babylon Rising, schwanken zwischen einer eher exklusivistischen und einer eher allumfassenden Vision der Erlösung. Außerdem ist Amerika zwar das hauptsächliche Ziel der Kräfte des Antichrist, aber seine Streitkräfte, FBI und CIA sind, bewusst oder unbewusst, Helfershelfer des teuflischen Feindes, wenn dieser darangeht, seine weltweite politische und religiöse Tyrannei zu errichten.78
Drittens sind Amerikas Kriege eo ipso Kriege für die „Freiheit“. Aber die amerikanische Freiheit ist eine Sache für sich: Sie ist gottgewollt und gottgewährt und vordringlich religiös und schließt dabei noch andere Dimensionen des menschlichen Lebens ein. Für Präsident Bush jr., der sonst seine Reden gern mit Anspielungen auf die Bibel schmückte, war „Freiheit“ ganz explizit ein Glaubensartikel:
„Ich glaube an die verwandelnde Kraft der Freiheit. Wenn, wovon ich überzeugt bin, die Vereinigten Staaten nicht den Glauben an die Macht der Freiheit verlieren, hoffnungslose Gesellschaften zu verwandeln, werden wir den Frieden erleben, den wir alle ersehnen. Ich glaube an die Universalität der Freiheit. Ich glaube, dass es einen Allmächtigen gibt, und ich glaube, ein Geschenk dieses Allmächtigen für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind ist die Freiheit.“79
Die Verquickung von Religion und Freiheit war Alexis de Tocqueville bereits 1835 aufgefallen: „Die Amerikaner denken Christentum und Freiheit als so miteinander verschmolzen, dass es fast unmöglich ist, von ihnen zu verlangen, sich das eine ohne das andere vorzustellen.“80 Zu Beginn des Bürgerkriegs konnte auch der Prediger Stephen Higginson Tyng, Vertreter der Episkopalkirche, politische und religiöse Freiheit leicht in einem Atemzug nennen: „Der Feind, der angegriffen und besiegt werden muss, ist seinem Wesen nach überall derselbe. In Indien und China wird er von einer heidnischen Priesterschaft verkörpert. In Europa ist es der Despotismus [des päpstlichen] Roms. In Amerika begegnen wir ihm als System der Versklavung der Afrikaner.“81
Seit dem 18. Jahrhundert bis in unsere Zeit hat der amerikanische Diskurs durchgängig die Freiheit des Zugangs zu der Wahrheit, die von versklavender Sünde befreit, mit der Möglichkeit von Demokratie und weiteren sozialen und politischen Freiheiten assoziiert. Mitten im Krieg gegen die Franzosen und Indianer (1754–1763) spekulierte eine an Thanksgiving gehaltene Predigt darüber, dass Gott sein Ziel enthüllt habe, nämlich „eine höchst ungewöhnliche Revolution betreffend den staatsbürgerlichen und religiösen Zustand der Dinge in dieser Welt“ allmählich in Gang zu setzen.82 Mit der Überzeugung, dass politische und religiöse Transformation zusammengehören, stand Jonathan Mayhew in seiner Generation nicht allein da. Auch hier gehören die Worte von Expräsident Bush jr. zu einer langen Tradition von Kanzelrhetorik und wahrhafter Überzeugung. Darüber hinaus betraf diese Befreiung bereits im späten 18. Jahrhundert eine größere Welt, die im Licht des eschatologischen Kampfes betrachtet wurde:
„Seht also diesen Helden Amerikas [den Helden der staatsbürgerlichen und religiösen Freiheit], wie er das Banner der staatsbürgerlichen und religiösen Freiheit über diesen Vereinigten Staaten schwenkt! – Folgt ihm, wenn er in gewaltigen Schritten den Atlantik überquert! – Seht, wie sein Speer bereits im Herzen der Bestie steckt! – Seht, wie die Tyrannei von Staat und Kirche ihr Blut verströmt! – Seht die Schlachtordnung der Kämpfer der Tyrannen, der Bestien, der falschen Propheten und Schlangen der Erde, seht, wie sie dem Fortschreiten und der Herrschaft dessen sich widersetzen, der den Auftrag hat, die widerrechtlichen Mauern der Tyrannei niederzureißen, – den Gefangenen aus dem Gefängnis zu befreien, den geknechteten Vasallen seiner Ketten zu entledigen, – die Berge zu erniedrigen, – die Täler zu erhöhen und dem Herrn [Jesus Christus] den Weg zu bereiten.“83
Das amerikanische Denken bringt gern abweichlerische Religion und politische Unterdrückung zusammen, doch ist das keine ausschließlich amerikanische Auffassung. Bevor im Verlauf der Französischen Revolution die liberale Geistlichkeit, die sie 1789 mit losgetreten hatte, zerschlagen wurde, hatten ihre Vertreter gehofft, dass die Ausbreitung der französischen Demokratie in Europa und darüber hinaus der Menschheit die Augen für die wahre Religion öffnen werde – den Katholizismus: Indem andere Nationen unsere Institutionen wertzuschätzen lernen, werden sie auch unseren Glauben wertschätzen. Das Ende der Geschichte schien gekommen. Gott „bereitete Sich darauf vor, die Herrschaft universeller Freiheit … in den letzten Tagen des Menschengeschlechts auszuhändigen“. Die Errettung werde „aus unserem Vaterland kommen und sich der ganzen Menschheit mitteilen, so wie sie zuvor [mit der ersten Ankunft Christi] aus Judäa gekommen war“. Es sei „Gottes Absicht, Frankreich zur Wiege der Freiheit für die Menschheit zu machen“; Frankreich werde „das Zentrum für den Beitritt aller Völker zu der Heiligkeit des Evangeliums“ und Paris „die Hauptstadt des freien Universums“ werden. Die „Religion der Franzosen“ werde sich „zusammen mit dem Geist der Freiheit auf alle Länder ausbreiten, die unsere Gesetze empfangen werden“.84 So weit der katholische Geistliche Antoine-Adrien Lamourette. Aber es wurde bereits erwähnt, dass schon 700 Jahre zuvor westeuropäische Krieger geglaubt hatten, sie würden, geschart um die Franken oder sogar in Identifikation mit ihnen, den östlichen Christen mit dem Schwert die Befreiung von heidnischer Unterdrückung bringen und die Welt für Christus vereinigen. Das eschatologische Wesen der Freiheit und die französische Auserwähltheit galten den Revolutionären, und unter ihnen auch Robespierre, als unverbrüchliche Tatsachen. „Die ewige Vorsehung hat euch [die Franzosen], euch allein seit Beginn der Welt, dazu auserkoren, auf Erden die Herrschaft von Gerechtigkeit und Freiheit neu zu errichten“, psalmodierte er.85 Fast hört man ein Echo der visionären Offenbarung, die der heilige Andreas 1098 einem Kreuzfahrer zuteil werden ließ (und auch die Expedition selbst sollte auf Erden eine Ära der Freiheit und Gerechtigkeit beginnen lassen): „Gott hat euch unter allen Nationen auserwählt, so wie der gute Weizen von der Spreu getrennt wird, denn an Verdienst und Gnade seid ihr all jenen voraus, die vor euch kamen und nach euch kommen werden, ganz wie der Wert des Goldes höher ist als der des Silbers.“86 Der zuvor zitierte Bischof, Lamourette, nahm an, dass religiöse Irrtümer nur Bestand hätten „durch ihre Einheit mit den politischen Systemen, denen die Nationen unterworfen sind“, das heißt mit Despotien. Somit ist eine Vorbedingung für die Wiederkunft Christi die Vernichtung aller Tyranneien mittels Freiheit.87 Aber nach 1792 sorgte der republikanische Antiklerikalismus dafür, dass revolutionäre wie konterrevolutionäre Gelehrte nicht der Demokratie den Katholizismus, sondern diesem die despotische Monarchie zur Seite stellten. Lamourette wurde zu Beginn des Jahres 1794 guillotiniert.
Die Neigung, einerseits Tyrannei und Verfolgung, unchristliche Könige und Heiden oder Ketzer, andererseits politische und religiöse Freiheit zusammenzubringen, ging den beiden Revolutionen des 18. Jahrhunderts, der amerikanischen und der französischen, bereits voraus.88 Den Kontext, der den ersten Kreuzzug ermöglichte, bildete eine Reformbewegung mit dem Motto libertas ecclesiae, Freiheit für die Kirche. Kardinal Humbert von Moyenmoutier (gest. 1061), einer der ersten in Rom tätigen Reformer, empörte sich, dass die Geistlichkeit durch Simonie (den Handel mit Sakramenten und Kirchenämtern) versklavt sei, obwohl Kleriker „freier sein sollten als alle anderen Menschen, insofern ihr Anteil an der [himmlischen] Erbschaft Gott selbst ist“.89 Nachdem sich im Jahr 1068 ein Mönch einer Feuerprobe unterzogen hatte, um zu beweisen, dass der Bischof von Florenz sein Amt gekauft hatte, schrieben die örtlichen reformfreundlichen Geistlichen an Papst Alexander II. (reg. 1061–1073) und baten ihn eindringlich, „gegen die Feinde des Apostels Petrus zu den Waffen zu greifen, die Bataillone aufzustellen, in heilige Kriege einzutreten … und uns durch den Kampf gegen die Simonisten aus der Gefangenschaft zu befreien“. Mit solchen Bildern wurde der spirituelle Krieg für die libertas verdeutlicht.90 Diese Reformbewegung wurde durch die Vorstellung von der bereits erwähnten Verschwörung zwischen dem Antichrist und seinen Helfershelfern ermöglicht. Jener Papst, der die Reformbewegung in die erste europäische Revolution überführte, Gregor VII., stellte in einem Brief klar, dass königliche Macht eine Erfindung sündiger Menschen und des Teufels sei: „Wer weiß denn nicht, dass Könige und Fürsten ihren Ursprung von Männern ableiten, die von Gott nichts wussten und sich auf Drängen des Teufels, des Fürsten dieser Welt, durch Hochmut, Plünderung, Verrat, Mord – kurz, durch jegliches Verbrechen – über ihre Mitmenschen erhoben?“91
Aber diese Freiheit war (wie gut bekannt ist) nicht die Freiheit, das Böse zu wählen, ganz im Gegenteil. Spätestens seit der Regierungszeit von Konstantins Söhnen bedeutete libertas häufig „Freiheit von Häresie“ oder Sünde.92 Auch war (was ebenso bekannt ist) die spätantike und mittelalterliche libertas nicht die „negative Freiheit“ des Philosophen, das heißt die Freiheit von äußeren Beschränkungen, insbesondere die Freiheit, das zu tun, was man gerne wollte. Seit der frühen Christenheit wurde Freiheit mit dem Dienst an Gott verbunden. Im römischen Rechtsprozess der manumissio, der Freilassung, wurde der ehemalige Sklave zwar ein Befreiter (libertus), blieb aber von dem ehemaligen Herrn (dominus) abhängig und schuldete ihm Dienste (obsequium). Nun nahm Christus, der Herr (Dominus Christus), der die Menschheit von der Versklavung durch die Sünde und von der knechtischen Bindung an das Gesetz des Alten Testaments befreit hatte, die Stellung des Patrons ein, an den die erlöste Menschheit in Form ehrenvollen Gehorsams gebunden war.93
Viertens bringen die Kriege Amerikas „Märtyrer“ und „Helden“ hervor, deren großzügiges Blut schnell die Sache heiligt, für die es vergossen wird. George W. Bush schloss seine Siegesrede vom 1. Mai 2003 mit biblischen Akzenten, wobei er Freiheit und Märtyrertum miteinander verband. Über die gefallenen amerikanischen Soldaten sagte er: „Ihre letzte Tat auf dieser Erde bestand darin, dass sie gegen ein großes Übel kämpften und anderen die Freiheit brachten.“ Für die Überlebenden fügte er hinzu: „Wo immer ihr hinkommt, bringt ihr eine Botschaft der Hoffnung mit, eine Botschaft, die uralt und immer wieder neu ist. Mit den Worten des Propheten Jesaja [49, 9], zu sagen den Gefangenen: Geht heraus! und zu denen in der Finsternis: Kommt hervor!“ – eine Vorhersage, die offensichtlich politische Freiheit ankündigt, in den Augen des Präsidenten, eines wiedergeborenen Christen, den befreiten Bevölkerungen aber auch die Chance bietet, Freiheit von Sünde zu finden und Freiheit, an die Wahrheit zu glauben.94 Andere Forscher haben kürzlich „Märtyrertum“ dem Oberbegriff des Opfers untergeordnet und die Mechanismen erkundet, mittels derer dieser Begriff in den USA Gewalt selbstverständlich und sinnvoll macht: Sich selbst zu opfern erlaubt es einem, andere zu opfern. Ohne diesen Mechanismus auszuschließen, bleibt dieser Essay doch auf der Ebene theologischer Formen.95
Das Märtyrertum im Krieg ist natürlich älter als das christliche Amerika. Schon auf den Kreuzzügen und möglicherweise noch früher, im 9. Jahrhundert, war es möglich, mit der Waffe in der Hand als Märtyrer zu sterben. Man konnte ein Märtyrer werden, indem man eine geschriebene oder ungeschriebene Verfassung – die Grundsätze und Normen eines politischen Gemeinwesens – verteidigte. Martin Luther, die entscheidende Gestalt der protestantischen Reformation, sprach die Krone des Märtyrertums jenen deutschen Fürsten zu, die im Bauernkrieg von 1524/25 umkamen, während sie „auff der oberkeyt [Obrigkeit] seyten“ kämpften, und dies, ohne sich zurückzuhalten: Luther ermahnte die Adligen, sie sollten „zuschmeyssen, wurgen und stechen heymlich odder offentlich, wer da kan, und gedencken, das nicht gifftigers, schedlichers, teufflischers seyn kann, denn eyn auffrurischer mensch“. Luther, der den Krieg für den christlichen Glauben ablehnte, rechtfertigte ihn und mit ihm das Märtyrertum für den Schutz der gottgewollten irdischen Ordnung.96
Märtyrertum und selbst heiliger Krieg waren, wenn es um Freiheit ging, besonders autoritativ. Über die Jahrhunderte hinweg führte man als Beweis Beispiele aus der Bibel, zumeist dem Alten Testament, an. Der Königsmörder Jacques Clément hatte keine Angst davor, „zu sterben, um die Kirche und das [französische] Volk in Freiheit zu setzen“.97 Das war die Haltung, die aus den Druckwerken der Heiligen Liga sprach. Dieses Bündnis ultrakatholischer Bürger, deren Kern aus anticalvinistischen religiösen Bruderschaften bestand, hatte sich gegen Heinrich III., den König von Frankreich, gewandt, weil der Monarch in ihren Augen die calvinistischen Ketzer zu unentschlossen bekämpfte. Für die Liga war „Freiheit“ zugleich Freiheit von Ketzerei und Freiheit von despotischer Herrschaft. Dafür musste man zu sterben bereit sein.
Das Märtyrertum konnte in dem Sinne rachsüchtig sein, dass jemand sich unter der Annahme aufopferte, Gott oder die Geschichte oder deren Akteure würden Rache nehmen (was sich manchmal, wie wir im vierten Kapitel sehen werden, mit der These des geschichtlichen Fortschritts verband). Robespierre, Führer der Jakobiner, die gemeinhin mit Guillotine und Terreur in Verbindung gebracht werden, erklärte sich in ein und demselben Atemzug bereit, selbst zum Märtyrer zu werden, in dem er auch die Vernichtung der Feinde der Revolution forderte:
„Schlagt zu; wir erwarten eure Schläge. Bedenkt, wie leicht einige hundert Mörder ein tödliches Schwert in das Herz eines Ehrenmannes stoßen können, dessen einzige Verteidigung seine Tugenden, die Wachsamkeit des Volkes und die Vorsehung sind. Macht euch andererseits aber bewusst, wie tief euer verbrecherisches Wesen reicht und wie die Strafen beschaffen sein werden, die eure ungeheure Heimtücke auf sich zieht. Erwartet das Urteil des Volkes und das der Vorsehung: Ihr werdet weder dem einen, noch dem anderen entrinnen. O Franzosen, ihr Freunde der Gleichheit, verlasst euch darauf, dass wir das bisschen Leben, welches die Vorsehung uns gewährt, dazu nutzen, die Feinde, die uns umzingeln, zu bekämpfen. Bei den Dolchen, die rot sind vom Blut der Märtyrer der Revolution (und die seitdem geschärft wurden, um uns zu treffen), schwören wir, die Verbrecher, die uns um unser Glück und unsere Freiheit bringen wollen, bis zum letzten Mann zu vernichten.“98
Ob in der Französischen Revolution, in den Kreuzzügen des Mittelalters oder den Religionskriegen der frühen Neuzeit, immer wurde Terror mit Märtyrertum gerechtfertigt; die Bereitschaft zu sterben legitimierte massives Blutvergießen. Umgekehrt war Märtyrertum gefordert, wenn man nach Ordnung und Freiheit strebte. Denn schließlich hatte das Christentum die alte römische Auffassung, ungerechter Tod führe, wenn er gerächt werde, zu grundlegenden Veränderungen, übernommen und verbreitet.99
Fünftens gehören zum Aufgebot amerikanischer Kriege die Begriffe „neu“ und „alt“. Amerika ist radikal „neu“ in zwei theologischen Bedeutungen: erstens mit Blick auf die Neuheit des Evangeliums als Gegensatz zum Alten Gesetz, zweitens in Hinsicht auf die Neuheit des novissimum, der Endzeit. Wir treffen hier auf zwei Zäsuren, die der christlichen Geschichtstheologie einen Rhythmus verleihen. Die erste wird durch das „Ereignis Christus“ bestimmt (Inkarnation, Passion, Auferstehung); die zweite trennt diese Welt vom Anbeginn der nächsten, sei sie das Friedensmillennium oder das Jüngste Gericht. Im zweiten Kapitel werden wir zeigen, dass der Gegensatz zwischen alt und neu durch bestimmte Momente der christlichen Theologie kulturell überdeterminiert ist, nämlich durch ihre komplementären, oftmals dialektisch aufeinander bezogenen Paare: Altes und Neues Testament, die Zeit der Gnade und die Zeit des (mosaischen) Gesetzes, die Ära des Erbarmens und die Ära der Rache, das Zeitalter der unvermeidlichen Sünde und das Zeitalter der erlösten Menschheit. Diese Zeitlichkeit ist normativ: Das Neue ist besser als das Alte. Und sie ist irreversibel: Die Geschichte selbst stellt sich gegen das Alte auf die Seite des Neuen.100
Am Zeitenende zu stehen bedeutete, in einem ganz besonderen Zustand zu leben, denn die Endphase der neuen Ära, die Schwelle zum Ewigen Königreich, war mit einer besonderen Wertigkeit aufgeladen. Die Zeitschrift der Methodisten in Ohio drückte es in einem Gebet 1898 so aus: „Erbaue Du in diesen grenzenlosen westlichen Meeren/Was du seit vierhundert Jahren erbaust/Als Antwort auf die Gebete und Tränen Deines Volkes:/Das letzte, beste Reich der Zeit – Deines und das der Freiheit.“101 Ähnlich äußerte sich eine während des Bürgerkriegs erschienene Flugschrift mit dem bezeichnenden Titel Palingenese: Nationale Regeneration. Sie besagte, dass Amerika, durch den Krieg geprüft und zu rechter Regierung gebracht, auch die letzte und „bessere Ära“ der Welt überdauern werde. „Unser politisches Gebäude – das Haus der Freiheit und des Gesetzes und der Liebe – wird fortbestehen“, so wurde versichert, „bis der Glanz von Gewölbe, Turm und Kuppel sich mit dem Amethyst, Chrysolith und Saphir des neuen Jerusalem vereinigt“ (vgl. Offb 21, 11–21).102 Die Vorstellung eines letzten Reichs war Juden und Christen gemein; sie entwickelte sich aus den Traumvisionen, die der Prophet Daniel interpretierte. Nebukadnezar, der König von Babylon, träumte von einer Statue, deren Kopf aus Gold, Brust und Arme aus Silber, Bauch und Lenden aus Erz, Schenkel aus Eisen, Füße aus Eisen und Ton waren (Dan 2, 31–33). Aber dann stürzte ein Stein herab, der die Statue zerstörte und ein Berg wurde, der die ganze Welt ausfüllte (Dan 2, 34–35). Daniel interpretierte den Traum so: Die Statue stehe für vier aufeinander folgende Weltreiche, die schließlich von einem gottgewollten Königreich abgelöst würden, das „nimmermehr zerstört wird“. Vor dem Hintergrund dieser Prophezeiung entwickelten christliche Theologen das Modell einer Abfolge von Reichen im Verlauf der Geschichte. Dieses Modell war im Mittelalter sehr populär, aber auch im „moderneren“ frühen Amerika. Dort spiegelten Bischof George Berkeleys höchst beliebte „Verse über die Aussicht, in Amerika Geisteswissenschaften und Bildung anzusiedeln“ (Verses on the Prospect of Planting Arts and Learning in America) wider, was kulturell offensichtlich war: „Nach Westen geht der Weg des Reichs,/Die ersten vier Akte sind gespielt,/Ein fünfter wird das Schauspiel mit dem Tag beschließen,/Der letzte, der edelste Sprössling der Zeit.“ Auf dem neuen Kontinent setzten um 1800 viele das Wachstum des Steins im Traum des Königs mit der Ausbreitung des amerikanischen Republikanismus gleich; seine Verbreitung der Freiheit erschien als die Vorbedingung oder Gefährtin für die Verbreitung des Evangeliums.103 Ein Reich werde auf das andere folgen, bis zum Ende, und das letzte, das aus dem Stein hervortrete, sei das Reich Gottes, das mit Edelsteinen geschmückte „neue Jerusalem“, von dem 1864 die Palingenese schwärmte. Die Interpreten waren uneins in der Frage, ob das Königreich bereits in diesem Zeitalter kommen werde oder nach Christi Rückkunft oder nach dem Jüngsten Gericht. Alle christlichen Gemeinwesen und viele europäische Staaten, die sich aus christlichen Königreichen entwickelten, haben zu irgendeinem Zeitpunkt geglaubt, das „letzte Königreich“ zu sein, mit dem die Geschichte zu Ende sein werde. Ebenso galten als groß oder bedeutend eingestufte Kriege häufig als „letzte aller Kriege“.104 Diese religiösen Konzeptionen gingen in säkulare Ideen über. Maximilien Robespierres kühne Überzeugung lief darauf hinaus, dass „wir, um das friedliche Reich der konstitutionellen Gesetze zu erlangen, den Kampf der Freiheit gegen die Tyrannei bis zum Ende führen müssen“.105 1992, drei Jahre nach dem Ende des Kalten Kriegs, verkündete die Koryphäe Francis Fukuyama „das Ende der Geschichte“.106
Daniels letztes Reich war – zumindest in einer Hinsicht – sanfter und anders geartet als die Reiche zuvor. Die Herrschaft Christi sei nicht die römische Herrschaft, erklärte Augustinus im Gottesstaat, Erstere verhalte sich zu Letzterer wie konsensuale Herrschaft (durch politische Beratung) zu Despotismus (Willkürherrschaft von oben nach unten). Ähnlich rechtfertigte Juan Ginés de Sepúlveda 1544 die christliche Intervention in den götzenverehrenden, despotischen, kannibalistischen Staaten Mittelamerikas: Da „das Neue Gesetz des Evangeliums vollkommener und sanfter ist als das Alte Gesetz Moses (denn dieses war ein Gesetz der Furcht, aber Christi Gesetz ist eines der Gnade, Sanftheit und Nächstenliebe), sollten die Kriege jetzt mit Barmherzigkeit und Milde geführt werden“. George W. Bush vertrat die Auffassung, sein geplanter Krieg gegen Saddam Hussein werde beides sein: gerecht und milde: „Wenn uns der Krieg aufgezwungen wird, werden wir eine gerechte Sache mit gerechten Mitteln vertreten und die Unschuldigen auf jede erdenkliche Weise verschonen.“ Im selben Atemzug wies der Präsident aber auch darauf hin, dass „wir mit voller Kraft und Macht des Militärs der Vereinigten Staaten kämpfen werden“.107
Wenn Bush jr. den Feinden eines Amerikas, das sich selbst als von Grund auf friedliebend begriff, nicht die Auslöschung in Aussicht stellte, ist seine Verbindung von Milde und Strenge das Derivat einer sehr viel älteren Geschichtstheologie. Zwar ist das von Christus eröffnete Zeitalter grundsätzlich eines der Barmherzigkeit, doch kann es gegen sein Ende, wenn die von Johannes in der Offenbarung prophezeiten Ereignisse herannahen, wieder grausam werden (sofern es sich nicht zum radikalen Pazifismus hinwendet). Hören wir Jonathan Edwards, den Puritaner aus Yale: „Die Heiligen im Himmel können und werden die Verdammten hassen; sie können also mit Freude danach streben, gerechte Rache für die erlittenen Verletzungen zu erlangen.“ In der diesseitigen Welt jedoch „sollten wir nicht danach trachten, uns an unseren Mitgeschöpfen zu rächen … weil wir sie nicht hassen sollen“. In dieser Zeit „soll Liebe vorherrschen“. „Aber wenn die Gründe für jene Liebe schwinden und unsere Feinde zu den Objekten unseres Hasses werden, können wir mit Freude sehen, wie an ihnen gerechte Rache geübt wird.“ Am Ende werden die Heiligen „hocherfreut sein über Gottes Rache an ihren sterblichen Feinden“.108 Edwards spricht vom himmlischen Gericht, nicht von menschlicher Tätigkeit. Mehr als einmal jedoch in der Geschichte des Christentums „marschierten die Heiligen ein“ und erhoben die Schwerter für Christus: die Kreuzritter natürlich, aber auch die hussitischen Revolutionäre 1419, die radikalen Wiedertäufer 1534/35, Cromwells Leute in der Englischen Revolution, John Brown bei seinem Angriff auf Harpers Ferry – und vor Captain Brown die Schüler von Jonathan Edwards.109 Das Ende ist kein Zeitpunkt, sondern eine Zeitphase, die der Rache gewidmet ist. Die radikale Überlegenheit der Zukunft über die Vergangenheit ermöglicht radikale Maßnahmen, die letzte Säuberung vor Christi Rückkunft oder, in einer gottlos-säkularen Version, bevor die Geschichte endet.
Die amerikanische Neigung, die eigene Geschichte (oder ihre angenommenen Wendepunkte) mit dem epochalen biblischen Übergang vom Alten zum Neuen oder mit dem von der Offenbarung (21–22) in Aussicht gestellten Millennium, oder mit dem Schicksal des letzten Reichs zu identifizieren, gehört direkt in die westliche Tradition. Doch weil der eschatologische Horizont in der Neuen Welt so unmittelbar gegenwärtig war, erhielt diese Tradition durch die religiöse Kultur Amerikas eine besonders intensive Note. „Freie Menschen“, verkündete George W. Bush am Vorabend des zweiten Irakkriegs im Brustton der Überzeugung, „werden den Gang der Geschichte bestimmen.“ Thomas Paine, kein frommer Christ, rief dennoch am Ende seiner Schrift Common Sense aus: „Es steht in unserer Macht, die Welt wieder ganz von vorn zu beginnen“, und: „Die Geburt einer neuen Welt steht unmittelbar bevor“.110 Die Menschen der New Alliance besaßen einen klaren Blick und spirituell geschärfte Sinne. So konnte Paine verkünden – und seine Zuhörer begriffen ihn gut –, dass „unsere Art und Weise zu denken eine Revolution erlebt hat, die viel ungewöhnlicher war als die politische Revolution in diesem Land. Wir sehen mit anderen Augen, hören mit anderen Ohren, denken mit anderen Gedanken als zuvor. Wir können auf unsere Vorurteile zurückblicken, als seien es die anderer Menschen gewesen.“111 Paines Glaube an den geschichtlichen Fortschritt, bei dem das Neue das Alte überwindet, führte eine im Christentum angelegte Entwicklungsmöglichkeit zum Äußersten: Gott spricht das Urteil über die Geschichte und enthüllt dieses sein Urteil am Zeitenende; die Zukunft wird zum Richter der Gegenwart, und wer die Zukunft – Gottes Wille – zu verstehen fähig ist, wird zum Mitrichter. Wird diese Logik – wie in Herman Melvilles Roman White-Jacket (1850, dt. Weißjacke) – bis zum Äußersten getrieben, hebt sie die Vorbildhaftigkeit der Vergangenheit auf.
In Melvilles Roman steht der Hauptschauplatz, ein Schiff namens Neversink, metonymisch für Amerika. So kann Melville seinen Hoffnungen und Idealen im Hinblick darauf, was Nation sein sollte, Ausdruck verleihen, während er zugleich das, was sie ist, mit Zynismus und Kritik bedenkt.112 Indem er die in der Navy übliche Bestrafung durch Auspeitschen angreift, geht er noch einen Schritt weiter und beruft sich auf die amerikanische Auserwähltheit und die weit verbreitetete, ihr zugrunde liegende Geschichtstheologie. Amerika solle auf „künftige Präzedenzfälle der Zukunft statt auf die der Vergangenheit“ schauen. Die Vergangenheit nämlich sei, schärfer formuliert, „das Lehrbuch der Tyrannen, die Zukunft die Bibel der Freien“. An Letztere sollten die Amerikaner sich halten, „das besondere, auserwählte Volk … das Israel unserer Zeit“, was das politische Feld angeht, dann könnten sie, als „Avantgarde“ für Großes, die Führung übernehmen. So, wie die religiösen Heiden sich dem Israel des Alten Testaments untergeordnet hätten, so würden die „politischen Heiden“ (die Despotien der Alten Welt?) sich dieser prädestinierten Rasse, den Amerikanern, unterordnen.113
Melville war hier im Einklang mit dem Erfinder des Ausdrucks manifest destiny. O’Sullivan hatte sein Land mit dem Etikett „Nation der Zukunft“ (the nation of futurity) versehen. Die nämliche Vision von Normen, die aus der eschatologischen Zukunft erwuchsen, nicht aus der als Gegensatz dazu verstandenen Vergangenheit, diente Melvilles fortschrittlichen politischen Zielen ebenso wie O’Sullivans vielleicht weniger hehren Träumen von Imperialismus und Annexion. Die Zukunft als Quelle „künftiger Präzedenzfälle“ war auch Triebkraft für den revolutionären Marxismus, der im Licht der sowjetischen Geschichte ebenfalls nicht besonders anziehend wirkt. Doch hat zumindest ein verständnisvoller und analytisch begabter Theoretiker zu einem bestimmten Zeitpunkt die subtilen Qualitäten der Aporie erkannt. Für Maurice Merleau-Ponty war der Bolschewismus durchaus kohärent:
„Denn revolutionär sein heißt, das, was ist, im Namen dessen, was noch nicht ist, zu beurteilen und es damit für wirklicher zu halten als das Wirkliche. Die revolutionäre Tat tritt zugleich als Schöpfer der Geschichte auf und als wahr in Bezug auf die totale Bedeutung dieser Geschichte … Das bürgerliche Recht nimmt die Vergangenheit als letzte Instanz, das revolutionäre Recht die Zukunft. Es richtet im Namen jener Wahrheit, welche wahrzumachen die Revolution im Begriff ist.“114
Merleau-Ponty schrieb Humanismus und Terror in den späten 1940er Jahren, um die Haltung der Bolschewiken in den stalinistischen Schauprozessen von 1937/38 verständlich zu machen. Damals wurden viele alte Kampfgenossen Lenins und andere (reale oder eingebildete) Gegner von Stalins Diktatur eliminiert, darunter auch Nikolai Bucharin (über ihn mehr im vierten Kapitel). Merleau-Ponty sorgte für eine Exegese jener besonderen Ethik, die ihm zufolge die Entscheidung in Epochen oder Augenblicken radikaler Ungewissheit leitete. Diese Analyse behandelt die beiden politischen Alternativen, die auch jedem einzelnen Franzosen während der deutschen Besetzung Frankreichs zur Verfügung standen – bewaffneter Widerstand gegen die oder Kollaboration mit den Deutschen (bis hin zur Teilnahme an den französischen faschistischen Milice und dem Kampf gegen „Verräter“ an der Seite von deutschen Soldaten und Polizisten). In einem revolutionären Augenblick muss eine Wahl getroffen werden, und wer die Wahl wagt, tut dies im Licht einer brennend ersehnten Zukunft.
Zum Abschluss zwei Bemerkungen, mit denen das Feld des Historikers verlassen und das der Ethik betreten wird. Erstens entspringt aus der Berufung auf die Zukunft als Richterin und Norm für eine nicht-pazifistische Politik eine Moral des Beteiligtseins, die man mit Merleau-Ponty für ethischer halten mag als vorsichtige Passivität. Zweitens beeinflusst die Vorstellung von einem etwas anderen „Imperium“ die Art und Weise, in der tatsächliche Imperien regiert werden. Aus Sorge um „die Welt“ erwächst globales Handeln. Sorge um die „Freiheit“ kann Machtpolitik begrenzen. Ohne den amerikanischen Idealismus im Krieg hätte es keinen Sieg über den Nationalsozialismus gegeben. Ohne Amerikas Glauben an seine Mission keine Intervention in Bosnien oder im Kosovo, um dem Völkermord Einhalt zu gebieten. Und diese im Westen so gegenwärtige Geschichtstheologie ist nicht nur eine Theologie des Kriegs, sondern auch, unlösbar davon, eine Theologie des Friedens. Für Augustinus ist Frieden unlösbar mit Gerechtigkeit verbunden. Mit dem Way of War des Westens sind die westlichen Institutionen Frieden und Gerechtigkeit gewachsen, für die der Westen, so steht zu hoffen, auch weiterhin zum Krieg bereit ist. Wir aber wenden uns nun der Exegese zu, um die christliche Dialektik von Krieg und Frieden besser zu verstehen.