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Die Französische Revolution
ОглавлениеEin Nichtspezialist mag es seltsam finden, die Französische Revolution (1789–1799) in den Kontext religiöser Gewalt, sei diese mittelalterlich oder frühneuzeitlich, zu stellen.167 Aber Religion und kultische Verehrung gehörten mit zu ihren hauptsächlichen Beschäftigungen, sei es, um Frankreich zu „entchristianisieren“ (in jener Phase, als man mit dem institutionalisierten Katholizismus das Bündnis von Altar und mittlerweile gestürztem Thron angriff), oder um (wofür Jean-Jacques Rousseau eingetreten war) einen staatsbürgerlichen Kult ins Leben zu rufen, der die Einheit des politischen Gemeinwesens befördern könnte. Die Sprache der Revolution machte, bisweilen bewusst, bisweilen nicht, Anleihen bei den katholischen und reformierten Diskursen.168 Das beschwor Konflikte herauf.169
Kürzlich hat Antoine de Baecque hervorgehoben, auf welche Weise das kulturelle Kapital und Repertoire des Katholizismus in das revolutionäre Denken Eingang gefunden hatte. Er sieht „neben dem Rückgriff auf die klassische Antike eine offensichtliche Abstammung von der religiösen Tradition, vom katholischen Erbe“.170 De Baecque ist nur einer in einer langen Reihe von Forschern seit den revolutionären Ereignissen selbst, die wahrgenommen haben, dass die politische Kultur der Revolution – eingeschlossen ihr berühmter Höhepunkt, die Terreur der Jahre 1792/93 bis 1794 – mit einigem Erkenntnisgewinn als religiöses Ereignis betrachtet werden kann. Die philosophes waren, um ein Wort von Carl Becker abzuwandeln, mittelalterlicher, als sie glaubten.171 Einige Revolutionäre und viele, die sich nach ihnen analytisch und essayistisch mit der Revolution befassten, sahen sie als die späteste von vielen innerkirchlichen Reformen.172 Erstaunlich, wie jede Generation dieses Rad von neuem erfand. Für Tocqueville war es „eine politische [Revolution], die in der Art einer religiösen Revolution zu Werke gegangen ist und gewissermaßen das Aussehen einer solchen angenommen hat“. Sie besaß deren Reichweite und Methoden – inklusive des Predigens, der Propaganda und der Verkündung abstrakter, zeit- und ortloser Prinzipien. „Sie ist selbst“, so Tocqueville weiter, „eine Art neuer Religion geworden, allerdings eine unvollkommene Religion, ohne Gott, ohne Kultus, und ohne künftiges Leben; die aber trotzdem, gleich dem Islam, die ganze Erde mit ihren Soldaten, ihren Aposteln und ihren Märtyrern überschwemmt hat.“173 Émile Durkheims Mitarbeiter Albert Mathiez (1874–1932) behauptete, dass seine These – die Französische Revolution und ihre Gewalttaten seien nicht einfach nur Ergebnis einer gesellschaftlichen Krise, sondern müssten, wie die Reformation, in der Perspektive eines „religiösen Fanatismus“ gesehen werden – die Interpretation der Revolution grundlegend verändern werde. Eine merkwürdige Unbedarftheit gegenüber der Forschungstradition!174
Die eindrücklichste Analyse der Revolution als religiöses Phänomen stammt von Edgar Quinet, der in ihr den Triumph des „Wesens“ des Christentums erblickte:
„[Man sehe] diese Männer, die nicht [an Gott] glauben, aber das Temperament des Glaubens bewahren, Extremisten in ihrem Misstrauen und ihrer Intoleranz in Sachen Politik, so wie man früher intolerant war in Sachen Religion; [man sehe], wie Christentum und Katholizismus augenscheinlich verbannt sind und doch im Herzen aller Dinge wohnen, das eine im Geist der Brüderlichkeit und Gleichheit, der andere im Prinzip von Einheit und Zentralisierung. Anders gesagt, [man begreift, dass] das jener alten Religion eigene Wesen sich in der Welt gerade zu jenem Zeitpunkt verwirklicht, als die Welt die Form dieser Religion abwirft.“175
Quinets Werk Le Christianisme et la Révolution française (1845) nimmt eine ganze Reihe von Versuchen vorweg, die Säkularisierung als ultimative, ihrer selbst nicht bewusste, langfristige Verwirklichung von „Religion an sich“ und Überführung ihrer Werte in die Politik zu erklären. Aber man sollte auch die Wandlung des göttlichen Prinzips, das die religiöse Begeisterung anfachte, beachten. Einer seiner Hauptgötzen neben der Freiheit war, wie Wolfgang Schmale anmerkt, die Verfassung.176
Die Bedeutung der Epoche zwischen 1789 und 1794 für solche Überlegungen wie auch für die Bestimmung des Ausgangspunkts für den Terminus „Terror“ berechtigt zu einer längeren Darlegung der geschichtlichen Umstände.177 Nach einer Anfangsphase, in der Frankreich noch konstitutionelle Monarchie war, radikalisierte die Revolution sich in einer Rückkopplungsschleife als Reaktion auf tatsächliche oder eingebildete konterrevolutionäre Bedrohungen.178 Im Juni 1791 hatte Ludwig XVI. einen Fluchtversuch unternommen, um sich den von französischen Aristokraten geführten Heeren, die im Rheingebiet standen, anzuschließen. Außerdem hoffte er auf Hilfe von seinen monarchischen Standesgenossen auf dem Kontinent, denen die revolutionären Ideen zunehmend Sorge bereiteten. Weil Ludwigs Flucht scheiterte, kam er in eine Art Gefangenschaft. Im April 1792 befand sich Frankreich im Krieg mit Preußen und Österreich, hatte das Kriegsglück aber nicht immer auf seiner Seite. Bis Ende September 1792 waren die Grenzgebiete ernsthaft bedroht, und von März bis August 1793 sahen die französischen Armeen fast ihrer Vernichtung entgegen. Aber sechs Monate später gab es wieder Erfolge auf dem Schlachtfeld, die sogar von territorialer Expansion träumen ließen.
Historiker bestimmen manchmal jene Periode als „Schreckenszeit“, als Zeit der Terreur, die im September 1792 mit dem Massaker an mehr als tausend politischen Gefangenen in Paris durch den Mob begann. Hier ist Terreur die deskriptive oder analytische Kategorie des Forschers. Von der Republik selbst wurde die Terreur nur im September 1793 „auf die Tagesordnung gesetzt“ (die sogenannte „Große Schreckenszeit“). Infolgedessen kann man wohl erst nach diesem Datum zeitgenössische Überlegungen dazu erwarten. Die Hinrichtung der Anführer der Jakobiner – unter anderen Maximilien Robespierre und Louis Antoine de Saint-Just – Ende Juli 1794 beendete die Schreckensphase offiziell, auch wenn die Guillotine noch arbeitete, um Gegner der folgenden Führungsgruppen zu beseitigen. Von diesem Moment an wurde Terreur, Terror, außerhalb enger Zirkel ein negatives, pejorativ gemeintes Wort.179 Jede Analyse des Terrorismus muss diese grundsätzlich negative Wertigkeit berücksichtigen. Seit dem Direktorium ist das Phänomen – der Einsatz von Gewalt, um Gesellschaft, Politik oder Religion auf den richtigen Weg zu bringen – von seinen Urhebern selten Terror genannt worden; Zwangsmaßnahmen eines Feindes dagegen werden leichthin so bezeichnet.
Die Septembermassaker von 1792 folgten der Panik auf dem Fuß, welche die Drohungen des Kommandeurs der zunächst siegreichen preußisch-österreichischen Armee in Paris ausgelöst hatte. Der König wurde der Verschwörung bezichtigt, angeklagt, für schuldig befunden und enthauptet (November 1792 bis 21. Januar 1793). Robespierre, der sich zwei Jahre zuvor gegen die Todesstrafe ausgesprochen hatte, konnte zusammen mit seinem jungen Kollegen Saint-Just, auch er vormals deren Gegner,180 den Nationalkonvent dazu bewegen, für den Tod des Königs zu votieren. Eine weitere, durch eine wundersame Epochenverschiebung bewirkte Umkehr? Als König war Ludwig, so Robespierre und Saint-Just, kein Staatsbürger mehr, sondern Feind, Außenseiter des Gesellschaftsvertrags. Die Niederlagen der Revolutionsarmee schürten Verzweiflung und massive Verdächtigungen, basierend auf der Vorstellung, dass die inneren und äußeren Feinde der Revolution eine umfassende Verschwörung gegen die Nation in Gang gesetzt hatten. Bis zu ihrem Ableben 1794 hatten die Jakobiner überall Verräter entdeckt – in der Nationalversammlung und sogar in den eigenen Reihen. Die Revolution beseitigte nach und nach unterschiedliche parlamentarische Gruppierungen, die ihr zunehmend nach links führender Kurs relativ dazu auf der konservativen Seite verortete. Bei einer solchen Säuberungsaktion wurde sogar eine Gruppe, die die Jakobiner an Radikalität übertraf, beschuldigt, die heimliche Verbündete der lauwarmen Gemäßigten zu sein.
Die Guillotine war nicht das einzige Instrument der Terreur. Ab März 1793 sah sich die Führung der Revolution mit einer massiven katholischen und monarchistischen Rebellion in den Westprovinzen, der sogenannten Vendée, konfrontiert. Sie befahl der Armee, mit äußerster Brutalität gegen die Bewohner dort vorzugehen. So wurden vielleicht an die 160.000 Personen – Männer, Frauen und Kinder –, ein Viertel der Bevölkerung dort, umgebracht.181 Bertrand Barère bemerkte in einer Rede zur äußeren Bedrohung der Republik (durch die von England angeführte Koalition), dass „wir Frieden [nach außen hin] haben werden, wenn das Innere befriedet ist“. Folgerichtig plädierte er für „Maßnahmen, die zur Auslöschung dieser aufrührerischen Rasse [der Vendée-Bevölkerung] führen“; es müssten „ihre Verstecke verschwinden, ihre Wälder niedergebrannt, ihre Felder umgepflügt werden“. Und ebenso feurigen Atems stellte er neben dem Schwert die Zivilisation in Aussicht. Die Revolution sollte die Vendéens „ebenso wie mit Soldaten mit Arbeitern und Pionieren bekämpfen“.182 Die Frauen, Kinder und Alten wollte Barère, aus Gründen der humanité (Humanität, Menschlichkeit) verschonen, berief sich aber in einer klassischen Pendelbewegung genau darauf, um gegen den Wundbrand namens Vendée „Feuer und Stahl“ zu fordern: „Die humanité wird keine Beschwerde einlegen. Das Böse rottet man aus um des Guten willen. Die Rebellen zu bestrafen, ist eine Wohltat für das Vaterland. Wer würde für Vatermörder Gnade fordern?“183 Die Zähmung der Vendée verlief nach Art eines Kolonialkriegs, dessen Organisatoren dafür jedoch das klassische Vokabular religiöser Kriege benutzten.
In der historischen Zunft ist heftig über die Verbindung (wenn es sie denn gab) zwischen den Phänomenen „Revolution“ und „Terreur“ gestritten worden. War die Terreur ein Unfall der Revolution, oder gab es in der Revolution eine Logik, die die Schreckensherrschaft unausweichlich machte? Waren kontingente Faktoren, wie etwa die Invasion ausländischer Heere, von entscheidender Bedeutung, oder war es die Ideologie? Malt man mit grobem Pinsel, ließe sich argumentieren, dass zwei Wellen militärischer Rückschläge entscheidend waren; die eine führte zum inoffiziellen Terror im September 1792, die andere zur offiziellen Politik der Terreur ein Jahr später – mithin waren äußere Konstellationen entscheidend, nicht die Ideologie. Ein genauerer Blick auf die Chronologie hat manche zum Widerspruch gereizt: Schließlich sei das Kriegsglück der französischen Armee schon wieder hold gewesen, bevor der Nationalkonvent für die Terreur gestimmt habe – also sei die Ideologie ausschlaggebend gewesen. Aber man darf nicht vergessen, welche Lücke sich auftut zwischen der zeitgenössischen Wahrnehmung von Bedrohungen und dem, was die Historiker mit größerer Objektivität im Rückblick rekonstruieren können. Zudem darf man nicht unterschätzen, wie viel Zeit ein umkämpftes Regime benötigt, um sich selbst nach tatsächlichen Siegen wieder sicher zu fühlen.