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Die Anatomie des Populismus

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Dieser Teil beschäftigt sich mit der Darlegung der fünf Grundelemente der politischen Kultur des Populismus: eine Vorstellung des Volkes, eine Demokratietheorie, ein Repräsentationsmodus, eine Wirtschaftspolitik und -philosophie, ein System der Leidenschaften und Emotionen. Die auf der Unterscheidung zwischen »ihnen« und »uns« beruhende Vorstellung des Volkes ist das am häufigsten analysierte Element. Wir erweitern allerdings diese übliche Beschreibung, indem wir uns auf eine Analyse der Spannung zwischen dem Volk als Bürgerschaft und dem Volk als sozialem Gebilde stützen, und indem wir, zweitens, aufzeigen, wie der Begriff »Volk« im Zeitalter des Singularitätsindividualismus seine Fähigkeit zur Formgebung des Sozialen zurückgewinnt. Die populistische Demokratietheorie wiederum stützt sich auf drei Elemente: eine Bevorzugung der direkten Demokratie (veranschaulicht durch die Glorifizierung des Referendums); eine polarisierte und extrem wahlorientierte Sicht der Volkssouveränität, die vermittelnde Organe ablehnt und die die nicht gewählten Institutionen (Verfassungsgerichte und unabhängige Behörden) zu beschneiden versucht; ein Verständnis von Gemeinwillen als einem, der zu spontaner Äußerung imstande ist. Die populistische Auffassung von Repräsentation ist wiederum mit dem Entwurf eines zur sinnlichen Verkörperung fähigen »Homme-peuple« verbunden, um den bestehenden Zustand defizitärer Repräsentation zu beheben. Der Nationalprotektionismus ist ein weiteres Grundelement der populistischen Ideologie. Sofern man begreift, dass er sich nicht auf eine Form von Wirtschaftspolitik beschränkt. Er ist nämlich stärker in einer souveränistischen Sicht der Wiederherstellung des politischen Willens und des Achtens auf die Sicherheit einer Bevölkerung verankert. Die Wirtschaft ist insofern eminent politisch. Die politische Kultur des Populismus stützt sich schließlich explizit auf die Mobilisierung einer Reihe von Emotionen und Leidenschaften, deren Bedeutung anerkannt und theoretisch erfasst ist. Wir wollen in diesem Kontext verstandesbezogene Emotionen (die darauf abzielen, die Welt durch verschwörungsideologische Erzählungen lesbarer zu machen) von handlungsbezogenen Emotionen (den Degagismus7) und stellungsbezogenen Emotionen (das Gefühl des Verlassenseins, der Unsichtbarkeit) unterscheiden. Der Populismus war bahnbrechend im Erkennen und Nutzen dieser Rolle der Affekte in der Politik und ging dabei weit über traditionelle Verführungsrezepte hinaus. Ist der Idealtypus des Populismus anhand dieser fünf Elemente erstellt, kann die Vielfalt der Populismen auf dieser Grundlage verstanden werden; besondere Aufmerksamkeit wird dabei der Analyse des Unterschieds zwischen Links- und Rechtspopulismus zuteil.

Das Jahrhundert des Populismus

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