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ОглавлениеIm Zentrum des gut erhaltenen Epigramms steht ein Karneol/Sarder, der Teil einer goldenen Kette eines Mannes ist. Die Gravur des im Vergleich mit den zuvor behandelten Schmucksteinen offenbar sehr großen Steins zeigt einen auf einem Wagen stehenden Dareios.
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36 ουταυτην P 2 ἔνδοθε]ν Austin 2001a, ed. pr., min. : βυϲϲόθε]ν Ferrari 2005
Weder ein Hals trug den Karneol noch der Finger irgendeiner Frau,
sondern er wurde in eine goldene Kette eingehängt,
der schöne Stein, der Dareios trägt – und unter ihm
ist ein gravierter Wagen über die Länge einer Spanne ausgebreitet –
wobei er Licht von unten bringt; und er besiegt indische Rubine
mit Strahlen von gleichem Licht, wenn er geprüft wird.
Drei Spannen beträgt der Umfang; dieses auch ist ein Wunder, dass
von innen keine wässerige Wolke die breite Masse durchzieht.
V. 1f.
οὔτ’ αὐχὴν: Das Gedicht beginnt mit einer Beschreibung ex negativo der Funktion des Steins. (vgl. 11 und 15). Die Formulierung οὔτ’ αὐχὴν … οὔτε γυναικῶν/δάκτυλοϲ lässt sich auf mindestens zweifache Weise verstehen: Die Betonung könnte zum einen darauf liegen, dass kein Körperteil, zum anderen darauf, dass kein Körperteil einer Frau ihn jemals getragen hat. Im ersten Sinn grenzt die Aussage die Funktion dieses Karneol von der Funktion ab, die Steine wie der Karneol traditionell haben und die in den vorangehenden Epigrammen thematisiert wird: den Körper zu schmücken. γυναικῶν wäre in diesem Fall unbetont und nur deshalb angefügt, da Schmucksteine, wie es die Lithika selbst nahelegen (vgl. die Einl. zur Sektion, S. 22), häufiger von Frauen als von Männern getragen wurden. Im zweiten genannten Sinn bezieht sich die Aussage konkret auf die Epigramme, deren Steine offenbar sämtlich zu Schmuck für Frauen verarbeitet worden sind. – τὸ ϲάρδιον: Bei dem ϲάρδιον, den dieses Epigramm beschreibt, handelt es sich um einen Karneol (bzw. Sarder), eine Art des Chalcedon. Theophrast unterscheidet zwei Karneol-Arten: beide sind transparent und dunkelrot; die eine – weibliche – ist rötlicher, die andere – männliche – schwärzer (lap. 30; zur Unterscheidung „männlicher“ und „weiblicher“ Steine vgl. die Ausführungen über ϲάπειροϲ in 5). Nach Plinius (nat. 37.105) leitet der Stein seinen Namen von dem Ort ab, an dem er zuerst gefunden wurde: in Sardes, der Hauptstadt des antiken Königreichs Lydien. Am höchsten werde derjenige aus Babylon geschätzt, gefunden werde er aber auch auf Paros, in Assos, in Indien und Arabien, bei Leukas in Epeiros und in Ägypten. Während der Karneol von Theophrast generell als transparent beschrieben wird, hebt Plinius die Transparenz der indischen Sarder hervor. Das Epigramm geht auf den Herkunftsort des beschriebenen Steins nicht ein; Indien erscheint lediglich am Ende des Gedichts als Ursprungsgebiet des unterlegenen Konkurrenten Rubin ἄνθρ[α]καϲ Ἰν̣δ̣ο̣ὺ̣ϲ̣. – γυναικῶν: Das Substantiv ist ἀπὸ κοινοῦ von αὐχήν und von δάκτυλοϲ abhängig.
V. 2
ἠρτήθη δ’ εἰϲ χ̣ρυϲέην ἅλυϲιν: In der Grundbedeutung ‚(etwas an etwas) hängen‘ wird ἀρτάω gewöhnlich mit ἀπό oder ἐκ konstruiert. Die Präposition εἰϲ ist in Verbindung mit ἀρτάω sonst nicht bezeugt, ergibt hier aber guten Sinn, „da der Stein ein Bestandteil der Kette sein, nicht aber von dieser herabhängen soll“ (Gronewald). Auf die negative Funktionsbestimmung zu |55|Beginn des Epigramms folgt nun eine positive: Der Stein wurde in eine Kette eingehängt. Da diese Aussage der Information aus V. 1, dass kein Hals den Stein getragen hat, adversativ gegenübergestellt wird (ἠρτήθη δ’), handelt es sich bei ἅλυϲιν wohl kaum um eine Halskette (vgl. 7.5, wo die Halskette der Nikonoe als κάθεμα bezeichnet wird). Eher könnte die Kette als Wandschmuck fungiert haben (zu gravierten Steinen, die nicht als Schmuck oder Siegel verwendet werden, vgl. Furtwängler II, 154e Richter, 135; vgl. ed. pr. 116). – Δαρεῖον φορέων: Das Partizip der epischen Form von φέρειν, die V. 1 bereits für das Tragen eines Schmuckstücks gebraucht wird, zeigt an, dass es sich bei „Dareios“ um das Motiv handelt, das der Karneol „trägt“. Die Erwähnung des Dareios evoziert zunächst einen persischen Kontext, wie er mehrere Epigramme der Lithika kennzeichnet (vgl. die Einl. zur Sektion, S. 24). Konkret verweist die Erwähnung des Namens auf das 4. Epigramm, in dem ein Dareios als ehemaliger Besitzer eines Steins erscheint. Wie dort ist auch im vorliegenden Gedicht unklar, auf welchen Dareios angespielt wird. Die folgende Erwähnung eines „unter ihn geschnittenen Wagens“ könnte darauf hindeuten, dass Dareios III. gemeint ist. Das Motiv erinnert an die berühmte Kampfszene, die das so genannte Alexandermosaik (2. Hälfte des 2. Jh.s v. Chr.) darstellt: Dareios III., wie er sich in der Schlacht bei Issos (333 v. Chr.) oder in der Schlacht bei Gaugamela (331 v. Chr.) kurz vor seiner Niederlage auf einem Wagen stehend (vgl. Plut. Alex. 33: ἐφ’ ἅρματοϲ ὑψηλοῦ βεβῶτα) gegen Alexander verteidigt. Bei der Identifikation des von Poseidipp beschriebenen Motivs mit dieser Szene ist aber Vorsicht geboten, da die Abbildung des Herrschers auf einem Wagen in der persischen Steinschneidekunst durchaus häufiger vorkommt und nicht auf Dareios III. beschränkt ist (vgl. den Darius-Zylinder, British Museum). Falls Poseidipp ein reales Objekt beschreibt, sind dessen Entstehungszeit und -kontext unsicher. Passend erscheint die Darstellung von Dareios III. als desjenigen, den Alexander (mithilfe u.a. von Ptolemaios I.) besiegt hat, durch einen ptolemäischen Künstler, da sich die Ptolemäer als Nachfolger Alexanders inszenierten. Gegen diese Einordnung spricht jedoch, dass ein ptolemäischer Steinschneider vermutlich nicht Dareios allein, sondern mit ihm auch Alexander oder einen der Ptolemäer abgebildet hätte (Quenouille/Pfrommer 2009, 182). Alternativ ließe sich das Motiv als achämenidische Darstellung von Dareios I. oder III. deuten, das durch den Alexanderzug oder die Syrischen Kriege der Ptolemäer nach Ägypten gelangt ist (Quenouille/Pfrommer 2009, 183).
V. 4
γ̣λυφθὲν: Ob sich der terminus technicus des Steinschneidens (vgl. die Einl. zur Sektion, S. 20f.) hier wie in den Epigrammen der ersten Untergruppe (1–7) auf den Schnitt eines Intaglios oder auf den einer Kamee bezieht, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden: Für eine Kamee spricht die Größe des Steins, da sich ein derart großer Stein nicht als Siegel eignet, ein Intaglio aber seine volle Wirkung erst durch den Siegeldruck entfaltet (ed. pr. 116; Quenouille/Pfrommer 2009, 184). Gegen eine Kamee spricht das Material, da Kameen immer helle Figuren auf dunklem Grund zeigen; es sei denn, Poseidipp habe mit ϲάρδιον das typische Material von Kameen ϲαρδόνυξ, das mehrere Schichten aufweist, gemeint (ed. pr. 116, Quenouille/Pfrommer 2009, 183f.). Entscheidend ist jedoch letztlich, wie man den Stein datiert, falls man annimmt, dass Poseidipp hier ein reales Kunstobjekt beschreibt, und ob es in dieser Zeit bereits Kameen gab: Die ed. pr. entscheidet sich gegen die Deutung „Kamee“, da sie den dargestellten Stein in die achämenidische Zeit datiert, in der Kameen noch nicht bekannt waren. Quenouille/Pfrommer 2009, 185f., die den beschriebenen Stein ebenfalls in die achämenidische Zeit setzen, deuten die Darstellung als positives Relief und halten den Stein für einen Vorläufer der Kamee. Kosmetatou (2003, 39–42 u. 2004c, 81–84) hält den Stein, der Dareios III. zeige, für ein frühhellenistisches Produkt und für einen Beweis dafür, dass es |56|Kameen bereits in frühhellenistischer Zeit gab; sie wendet sich damit gegen Plantzos’ (1996, 115–131) Einschätzung, der die Existenz von Kameen vor späthellenistischer Zeit ausschließt, obgleich er zeigt, dass es die Technik zum Schnitt von Reliefs bereits in frühhellenistischer Zeit gab (zur Datierung des dargestellten Steins anhand des Motivs vgl. das Lemma Δαρεῖον φορέων). – ἐπὶ ϲπιθ̣αμὴ̣ν μήκεοϲ: Die Maßangabe bezieht sich offenbar auf die Länge des abgebildeten Wagens. Eine ‚Spanne‘, d.h. die Entfernung zwischen den Spitzen des Daumens und des kleinen Fingers an der ausgespannten Hand, wird mit ca. 22cm bemessen. Da der Stein im Durchmesser noch etwas länger sein muss als das Bild, das ihn schmückt (vgl. das Lemma τριϲ]π̣ί̣θ̣α̣μον περίμετρον), ist er, verglichen mit den in den vorangehenden Epigrammen beschriebenen Schmucksteinen, extrem groß.
V. 5
ἄνθρ[α]καϲ Ἰν̣δ̣ο̣ὺ̣ϲ̣: ‚Indische ἀνθρακεϲ‘ (für die Junktur vgl. Strab. 15.1.69 u. Ath. 12.539d) zeichnen sich durch einen besonderen Glanz aus, der dem des hier beschriebenen Sarders am nächsten kommt, ihm aber unterlegen ist. ἄνθραξ kann sowohl den Halbedelstein ‚Rubin/Karfunkel‘ als auch die ‚Kohle‘ bezeichnen (Quenouille/Prommer 2009, 180). Den Vergleich des Sarders mit dem Anthrax stellen in der Kaiserzeit auch Sokrates und Dionysios in den Orphischen Lithika (Kerygm. 30.1–5) an, wo der Sarder bzw. „der babylonische Stein“ (ὁ βαβυλώνιοϲ) als Schmuckstein berühmter Herrscher bezeichnet wird. Quenioulle/Pfrommer halten es für möglich, dass der Stein im vorliegenden Epigramm diese Funktion umkehrt: Durch die Darstellung eines mit einem Anthrax verglichenen und daher offenbar rötlichen, d.h. „weiblichen“ Sarders werde der abgebildete Dareios als „weiblich“ diffamiert (2009, 180f.). Die Wahl des „weiblichen“ Sarders in Verbindung mit einem „Sujet maskuliner Natur“ könnte jedoch auch auf die „transitorische Funktion“ des Epigramms im Aufbau der Lithika zurückzuführen sein: Nach den Gedichten 4–7, die Schmuckstücke für Frauen beschreiben, leitet es eine kleine Reihe von Epigrammen (8–10) über „‚maskuline‘ Gegenstände“ (Höschele 2010, 159) ein. – ἔνερθεν: ‚Von unten‘ bedeutet hier – aus der Sicht des von oben auf die Steinoberfläche schauenden Betrachters – ‚von innen‘; φ]έγγοϲ meint demnach die dem Stein eigene Leuchtkraft.
V. 6
αὐγαῖϲ ἐξ ὁμαλο̣ῦ̣ φ̣ω̣τὸ̣[ϲ] ἐ̣λεγχόμενοϲ: Der Vers nennt offenbar die Bedingung, unter der der Sarder den Anthrax „besiegt“: „wenn er durch Strahlen aus gleichem Licht geprüft wird“. Die Strahlen dürften nicht die „Streifen“ meinen, die der Sardion gemäß einer Stelle der Orphischen Lithika „abstrahlt“ (Orph. Lith. Kerygm. 30.1–5), sondern von einer externen Lichtquelle stammen, unter deren Einfluss der Stein sein besonderes, von innen kommendes Glänzen zeigt, das dem des Anthrax ähnelt, diesem aber unter gleichen Lichtbedingungen überlegen ist.
V. 7
τριϲ]π̣ί̣θ̣α̣μον περίμετρον: Die Ergänzung (ed. pr.) leitet sich aus der Angabe der Wagenlänge in V. 4 ab, die eine Spanne, also ca. 22cm, beträgt. Falls der Stein einen kreisförmigen Umriss hat und der Wagen die ganze Breite einnimmt, also in etwa dem Durchmesser entspricht, müsste der Umfang knapp 70cm betragen; er wäre damit unwesentlich größer als τριϲ]π̣ί̣θ̣α̣μον (drei Spannen ‹groß›) – ὃ καὶ τέραϲ: Für die selbe Formulierung an gleicher Versposition vgl. 17.5. Das ‚Wunder‘ besteht darin, dass ein so großer Stein sonst nicht ohne Trübung ist.
|57|V. 8
ἔνδοθε]ν: Austins Konjektur („von innen“) trifft den Sinn. Ferraris βυϲϲόθε]ν („von unten“) ist auch denkbar; die von ihm angeführte Parallelstelle 2.4 ist allerdings kein Argument für seinen Vorschlag, da sich βυϲϲόθεν dort auf die Art der Gravur bezieht und also in einem völlig anderen Kontext begegnet.
Gegenstand des Epigramms ist ein großer Karneol, der einen Dareios auf einem Wagen zeigt. Das Motiv fügt sich in die auffällige Reihe persischer Anspielungen in der Lithika-Sektion (Einl. zur Sektion, S. 24). Ein ptolemäischer Leser dürfte bei der Erwähnung des Großkönigs sofort an Dareios III. gedacht haben, der von Alexander, auf den sich die Ptolemäer zurückführen, zweimal geschlagen wurde. Falls es sich bei dem beschriebenen Stein um eine reale Gemme handelt, ist nicht zu entscheiden, ob sie tatsächlich von einem ptolemäischen Künstler geschnitten wurde oder, da der Großkönig allein, d.h. ohne Alexander, abgebildet ist, in einem achämenidischen Kontext entstanden ist (für die Entstehungszeit vgl. das Lemma γ̣λυφθέν).
Aus der Gruppe der Epigramme über geschnittene Steine (1–15) sticht das vorliegende Epigramm durch die Größe des behandelten Objekts hervor. In explizitem Gegensatz zu 4–7 konzipiert es den beschriebenen Stein nicht als Schmuckstück einer Frau (vgl. οὔτ’ αὐχὴν); der große Stein könnte als Wandschmuck gedient haben.
Die besondere Wirkung des Steins geht offenbar nicht von dem Schnitt aus, da das Bild, im Gegensatz zu dem in 14 dargestellten Moment einer Szene, kaum beschrieben, sondern lediglich benannt wird: Es sind vielmehr seine natürlichen Eigenschaften – die enorme Größe sowie die außerordentliche Leuchtkraft und Transparenz –, die das Besondere des Steins ausmachen. Durch die Maßangaben (V. 4 u. V. 7) gibt sich die Beschreibung des Steins objektiv und rational, ein Eindruck, den die hypothetisch angebotene ‚Prüfung‘ des Leuchtens zum Zwecke des Vergleichs mit indischen Rubinen noch verstärkt. Zwischen den stark hervorgehobenen natürlichen Qualitäten des Steins und dem knapp benannten Motiv der Gravur stellt das Epigramm keine explizite Verbindung her (contra Kosmetatou 2003, 41–42; vgl. im Gegensatz zum vorliegenden Epigramm die ausführliche Beschreibung des Motivs von 14, das seine Wirkung im Zusammenhang mit den natürlichen Qualitäten des Steins entfaltet).