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ОглавлениеDas Epigramm ist stark zerstört. Das Erhaltene lässt erkennen, dass es um den berühmten Siegelring des Polykrates geht.
3 ἐκτήϲ]ω̣ Austin 2001a 4 τοῦ φο]ρ̣μίζ[οντοϲ ed. pr., min : εὖ φο]ρ̣μίζ[οντοϲ De Stefani 2003 : εὐδοκ]ι̣μίζ[οντοϲ Luppe 2002e 5–6 φωτὸϲ μ]ὲν κρ̣[ατέει χρυ]ϲ̣αυγ̣[έοϲ· ἔϲ]χ̣ε δὲ ϲὴ χείρ | [τόνδ]ε̣ κρ̣[ύϲταλλον, κλε]ι̣ν[ότατο]ν κτέανον e.g. Austin 2001a : χαίρει μ]ὲν κρ̣[αδίη ϲοι ἐ[π̣’ αὐτ̣[ῆι, ἔϲ]χ̣ε δὲ ϲὴ χείρ | [αἶϲχο]ϲ̣, κό̣[ϲμον ἑλοῦϲ’ α]ἰ̣ν[ότατο]ν κτέανον e.g. Luppe 2002e 5 λᾶοϲ μ]ὲν Ferrari per litt. 6 ἣν ὁ γ’ ἀν]έ̣κρ[ουεν De Stefani 2003
|58|(Du hast als Siegel gewählt,) Polykrates, des Sängers,
(der) zu (deinen Füßen spielt,) Lyra
[…] und deine Hand (hielt)
[…] Besitz.
V. 1
ἡιρήϲ]ω̣: Das schwach erhaltene ω ist vermutlich die Endung eines Prädikats, das die beiden Akkusative λύρην (V. 2) und ϲφρηγ̣[ῖδα] (V. 1) als Objekt und Prädikativum in Verbindung bringt. Der folgende Vokativ Π̣ολύκρατεϲ lässt auf die 2. Ps. Sg. eines medialen Aorists schließen, mit der Polykrates angesprochen wird. Von Austins Vorschlägen ist ἡιρήϲ]ω̣ („du hast [aus]gewählt“) plausibler als ἐκτήϲ]ω̣ („du hast erworben“). – ϲφρηγ[ῖδα]: Die Form von ϲφραγίϲ (‚Siegel‘), deren ionischer Stamm zum Teil erhalten ist, bildet die prädikative Ergänzung zu λύρην, dem Objekt des am Versanfang wohl zu ergänzenden Verbs. Wie das deutsche Wort „Siegel“ bezeichnet ϲφρηγ̣[ῖδα] zunächst den ‚Siegelring‘ bzw. den ‚Stein eines Siegelrings‘, aber auch wie hier metonymisch den ‚Abdruck eines Siegelrings‘ (LSJ A.II.1), d.h. sein Motiv: „du hast als Siegel die Lyra gewählt“. Die unmittelbare folgende Apostrophe identifiziert ϲφρηγ̣[ῖδα] als Teil des berühmten Siegelrings des Herrschers Polykrates (vgl. das folgende Lemma). Die prägnante Beschreibung des Rings bei Herodot (3.41.21–23) konnte Poseidipp bei seinen Lesern voraussetzen: Ἦν οἱ ϲφρηγὶϲ, τὴν ἐφόρεε, χρυϲόδετοϲ, ϲμαράγδου μὲν λίθου ἐοῦϲα, ἔργον δὲ ἦν Θεοδώρου τοῦ Τηλεκλέοϲ Ϲαμίου, „Er besaß einen Siegelring aus Smaragd, in Gold gefasst, den er immer trug, ein Werk des Theodoros, Telekles’ Sohn, aus Samos.“ Herodot ‚ergänzt‘ die erhaltenen Reste des Epigramms um Informationen über die Steinart und den Steinschneider: Es handelt sich um einen von Theodoros, einem der berühmtesten Künstler seiner Zeit, geschnittenen Smaragd (vgl. auch Paus. 8.14.8 [DNO 282] und Tzetz. hist. var. 7.210f. [DNO 283]; Plinius’ Nachricht, dass der Stein ein Sardonyx sei [37.4: sardonychem eam gemmam fuisse constat], bezieht sich auf eine in Rom gezeigte Gemme, bei der es sich sehr wahrscheinlich nicht um den Ring des Polykrates handelte [DNO 286]). – Π̣ολύκρατεϲ: Über den Tyrannen, der von ca. 540–522 v. Chr. auf Samos herrschte, erzählt Herodot eine berühmt gewordene Anekdote (3.40–43): Der befreundete Pharao Amasis rät Polykrates, etwas gegen sein ständiges Glück zu tun, da er sonst den Neid der Gottheit auf sich ziehen werde. Um dem drohenden Unheil zu entgehen, solle sich Polykrates von seinem liebsten und wertvollsten Besitzstück trennen. Dieser wählt seinen Siegelring aus und wirft ihn ins Meer. Doch schon kurze Zeit finden seine Diener den Ring im Bauch eines Fisches und geben ihn Polykrates zurück, der schließlich dem von Amasis vorhergesagten Schicksal nicht entrinnen kann (3.120–125). – ἀνδρὸϲ ἀοιδοῦ: Der Genitiv hängt offenbar von λύρην im folgenden Vers ab und gibt den Besitzer bzw. Benutzer der Lyra an. Für die Verbindung von ἀνήρ und einer Berufsbezeichnung vgl. 22.1 ἀν̣δρ̣ὶ̣ γ̣ὶεωργῶι und 30.1 ἀνδρὶ πολίτηι sowie HE 3118 ἐργάται ἄνδρεϲ (für eine vergleichbare Junktur in den Lithika vgl. die Verwendung von παῖϲ in 18.3). Hinter dem anonymen Sänger dürfte sich Anakreon verbergen, den Polykrates als Lehrer seines Sohnes an seinen Hof holte (vgl. Him. or. 29,24–28) und mit dem Polykrates in einer der beiden Versionen, die Herodot über seine Ermordung erzählt, im Männersaal zusammensaß (3.121.9–11). Zwischen dem Herrscher und dem Dichter bestand laut Strabon 14.1.16 eine enge Verbindung, die sich auch in Anakreons Dichtung niedergeschlagen hat: „Mit diesem [d.h. Polykrates] lebte der Liedermacher Anakreon zusammen; und so ist denn auch seine ganze Dichtung voll von der Erinnerung an ihn.“ Welcher Natur die Verbindung, die durch diverse Legenden ausgeschmückt worden ist, tatsächlich war, ist unklar (vgl. Müller 2010, 70; zu Anakreons Einfluss auf Polykrates vgl. Vox 1990).
|59|V. 2
… φο]ρ̣μίζ[οντοϲ: Die Ergänzung der Erstherausgeber kann als sicher gelten. φο]ρμίζ[οντοϲ ist, abhängig von der Ergänzung des Versanfangs, entweder attributives Partizip (τοῦ φο]ρ̣μίζ[οντοϲ, ed. pr.) oder participium coniunctum (vgl. De Stefani 2003, 62: εὖ φο]ρ̣μίζ[οντοϲ). Da es in jedem Fall attributivisch zu verstehen ist („[sc. des Sängers], der sang“) böte De Stefanis Ergänzung des Adverbs gegenüber der eines Artikels eine zusätzliche Information („der schön sang“) und ist daher vorzuziehen. – ϲοῖϲ] π̣αρὰ π̣[οϲϲ]ι̣: Die Konjektur des Dat. Pl. π̣[οϲϲ]ι̣ ist im Anschluss an π̣αρὰ aufgrund des erhaltenen Anfangs- und Endbuchstabens so gut wie sicher. Aus metrischen Gründen ist nur die epische Form möglich. Als Ergänzung der Lücke vor der Präposition bietet sich das Possessivpronomen ϲοῖϲ analog zu ϲή im folgenden Vers an, das dort ebenfalls auf einen Körperteil des Polykrates bezogen ist. – λύρην: In den Quellen zum Siegelring des Polykrates ist die Lyra nur bei Clemens von Alexandria bezeugt (paid. 3.59: αἱ δὲ ϲφραγῖδεϲ ἡμῖν ἔϲτων πελειὰϲ ἢ ἰχθὺϲ ἢ ναῦϲ οὐριοδρομοῦϲα ἢ λύρα μουϲικὴ ᾗ κέχρηται Πολυκράτηϲ [„Unsere Siegel seien eine Taube oder ein Fisch oder ein mit gutem Wind segelndes Schiff oder eine musische Lyra, wie sie Polykrates verwendete“]). Darüber hinaus sind auch andere Edelsteine bekannt, in die eine Lyra graviert war (vgl. AGD IV, 153; Vollenweider 1979, 483f.; ed. pr. 118). Eine Lyra ist auch Gegenstand eines Gedichts der Anathematika; vgl. 37.1f.
V. 3f.
Das zweite Distichon ist bis auf wenige am Ende der beiden Verse erhaltene Wörter zerstört. Aus dem erhaltenen δὲ, das gewöhnlich die zweite Position im Satz einnimmt, lässt sich schließen, dass mit dem vorangehenden, nur teilweise erhaltenen Wort ein neuer Satz beginnt: In Verbindung mit dem überlieferten Versende ϲὴ χείρ ergibt ἔϲ]χ̣ε einen guten Sinn: „deine Hand hielt“. Das Objekt, das Polykrates, dessen Hand hier gemeint sein dürfte, hält, ist vermutlich der Siegelring, auf den sich wahrscheinlich auch das einzige vollständig erhaltene Wort des letzten Verses (κτέανον, ‚Besitz(stück)‘) bezieht. Gegen die spielerische Ergänzung ̣ von Austin (2001a): φωτὸϲ μ]ὲν κρ̣[ατέει χρυ]ϲαυγ[έοϲ· ἔϲ]χε δὲ ϲὴ χείρ/[τόνδ]ε κρ[ύϲταλλον, κλε]ι̣ν[ότατο]ν κτέανον, „(Sc. der Ring) verfügt über golden leuchtendes Licht und deine Hand hielt diesen Edelstein, ein äußerst berühmtes Besitzstück“ ist lediglich einzuwenden, dass er für κρύϲταλλοϲ den nicht bezeugten allgemeinen Sinn „Edelstein“ annimmt. Der Konjektur dieses Wortes im konventionellen technischen Sinn steht Herodots Aussage entgegen, es handele sich um einen Smaragd. Attraktiv erscheint dagegen Austins Ergänzung der in der Mitte von V. 3 erhaltenen Buchstaben: χρυ]ϲ̣αυγ̣[έοϲ (‚golden leuchtend‘) kombiniert den Aspekt des Glanzes mit Herodots Information, dass das Siegel in Gold gefasst war (χρυϲόδετοϲ, 3.41.1; zum optischen Zusammenwirken zweier Objekte vgl. 7.5f., dort von einer goldenen Kette und der Haut einer Frau). Als Attribut zu dem letzten erhaltenen Wort κτέανον bietet sich ein Superlativ an, wie Austins κλε]ι̣ν[ότατο]ν („der berühmteste [sc. Besitz]“) oder auch der Superlativ eines Wortes, das den Wert ausdrückt, den der Ring laut den antiken Quellen hat. Im Gegensatz zu Strabon, der den objektiven Wert des Steins und der Gravur hervorhebt (14.638, δακτύλιον λίθου καὶ γλύμματοϲ πολυτελοῦϲ), stellt Herodot in seiner Erzählung den subjektiven Wert des Rings heraus, der aus Polykrates’ Wertschätzung resultiert: Auf die Aufforderung des Amasis hin, „das [ihm] Wertvollste, was [er] finden könne“ (3.40.3) wegzuwerfen, „suchte [Polykrates] diejenigen von seinen Kostbarkeiten, deren Verlust ihn am meisten in der Seele schmerzen würde“ (3.41.1), und wählte seinen Ring. Ähnlich betont Plinius, dass „dieser eine Edelstein dem Polykrates als hinreichendes Sühneopfer für sein allzu großes Glück erschien“ (Polycrati Samio, insularum ac litorum tyranno, felicitatis suae, quam nimiam fatebatur etiam ipse qui felix erat, satis piamenti in unius gemmae voluntario damno videretur; 37.3). Entsprechend |60|nennt Plinius den Stein als hervorragendes Beispiel dafür, welche Liebe (amor) die Menschen im Laufe der Zeit für Steinobjekte entwickelt haben (37.3).
Aus der Apostrophe des Polykrates und der Erwähnung eines Siegels ist deutlich, dass das stark zerstörte Epigramm auf Herodots Anekdote (3.40–43; vgl. das Lemma Π̣ολύκρατεϲ) rekurriert, die heute v.a. durch Schillers Ballade „Der Ring des Polykrates“ berühmt ist. Während Herodots Anekdote über die Unwägbarkeit und Vergänglichkeit menschlichen Glücks reflektiert und den Ring nur als materielles Symbol von Polykrates’ zerbrechlichem Glück einführt (vgl. Strab. 14.638: τῆϲ δὲ εὐτυχίαϲ αὐτοῦ ϲημεῖον), steht im Zentrum von Poseidipps Epigramm, soweit das Erhaltene diesen Schluss zulässt, das Artefakt selbst. Das Epigramm füllt damit eine Lücke in der Erzählung Herodots aus, der keine Informationen über das Motiv des Rings gibt. Wie in 19 schreibt Poseidipp hiermit die vorangehende Literatur fort. Da das Motiv der Lyra für den Ring des Polykrates nur ein weiteres Mal nach Poseidipp bezeugt ist (vgl. das Lemma λύρην), könnte es sein, dass Poseidipp es erfunden hat (so Bing 2001, 2); er kann es aber auch aus einer uns nicht überlieferten Quelle übernommen haben.
Ausgehend von dem Motiv des Siegels, der Lyra, entwirft das Epigramm eine Szene, die offenkundig auf Anakreons Wirken an Polykrates’ Hof anspielt, das verschiedene Quellen bezeugen: Ein Sänger singt zu Polykrates’ Füßen zur Lyra. Die Szene präsentiert auf der einen Seite Polykrates als einen Herrscher, der die Dichtung fördert, auf der anderen Seite Anakreon als einen Dichter/Sänger, der sich in den Dienst eines Herrschers stellt. Vor dem Hintergrund, dass dieses Gedicht in einer Sammlung mit diversen Epigrammen erscheint, in denen Poseidipp die Ptolemäer einige Male explizit nennt und vielfach implizit ihren Herrschaftsanspruch zu legitimieren sucht (vgl. Einl., S. 13f.), könnte die Darstellung des alten Herrscher-Dichter-Verhältnisses auch als Vorbild für die Beziehung von Poseidipp zum ptolemäischen Herrscherhaus gelesen werden und die Idee der wechselseitigen Wertschätzung und Förderung – Herrscheraffirmation durch Dichtung sowie Dichterprotektion durch den Herrscher – aktualisieren. Ein indirekter Bezug zu Poseidipps eigener Dichtung kann auch deshalb angenommen werden, da der Hofdichter Anakreon, der u.a. auch Epigramme verfasst hat, in literarischer Hinsicht ein Vorläufer Poseidipps ist.
Die Verbindung zwischen den Ebenen der Vergangenheit und der Gegenwart, die der Inhalt des Gedichts einerseits und der Kontext seiner Entstehung andererseits implizieren, wird auch topographisch hergestellt: Samos, der Ort von Polykrates’ Tyrannis, gehört im 3. Jh. zum Ptolemäerreich. Die Suggestion dieses Ortes durch die Apostrophe des vormaligen Herrschers lässt sich mit der Erwähnung mehrerer anderer Herkunftsorte von Steinen in den Lithika, die über die Eroberung durch Alexander ins Ptolemäerreich gelangten, und der generellen Emphase der makedonischen Ursprünge der Ptolemäer in den Epigrammen des Papyrus (Bing 2005, 123; Höschele 2010, 156f.) verbinden.