Читать книгу Das große Praxisbuch Ernährungsmedizin - Prof. Dr. rer. nat. Martin Smollich - Страница 21

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Ersetzen Sie Fleisch durch Hülsenfrüchte und Nüsse!

Eiweißreiche Lebensmittel gelten als besonders gesund, sollen sie doch angeblich das Muskelwachstum fördern und nicht dick machen. Allerdings: So einfach ist es nicht.

Besonders spannend sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse der 2020 veröffentlichten Rotterdam-Studie. Die Forscher der Erasmus-Universität untersuchten dabei an 7786 Studienteilnehmern, wie sich die Proteinzufuhr mit der Nahrung auf das Risiko auswirkt, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu versterben. Die Gesamtergebnisse zeigten: Je höher die Proteinzufuhr, desto höher (!) war auch das Risiko, im Lauf der Studie zu versterben. Im nächsten Schritt schauten sich die Wissenschaftler dann an, ob es einen Unterschied macht, welche Art von Protein diesen nachteiligen Effekt vermittelt. Das Ergebnis der Rotterdam-Analyse zum Zusammenhang von Protein-Qualität und dem Risiko für einen Herz-Kreislauf-Tod war eindeutig:

 Protein aus Fleisch und Milch war mit einer Risikoerhöhung verbunden.

 Pflanzliches Protein insgesamt (v. a. aus Kartoffeln und Getreide) war ohne Einfluss auf das Risiko (Nulleffekt).

 Pflanzliches Protein aus Hülsenfrüchten, Nüssen, Gemüse und Obst war mit einer Risikosenkung verbunden.

Je höher der Konsum vor allem an rotem Fleisch (z. B. Rind, Schwein) und verarbeitetem Fleisch (z. B. Wurst und Schinken), desto höher ist auch Ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Heißt das nun, dass Sie zwingend zur Vegetarierin oder zum Veganer werden müssen? Nicht unbedingt. Aufschlussreich und alltagsrelevant ist hier eine Analyse, die 2019 von der Ernährungswissenschaftlerin Marta Guasch-Ferré an der Harvard-Universität in Boston durchgeführt wurde: Das Forscherteam interessierte sich für die Frage, ob es einen Unterschied für die Herzgesundheit macht, wodurch man Fleisch ersetzt, oder ob es ganz egal ist, solange man Fleisch insgesamt reduziert.

Das Ergebnis: Entscheidend für Ihr Herz ist, wodurch Sie Fleischmahlzeiten ersetzen. Wenn Sie Rind- und Schweinefleisch zumindest teilweise durch hochwertiges pflanzliches Eiweiß aus Hülsenfrüchten (Erbsen, Bohnen, Linsen, Soja) und Nüssen (Walnüsse, Mandeln) ersetzen, dann sinkt Ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich. Ersetzen Sie das Fleisch dagegen durch Brot, Nudeln oder Kartoffeln, bringt das Ihrer Herzgesundheit nichts.

Herzgesundheit mit Nahrungsergänzungsmitteln?

Sehr viele Nahrungsergänzungsmittel werden mit positiven Effekten auf die Herzgesundheit beworben. Ob solche Supplemente sinnvoll sind oder nicht, wurde inzwischen in sehr großen Studien geprüft. Die letzte große Auswertung zu dieser Frage wurde 2019 unter Leitung von Prof. Erin D. Michos an der Johns Hopkins School of Medicine (Baltimore, USA) durchgeführt. In die Analyse eingeschlossen wurden Daten aus 277 Studien mit knapp einer Million Teilnehmern. Die Ergebnisse waren für die Freunde der Nahrungsergänzungsmittel äußerst ernüchternd (siehe Tabelle >).

SIND NAHRUNGSERGÄNZUNGSMITTEL HERZGESUND?

STOFFFUNKTIONERGEBNIS DER STUDIEN
ArgininAminosäure in pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln; ist an der Blutdruckregulation beteiligtgeringfügig blutdruck-senkender Effekt bei 6–8 g pro Tag
Kalziumessenziell für die Knochengesundheit, reguliert auch den Blutdruck und die BlutgerinnungZufuhrmengen von mehr als 1 500 mg pro Tag verschlechtern die Herzgesundheit.
Kalzium plus Vitamin DEinnahme ohne nachgewiesenen Mangel kann das Risiko für Schlaganfälle erhöhen.
Fischöl und Omega-3-PräparateEicosapen-taensäure und Docosahexaensäure wirken entzündungs-hemmend und reduzieren oxidativen Stress.ohne Vorteil hinsichtlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen[no image in epub file]
Omega-3-Fettsäuren, chemisch verändertNur sie können bei bestimmten Patienten mit erhöhten Triglyzerid-Werten das Herzinfarkt-Risiko senken.
Magnesiumist an sehr vielen Stoffwechsel-prozessen sowie an der Blutdruckregulation beteiligtAb 380 mg Magnesium pro Tag ist eine minimale Blutdruck-senkung möglich, jedoch nur bei echtem Magnesium-mangel.
Multivitaminpräparateweder positive noch negative Effekte auf die Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Vitamin A, E, C, B-Vitamine, Eisensind an der Blutdruckregulation beteiligtohne nachgewiesenen Effekt auf die Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Phytosterolepflanzliche Verwandte des körpereigenen CholesterinsDosierungen ab 2 g pro Tag senken die Blutkonzen-trationen von LDL-Cholesterin; sie beschleunigen (!) aber bei Menschen mit bestimmten Genen die Gefäßver-kalkung.
Probiotika[no image in epub file]Beeinflussung der Bakterienzusammensetzung im DarmPositive Effekte in Tierversuchen konnten im Menschen nicht nachgewiesen werden.
Resveratrol[no image in epub file]antioxidative Wirkungab Dosierungen von über 1 g pro Tag minimale Blutdruck-senkung um 1–2 mmHg

MACHEN SIE DIE MEDITERRANE ERNÄHRUNG ZU IHRER DAUERERNÄHRUNG!

Es ist Unsinn, sich bei der Frage nach einer möglichst gesunden Ernährung auf einzelne Lebensmittel zu konzentrieren. Sind Walnüsse gesünder als Mandeln? Ist Rapsöl gesünder als Hanföl? Solche Fragen sind ernährungswissenschaftlich interessant, aber selten praxisrelevant. Viel wichtiger ist ein alltagstaugliches Gesamtkonzept, selbst wenn es nicht perfekt ist.

Nach allem, was wir heute wissen, bringt das Konzept der »mediterranen Ernährung« die meisten Gesundheitsvorteile. Im Deutschen wird sie gern als »Mittelmeer-Diät« bezeichnet – allerdings ist diese Übersetzung nicht wirklich zutreffend (siehe unten). Wenn Sie die »mediterrane Ernährung« zu Ihrer Alltagsernährung machen, dann sinkt Ihr Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall schon nach fünf Jahren um rund 30 Prozent. An diese Effektstärken kommen selbst die besten Blutdruck- und Cholesterinsenker nicht heran.

Hierbei handelt es sich aber nicht um eine zeitlich begrenzte »Diät« zur Gewichtsreduktion, sondern um eine dauerhaft durchgeführte Ernährungsweise. Mit der südeuropäischen Touristen-Küche (Pizza, Pasta, Sangria) hat sie nichts zu tun. Am besten ist es, davon so viel wie möglich in den Alltag zu integrieren:

 Möglichst wenig hochverarbeitete Lebensmittel

 Mindestens 3 Portionen Fisch pro Woche, maximal 2 Portionen Fleisch (Bio-Geflügel) pro Woche, sehr wenig Wurst und Schinken

 1 Portion Naturjoghurt täglich (kein Frucht-, Schokojoghurt)

 2 Portionen Vollkorn-Getreideprodukte pro Tag: Hartweizengrieß, Couscous, Bulgur, Polenta, Hirse, Reis, eifreie Pasta

 Mit frischen Kräutern würzen, statt zu salzen: Sie liefern wertvolle sekundäre Pflanzenstoffe.

 Süßigkeiten nur zu besonderen Anlässen (maximal 2-mal pro Woche)

 Getränke: Standard ist Wasser; maximal 1 Glas Wein zum Essen, keine zuckerhaltigen Getränke

 Mindestens 3 Portionen Gemüse pro Tag (roh und gegart), frisches Obst als Dessert oder Snack

 Mindestens 3 Portionen Hülsenfrüchte pro Woche

 Täglich eine Handvoll Nüsse, möglichst ungesalzen

 Mindestens 4 EL Olivenöl als Standard-Speiseöl pro Tag, außerdem Leinöl und Weizenkeimöl (kalte Küche) sowie Rapsöl

Es geht auch ohne Olivenöl: Nordic Diet! Eine mediterrane Ernährung ist also besonders herzgesund – doch was tun, wenn Sie kein Olivenöl mögen? Dann ist für Sie die »Nordic Diet« perfekt. Dabei wurde die mediterrane Ernährung von Ernährungswissenschaftlern an eher nordeuropäische Geschmacksvorlieben und Lebensmittel angepasst (siehe Tabelle >). Auch sie ist eine langfristige Ernährungsweise, mit der Sie sowohl Ihren Blutdruck als auch das LDL-Cholesterin im Blut senken können.

ERNÄHRUNGSWEISEN IM VERGLEICH

MEDITERRANE ERNÄHRUNGNORDIC DIET
[no image in epub file] OlivenölRapsöl
[no image in epub file]Mediterrane Gemüse Auberginen, Zucchini, Artischocken, RadicchioRegionale Gemüse Kohl, Wurzelgemüse
[no image in epub file]Hülsenfrüchte Linsen, Bohnen, Erbsen, KichererbsenHülsenfrüchte Linsen, Bohnen, Erbsen
[no image in epub file]Mediterranes ObstOliven, Granatapfel, Feige, Nektarine, Esskastanie, ZitrusfrüchteRegionales Obst Äpfel, Birnen, PflaumenBeeren Blaubeeren, Preiselbeeren, Sanddorn, Himbeeren, Stachelbeeren, Brombeeren, Johannisbeeren
[no image in epub file] Getreide VollkornweizenGetreide Vollkornroggen, Vollkornhafer
[no image in epub file]Nüsse und Samen Walnüsse, Mandeln, Pistazien, SesamsamenNüsse und Samen Haselnüsse
[no image in epub file]Mediterraner FischRotbarbe, Wolfsbarsch, Dorade,Sardinen, Sardellen/AnchovisRegionaler FischWildlachs, Makrele, Hering/Matjes, Sprotten, Scholle
Fleisch Lamm, Kalb, GeflügelFleisch Wild, Geflügel
[no image in epub file] KäseKäse
[no image in epub file] WeinKeine Entsprechung

ZUSAMMENFASSUNG

Herzgesunde Ernährung

1. Vermeiden Sie Übergewicht und Adipositas!

Halten Sie Ihren BMI zwischen 20 und 25 kg/m². Falls Sie übergewichtig oder adipös sind: Holen Sie sich qualifizierte Unterstützung zur Gewichtsreduktion!

2. Zufuhr erhöhen:

• Gemüse, möglichst bunt und abwechslungsreich (mind. 200 g/Tag)

• Obst als Snack bei »Süßhunger« nutzen

• einfach ungesättigte Fettsäuren (Olivenöl, Rapsöl, Nüsse)

• mehrfach ungesättigte Fettsäuren (fetter Seefisch, Leinöl, Hanföl, Algenöl)

• frische Gewürze (TK ist auch frisch!)

• Knoblauch

• Vollkornprodukte (Brot, Nudeln)

• Hülsenfrüchte (Erbsen, Bohnen, Linsen, Kichererbsen, Soja

• ungesalzene Nüsse, wie Walnüsse, Mandeln (mind. 30 g/Tag)

Neutral

• Eier, Milchprodukte

• Kaffee ohne Zucker! (ob mit Vollmilch oder fettarmer Milch, spielt keine Rolle)

3. Zufuhr begrenzen:

• gesättigte Fettsäuren (rotes Fleisch/Wurst, Schmalz, Käse/Sahne, Palmöl, Kokosöl)

• Kochsalz (hochverarbeitete Lebensmittel)

• Alkohol (max. pro Woche: 8 Gläser Bier (0,3 l) oder 7 Gläser Wein (0,15 l)

• rotes Fleisch (max. 2-mal pro Woche)

4. Dringend vermeiden:

• Transfettsäuren (Junkfood, Chips, Snacks, industriell verarbeitetes Fleisch)

• zuckergesüßte Getränke (Softdrinks, Säfte)

• Phytosterolhaltige Nahrungsergänzungsmittel oder Lebensmittel, die mit Phytosterolen angereichert sind

So finden Sie eine qualifizierte Ernährungsfachkraft

Nach der Lektüre dieses Buches möchten Sie vielleicht zur Tat schreiten und ein Gesundheitsproblem ernährungsmedizinisch angehen. Das geht am besten, wenn Sie sich persönliche Unterstützung von einer qualifizierten Ernährungsfachkraft holen. »Qualifiziert« heißt in diesem Fall: zertifiziert! Denn in Deutschland sind weder »Ernährungsberater« noch »Ernährungstherapeut« gesetzlich geschützte Berufsbezeichnungen – jeder darf sich so nennen, auch ohne jegliche Art von Qualifikation.

Wie können Sie sich dann vor Scharlatanen im Ernährungsbereich schützen? Ganz einfach: Die Berufsverbände der Diätassistenten (VDD) und der Ökotrophologen (VDOE) sowie die zertifizierenden Institutionen VFED und QUETHEB und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) bieten auf ihren Homepages Suchmasken, mit denen Sie zertifizierte Ernährungsfachkräfte in Ihrer Nähe finden können, oft sogar geordnet nach Themenschwerpunkten (z. B. Krebs, Diabetes, Übergewicht usw.). Adressen finden Sie auf >.

Übrigens: Die Kostenübernahme für eine Ernährungstherapie ist eine Kann-Leistung der gesetzlichen Krankenkassen. Die meisten Krankenkassen bezuschussen eine Ernährungstherapie – fragen Sie vorher bei Ihrer Krankenkasse nach! Für Kinder werden die gesamten Kosten erstattet. Voraussetzung ist, dass Ihre Ernährungsfachkraft ein gültiges Zertifikat führt.

Wichtig: Sie benötigen eine Notwendigkeitsbescheinigung Ihres Arztes und in der Regel einen Kostenvoranschlag der Ernährungsfachkraft.

Beratungs-Standards

Zertifikatsinhaberinnen und -inhaber der Berufs- und Fachverbände verpflichten sich, gewisse Standards in der Beratung einzuhalten. Dazu gehört die Produktneutralität – Produktwerbung oder das Anbieten z. B. von Nahrungsergänzungsmitteln sollte Sie ebenso misstrauisch machen wie unrealistische Versprechen (»Mit mir nehmen Sie 5 kg in einer Woche ab!«).

Wertschätzung der Arbeit von Kolleginnen und Kollegen ist nicht verpflichtend, gehört aber zum guten Ton. Von einer guten interdisziplinären Zusammenarbeit mit Ärzten und anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen profitieren vor allem Sie.

Der Begriff »Ernährungsfachkraft« erstreckt sich auf folgende länderspezifische Berufsbezeichnungen: Diätassistent, Ökotrophologin und Ernährungswissenschaftler (Deutschland), Diaetologin (Österreich), Ernährungsberaterin (Schweiz) und Ernährungstherapeut (Südtirol, Italien).

Das große Praxisbuch Ernährungsmedizin

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