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4.2 Das kommunikationstheoretische Modell des Übersetzungsvorgangs (KadeKade, Neubert)

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Vor diesem wissenschaftstheoretischen Hintergrund erklärt es sich, dass eine Reihe von Übersetzungswissenschaftlern, insbesondere die später so genannte „Leipziger Schule“ (Otto KADEKade, Albrecht NEUBERT, Gert JÄGER, Gerd WOTJAK) die ÜbersetzungswissenschaftÜbersetzungswissenschaft als linguistische Teildisziplin verstehen und von „TranslationslinguistikTranslationslinguistik“ sprechen.1 DabeiÜbersetzen hat KADE (1963:91) den Terminus „TranslationTranslation“ als Oberbegriff für Übersetzen und Dolmetschen eingeführt. Der Gegenstand der Wissenschaft war nach JÄGER (1975:77) „die Untersuchung der TranslationsprozesseTranslationsprozesse als sprachliche Prozesse“ und die Analyse der ihnen „zu Grunde liegenden sprachlichen Mechanismen“:

Alle Texte einer SpracheSprache Lx (Quellensprache) können unter Wahrung des rationalen Informationsgehalts im Zuge der TranslationTranslation durch Texte der Sprache Ln (ZielspracheZielspraches. ZS) substituiert werden, ohne daß prinzipiell der Erfolg der KommunikationKommunikation beeinträchtigt oder gar in Frage gestellt wird (KADEKade 1971:26).

Später sollte dann eine Wissenschaft von der „Sprachmittlung“, eine Translationswissenschaft begründet werden (KADEKade 1980). Dabei legte er eine kommunikationswissenschaftliche Auffassung zu Grunde:

Die KS [sc. Kommunikationssituation] in der ZVK [sc. zweisprachig vermittelten KommunikationKommunikation] ist deshalb das objektive Kriterium, von dem aus der Grad der möglichen und/oder notwendigen Übereinstimmung bzw. der zulässigen Nichtübereinstimmung von IKK [sc. Informationskomponenten des Kommunikats] des ZS- [sc. zielsprachigen] Textes gegenüber dem QS- [sc. quellensprachigen] Text bestimmt werden kann.

In beiden Fällen wirkt das „Spannungsfeld zwischen Originalbezogenheit und Empfängergerichtetheit“, jedoch haben die beiden Pole dieses Spannungsfeldes einen unterschiedlichen Stellenwert. Bei der TranslationTranslation hat die Originalbezogenheit das Primat (…), beim ad. Ütr. [sc. adaptiven Übertragen] hingegen die Empfängergerichtetheit (…). Zwischen diesen beiden Polen, die infolge der Unkenntnis der objektiven Zusammenhänge den Streit um die „wörtliche“ bzw. „genaue“ oder „freie“ Übersetzung lange Zeit nicht lösbar erscheinen ließen, bewegte sich in der langen Geschichte des Übersetzens der empirische Übersetzungsbegriff (KADEKade 1980:122; 158).

Nach KADE (1968:7) sollte die TW die „objektiven Faktoren“ im Übersetzungsprozess betrachten, wobei er die geistigen Vorstellungen, mit denen Übersetzer es zu tun haben, als „Abbildungen dieser objektiven Wirklichkeit“ sieht (1968:18).

In den 1960er Jahren wurden in der Akademie der Wissenschaften der DDR die Weichen der wissenschaftlichen Konzeption bis hin zur „komplexen sozialistischen Rationalisierung“ gestellt. Die „wissenschaftliche Weltanschauung“ erklärte die Welt lediglich mit Hilfe der Naturgesetze, nach dem Leitgedanken: „Die Welt ist erkennbar“. Dieser absolute Anspruch auf Wahrheit galt besonders für den Bereich der Wissenschaft, und die „proletarischen Wissenschaftler“ sollten die objektiven Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung im Sinne des dialektischen Materialismus aufzeigen. KADE nennt seine Vorstellung von der Wissenschaftstheorie „den modernen Materialismus“ und meint damit ein Modell, welches „das Primat des Seins gegenüber dem Bewusstsein“ postuliert (KADE 1968:18).

Das erklärte Ziel der Leipziger Schule war die Erstellung einer „Übersetzungsgrammatik“. Darin sollten systematisch alle mehr oder minder regelhaften, von einem Vergleich der Sprachsysteme ableitbaren und vom Übersetzer einzuhaltenden Regeln zusammengefasst werden.

Die idealtypische Übersetzungssituation ist nämlich eine „Abfolge von mechanischen bzw. mechanisierbaren Substitutionsprozessen oberflächengebundener Textkonstruktion (KADE 1968) (zit. nach WILSS 1977:282).

Zentrale Begriffe der Translationslinguistik sind hier KodeKode und Kodewechsel, deren Herkunft aus Nachrichtentechnik und Kommunikationswissenschaft2 die Zielrichtung der TLTranslationslinguistik andeutet. Sie strebt an, den Informationsgehalt eines Textes in der Übersetzung invariant zu erhalten.

Kommunikationswissenschaft ist die Wissenschaft von Bedingungen, Struktur und Verlauf von Informationsaustausch auf der Basis von Zeichensystemen. Ein KommunikationsmodellKommunikationsmodell ist die schematische Darstellung von Kommunikationsprozessen und ihrer Komponenten. Grundkomponenten des nachrichtentechnischen Kommunikationsmodells sind (a) SenderSenders. Autor, Produzent und EmpfängerEmpfänger (Sprecher/Hörer), (b) Kanal bzw. Medium der Informationsübermittlung (akustisch, optisch, taktil), (c) KodeKode (Zeichenvorrat und Verknüpfungsregeln), (d) Nachricht (Mitteilungsinhalt), (e) Störungen (Rauschen), (f) pragmatische BedeutungBedeutung (IntentionIntention, Wirkung), (g) Rückkoppelung (Empfängerreaktion).

Der KodeKode-BegriffBegriff wurde in die SprachwissenschaftSprachwissenschafts. Linguistik übernommen, indem man – vereinfacht ausgedrückt – die LexikLexik einer SpracheSprache mit dem Zeichenrepertoire und die SyntaxSyntax mit dem Zeichenverknüpfungsmechanismus gleichsetzte. In der sprachlichen KommunikationKommunikation (RedeRedes. parole) dient der Kode dazu, eine Nachricht (N) von einem SenderSenders. Autor, Produzent (S) zu einem EmpfängerEmpfänger (E) zu transportieren, d.h. die Nachricht wird zu Übermittlungszwecken enkodiert (verschlüsselt) und beim Empfang wieder dekodiert (entschlüsselt). Das KommunikationsmodellKommunikationsmodell sieht so aus, wenn SenderSenders. Autor, Produzent (S) und Empfänger (E) über ein gemeinsames Zeichensystem (Sprache) verfügen:


Das ÜbersetzenÜbersetzen stellt dann einen Sonderfall dar: Zwischen SenderSenders. Autor, Produzent und EmpfängerEmpfänger muss der ÜbersetzerÜbersetzer (oder der Computer) treten, der einen Kodierungswechsel vornimmt, weil ja der Empfänger des Textes nicht über den gleichen KodeKode (SpracheSprache) wie der SenderSenders. Autor, Produzent verfügt. Dabei muss aber der Informationsgehalt eines Textes invariant bleiben. Nach KadeKade (1968a:203) kann man den zweisprachigen KommunikationsvorgangKommunikationsvorgang der Übersetzung als dreiphasigen Prozess folgendermaßen veranschaulichen:


Der ÜbersetzerÜbersetzer ist nicht nur „Kodeumschalter“, sondern zugleich EmpfängerEmpfänger (E) der AS-Nachricht und SenderSenders. Autor, Produzent (S’) der gleichen ZS-Nachricht, die dann vom zielsprachlichen Empfänger (E’) im VerstehenVerstehen wieder dekodiert wird. Der Blick ist hier auf die Information gerichtet, die unversehrt weitergeleitet werden soll. Dies geschieht durch code-switching im interlingualen Transfer, wobei „Äquivalenz“ erzielt werden soll. Diese gilt als Garant für den Erhalt der Information in der Übersetzung. Jene Auffassung hat die deutsche ÜbersetzungswissenschaftÜbersetzungswissenschaft zunächst sehr stark geprägt. Deren Interesse konzentriert sich auf die Frage,

wie man sprachlich operieren muß, um ausgangs- und zielsprachliche Textintegration zu gewährleisten und interlinguale Strukturdivergenzen auf inhaltlich und stilistisch adäquate Weise zu neutralisieren. Die ÜbersetzungswissenschaftÜbersetzungswissenschaft versteht ÜbersetzenÜbersetzen als einen sprachlichen Formulierungsprozeß, in dessen Verlauf der ÜbersetzerÜbersetzer durch eine Folge von code-switchingcode-switching-Operationen eine von einem ausgangssprachlichen SenderSenders. Autor, Produzent (S1) produzierte Nachricht in einer ZielspracheZielspraches. ZS reproduziert und sie damit dem zielsprachlichen EmpfängerEmpfänger (E2) zugänglich macht (WILSSWilss 1977:62).

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