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1. Sozialgesetzbuch

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Seit Mitte der Siebzigerjahre wird das Sozialrecht Buch für Buch in einem Sozialgesetzbuch (SGB) zusammengefasst. Dieses Kodifikationsvorhaben ist inzwischen weitestgehend verwirklicht. Der nachfolgende erste Blick in das SGB gibt – zusammen mit der Durchsicht der Inhaltsübersichten der jeweiligen Gesetze und der Lektüre der zitierten Paragraphen – eine erste Orientierung.

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a) Den Anfang machte das SGB I, der Allgemeine Teil des Sozialgesetzbuchs, in Kraft getreten am 1. Januar 1976. Das SGB I regelt ua die Aufgaben des Sozialgesetzbuchs, in denen sich die Grundvorstellungen des Gesetzgebers über das Sozialrecht widerspiegeln (§ 1 SGB I), und nennt die sozialen Rechte, die der Erfüllung der in § 1 SGB I genannten Aufgaben dienen (§§ 3–10 SGB I). In den Einweisungsvorschriften der §§ 11–29 SGB I wird das Sozialrecht vorstrukturiert, es werden die Sozialleistungen beschrieben und die dafür zuständigen Leistungsträger benannt. Das SGB I enthält sodann, wie der Allgemeine Teil des BGB sozusagen vor die Klammer gezogen, gemeinsame Vorschriften für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs (§§ 30–67 SGB I); es handelt sich um Bestimmungen zB über die Handlungsfähigkeit (§ 36 SGB I), über das Entstehen (§ 40 SGB I), die Fälligkeit (§ 41 SGB I) oder die Verjährung (§ 45 SGB I) von Sozialleistungsansprüchen oder etwa um Bestimmungen über die Rechtsnachfolge in Ansprüche auf Sozialleistungen (§§ 56–59 SGB I).

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b) Das SGB X, welches ursprünglich die Kodifikation des Sozialrechts hatte beschließen sollen, hat drei Regelungsgegenstände. Es enthält seit Anfang der Achtzigerjahre das Verwaltungsverfahrensgesetz für die Verwaltungstätigkeit der Behörden, die nach dem Sozialgesetzbuch ausgeübt wird (§§ 1–66 SGB X), im zweiten Kapitel die allgemeinen Vorschriften über den Sozialdatenschutz (§§ 67–85a SGB X) und im dritten Kapitel die Vorschriften über die Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander und über ihre Beziehungen zu Dritten (§§ 86–119 SGB X). Letztere, die Vorschriften über die Beziehungen der Leistungsträger zu Dritten, regeln zB den praktisch sehr bedeutsamen gesetzlichen Forderungsübergang (cessio legis) von (privatrechtlichen) Ansprüchen auf die Sozialleistungsträger. Dieser Forderungsübergang bringt übrigens eindrucksvoll zum Ausdruck, wie eng Sozialrecht und Privatrecht miteinander verbunden sind.

Im Ausgangsfall 1 kann A den B wegen seines Körperschadens nicht ohne weiteres auf Schadensersatz in Anspruch nehmen: Als Arbeitnehmer ist A in der gesetzlichen Krankenversicherung sozialversichert (vgl § 5 Abs. 1 Nr 1 SGB V, zur Versicherungsfreiheit als Ausnahme siehe §§ 6–8 SGB V, Rn 178 ff). Die privatrechtlichen Ansprüche des A auf Schadensersatz wegen des Körperschadens (aus § 823 BGB, §§ 7, 18 StVG) gehen gemäß § 116 SGB X kraft Gesetzes im Moment des Schadensereignisses auf den Krankenversicherungsträger über, soweit dieser Leistungen (wie die Krankenbehandlung oder Krankengeld) zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen. Nicht A, sondern der leistungspflichtige Krankenversicherungsträger kann also (aus kraft Gesetzes übergegangenem Recht) von B wegen des Körperschadens in diesem Umfang Schadensersatz verlangen. A selbst kann nur insofern Ersatz beanspruchen, als die Sozialleistung den Schaden (zB das Krankengeld iHv 70% [§ 47 Abs. 1 SGB V] den Erwerbsschaden) nicht deckt. Abgesehen hiervon kann A Schmerzensgeld (dafür gibt es keine kongruente Sozialleistung) und Ersatz des Sachschadens von B beanspruchen.

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c) Inzwischen ist über den Allgemeinen Teil und das SGB X hinaus der größte Teil des Sozialrechts in das SGB eingeordnet. Das gilt vor allem für das gesamte Sozialversicherungsrecht, nämlich das Recht der Krankenversicherung (SGB V) seit 1989, das Recht der Rentenversicherung (SGB VI) seit 1992, das Recht der 1995 in Kraft getretenen Pflegeversicherung (SGB XI) und das Recht der Unfallversicherung (SGB VII) seit 1997. Mit der Einführung der Pflegeversicherung als Elftes Buch ist zugleich der vorgesehene Rahmen des Sozialgesetzbuchs gesprengt worden. Das Sozialgesetzbuch hatte ursprünglich die Bücher I bis X umfassen sollen, das Sozialversicherungsrecht hatte insgesamt im SGB IV geregelt sein sollen. Das SGB IV von 1976 enthält statt des gesamten Sozialversicherungsrechts, vor die Klammer gezogen, die gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung. Eingeordnet ist ferner seit 1990 das Kinder- und Jugendhilferecht als SGB VIII. Das bis dahin im Arbeitsförderungsgesetz (AFG) geregelte Arbeitsförderungsrecht ist seit 1998 als SGB III in das Sozialgesetzbuch integriert. Die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ist 2001 im SGB IX zusammengefasst worden. Seit 2005 finden sich die Grundsicherung für Arbeitsuchende („Arbeitslosengeld II“) im SGB II und das Sozialhilferecht im SGB XII. Am 12. Dezember 2019 wurde das SGB XIV erlassen[2]. Es wird bis zum 1. Januar 2024 in Schritten das Entschädigungsrecht neu gestalten und das Bundesversorgungsgesetz (BVG) und das Opferentschädigungsgesetz (OEG) ablösen.

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d) Wenige Teilgebiete des Sozialrechts stehen noch außerhalb des SGB, zB das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) und das Wohngeldgesetz (WoGG). Gemäß § 68 SGB I gelten diese (und die weiteren dort aufgelisteten) Gesetze als besondere Teile des Sozialgesetzbuchs.

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e) Ursprünglich sollte bei der Schaffung des Sozialgesetzbuchs die Kodifikation des unübersichtlich gewordenen Sozialrechts im Vordergrund stehen. Man spricht in diesem Zusammenhang üblicherweise von einer „Kodifikation mit begrenzter Sachreform“. Die zunächst erlassenen Bücher (SGB I, SGB IV, SGB X) entsprachen im Wesentlichen diesem Vorhaben. Die Einordnung des Sozialversicherungsrechts in das SGB ab Ende der Achtzigerjahre ist jedoch mit zum Teil beträchtlichen Sachreformen verbunden gewesen. Das gilt insbesondere für die Einordnung des Krankenversicherungsrechts als SGB V mit dem Gesundheitsreformgesetz (GRG) 1989 und für die Einordnung des Rentenversicherungsrechts als SGB VI mit dem Rentenreformgesetz 1992. Während man bei der Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (als SGB VII 1997 in Kraft getreten) ohne nennenswerte inhaltliche Änderungen ausgekommen ist, haben bei der Einordnung des Arbeitsförderungsrechts (als SGB III 1998 in Kraft getreten) und auch bei der 2005 wirksam gewordenen Neugestaltung des Arbeitslosenhilferechts wiederum Sachfragen eine große Rolle gespielt.

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Zusammenfassende Übersicht:

(1) Sozialgesetzbuch


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(2) „Ergänzungsband“ (§ 68 SGB I)


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f) Das Sozialrecht ist nahezu durchweg Bundesrecht. Dem Landesrecht bleibt nur geringer Raum, insbesondere für ergänzende und untergesetzliche Normen (zB Krankenhausgesetze der Länder).

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g) Im Bereich der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger und der Bundesagentur für Arbeit spielt neben dem Gesetzesrecht des Sozialgesetzbuchs von der Exekutive auf Grund gesetzlicher Ermächtigung gesetztes Recht eine wichtige Rolle[3]. Es hat vielfach die Gestalt von autonomem Satzungsrecht, das Sozialrecht kennt aber eine Vielfalt von Formen des Exekutivrechts. Darauf wird in dem jeweiligen sozialrechtlichen Sachzusammenhang eingegangen.

Beispiele:

Bestimmung des Kassenindividuellen Zusatzbeitrages in der Krankenversicherung durch Satzung der Krankenkasse (§ 242 Abs. 1 SGB V); Unfallversicherung von Unternehmern kraft Satzung der Berufsgenossenschaften (§ 3 Abs. 1 Nr 1 SGB VII).

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