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Zucker im Kaffee

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Doch das Studentenleben, so wie ich es damals erlebte, war durchaus nicht immer nur Spaß und Hallodri-o. Schon im ersten Semester durfte ich erfahren, dass die Sorge um den schnöden Mammon auch in meiner harmlosen Studentenunterkunft schon ihr Unwesen trieb und Anlass genug war, selbst um kleinste Pfennigbeträge hart zu streiten – eine Unsitte, die mir aus dem eigenen Elternhaus, das wahrlich nicht auf Rosen gebettet war, so gut wie unbekannt war. Damals wie heute litten viele Studenten unter ständiger Geldknappheit und hatten daher im Allgemeinen weniger als (k)eine Mark zu verschenken.

Demgegenüber galt für mich bis zum Ende meiner Schulzeit, vor dem Studium also: Wer nichts hat, hat auch nichts, worum er sich Sorgen machen kann. Aber jetzt war nicht nur ich selbst in der Fremde ganz auf mich allein gestellt, auch die anderen jungen Erwachsenen um mich herum mussten ohne die praktische Hilfe ihrer Eltern zurechtkommen und hatten oft so ihre liebe Not damit.

In meinem ersten Semester waren die meisten Studenten sogar noch erheblich älter als ich und kamen mir daher sehr erfahren und weise vor. Bis ich bemerkte, dass sie sich bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten immer noch absolut kindisch benahmen. (Genauso wie es manche Erwachsene bis ins hohe Alter tun...) Und je geringfügiger der Anlass, desto kindlicher die Methoden:

Zum Wachwerden gehört auch bei Studenten reichlich Zucker in den ersten Morgenkaffee, und wenn man selber keinen hat, dann kann sich ja immer noch bei anderen bedienen. So dachte jedenfalls ein unbekannter Mitbewohner in unserem Studentenwohnheim. (Mitbewohnerinnen hatte ich in diesem ersten Studiensemester noch keine, denn es handelte sich wegen der Gemeinschafts-Toiletten und Waschräume bei meiner ersten Unterkunft sogar im Jahre anno 1970 noch um ein reines Männerwohnheim.) Heimlich, still und leise stibitzte er derart massenweise Zucker aus der Dose eines anderen Studenten, dass dieser sich zu Gegenmaßnahmen gezwungen sah. Er beriet sich mit einigen anderen, ihm vertrauenswürdig erscheinenden Heimbewohnern. Gemeinsam kann man auf die glorreiche Idee, den Zucker in der Dose komplett gegen Salz auszutauschen.

Am anderen Morgen wurden alle Mitstudenten, die ihren Frühstückskaffee im Gemeinschaftsraum tranken, aufmerksam und mit Argusaugen beobachtet. Jeden Moment erwartete man, dass einer der Studenten, der den versalzenen Kaffee trinkende Zuckerdieb nämlich, das Spucken anfangen würde.

Doch man hatte nicht mit der Abgebrühtheit dieses Gewohnheitsdiebes gerechnet. Keiner der morgendlichen Kaffeetrinker verzog eine Miene, obwohl sich der gesuchte Mitbewohner – wie man im Nachhinein schadenfroh feststellte – reichlich Salz in den Kaffee getan hatte. Der scheinbar so geniale Trick war aber dennoch vollkommen ins Leere gelaufen. Und er ließ sich dummerweise auch nicht mehr so ohne Weiteres wiederholen, denn ab sofort fand man auf dem privaten Zucker-, beziehungsweise Salzvorrat des leidtragenden Kommilitonen jeden Morgen einen kleinen, kreisförmigen Fingerabdruck, mit dem der gewitzte Dieb anscheinend vorab überprüfte, ob auch wirklich Zucker in „seiner“ Dose war.

Man musste also nach einem neuen Weg suchen, den mit allen Wassern gewaschenen Dieb zu täuschen, und dabei noch schlauer vorgehen als zuvor: Die Dose wurde wieder bis zum Stehkragen mit Salz gefüllt. Aber ganz zum Schluss kam oben drüber noch eine hauchdünne Zuckerschicht! Man kicherte leise über diesen genialen Einfall und wartete gespannt auf den nächsten Morgen.

Grundsätzlich war die neue Strategie auch erfolgreich, denn tatsächlich – der fiese Zuckerdieb wurde erneut getäuscht: Wie beim ersten Mal tat er sich reichlich Salz in seinen Kaffee, und wie beim ersten Mal verzog er keine Miene beim Trinken. Daher führte selbst diese eigentlich hoch geniale Gemeinschaftsidee nicht zur Enttarnung unserer diebischen Elster.

Um eine lange Geschichte abzukürzen, man hat den gemeinen Zuckerdieb am Ende doch noch überführt. Wie? Ganz einfach: Statt Salz tat man schließlich Waschpulver in die Zuckerdose, mit einem Hauch von Zucker darüber, und Bingo – der Schaum auf dem Kaffee war nicht zu übersehen und nicht zu leugnen. Und – Ende gut, alles gut – nach diesem preiswürdigen Geniestreich herrschte endlich wieder Friede in unserer studentischen Gemeinschaftshütte!

Wir haben alle mal klein angefangen

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