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Ein Prinz im Wohnheim

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Ausländische Studenten gab es reichlich in allen öffentlichen geführten und ebenso finanzierten Wohnheimen, die ich während meines Studiums in Göttingen bewohnen durfte. Während die hier geborenen Studenten überwiegend aus dem gehobenen Bildungsbürgertum kamen – mit mir als einer der wenigen Ausnahmen waren die Eltern meistens mindestens beamtete Lehrer, wenn nicht beruflich sogar noch höher gestellt –, kamen ausländische Studenten gar nicht so selten aus irgendwelchen Fürstenhäusern kleinerer, meist arabischer oder afrikanischer Staaten. Gehörten in ihrer Heimat also zur absoluten Oberschicht, dem auch aus deutscher Sicht superreichen Geld- oder sonstigen Adel.

Ein solcher Neuzugang machte sich in unserem Heim sofort „beliebt“, weil er der Meinung war, wir anderen Studenten kämen alle aus einer niedrigeren Kaste. (Um internationale Verwicklungen zu vermeiden, verschweige ich lieber das Herkunftsland!) Seiner Ansicht nach sollten wir alle zusammen für ihn Kochen, Einkaufen und höchstpersönlich seine Bude putzen, um nur die alltäglichsten seiner Ansprüche zu nennen. Er dachte also, wir wären allesamt sein persönliches Fußvolk, das ihn zu bedienen und zu unterhalten hätte.

Nun ja, die Gedanken sind frei. Ein jeder kann sich gern solchen Tagträumen hingeben. Nur darf er nicht erwarten, dass seine Wünsche in der harten Realität auch in Erfüllung gehen!

Es passierte also nichts von dem, was unser ausländischer Gast sich so an gewöhnlichen Dienstleistungen und Handreichungen von uns erhoffte. Für ihn vollkommen unerklärlich, verharrten wir ihm gegenüber in absoluter Passivität. Keiner von uns machte für ihn auch nur den kleinsten Finger krumm.

Notgedrungen musste er sich damit abfinden, nicht von uns bedient zu werden, und irgendwann selbst damit anfangen, sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Was er dann auch tat. Nur sich selber darüber hinaus persönlich für die Wohngemeinschaft in Form der üblichen Sozialdienste nützlich zu machen, das war dann doch nicht seine Welt.

Nun ist es leider so, dass mit solchen Leuten, die wie von einem anderen Stern in die harte Wirklichkeit eines rauen Studentenlebens herabgefallen zu sein scheinen, unter echten Männern im Allgemeinen nicht lange herumgefackelt wird: Ein jeder von uns musste – ohne Ausnahme – von Zeit zu Zeit den Müll in die vor dem Haus vor sich hin müffelnden Container entsorgen. Das war die Pflicht, die uns die Hausordnung und der Gemeinschaftssinn auferlegten. Nur dass diese Tätigkeit unserem neuen, in geistig höheren Sphären verweilenden Mitbewohner überhaupt nicht beizubringen war. Er stellte sich stur, selbst als ihm die vollen Abfalleimer demonstrativ vor die Tür gestellt wurden. Das Ergebnis: Als unsere beiden Abfallbehältnisse aus Küche und Gemeinschafts-Waschraum wieder voll waren, wurde ihm der Abfall erneut vor die Tür gestellt – dieses Mal aber ohne die beiden Eimer!

Glücklicherweise waren alle anderen ausländischen Kommilitonen bei weitem nicht so hochgestochen. Die zahlreichen kalifornischen Gaststudenten in unserem Wohnheim verhielten sich zum Beispiel vollkommen normal und waren in ihrem Freizeitverhalten von deutschen Studenten so gut wie überhaupt nicht zu unterscheiden.

Und andere, ebenfalls aus exotischer Ferne zum Zweck des Studiums nach Göttingen herbeigereiste Hausgäste waren ganz einfach schlauer als unser am Ende von allen Seiten gemoppter „Wohnheimprinz“: Eine afrikanische Familie mit drei Kindern zum Beispiel, die ein Mehrzimmer-Studentenappartement bezog, brachte aus ihrer Heimat klugerweise einfach eine arme Verwandte mit, die für die ganze Familie kochen und putzen musste. Dadurch waren alle anderen Angehörigen ihrer Sippe vollkommen von den lästigen Pflichten des Alltags befreit und konnten sich damit voll und ganz dem Studium (oder anderen angenehmen Zeitvertreiben) widmen.

Wir haben alle mal klein angefangen

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