Читать книгу Peter Prock: Bavaria - Rainer Gros - Страница 10

8 Bärbel, Herrscherin im Archiv

Оглавление

Bärbel war Anfang dreißig und wie viele von der jungen Garde über einen Stu­dentenjob bei der NZ gelandet. Sie hatte Informationstechnologie studiert und damit genau den Weg eingeschlagen, der ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprach. Niemand bei der NZ konnte besser mit einem Computer umgehen als sie. Auch Husoll hatte das erkannt und ihr noch während ihres Studiums eine feste Stelle angeboten. Und zwar nicht irgendeine. Nach dem Abschluss sollte Bärbel die Leitung des Archivs übernehmen und die Rechner der NZ auf Vordermann bringen.

So war es dann auch gekommen. Seitdem klappte die elektronische Datenverarbeitung wie am Schnürchen und wenn ein Mitarbeiter Informationen benötigte, besorgte Bärbel sie ihm in Windeseile. Das Wort geheim kam in Bärbels Wortschatz nicht vor und es schien keine Daten zu geben, die vor ih­rem Zugriff si­cher waren.

Und Bärbel war fast rund um die Uhr ansprechbar. Sie ging so in ihrer Arbeit auf, dass das Archiv zu ihrem Lebensmittelpunkt geworden war. Wenn sie etwas herausfinden wollte, schienen Dimensionen wie Raum und Zeit für sie jede Bedeutung zu verlieren.

Auf Grund ihrer Fähigkei­ten am Computer genoss Bärbel bei Robert, Peter und Ulli höchste Wert­schätzung. Und dies, obwohl sie nicht die geringste weibliche Ausstrahlung besaß. Bärbel war die klassische graue Maus, ein Neutrum.

Auf Äußerlichkeiten wie Kleidung oder Styling legte Bärbel nicht den geringsten Wert und trug im Archiv grundsätzlich irgendwelche formlosen Einteiler, die nur andeutungsweise erahnen ließen, dass darunter ein normaler weiblicher Körper zu stecken schien. Ihr dunkles Haar hatte sie im Nacken zu einem strengen Knoten gebunden, dazu trug sie eine getönte Brille mit Kassengestell, angeblich um ihre Augen vor der Strahlung der Monitore zu schützen.

Da sich die Nachricht von Roberts Tod in der Redaktion wie ein Lauffeuer verbreitet hatte, war Peter gespannt, wie Bärbel die Hiobsbotschaft aufgenommen hatte. Denn zwischen ihr und Robert hatte eine ganz besondere Beziehung bestanden.

Der Grund dafür lag schon ein paar Jahre zurück, als Robert sein Junggesellendasein noch in vollen Zügen genoss und eine Affäre nach der anderen hatte. Bei einer dieser Eskapaden geriet er an die Gattin eines einflussreichen Herrn, der zum Verlegerkonsortium der NZ gehörte. Dieser hohe Herr wollte es nicht hinnehmen, dass ihm ein Klatschreporter aus dem eigenen Haus ans Bein pinkelte und hatte Roberts fristlose Entlassung verfügt.

Roberts Schicksal schien besiegelt zu sein, als das Geschehen plötzlich eine überraschende Wende nahm. Bärbel traf sich zu einem Geheimgespräch mit Roberts Widersacher und danach war Roberts Entlassung wie durch ein Wunder vom Tisch. Wie Bärbel es angestellt hatte, Roberts Kopf zu retten, blieb ihr Geheimnis. Den Gerüchten nach hatte sie eine Leiche im Keller des Verlegers entdeckt. Es musste eine Leiche gewesen sein, die erheblich gestunken hatte, denn Bärbels Schweigen wurde damit belohnt, dass Robert bei der NZ blieb und seinen Job als Gesellschaftsreporter behalten durfte.

Seit diesem Ereignis verband Bärbel und Robert eine ganz besondere Beziehung. Robert verbrachte viel Zeit bei seiner „Verbündeten“ im Archiv und man hatte den Eindruck, als sei aus den beiden eine Art verschworene Gemeinschaft geworden. Und dies, obwohl Bärbel so gar nichts von den weiblichen Attributen besaß, auf die Robert sonst bei Frauen so viel Wert legte.

Die Bezeichnung „Archiv” im traditionellen Sinn galt für Bärbels Räumlichkeiten nur insofern, als dass hier alle frühe­ren Ausgaben der NZ in digitalisierter Form gespeichert waren. Ebenso Unmengen von Fotos, die Ulli und andere Fotografen für die Zeitung geschossen hatten. Doch Aktenordner oder andere herkömmliche Methoden der Archivierung suchte man hier vergebens. Dafür enthielt der Raum hinter seiner metallisch glänzenden Oberfläche alles, was die moderne Informationstechnologie zu bieten hatte.

Allerdings gab es einen kleinen Bereich, der zwischen den hypermodernen Apparaturen auf fast liebenswerte Weise antiquiert wirkte. Eine vom Tageslicht beschienene Fensternische, deren Wände Bärbel mit Fotos aus Roberts Rubrik dekoriert hatte. Ein kleines Panoptikum aus der Welt der Schönen und Reichen.

Promis, die sich mit Robert unterhielten oder mit ihm für die Kamera posierten.

Als Peter ins Archiv kam, saß Bärbel mit dem Rücken zu ihm vor einem Monitor. Sie trug ein einteiliges Wollkleid und in ihrem Haarknoten steckte die übliche Hornspange. Behutsam legte Peter seine Hände auf ihre Schultern. „Hallo Bärbel”, sagte er leise.

Bärbel blieb einen Moment wie erstarrt sitzen, dann stand sie ganz langsam auf und fiel Peter in die Arme. Er spürte, wie ihr die Tränen die Wangen hinunter liefen.

Einen Augenblick hielten sie sich gegenseitig fest. Dann setzte sie sich wieder und Peter nahm neben ihr Platz.

Sie sah den Freund aus geröteten Augen an. „Erzähl mir, was passiert ist!“

Peter musste ganz genau berichten, was in der vergangenen Nacht geschehen war.

Als er seinen Bericht beendet hatte, schüttelte Bärbel in stiller Verzweiflung den Kopf. „Und wie geht es jetzt weiter?“

„Ulli ist zur Polizei gefahren, um zu erfahren, was bei der kriminaltechnischen Untersuchung von Roberts Wagen herausgekommen ist. Ich fahre jetzt zu Beaulieu, sehe nach Roberts Mantel und versuche, irgendeinen Hinweis auf die Drogen zu finden.“ Peter deutete auf den Monitor. „Husoll sagte, dass du Infos über diesen Beaulieu für mich hast.“

Bärbel wischte sich über die Augen und nickte. „Dieser Beaulieu ist eine schillernde Figur. Ich habe ein paar Infos für dich ausgedruckt. Aber es ist fast immer dasselbe.“

Sie griff zu einem Stapel ausgedruckter Blätter und reichte Peter den obersten Bogen. Es handelte sich um einen Ausschnitt aus Roberts Klatschspalte und zeigte Beaulieu bei der Eröffnung einer Vernissage. Auch die weiteren Blätter stammten aus Roberts Spalte und drehten sich um öffentliche Auftritte von Beaulieu.

„Diese Berichte sind sich alle sehr ähnlich”, sagte Bärbel, „jede Menge Schickimicki, Feste, Vernissagen. Beaulieu der Bonvivant, der Mäzen und der Schwule.“ Dann griff sie zu einem Blatt, das sie zur Seite gelegt hatte. „Doch das hier hat mich überrascht.“ Mit bedeutungsvoller Geste reichte sie es Peter.

Als Peter das Blatt betrachtete, konnte er seine Überraschung nicht verbergen. „Wow!“, sagte er, „wann war das denn?“

„Vor etwa dreieinhalb Jahren”, sagte Bärbel.

Der Ausdruck stammte aus der Klatschspalte der Abendzeitung und betraf den Weißen Fasching, das populäre Karnevalsfest der Max Emanuel Brauerei, bei dem alle Gäste ganz in Weiß erscheinen. Das dazugehörige Foto zeigte zwei Männer in einem identischen weißen Kaftan, auf der Brusttasche ein goldenes “B” auf einer stilisierten Säule, das Logo von Beaulieus Softwareschmiede. Die Position, in der die beiden Männer nebeneinander standen, wirkte sehr vertraut. Sie hatten ihre Kapuzen zurückgeschlagen und lächelten in die Kamera. Der eine Mann war Beaulieu, der andere Robert.

Peter Prock: Bavaria

Подняться наверх