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2 Der Fotograf Ulli Petzold macht eine grauenhafte Entdeckung

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Zur gleichen Zeit ging in Greg Beaulieus Anwesen ein rauschendes Fest über die Bühne. Der Champagner floss in Strömen und die Band heizte dem Meer der wogenden Leiber auf der Tanzfläche mächtig ein

Robert würde in seiner Klatschspalte einiges zu berichten haben. Und Ulli hatte die dafür notwendigen Fotos gemacht. Er packte seine Kamera ein und sah sich um. Für seinen Geschmack war das Fest zu laut und dieser Schicki-Micki-Gesellschaft fühlte er sich ohnehin nicht zugehörig. Aber bevor er fuhr, wollte er sich von Robert verabschieden. Das war so üblich.

Da er ihn nirgendwo entdecken konnte, ging er zurück zur Bar, wo sich Robert am liebsten aufhielt. Aber auch hier war er nicht. Nur Frank, den Robert heute Abend als seinen Arzt mitgebracht hatte. Frank kam zusammen mit Robert und Peter regelmäßig in Ullis Sportclub. Denn in seiner Freizeit arbeitete der Fotograf als Boxtrainer.

„Hast du Robert gesehen?“, fragte Ulli.

„Nein“, sagte Frank, „er ist einfach aufgestanden und gegangen. Ich dachte, er geht pinkeln. “

„Wie lange ist das her?“

Frank sah auf seine Uhr. „So etwa eine halbe Stunde.“

Ulli überlegte, wo Robert hingegangen sein konnte. Ihm war aufgefallen, dass Robert heute merkwürdig drauf war. Introvertiert und ohne die übliche Energie. Vielleicht lag es an der Erkältung, die er schon länger mit sich herumschleppte. Hatte er sich deshalb so lange mit dem Arzt unterhalten?

„Was macht Roberts Erkältung?“, fragte er Frank.

„Unverändert“, meinte der Arzt.

Ulli sah hinüber zur Tanzfläche. Die Band heizte den Gästen mächtig ein. „Willst du nicht tanzen?“, fragte er Frank.

Die Frage war naheliegend, denn der Arzt war Single und auf dem Fest wimmelte es von attraktiven Frauen.

„Bin nicht in Stimmung“, sagte Frank, „in ein paar Stunden geht mein Flieger.“

Ulli erinnerte sich, dass Frank von dem Fest direkt zum Flughafen fahren wollte, um mit einer der ersten Maschinen für eine Woche auf die Bahamas zu fliegen.

„Flugangst?“, fragte Ulli.

„Eher Reisefieber“, sagte Frank. Dann fiel ihm etwas ein. „Vielleicht ist Robert bei seinem Bruder?“

Ulli überlegte. Das war eine Möglichkeit. Robert lebte mit seinem Bruder Günther seit der Kindheit in einer Dauerfehde und hatte sich schon seit langem vorgenommen, den Zwist zu beenden. Deshalb hatte er Günther und dessen neuer Partnerin Verena Einladungen zu dem Fest besorgt. Es konnte gut sein, dass Robert bei seinem Bruder war. Ulli wusste, dass Robert dieser Schritt nicht leicht fiel, aber er könnte erklären, dass sich der Freund heute Abend in einer so gedrückten Stimmung befand.

Ulli wusste, wo Günther saß. Er hatte ihn bereits vorhin bei seiner ersten Fotorunde gesehen und kurz begrüßt.

Als Ulli an Günthers Tisch trat, wurde ihm sofort klar, dass die erhoffte Annäherung nicht stattgefunden hatte. Roberts Bruder wirkte angespannt und sah Ulli mit finsterer Miene an. Ein Freund seines verhassten Bruders war für ihn automatisch eine Persona non grata.

„Hast du Robert gesehen?“, fragte Ulli.

„Nein“, antwortete Günther schroff und wandte sich demonstrativ wieder seiner Begleiterin zu.

„Schade.“ Ulli ging wieder zurück zur Bar und erzählte Frank von Günthers Reaktion. Der Arzt schien nicht verwundert. „Du kennst doch die verfahrene Situation. Ich glaube nicht, dass sich daran je etwas ändern wird.“

Ulli nickte. Wahrscheinlich hatte Frank Recht. Trotzdem fragte er sich, wo Robert geblieben war. Es war absolut unüblich, dass einer ohne Rücksprache mit dem anderen ein Fest verließ, an dem sie aus beruflichen Gründen gemeinsam teilnahmen.


„Ich möchte wissen, wo Robert steckt“, sagte Ulli.

„Vielleicht ist er schon gefahren?“, vermutete Frank. Dann fiel ihm noch etwas ein. „Könntest du mir einen Gefallen tun?“

„Klar. Was?“

„Für Peter etwas mitnehmen?“

„Kein Problem“, sagte Ulli.

Frank öffnete seine kleine Herrentasche. Sie enthielt die typischen Utensilien wie Brieftasche, Kalender und Schlüssel. Und dann fiel Ulli ein Foto ins Auge. Es lag ganz oben auf, als hätte Frank es eben erst betrachtet.

Frank drehte die Tasche schnell zur Seite und reichte Ulli ein kleines Päckchen. „Gib das bitte Peter, wenn du ihn das nächste Mal siehst.“

Ulli nahm das Päckchen entgegen. Es war leicht und höchstens halb so groß wie eine Zigarettenschachtel. Als Verpackung diente weißes Papier, das Frank provisorisch mit Klebeband gesichert hatte. Wie ein Geschenk sah es nicht gerade aus.

„Was ist das?“, Ulli konnte sich die Frage nicht verkneifen.

„Eine Nachricht für Peter“, sagte Frank. Seine Miene verriet, dass er dazu nicht mehr sagen wollte.

„Okay“, sagte Ulli und steckte das Päckchen ein. Es war für ihn im Moment auch weniger interessant als die Frage, warum Frank dieses Foto, das er eben kurz gesehen hatte, noch mit sich herumtrug.

Denn Ulli hatte die Person auf dem Bild sofort erkannt.

Eine hübsche junge Frau.

Ihr Name war Laura.

Sie war früher mit Frank liiert gewesen.

Doch inzwischen hatte sie Robert geheiratet und ein Kind von ihm.



Frank versuchte, Ullis sichtliche Irritation zu überspielen und deutete mit einem Kopfnicken auf einen Tisch in ihrer Nähe, wo der Herr des Hauses gerade die Aufmerksamkeit auf sich zog. Greg Beaulieu, im glitzernden Smoking und das Champagnerglas in der Hand, busselte einige Gäste. Dicht gefolgt von einem blonden Jüngling, der eifersüchtig darüber wachte, dass der Jubilar keinem Mann zu nahe kam. Vor allem keinem attraktiven.

„Konnte man sein Schwulsein schon immer so offen ausleben?“, fragte Frank leise.

„Wenn man genug Geld hat“, flüsterte Ulli zurück. Dann sah er sich erneut im Saal um. Von Robert weiterhin keine Spur. War sein Glas vielleicht ein Hinweis? Robert trank grundsätzlich nur Campari, so dass sein rotes Getränk in dem Meer der Champagnergläser fast wie ein Leuchtturm zu erkennen war. Aber Ulli sah kein Glas mit einem roten Inhalt.

Eine Möglichkeit gab es noch. Ulli sah auf sein Handy. Er hatte Robert eine SMS geschickt. Aber es war keine Antwort eingegangen. Eine ungewöhnliche Funkstille, denn seit Robert geheiratet hatte, war er sehr zuverlässig und hatte Ullis Nachrichten immer sofort beantwortet.

Was war heute los? Warum hatte sich Robert nicht verabschiedet und warum reagierte er nicht auf Ullis SMS? War er in alte Zeiten zurückgefallen? Wie ein Alkoholiker, der seine Abstinenz nicht länger durchhalten konnte? War ihm wieder eine Frau über den Weg gelaufen, bei der er nicht Nein sagen konnte?

Robert würde es ihm erklären, wenn sie sich in der Redaktion trafen. Auf jeden Fall gab es für Ulli keinen Grund mehr, länger zu bleiben. Er hängte sich die Fototasche um, wünschte Frank einen guten Flug und ging.

Vor dem Haupteingang musste er einen Bogen um einen schwarzen 7er BMW machen, der am Fuß der Treppe stand. Hinter dem Steuer saß ein gelangweilter Chauffeur und kaute Kaugummi. Ulli kannte den Mann. Vor allem den Herrn, den er fuhr. Er zählte zu den Promis, die Ulli heute Abend fotografiert hatte. Es handelte sich um Hubert Gerweiler, den einflussreichen Staatssekretär aus dem Innenministerium.

Gerweiler tauchte häufig auf den Festen der Schickeria auf und Robert hatte ihn in seiner Rubrik einmal als „Platzhirsch unter den politischen Partygängern” bezeichnet. Das hatte dem Staatssekretär gar nicht gefallen und bei der nächsten Begegnung hatte er Robert mit dem ausgefahrenen Zeigefinger gegen die Brust getippt und gedroht. Wenn er es noch einmal wagen sollte, ihm ans Bein zu pinkeln, würde er ihm zeigen, wer in diesem Land das Sagen hatte. Dann könne Robert sehen, ob er sich als Arbeitsloser noch einen Porsche leisten kann.

Natürlich hatte Robert seinen Chefredakteur Husoll über diese Begegnung informiert. Husoll hatte amüsiert abgewinkt. Er stammte aus dem Norden der Republik und konnte über die bayrische Wesensart nur milde lächeln. Vor allem über Politiker im Trachtenanzug, die mit dem Maßkrug in der Hand glaubten, dass der Freistaat seine eigenen Gesetze habe und dass die CSU legitimiert sei, den Prinzipien des Feudalismus weiterhin Geltung zu verschaffen.

Als Ulli das Hoftor von Beaulieus Anwesen hinter sich gelassen hatte, sah er seinen Wagen. Aber Roberts Porsche, der neben seinem BMW gestanden hatte, war verschwunden.

Ulli blickte noch einmal auf sein Handy. Immer noch keine Nachricht von Robert.

Egal. Mehr konnte er nicht tun. Jetzt freute er sich auf sein Bett.

Ulli öffnete das Schiebedach und fuhr los. Nach dem lauten Fest war das Säuseln des Fahrtwindes eine wahre Erholung. Wenn die Straßen frei waren, machte Ulli das Autofahren noch Spaß. So wie hier auf dieser einsamen Landstraße mit ihren langgezogenen Kurven.

Doch dann war es mit der idyllischen Einsamkeit schlagartig vorbei. Hinter einer Kurve sah sich Ulli einer Front flackernder Blaulichter gegenüber. Er nahm den Fuß vom Gas und versuchte zu erkennen, was passiert war.

Es handelte sich offensichtlich um einen Unfall, denn er sah einen Notarztwagen. Polizisten mit Leuchtkellen winkten Ulli im Schritttempo an den Einsatzfahrzeugen vorbei. Dann sah er, was passiert war. Ein Fahrzeug war, aus seiner Richtung kommend, gegen einen der mächtigen Alleebäume gerast. Der Wagen musste eine so wahnsinnige Geschwindigkeit drauf gehabt haben, dass er sich regelrecht um den Stamm gewickelt hatte. Von dem ursprünglichen Auto war kaum noch etwas zu erkennen. Schaudernd erkannte Ulli, dass sich die Insassen noch in dem Fahrzeug befinden mussten, denn Feuerwehrleute waren fieberhaft damit beschäftigt, mit einer hydraulischen Rettungsschere in das Innere des Wagens vorzudringen.

Das Kennzeichen schien das Einzige an diesem deformierten Klumpen Blech zu sein, das unbeschädigt geblieben war.

Ulli registrierte das Nummernschild mit der gleichen emotionalen Distanz wie bei den zahlreichen anderen Unfällen, über die er als Reporter berichten musste.

Doch dann ließ ihm die Kombination aus Buchstaben und Zahlen den Atem stocken.

Dieses Kennzeichen kannte er.

Der Klumpen Blech war Roberts Por­sche!

Peter Prock: Bavaria

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