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5 Verdacht auf Drogen

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Als Günther zwei Minuten später den Ambulanzraum in Begleitung des Chirurgen verließ, sprach sein Gesicht Bände. Schwerfällig ließ er sich neben Verena nieder.

„Und ...?”, Peter wollte Gewissheit haben.

Günther atmete tief durch. „Es ist Robert.”

Eisiges Schweigen legte sich über die Runde. Die kleine Flamme der Hoffnung war jäh erloschen. Bei dem Toten handelte es sich also doch um Robert und nicht um einen Autodieb!

Ulli fand als erster seine Fassung wieder und stand entschlossen auf. „Robert war für mich mehr als nur ein guter Freund”, verkündete er. „Ich möchte mich selbst von ihm verabschieden."

Der Chirurg schien skeptisch. „Behalten Sie ihn lieber so in Erinnerung, wie Sie ihn kannten”, meinte er, „es ist kein schöner Anblick.”

„Ich kann es mir denken”, sagte Ulli, „ich war selbst am Unfallort. Aber ich möchte ihn noch einmal sehen.”

Der Chirurg zuckte mit den Schultern und schob Ulli die Schiebetür auf. Peter folgte zögernd.

Der Ambulanzraum sah aus wie ein Schlachtfeld. An einem Ständer hingen mehrere halbvolle Infusionsflaschen und die Blutspuren auf dem Boden waren mit Zellstoff mehr verschmiert als entfernt worden. Der Körper auf dem Behandlungstisch war mit einem blau­en Tuch zugedeckt. Die Füße wiesen Richtung Tür.

Peter fühlte plötzlich, wie sein Magen gegen den Anblick rebellierte. „Ich bleibe hier”, flüsterte er, lehnte sich gegen den Türrahmen und atmete tief durch.

Ulli ging langsam weiter bis zum Kopfende und lüftete vorsichtig das Tuch.

Der Kopf des Toten bot einen grauenhaften Anblick. Der Unfall hatte das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die einst so ebenmäßigen Züge waren kaum mehr zu erahnen. Mund und Nase erinnerten an Robert, auch das, was von dem behaarten Schädel übriggeblieben war. Aber war er es wirklich? Wie konnte Günther bei einer solchen Verstümmelung sicher sein, dass es sich tatsächlich um seinen Bruder handelte?

Was war mit den Augen?

Sie waren geschlossen.

Vorsichtig schob Ulli die beiden Lider nach oben.

Die engen Pupillen betonten die Farbe der Iris - ein helles Blau mit einem winzigen Stich ins Graue.

Das waren ohne Zweifel Roberts Augen.

Die endgültige Gewissheit ließ Ulli erschaudern. Behutsam schob er die Lider wieder zu. Dann strich er über ein Stück unverletzte Stirn. „Machs gut, Kumpel“, flüsterte er, „ich werde dich nie vergessen!“

Er deckte das Tuch wieder über den toten Freund und ging zu Peter, der immer noch am Türrahmen lehnte und um Fassung rang.

Ulli legte ihm die Hand auf den Arm. „Es ist Robert“, sagte er leise. Dann kam er etwas dichter an Peters Ohr heran. „Aber etwas stimmt hier nicht“, flüsterte er.

Peter sah den Freund überrascht an. „Etwas stimmt nicht?“, flüsterte er zurück, „wie meinst du das?“

„Seine Pupillen", flüsterte Ulli, „sie sind immer noch eng. Da er tot ist, müssten sie weit sein."

„Und was bedeutet das?“

Ulli sah Peter nachdenklich an. „Ich bin kein Arzt. Aber soviel ich weiß, sind enge Pupillen ein Zeichen für Drogen!”

Sie gingen wieder nach draußen und setzten sich zu den anderen auf die Bank.

Günther unterhielt sich mit den Polizisten, die vor ihm standen.

„Was wird in Ihrem Bericht als Unfallursache stehen?” fragte er. Seine Stimme klang ganz sachlich. Da er an Roberts Tod jetzt ohnehin nichts mehr ändern konnte, musste er an das Wohl seines Instituts denken. Immerhin trug es ihren gemeinsamen Familiennamen. Er hatte lange genug unter dem zweifelhaftem Lebenswandel seines Bruders gelitten. Wenn Roberts Ableben jetzt von einem Skandal überschattet wurde, konnte das auch dem Ruf seines Instituts schaden.

„Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit”, erklärte der Polizist. Sein Kollege hob vorsichtig die Hand, als wollte er Bedenken anmelden. „Falls sich nicht noch etwas anderes ergibt.”

Günther sah den Beamten irritiert an. „Was sollte sich denn noch ergeben?“

„Wir müssen noch das Ergebnis der Blutprobe abwarten."

Peter horchte auf. Vielleicht lieferte die Untersuchung eine Erklärung für Roberts unkontrollierten Fahrstil und seine engen Pupillen.

„Auf was wird das Blut denn untersucht?"

„Auf Alkohol", antwortete der Polizist. Er überlegte kurz, dann sah er Peter interessiert an. „Oder glauben Sie, es könnte noch etwas anderes mit ihm Spiel sein?"

Peter tauschte einen raschen Blick mit Ulli. Der schüttelte unmerklich den Kopf. Bevor Peter noch etwas sagen konnte, schaltete sich der zweite Polizist ein. „Letztlich ist es uns egal, auf welche Weise jemand seine Fahrtüchtigkeit herabsetzt”, erklärte er gleichmütig, „wenn keine weiteren Personen geschädigt werden ist alles Weitere Sache der Versicherung."

„Dann ist der Fall für sie abgeschlossen?”, fragte Peter ungläubig.

Der erste Polizist hatte noch einmal einen Blick auf seine Unfallskizze geworfen. „Nicht ganz“, sagte er, „einer Frage müssen wir noch nachgehen.”

„Nämlich?” Günthers Misstrauen erwachte wieder. Roberts Unfall durfte keinen Staub aufwirbeln!

„Es gibt keine Bremsspuren”, erklärte der Beamte.

Alle sahen sich verblüfft an.

Verena, die bisher nur schweigend zugehört hatte, fand als erste ihre Sprache wieder. „Und was bedeutet das?”

„Durch das ABS und die damit verbundene Stotterbremse sind Bremsspuren grundsätzlich nicht so gut zu erkennen wie bei blockierenden Reifen, die schwarze Striche auf der Straße hinterlassen.“ Der Polizist sah sein Publikum an. „Aber da es hier überhaupt keine Bremsspuren gibt, muss man auch eine andere Möglichkeit in Betracht ziehen.“

„Nämlich?” Günther runzelte die Stirn.

Der Polizist setzte eine bedeutungsvolle Miene auf. „Dass an der Bremsanlage manipuliert wurde.”

Die vier auf der Bank tauschten überraschte Blicke.

„Wer sollte so etwas tun?“, fragte Verena.

Günther setzte eine vielsagende Miene auf. „Mein lieber Bruder hatte nicht nur Freunde.“

Peter fand die Bemerkung zu dem jetzigen Zeitpunkt reichlich pietätlos, aber Günther hatte Recht. Robert hatte sich tatsächlich eine Menge Feinde gemacht. Nicht nur, weil er die gesellschaftlichen Auftritte mancher hochgestellten Persönlichkeit in seiner Rubrik spöttisch kommentiert hatte. Sondern vor allem deshalb, weil er einigen Herren der Gesellschaft in aller Öffentlichkeit Hörner aufgesetzt hatte. Es konnte gut sein, dass einer dieser Gedemütigten nur auf die passende Gelegenheit gewartet hatte, es Robert heimzuzahlen. Und wenn er es auf Roberts Porsche abgesehen hatte, konnte er es kaum besser treffen als bei Beaulieus Fest. Roberts Wagen hatte unbeobachtet vor dem Hoftor gestanden und jeder hätte sich daran zu schaffen machen können.

Aber selbst wenn jemand Roberts Wagen manipuliert hatte, blieb die Frage offen, warum er sich nicht angeschnallt hatte und warum seine Pupillen so eng waren.

Peter sah den Polizisten an, „Wann wird der Wagen untersucht?”

„Gleich morgen früh”, erklärte der Polizist, „damit für den Fall einer strafbaren Handlung sofort weitere Ermittlungen eingeleitet werden können.”

„Und wann können wir das Ergebnis erfahren?”

„Gegen Mittag im Präsidium.” Der Polizist verstaute seine Unterlagen, griff zum Gruß an die Mütze und verließ zusammen mit seinem Kollegen die Ambulanz.

Der Chirurg sah den beiden Beamten versonnen hinterher. „Vielleicht hat ja tatsächlich jemand an dem Wagen manipuliert.“

Peter bewegte etwas ganz anderes. „Oder es sind Drogen im Spiel.“

„Drogen!“ Günther sah Peter erschrocken an. „Wie kommst du denn auf so was?”

Bevor Peter etwas sagen konnte, kam ihm Ulli zu Hilfe. „Roberts Pupillen sind immer noch eng.”

Günther tauschte mit dem Chirurgen einen kurzen Blick. Einen Moment herrschte betretenes Schweigen.

„Und wenn schon“, sagte Günther schließlich, „selbst wenn Robert Drogen genommen hat, ändert das nichts?”

„Oh doch!“, widersprach Peter. Günthers Gleichgültigkeit machte ihn wütend. „Ich kenne Robert seit einer Ewigkeit. Er hat noch nie irgendwelche Drogen genommen.“

Günther lächelte schwach. „Einmal ist immer das erste Mal.”

Ulli sah noch eine andere Möglichkeit. „Vielleicht hat er die Drogen ja nicht freiwillig genommen?"

„Nicht freiwillig?”, Günther schüttelte den Kopf, „warum sollte Robert gegen seinen Willen Drogen nehmen?“ Er schnaubte unwillig.

Verena legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm. „Bitte keine unnötige Aufregung”, meinte sie sanft, „wir müssen über mögliche Drogen nicht spekulieren.“ Sie sah sich in der Runde um. „Ich schlage vor, dass wir die entsprechenden Untersuchungen selbst durchführen und dann wissen wir Bescheid.“

Peter und Ulli nickten zustimmend.

Der Chirurg hatte Verena interessiert zugehört. Plötzlich begriff er, weshalb ihm der Name Bard so bekannt vorkam. Er sah Günther interessiert an. „Gehört Ihnen das Institut für medizinische Analysen?"

Günther nickte.

Der Chirurg überlegte kurz. Dann wandte er sich wieder an Verena. „Sie haben Recht. Wenn Sie die Untersuchung selbst durchführen, fragt niemand nach Formularen oder Kosten und Sie allein entscheiden, was mit dem Ergebnis geschehen soll.”

Günther Miene verriet, dass ihm der Vorschlag nicht gefiel. „Das macht Robert auch nicht mehr lebendig“, meinte er unwillig.

Peter sah Günther missbilligend an. „Möchtest du denn nicht wissen, was hinter Roberts Tod steckt?“

Günthers Miene blieb abweisend.

„Komm schon”, drängte Verena, „ich kümmere mich selbst um die Untersuchung. Du hast nicht die geringste Arbeit damit.”

Die anderen pflichteten ihr bei.

„Na schön“, sagte Günther schließlich.

Er stand auf, beriet sich kurz mit dem Chirurgen und dann verschwanden die beiden Ärzte hinter der Schie­betür.

Peter sah Verena dankbar an. „Das mit der Untersuchung in Günthers Institut war eine gute Idee von Ihnen. Vielen Dank.”

„Kein Problem“, sagte Verena. Sie zögerte einen Moment, dann sah sie Peter und Ulli mit einem freundlichen Lächeln an. „Ich bin Verena.“ Sie reichte den beiden Männern die Hand. Die nannten ihre Vornamen.

„Wann machst du die Untersuchung?“, fragte Peter.

„Sobald wir zu Hause sind“, sagte Verena, „ich kann jetzt sowieso nicht schlafen.“

„Dürfen wir mitkommen?“, fragte Ulli.

Verena dachte einen Moment nach. Eigentlich war das Günthers Entscheidung. Doch dann nickte sie. „Klar.”

Kurz darauf kamen die beiden Ärzte aus dem Ambulanzraum zurück. Da Günther schlecht zu Fuß war, trug der der Chirurg die Proben. Zwei blutgefüllte Röhrchen und einen Beutel mit einer rosa Flüssig­keit.

Verena stand auf und nahm das Untersuchungsmaterial wie selbstverständlich an sich. „Danke“, sagte sie.

„Können wir jetzt fahren?”, brummte Günther.

„Aber ja”, sagte Verena und lächelte besänftigend. „Ich werde mich wie versprochen selbst darum kümmern, so dass du keine Arbeit hast.“ Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf Peter und Ulli. „Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn Peter und Ulli mitkommen.”

Günthers Miene zeigte einen Anflug von Missfallen, doch dann zuckte er die Schultern.

Sie waren schon am Ausgang, als Günther noch einmal ein paar Schritte zurückging und mit dem Chirurgen sprach. Günther sprach so leise, dass er von den anderen an der Tür nicht vernommen werden konnte. Dagegen war der Chirurg, der in normaler Lautstärke sprach, auch an der Tür zu verstehen. Er sagte Günther zu, den Anruf für ihn zu übernehmen.

Als sie an den Autos angekommen waren und Günther einsteigen wollte, verstellte ihm Verena den Weg. „Welchen Anruf will dein Kollege für dich übernehmen?“

„Eine Sache unter Kollegen“, meinte Günther ausweichend und versuchte, sich an Verena vorbeizuschieben.

„Was für eine Sache?“, insistierte Verena und wich keinen Zentimeter zur Seite.

Peter und Ulli sahen sich verwundert an. Sie hatten noch nie erlebt, dass es jemand wagte, so mit Günther zu sprechen.

„Lass uns fahren!“, sagte Günther.

Verena rührte sich nicht vom Fleck. „Wollten wir nicht ehrlich miteinander umgehen?“

Günther seufzte ergeben. „Der Kollege ruft jemanden für mich an“, sagte er leise.

„Wen?“ Verena ließ nicht locker.

Günther seufzte genervt. „Laura.“


Peter Prock: Bavaria

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