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11 Ein Apotheker als Experte

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Der Apotheker Anton Weigand und seine Frau hatten ihr sonntägliches Mittagessen beendet und wie üblich nur das Nötigste miteinander gesprochen. Jetzt saßen sie jeder in seinem Sessel, Weigand mit der Sonntagszeitung und seine Frau mit einer Illustrierten und langweilten sich dem abendlichen Tatort entgegen. Ihre Gemeinsamkeiten beschränkten sich auf die Mahlzeiten und das Fernsehprogramm, ansonsten bestand ihre kinderlose Ehe nur noch auf dem Papier. Aber sie hatten sich mit ihrem trostlosen Nebeneinander arrangiert. Bevor sie die unkalkulierbaren Risiken einer Scheidung eingingen, machten sie lieber so weiter wie bisher. Keiner von ihnen wollte freiwillig auf die Annehmlichkeiten ihrer Villa verzichten.

Das tragbare Telefon lag neben Frau Weigand. Als es läutete, nahm sie das Gespräch an, wechselte ein paar Worte und legte den Hörer dann wieder neben sich. „Für dich“, sagte sie, ohne ihren Mann anzusehen.

„Wer ist es?“, fragte Weigand.

„Dr. Bard", antwortete sie.

Das Telefonat zwischen dem Apotheker und Günther dauerte nicht lange. „Ich bin bei Dr. Bard“, sagte der Apotheker als er den Raum verließ.

Seine Frau sagte nichts. Sie blickte nicht einmal von ihrer Illustrierten auf.


Verena öffnete dem Apotheker die Tür und bedankte sich für dessen spontanes Kommen. Im Wohnzimmer stellte sie ihm Peter vor.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte der Apotheker, nachdem er auch Günther begrüßt hatte.

„Es ist eine etwas delikate Angelegenheit“, sagte Günther, „mein Bruder ist in der vergangenen Nacht unter dem offensichtlichen Einfluss von Drogen ums Leben gekommen.“

„Mein Gott!“, stieß Weigand hervor. Dann wollte er mehr über den Unfall wissen und Peter schilderte in groben Zügen, was passiert war.

Dann zeigte Günther dem Apotheker die restlichen fünf Tabletten. „Das ist die verhängnisvolle Droge“, erklärte er, „wie unsere eben durchgeführte Analyse ergeben hat, handelt es sich um absolut reines Methylamphetamin.“

Weigand betrachtete die Tabletten mit Interesse.

„Wegen der professionellen Verpackung und der Reinheit des Methylamphetamins“, fuhr Günther fort, „glauben wir, dass die Tabletten aus einer regulären Pharmafirma stammen.“

„Meinen Sie?“, meinte Weigand und warf noch einmal einen Blick auf den Analysebogen. Dann setzte er eine bedeutungsvolle Miene auf. „Sie haben absolut Recht“, sagte er, „sowohl wegen der Reinheit der Substanz als auch wegen der Verpackung. Eine Maschine, die so etwas kann, passt in keine Garage. Die kann nur in einem regulären Pharmabe­trieb stehen."

Peter war noch nicht überzeugt. „Sind Sie sich sicher?“

„Ganz sicher“, bestätigte Weigand, „ich habe als Student bei Pharmafirmen gejobbt und später im Rahmen von Werksführungen immer wieder solche Maschinen aus der Nähe gesehen. Sie sind riesengroß und sehr teuer."

„Die Drogenmafia hat viel Geld", gab Peter zu bedenken.

„Mag sein", entgegnete der Apotheker, „aber Geld allein genügt nicht. Um eine solche Maschine zu betreiben, benötigt man nicht nur die entsprechenden Räumlichkeiten sondern auch eine komplizierte Logi­stik. Eine solche Maschine muss von Experten aufgebaut werden. Ganz abgesehen von dem Betrieb und der Wartung.“ Der Apotheker bekräftigte seine Ausführungen mit einem Nicken. „So etwas funktioniert nur in einem regulären Betrieb.”

Verena hatte trotzdem noch Zweifel. „Aber welche Firma geht ein solches Risiko ein? Wenn herauskommt, dass sie Drogen vom Band laufen lassen, ist das das Ende.”

„Da gebe ich Ihnen Recht“, bestätigte Weigand und dachte kurz nach. „Vermutlich gibt es ein paar schwarze Schafe unter den Mitar­beitern, die ohne Wissen der Firmenleitung am Wochenende oder nachts ihr Drogensüppchen kochen. Bei der Leistungsfähigkeit moderner Maschinen reichen ein paar Stunden, um einen großen Vorrat anzulegen.“

Peter deutete auf die Tabletten. „Sehen Sie eine Chance herauszufinden, in wel­cher Firma diese Maschine stehen könnte?"

Der Apotheker dachte kurz nach. „Ja“, sagte er dann, „denn solche Maschinen sind auf eine bestimmte Tablettengrö­ße eingestellt. Eine Umstellung ist so zeitintensiv, dass sie nicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion erfolgen kann. Deshalb bin ich überzeugt, dass es von dieser Firma mindestens ein offizielles Medikament gibt, das in Form und Größe mit der Droge übereinstimmt."

„Dann müsste man doch herauskriegen können, wo die Drogen herkommen“, meinte Peter. Seine Stimme klang optimistisch. „Wie viele pharmazeutische Unternehmen gibt es denn in Deutschland?"

„Ungefähr vierhundert", antwortete Weigand, „zusammen stellen sie etwa zehntausend ver­schiedene Präparate her."

„So viele!“ Peter konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. „Das klingt ja nach einem Fass ohne Boden."

„Keine Angst", beruhigte Weigand, „die un­gewöhnliche Größe dieser Tabletten macht das Spektrum durchaus überschaubar, denn in die­sem Format werden ausschließlich Brause­ta­blet­ten hergestellt.“ Er nahm die angebrochene Stanniolpackung noch einmal in die Hand. „Sobald wir wissen, wie groß diese Tabletten sind, können wir sie mit den marktüblichen Brausetabletten vergleichen.“

Verena zog einen Zettel aus ihrer Tasche und las vor. „Durch­messer 26,4 mm, Dicke 4,7 Millimeter, Gewicht 5,23 Gramm."

Günther schenkte Verena ein anerkennendes Lächeln, die anderen nickten bei­fäl­lig. Verena reichte Weigand den Zettel.

Als der Apotheker ihn eingesteckt hatte, deutete er noch einmal auf den Analysebogen. „Es gibt noch einen anderen Hinweis, der uns weiterhilft.“

„Nämlich?“, fragte Günther.

„Die Grundsubstanz für die Herstellung von Methylamphetamin ist Ephedrin, das in Asthmamitteln und Nasentropfen vorkommt. Reines Ephedrin, wie es für die Drogentabletten verwendet wurde, erhält man jedoch nicht auf dem schwarzen Markt, sondern nur von offiziellen Pharma­händ­lern. Die wiederum werden streng kontrolliert und dürfen nur an Unternehmen liefern, die eine Lizenz zur Herstel­lung der entsprechenden Me­di­kamente besitzen."

Verena verstand. „Das bedeutet, dass die fragliche Firma entweder ein Asthmamittel oder Nasentropfen in ihrem Programm haben muss.“

„So muss es sein“, bestätigte Weigand.

Peter sah zwischen Verena und dem Apotheker hin und her. „Wie viele Herstel­ler werden unter diesen Umständen noch in Frage kommen?"

„Nicht viele“, meinte Weigand mit zuversichtlicher Miene, „vielleicht zehn. Wenn ich in die Rote Liste gesehen habe, weiß ich es genau.“

Rote Liste?", fragte Pe­ter, „was ist das?“

„Die Rote Liste ist das jährlich aktualisierte Register der deut­schen Pharmaindustrie, in der alle Herstel­ler mit ihren Medikamenten und den jeweiligen Inhalts­stoffen aufgelistet sind", erklärte Wei­gand, „ein Blick in diese Liste und ich weiß, welche Firmen für die Konstellation Brausetabletten, Asthmamittel und Nasentropfen in Frage kommen. Dann bestelle ich die entsprechenden Brausetabletten und vergleiche sie mit den Drogen."

„Das können wir hier machen“, schlug Verena vor, „dann kann ich Ihnen helfen.“

„Gerne“, sagte der Apotheker. Er dachte kurz nach. „Wenn ich die in Frage kommenden Firmen heute noch heraussuche, kann ich die Ta­bletten morgen bestel­len und habe sie Dienstag auf dem Tisch. Dann komme ich damit hierher und wir können vergleichen.“

Peter nickte zufrieden. „Da bin ich gespannt.“ Er holte eine Visitenkarte hervor und reichte sie Verena. „Rufst du mich bitte an, wenn ihr ein Ergebnis habt.“

„Gerne“, versprach Verena und nahm die Karte entgegen.

Peter konnte es noch nicht so recht glauben.

Sollte das Aufspüren der Drogenquelle wirklich so einfach sein?


Peter Prock: Bavaria

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