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1 Der Sportreporter Peter Prock wird in seiner Stammkneipe von einer Touristin angemacht

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Für einen Sportreporter wie Peter Prock gehörte der Samstag zu den normalen Arbeitstagen. Das lag in erster Linie an der Fußball-Bundesliga, die ihn manchmal sogar bis in den Abend hinein beanspruchte. So wie heute, als um achtzehn Uhr dreißig in der Allianz Arena das Spiel des FC Bayern gegen den Hamburger SV angepfiffen worden war. Erwartungsgemäß hatte es sich als einseitige Angelegenheit zu Gunsten der Bayern entpuppt.

Bei der anschließenden Pressekonferenz versuchte der Münchner Coach Pep Guardiola tief zu stapeln, aber das löste bei den anwesenden Journalisten nur Heiterkeit aus. Einer wollte von dem Trainer wissen, ob die Bundesliga wegen der drückenden Überlegenheit der Bayern nicht allmählich langweilig würde. Was der Bayern-Coach lächelnd von sich wies. Immerhin blieb ja noch die spannende Frage, wer hinter den Bayern Zweiter würde.

Normalerweise unternahm Peter am Samstagabend etwas mit seinen Freunden. Aber da Robert, Ulli und Frank den Abend gemeinsam auf einem Schicki-Micki-Fest verbrachten, hatte er beschlossen, nach dem Spiel der Bayern einen typischen Schwabinger Abend zu verbringen. Das bedeutete für Robert, zunächst einmal bei seinem Lieblings-Italiener Guiseppe vorbeizuschauen und etwas zu essen. Guiseppes Lokal verfügte nicht nur über eine vorzügliche Küche, sondern auch über ein sehr anheimelndes Ambiente. Deshalb war Guiseppe für Peter immer die erste Adresse, wenn er eine neue Eroberung zum Essen ausführen wollte. Danach ging es ins Harlekin, eine alte Schwabinger Musikkneipe, die ebenso wie Guiseppe in der Nähe seiner Wohnung lag und ihm seit dem ersten Semester als Stammlokal diente. Hier fühlte er sich wie zu Hause, hier hatte er oft auf der Bühne gestanden, hier hatte er so manche zarte Bande geknüpft und hier trank er mit seinen drei Freunden nach dem Boxen das eine oder andere Bier.

Bei Guiseppe setzte sich Peter in ein ruhiges Eckchen und bestellte eine Pizza.

„Nanu“, wunderte sich der Wirt, „bist du heute allein?“ Normalerweise kam Peter in Damenbegleitung zu ihm.

„Komme gerade von den Bayern“, erklärte Peter.

Guiseppe ließ sich kurz berichten und wandte sich dann wieder seinen anderen Gästen zu.

Während Peter auf sein Essen wartete, musste er an seine drei Freunde denken, die heute an dem Top-Event der Münchner Schickeria teilnahmen. Greg Beaulieu, der schwerreiche und exzentrische Software-Unternehmer, feierte seinen sechzigsten Geburtstag und hatte in sein schlossartiges Anwesen außerhalb der Stadt geladen. Und wie immer, wenn der bekennende Homosexuelle feierte, ließ er es vermutlich gewaltig krachen.

Peters Freunde nahmen aus beruflichen Gründen an dem Fest teil. Robert als Gesellschaftsreporter der Boulevardzeitung NZ und Ulli als sein Fotograf. Früher hatte Peter Robert immer beneidet, denn Gesellschaftsreporter war ein absoluter Traumjob und dem Freund wie auf den Leib geschneidert. Robert sah blendend aus und besaß einen Charme, der ihm alle Türen öffnete. Vor allem die der Damenwelt.

Doch seit einiger Zeit war Peters Neid verflogen. Denn Robert hatte inzwischen geheiratet, war Vater geworden war und führte trotz seines glamourösen Jobs als „Klatschreporter“ das Leben eines treusorgenden Familienvaters. Aber vor allem machten Robert zunehmend gesundheitliche Probleme zu schaffen. Seit Monaten schleppte er eine hartnäckige Sommergrippe mit sich herum, die gelegentlich sogar zu Kreislaufproblemen führte. Das war auch der Grund, weshalb Robert ihren gemeinsamen Freund Frank, einen Arzt, mit auf Beaulieus Fest genommen hatte. Sollte Robert in der Hektik des Abends Schwierigkeiten bekommen, war Frank zur Stelle.

Während Peter seine Pizza aß, wurde ihm bewusst, dass Robert tatsächlich nicht mehr der Alte war.

Nach dem Essen ging Peter ins Harlekin. Die alte Musikkneipe gehörte zu den wenigen Treffpunkten in Schwabing, die sich noch ihre ursprüngliche Identität bewahrt hatten. Das hölzerne Mobiliar hatte ebenso wie die getäfelten Wände durch Jahrzehnte ohne Rauchverbot eine tief dunkle Farbe angenommen und verbreitete ebenso wie die Lampen einen anheimelnden Hauch von Flohmarkt. Den wichtigsten Beitrag zur Atmosphäre lieferte jedoch die Bühne, die den Protagonisten Schwabinger Kleinkunst ein beliebtes Forum bot. Vor allem in Form von Musik und Gesang. Obwohl hier keine Profis auftraten, gefiel es den Gästen und auch für den Wirt ging die Rechnung auf. Denn die Gage für die Darbietungen beschränkte sich auf freie Getränke und da viele Künstler ihren Anhang mitbrachten, war die Bude fast immer voll. Auch Peter war hier oft mit Gitarre und Gesang aufgetreten. In letzter Zeit griff er jedoch nur noch zur Gitarre, wenn er in der entsprechenden Stimmung war oder ihn jemand dazu animierte.

Auch an diesem Samstagabend war das Harlekin wieder brechend voll. Peter ging zur Bar, sagte dem Wirt Hallo und bestellte ein Bier.

Während er auf das Getränk wartete, musste er wieder an Robert denken. Sie waren zusammen zur Schule gegangen und später bei der Zeitung gelandet für die sie schon als Studenten gejobbt hatten. Peter wunderte sich, dass er heute so oft an Robert denken musste. Wie es dem Freund wohl gerade auf dem Fest ging? Spätestens am Montag würde er ihn in der Redaktion treffen. Vielleicht sollte er ihn einmal fragen, ob er etwas für ihn tun könne.

Der Wirt des Harlekin weckte Peter aus seinen Überlegungen, stellte das Bier vor ihm ab und deutete auf die leere Bühne. „Wenn Du was spielst, geht es aufs Haus.“

Peter überlegte kurz. Musizieren passte heute nicht zu seiner Stimmung. Er wollte gerade ablehnen, als er eine Hand auf seinem Arm spürte. „Bitte“, vernahm er eine weibliche Stimme. Peter drehte sich um und sah in das Gesicht einer jungen Frau, die direkt neben ihm stand. Er war so in seine Gedanken versunken gewesen, dass er sie gar nicht bemerkt hatte. „Bitte!“, wiederholte sie und lächelte gewinnend.

„Kennen wir uns?“, fragte Peter.

„Nein“, antwortete die junge Frau und reichte Peter die Hand. „Ich bin Birgit. Ich komme aus Dortmund und bin mit ein paar Freundinnen über ein verlängertes Wochenende hier, um die berühmte Schwabinger Atmosphäre zu genießen.“ Birgit setzte eine gespielte Trauermiene auf. „Aber was ist so eine schöne Kneipe ohne Live-Musik?“

Birgit war von einer überzeugenden Weiblichkeit. Peter spielte noch einen Moment den Zögerlichen, aber als Birgit einen Blick aufsetzte, der selbst einen Gletscher zum Schmelzen gebracht hätte, konnte er nicht länger Nein sagen. Er holte aus dem Nebenraum eine der Gitarren und ging zur Bühne. Als er das Mikrofon auf seine Höhe einstellte, wurde es im Raum merklich ruhiger und erwartungsvolle Blicke richteten sich auf ihn.

Als er das erste Lied vortrug, war es fast ganz still. Peter sang den Universal Soldier von Donovan, sein traditionelles Lied, um Finger und Stimme aufzuwärmen. Dem Publikum gefiel es. Er ließ ein paar Klassiker wie Blowing in the Wind, Where have all the Flowers gone und Fivehundred Miles folgen und wie im Harlekin üblich stimmten viele aus dem Publikum in den Refrain mit ein. Als er zwanzig Minuten später nach zwei Zugaben wieder die Bühne verließ, begleitete ihn kräftiger Applaus.

„Das war wunderschön“, sagte Birgit, als Peter an die Bar zurückkam. Auch der Wirt nickte zufrieden. Er deutete auf Peters und Birgits Gläser. „Die nächste Runde geht aufs Haus.“

Da sie mit eingeladen war, hatte Birgit einen guten Grund, an Peters Seite zu bleiben. Sie erzählte, dass sie Single sei und dass man die Männer im Ruhrgebiet in der Pfeife rauchen konnte. Peter versuchte, die Ehre seiner Geschlechtsgenossen zu retten und erinnerte an den guten Fußball, den man in Dortmund spielte. Aber Fußball schien Birgit nicht zu interessieren.

Das Gedränge an der Bar nahm zu und schließlich wurde es so eng, dass ihre Hände nur noch auf dem Körper des anderen Platz fanden. Birgit bewies dabei ausgeprägten Pioniergeist und Peter musste feststellen, dass er die Zahl seiner erogenen Zonen erheblich unterschätzt hatte. Da Birgit High Heels trug, konnte sie mit Peter fast auf Augenhöhe kommunizieren und ihre Lippen kamen ihm immer näher. Irgendwann blieben sie an seinem Mund hängen. Es wurde ein langer und intensiver Kuss.

„Lebst Du in München?“, fragte Birgit, als sich ihre Lippen wieder voneinander lösten. Ihre Stimme klang heiser.

„Ja“, sagte Peter, „gleich um die Ecke.“



Peter Prock: Bavaria

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