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VIII: 2,6–16 – Israel

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Mit der Israelstrophe ist unstrittig der Ziel- und Höhepunkt des Völkergedichts erreicht. Die Strophe steht am Schluss der Komposition, sie ist ungleich länger als alle vorangehenden Strophen, und sie weicht auch in den Formelementen vom Übrigen stark ab.

Nur das 1. und 2. Element sind unverändert, die Gottesspruchformel und der Satz: „Wegen der drei Verbrechen von Israel und wegen der vier nehme ich es nicht zurück“. Auch das 3. Element beginnt noch formtypisch mit על (ʿal) und suffigiertem Infinitiv. Dann jedoch folgt nicht nur ein einziges Vergehen (in der Edom- und Judastrophe um eine zweite Zeile erweitert), sondern entsprechend dem Zahlenspruch deren vier.57

Danach wird das Schema der übrigen Strophen völlig verlassen. Allein die Israelstrophe enthält einen geschichtlichen Rückblick (Vv. 9–12). Als einziger der Völkersprüche geht die Strophe in die direkte Anrede der Bescholtenen, der „Israelskinder“, über (Vv. 10–13). Und auch die Strafankündigung verlässt das Schema der übrigen Strophen. Von Feuer gegen die Paläste, wie in allen anderen Sprüchen, ist keine Rede, sondern von einem Wanken der Erde, das zu einer militärischen Niederlage führt (Vv. 13–16). Nur die abschließende Formel „spricht Jhwh“ nimmt das sechste Element der übrigen Strophen auf und setzt zugleich den Schlusspunkt unter die gesamte Komposition.

Während der Schuldaufweis gegenüber den übrigen Sprüchen erweitert und die Strafdrohung stark verändert ist, handelt es sich beim Geschichtsrückblick um ein völlig neues Element innerhalb des Spruchzyklus.

a) Der Schuldaufweis (Vv. 6–8) Der Schuldaufweis ist nicht nur gegenüber den übrigen Sprüchen erweitert. Er hat auch einen anderen Inhalt: nicht Kriegsverbrechen wie bei den fremden Völkern und nicht die Missachtung der Tora wie bei Juda, sondern soziale Vergehen, die im letzten Vers noch eine religiöse Komponente bekommen.

2,6Angeklagt sind nicht näher benannte Menschen in der 3. Person Plural, wie in den übrigen Strophen. Nach dem Vordersatz „Wegen der drei Verbrechen von Israel und wegen der vier nehme ich es nicht zurück“ handelte es sich bei ihnen kollektiv um Israel. Allerdings werden dann Menschen, genauer soziale Typen (Gerechter und Armer, Geringer und Elender, das Mädchen) genannt, an denen „sie“ sich vergehen. Das Kollektiv Israel ist also offenkundig keine geschlossene Einheit. Da gibt es welche, die als „sie“ für „Israel“ stehen, und andere, die deren Opfer sind. Gehören sie auch zu Israel? Trifft die Strafe, die Israel angekündigt wird, sie auch? Werden sie somit zum zweiten Mal zu Opfern, nach Opfern der sozialen Vergehen dann auch zum Opfer der göttlichen Strafe?

Es ist wichtig zu sehen, dass diese Fragen sich schon bei der bloßen Betrachtung der Benennungen und der Sprachstruktur stellen, also noch vor einem Blick auf den Inhalt der Vorwürfe. Diese Fragen sind nicht nebensächlich, sondern dem Amosbuch mit der ersten größeren Einheit fest eingeschrieben. Sie werden das Buch bis zu seinem Schluss begleiten.

Was wird den nicht näher Benannten als „Verbrechen“ vorgeworfen? Um dies herauszufinden, muss man zum einen fragen, wer die benannten Opfer sind, und zum andern, was diesen angetan wird. Die erste Halbzeile (V. 6bα) nennt als Opfer den „Gerechten“ (צדיק, ṣaddîq). Dieser Terminus bezeichnet an der großen Mehrzahl der Stellen den Typus dessen, der Gott wohlgefällig lebt und sich sozial verträglich verhält. Sein Gegentyp ist der רשׁע (rāšāʿ), der Frevler, Gottlose, Verbrecher oder Gewalttäter (Gen 18,23.25; Jes 3,10–11; Ps 1,5–6 u. ö.). Doch hinter und in diesem weiten Gebrauch lässt sich eine engere Verwendung erkennen. Derzufolge ist der „Gerechte“ der, der in einem Gerichtsverfahren unschuldig ist, und seine semantische Opposition der, der verurteilt werden muss (Ex 23,7; Dtn 25,1; Jes 5,23 u. ö.). Beide Verwendungsweisen sind nicht voneinander zu trennen, die weitere ist eine Ausweitung der engeren. Welche in Am 2,6 vorliegt, hängt davon ab, wie man sich den Vorgang, der mit dem Gerechten geschieht, vorzustellen hat.

Nach der oben gebotenen Übersetzung „verkaufen sie ihn um Geld“. Das ist doppeldeutig und bedarf der Erklärung, wobei das Schillernd-Ambivalente im Hebräischen selbst angelegt ist und nicht durch die Übersetzung vereindeutigt werden sollte. Das Verb מכר (mākar) bedeutet eigentlich „jem. oder etw. in die Verfügung eines anderen geben“. So heißt es im Richterbuch, dass Gott die Israeliten „in die Hand ihrer Feinde verkaufte“ (so Zürcher Bibel 2007, Luther 2017) (Ri 2,14; vgl. 3,8; 4,2; 10,7). Da aber gar nicht an einen Verkauf gedacht ist, bei dem ja so etwas wie ein Kaufpreis fällig wäre, übersetzt man besser: „Und er gab sie preis in die Hand ihrer Feinde“.58 Soll ein Verkauf im eigentlichen Sinn bezeichnet werden, wird das oft mit dem sogenannten ב (be) pretii (GesK § 119 p) zur Bezeichnung des Kaufpreises eindeutig gemacht. Dieser kann unspezifisch bleiben („um Geld verkaufen“) (Dtn 21,14; vgl. Lev 27,27) oder auch direkt genannt werden (Gen 37,28; Joel 4,3; vgl. Ps 44,13).

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