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1.4 Agrarische Neuordnungen

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Die Verbesserung landwirtschaftlicher Erträge wurde im 18. Jahrhundert vor allem von zahlreichen Angehörigen des britischen höheren und niederen Adels mit großer Ernsthaftigkeit betrieben. Aus ihnen

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rekrutierte sich die Mehrheit der Landbesitzer, und es kam in Mode, das Beste aus seinen Böden und seinem Vieh herauszuholen, auch um seine Nachbarn ausstechen zu können. Dadurch entwickelte sich eine Kultur der Landwirtschaft. Spezielle Journale berichteten über die neuesten Methoden, auf Messen wurde Zuchtvieh preisgekrönt und verbesserte Gerätschaften vorgestellt, was die landwirtschaftliche Revolution erheblich vorantrieb. Selbst König George III. (1738 – 1820) interessierte sich intensiv für diesen Sektor und ließ Versuchsfelder und -gärten anlegen, in denen er sich selbst aktiv betätigte, was ihm den Beinamen „Farmer George“ einbrachte. Fortschritte in der Landwirtschaft wurden ebenfalls durch die fortgesetzte Einfriedung von Land (enclosures) begünstigt, was jedoch gleichzeitig für erheblichen sozialen Zündstoff sorgte. Seit dem 16. Jahrhundert hatten sich viele Landbesitzer darum bemüht, ihren Besitz durch Inkorporation umliegender Flächen oder durch Nutzbarmachung von Wäldern, Marschland oder Mooren zu vergrößern. Dies konnte auf verschiedene Weisen geschehen: zum einen durch Zukauf von Besitz, zum anderen durch das engrossing, das In-Beschlag-Nehmen von bislang verpachtetem Grund. Lief die Pachtfrist aus, konnte ein Landbesitzer seine Pächter vom Land vertreiben, aus mehreren kleinen Farmen eine größere machen und diese wiederum erneut an einen Pächter vergeben. Schließlich blieb die Möglichkeit, größere landwirtschaftliche Flächen durch so genannte enclosure acts unter die Kontrolle einer Person zu bringen. Dies waren vom Parlament verabschiedete Gesetze, die immer dann zur Anwendung kommen konnten, wenn die ersten beiden Methoden nicht funktionierten. Ein Landbesitzer hatte die Möglichkeit, sich an das britische Parlament zu wenden, wenn er anders nicht in der Lage war, umliegendes Land hinzuzukaufen. Das Parlament gab fast immer dem größten lokalen Landbesitzer oder einem Konsortium von Besitzern das Recht, dieses Land zu kaufen, auch gegen den Willen der vormaligen Besitzer. Die gezahlten Entschädigungen waren meist gering. Allerdings verpflichtete der Gesetzgeber die neuen Eigentümer dazu, sich um die Infrastruktur des vergrößerten Landes zu kümmern, also Bewässerungskanäle oder Straßen anzulegen und es einzuzäunen. Dabei übernahmen sich viele Landbesitzer finanziell und mussten wiederum an noch größere und reichere Besitzer verkaufen. Sukzessive gelangte

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so immer mehr Land in immer weniger Hände. Die enclosures erreichten ihren Höhepunkt bereits im frühen 18. Jahrhundert und waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts praktisch abgeschlossen, als es kaum noch Land zu verteilen gab.

Einerseits führte diese Entwicklung zu Leid und Armut unter Pächtern und Landarbeitern, die nicht mehr weiter auf ihrem angestammten Land tätig sein konnten. Viele wurden von unabhängig wirtschaftenden Pächtern zu abhängigen Landarbeitern unter der Kontrolle der Großgrundbesitzer. Andererseits verbesserte dieser Konzentrationsprozess die landwirtschaftliche Produktivität beträchtlich, denn viele der neuen Erkenntnisse und Erfindungen ließen sich besonders effektiv auf großen Flächen anwenden. Außerdem bemühten sich die Großgrundbesitzer um eine produktive Bewirtschaftung, allein schon um die Kosten der enclosures wieder hereinholen zu können. Diese Periode, die durch eine Proletarisierung weiter Teile der Landbevölkerung gekennzeichnet war, veränderte die englische Landschaft nachhaltig. Farmen waren wohlgeordnet, mit geraden Zäunen, Hecken und Steinmauern versehen und arbeiteten wirtschaftlich möglichst effizient.

Das Zusammenwirken von wirkungsvollen Saat- und Bewässerungstechniken, modernen Gerätschaften, Fortschritten in der Viehzucht und Einfriedungen führte zu demografischen Veränderungen, die die Grundvoraussetzung der späteren Industrialisierung waren. Zwischen dem frühen 17. Jahrhundert und der Mitte des 18. Jahrhunderts kam es zu bedeutenden Veränderungen nicht nur in der Größe, sondern auch der Zusammensetzung der britischen Bevölkerung. Interessanterweise war nicht eine Verringerung der ländlichen Bevölkerung zu beobachten, deren Gesamtzahl etwa konstant blieb, sondern eine Umschichtung der ländlichen Sozial- und Arbeitsverhältnisse. Selbst in der Zeit vor der „klassischen“ landwirtschaftlichen Revolution, als viele Neuerungen noch nicht richtig griffen, war dieser Umbruch bereits in vollem Gange. Laut einer Erhebung aus dem Jahr 1688 waren zu diesem Zeitpunkt etwa drei Fünftel der Familien – diese war die Untersuchungseinheit – direkt mit Landarbeit beschäftigt, also in Ackerbau und Viehwirtschaft. Um 1760, dem Datum einer weiteren, ähnlichen Untersuchung, war es lediglich die Hälfte aller Familien. Da sich die

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Anzahl der Landbewohner insgesamt nicht verringert hatte, kann dies nur bedeuten, dass zahlreiche Menschen anderen Erwerbstätigkeiten nachgingen. Eine nicht geringe Zahl hatte Arbeit im tertiären Sektor gefunden. Wirte, Straßenzöllner, Verwalter, Hausangestellte und andere Dienstleistungsberufe verbesserten die ländliche Infrastruktur. Die große Masse der Freigesetzten aber verdingte sich protoindustriell. Die ländlichen „Industrien“ waren keine Fabriken im Sinn der späteren Hochindustrialisierung, sondern eher industrialisierte Handwerksbetriebe. Die Garn- und Stoffproduktion und metallverarbeitende Kleinbetriebe, in denen etwa Werkzeuge, Nägel oder Kochgeschirr hergestellt wurden, waren hier stark vertreten. Oftmals produzierten Familien, eventuell erweitert um einige Angestellte, zusammen in solch wenig mechanisierten und kaum arbeitsteilig operierenden Betrieben. In vielen bäuerlichen Haushalten dienten diese so genannten cottage industries, die aus dem eigenen Haus heraus betrieben werden konnten, zunächst als Nebenerwerb und entwickelten sich später zur Haupteinkommensquelle der Familie.

Durch diese Entwicklungen wandelte sich auch die gesellschaftliche und wirtschaftliche Rolle der Frau. Noch im frühen 18. Jahrhundert waren Frauen ganz selbstverständlich in den Arbeitsalltag auf dem Land (wo die große Mehrheit der Menschen lebte) integriert gewesen und hatten entweder die gleichen oder zumindest ähnliche Tätigkeiten wie Männer ausgeführt. Als aber die Landwirtschaft weniger arbeitsintensiv und stärker mechanisiert wurde und als durch die Bevölkerungsvermehrung immer mehr Arbeitskräfte zur Verfügung standen, waren Frauen die erste Gruppe, die aus diesem Sektor herausgedrängt wurde. Die maschinellen Saat- und Ernteverfahren wurden von Männern betrieben; auch für einfache Tätigkeiten wurden Männer bevorzugt, da sie bei gleichem Lohn körperlich schwerer arbeiten konnten als Frauen. Viele Frauen zogen sich daher stärker in den häuslichen Bereich zurück. Wenn sie weiter erwerbstätig blieben, dann häufiger als Männer in der cottage industry. Die zunehmende Separation männlicher und weiblicher Arbeitssphären war die erste von vielen Veränderungen im Geschlechterverhältnis, die die „Revolutionen“ des 18. und 19. Jahrhunderts mit sich brachten.

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Die Industrielle Revolution

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