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2.7 Demografie

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Die britische Bevölkerung stieg im 19. Jahrhundert nicht nur kontinuierlich an, sie wurde auch immer jünger. Um 1800 gab es rund 9 Millionen Engländer und Waliser, dazu 1,6 Millionen Schotten. Fünf Volkszählungen später, 1851, lag die Gesamtbevölkerung bei fast 21 Millionen, hatte sich also mehr als verdoppelt. Über die Hälfte der Bevölkerung war höchstens 20 Jahre alt, was in der Gegenwart nur von Entwicklungsländern mit sehr hoher Fertilität erreicht wird. Die britische Geburtenrate blieb mit rund 35 pro 1.000 Einwohner bis ins späte 19. Jahrhundert mehr oder minder konstant, jedoch verminderte sich die Sterberate aufgrund immer besserer Ernährung und medizinischer Versorgung stetig. Dank günstiger Erwerbsmöglichkeiten heirateten die Briten im Durchschnitt früher als noch im 18. Jahrhundert, was die Fertilitätsspanne verlängerte. Der Zensus von 1851 zeigte auch, dass erstmals die Mehrheit der Bevölkerung in Städten lebte, was das Resultat einer kontinuierlichen Binnenmigration vom Land in die Stadt war. Die meisten Menschen zogen dabei nicht gleich vom Land in eine Großstadt, sondern fanden eine erste industrielle Arbeit eher in kleineren Städten oder in rapide wachsenden „Industriedörfern“. Andere Industrienationen erreichten diesen demografischen „Turn“, der den Stand der Industrialisierung widerspiegelt, erst wesentlich später: Deutschland um 1900, die USA erst nach dem

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Ersten Weltkrieg. Allerdings war die zunehmende Verstädterung nicht gleichbedeutend mit einer Entvölkerung des ländlichen Raumes, denn auch die Landbevölkerung nahm signifikant, jedoch weniger rapide zu. Dabei lebten in Großbritannien immer weniger klassische Bauern und Landarbeiter. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts machten diese nur noch ein Fünftel der Landbevölkerung aus, während die große Mehrheit Handwerker, Kleinhändler, Viehhändler, fliegende Händler, Verwalter, Dienstboten, Wirte und Angehörige weiterer Dienstleistungsberufe waren. Sie betrieben vielleicht noch im Nebenerwerb etwas Ackerbau, trugen ansonsten aber die ländliche Infrastruktur.

Die Binnenmigration veränderte die regionale Geographie Großbritanniens nachhaltig. In den Industrieregionen stieg die Bevölkerung immens an. Die Einwohnerzahl des im Zentrum des nordostenglischen Kohlereviers gelegenen Newcastle beispielsweise wuchs innerhalb des 19. Jahrhunderts von 28.000 auf 215.000; und das war noch eher undramatisch. Die Bevölkerung des südlich von Newcastle gelegenen County Durham verdreifachte sich zwischen 1851 und 1891, was repräsentativ für viele industriell geprägte Gegenden war. Die Gebiete, in denen es keine oder nur wenig Industrie gab, z. B. der Südwesten Englands, Nordwales oder nahezu ganz Irland, verloren massiv an Bevölkerung. In Südwales, präziser den beiden Grafschaften Monmouthshire und Glamorganshire, lebten 1801 lediglich 20 %, am Ende des Jahrhunderts aber fast 60 % aller Waliser. Viele von diesen waren Waliser erster oder zweiter Generation, die sich aufgrund der vorhandenen industriellen Arbeitsplätze dort angesiedelt hatten. Der Wohnort bestimmte zunehmend das Alltagsleben. In den Industrieregionen beeinflussten nicht mehr Wetter und Jahreszeiten den Lebensrhythmus, sondern die Uhr und vorstrukturierte, von natürlichen Einwirkungen weitgehend unabhängige Abläufe. Fördertürme, gewaltige Abraumhalden, rauchende Schornsteine und industrielle Abfälle prägten dort die Landschaften. Die Menschen rochen hauptsächlich Kohle und hörten Dampfmaschinen und Metallgeräusche. Neue Krankheitsbilder entstanden, die vor allem mit Beeinträchtigungen der Atmungsorgane zu tun hatten.

In der zweiten Jahrhunderthälfte flachte der Bevölkerungsanstieg ein wenig ab. Die Volkszählung von 1901 erfasste 32,5 Millionen Engländer

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und Waliser sowie 4,4 Millionen Schotten. Vor allem die stark wachsende britische Mittelklasse hatte immer weniger Kinder. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass mehr Briten ihre Heimat verließen, als es Zuwanderer aus dem Ausland gab. Zahlreiche Emigranten kamen aus Irland und den strukturschwachen Gebieten Schottlands, an denen die Industrialisierung größtenteils vorbeigegangen war. Abhängig von wirtschaftlichen Krisen oder Boom-Phasen, verlor das Vereinigte Königreich (unter Einrechnung Irlands) im 19. Jahrhundert jährlich zwischen 31.000 und 268.000 Menschen. Besonders in den wirtschaftlich problematischen 1880er Jahren waren zahlreiche Migranten zu verzeichnen, von denen die große Mehrheit ein neues Leben in den USA oder den „weißen“ Kolonien oder Exkolonien (Kanada, Australien, Neuseeland, Südafrika) begannen.

Exkurs

Es gab ein Ereignis, das wie kein anderes das Selbstverständnis und die Eigensicht Großbritanniens auf dem Höhepunkt seiner wirtschaftlichen, aber auch politischen Macht ausdrückte. 1851 fand in London die Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations statt, aus der sich die Tradition der Weltausstellungen begründete. Die Idee dazu stammte von den Mitgliedern einer Gesellschaft, die die Förderung von Kunst, Gewerbe und Handel auf ihre Fahnen geschrieben hatte und Prinz Albert, den deutschstämmigen Gatten Königin Victorias, als einflussreichen Patron gewinnen konnte. Allein schon das Ausstellungsgebäude, eine im Volksmund „Crystal Palace“ genannte riesige Halle aus Eisen und Glas, war eine Meisterleistung britischer Ingenieurskunst. Offiziell sollte die Ausstellung allen Nationen der Welt die Gelegenheit geben, den Fortschritt ihrer Zivilisation zu verdeutlichen. In der Realität handelte es sich um eine Leistungsschau der britischen Industrie; zusammen mit Produkten aus dem Empire, stammten weit über die Hälfte der 13.000 ausgestellten Objekte aus dem Gastgeberland. Neben riesigen oder besonders innovativen Maschinen wurden den über 6 Millionen Besuchern auch zahlreiche kunsthandwerkliche Objekte präsentiert, was der

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Ausstellung innerhalb von knapp 6 Monaten einen stattlichen Reingewinn bescherte. Die nachfolgenden Weltausstellungen wandelten bald ihren Charakter. Sie entwickelten sich weg von reinen Industrieschauen und hin zu ihre Besucher durch möglichst spektakuläre oder exotische Objekte unterhaltenden Events.

Die Industrielle Revolution

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