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Manche schämen sich einfach – Beherzte Frauen

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„Glauben Sie, dass er die Wahrheit sagt oder dass er lügt?“ Ein israelisches Ehepaar stellt uns Europäern diese Frage, während wir wieder in den Bus einsteigen. Früher waren sie bei „Schalom Achschaw“, der israelischen Friedensbewegung, engagiert. Sie sind neugierig auf Nes Ammim, von dem sie vorher noch nichts gehört hatten. Wir machen mit ihnen – einer Handvoll anderer Israeli und etwa fünfundzwanzig anderen Ausländern – eine Tour durch die Westbank, geführt von Dalia und einer anderen Dame von der Menschenrechtsorganisation „Machsom Watch“, einer Initiative israelischer Frauen. Wir besuchen gerade das palästinensische Dorf Qaddum, wenige Kilometer von Nablus entfernt, das seit einigen Wochen Schlagzeilen macht.

Das Dorf liegt rund 20 km von der Green Line entfernt, der Waffenstillstandslinie, die seit 1949 israelisches von arabischem Gebiet trennt. Es ist Israels Staatsgrenze. Das arabische Gebiet hält Israel seit 1967 besetzt. Seine rechtmäßigen Bewohner nennen es heute Palästina. Einen Staat Palästina dürfen sie darin aber nicht errichten (Zur Begrifflichkeit Palästina, palästinensisch siehe Abschnitt „Palästina gab es nie – und wird es niemals geben“?).

Auf Betreiben Prominenter aus der nahegelegenen jüdischen Siedlung, die die etwa dreihundert Meter lange Zufahrtstraße zur Hauptstraße nicht länger mit den Bewohnern des palästinensischen Dorfes gemeinsam nutzen wollen, hat die Armee den Dorfeingang kurzer Hand durch eine Metallbarriere abgeriegelt. Statt der dreihundert Meter müssen die Dorfbewohner nun einen Umweg von vierzehn Kilometern machen, um auf die Hauptstraße zu kommen.

Dagegen protestieren sie seit einigen Wochen jeden Freitag. Absolut gewaltfrei. Keine Stöcke, keine Steine. Unterstützt von internationaler Presse und Menschenrechtsaktivisten. Demonstrationen aber sind in der vom israelischen Militär kontrollierten Westbank nicht vorgesehen. Sie gelten als „Störung der öffentlichen Ordnung“. Die Armee geht brutal gegen sie vor. Achmed erzählt uns davon. Er hat die Demonstrationen am Dorfeingang organisiert. Während der Demonstration haben die Soldaten sich sein Haus vorgenommen. Um es nicht betreten zu müssen, haben sie Reizgaspatronen durch die Fenster geschossen, um so alle zu zwingen, das Haus zu verlassen. Aber die einzige Person, die sich zu dieser Zeit im Haus aufhielt, konnte es nicht verlassen. Sie war dem Reizgas schutzlos ausgeliefert. Es war seine zwei Monate alte Tochter. Mit lebensgefährlichen Verletzungen wurde sie später ins Krankenhaus eingeliefert. „Sie ist jetzt außer Lebensgefahr“. Mit Erleichterung nimmt Dalia die Nachricht auf. Sie kennt Achmed gut, weil sie regelmäßig Gruppen ins Dorf führt.

Mindestens ebenso aufregend wie die Tour sind die Reaktionen der mitfahrenden Israeli. „Glauben Sie, dass er die Wahrheit sagt oder dass er lügt?“ Ich versuche, diese völlig überraschende Frage zu entschlüsseln. Es gibt keinen Grund, Achmeds Schilderungen zu bezweifeln. Aber ich kann die Scham spüren, wenn ich mich in die Haut dieser sympathischen Israeli versetze. Das kann doch nicht wahr sein, was wir hier hören und sehen! Zwei jüdische Damen aus Jerusalem fühlen sich immer wieder herausgefordert, die Schilderungen Dalias zu unterbrechen mit Sätzen wie: „Aber 1967 sind wir angegriffen worden … Die Soldaten sind nur hier, weil sie uns verteidigen müssen …“

Fassungslos stehen sie in einem anderen Dorf vor der grünen Landkarte Palästinas, auf der es kein Israel gibt. Dass diese Landkarte mit exakt den gleichen Grenzen, auf der es kein Palästina gibt, in fast jedem Klassenzimmer fast jeder jüdischen Schule in Israel hängt, können sie damit gar nicht in Verbindung bringen. Es gibt ja auch kein Palästina, beteuern sie immer wieder … Als wir in Tel Aviv aussteigen, höre ich, wie die eine zur anderen sagt: „Solche Touren machen auf die Ausländer einen ganz schlechten Eindruck.“ Vielleicht ist es wirklich geschickter, wenn Israeli die Schattenseiten Israels unter sich anschauen? Machsom Watch bietet ja auch viele Touren in Hebräisch an. Mich befiel das peinliche Gefühl, ungewollt Zeuge eines innerfamiliären Streites geworden zu sein, der besser ohne Außenstehende ausgetragen wird.

Bei einer anderen Tour zwei Monate später erfahren wir, dass die Demonstrationen in Qaddum inzwischen an einem anderen Platz stattfinden müssen, mehr den Hügel abwärts inmitten des Dorfes. Die jüdischen Siedler haben diesen Wechsel erzwungen, weil der Wind die freitägliche Tränengaswolke in ihre Siedlung trieb und ihre Augen, Nasen und Rachen belästigte.

Achmed, engagiert im gewaltfreien Widerstand, ist inzwischen in einem israelischen Gefängnis eingesperrt. Er war einer der über dreihundert Palästinenser, die nach dem Mord an den drei Teenagern verhaftet, aber nach der Verhaftung der Mörder nicht wieder entlassen wurden (siehe Abschnitt Kollektivstrafe – Welch eine Torheit!).

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