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Erlösung aus Feindbildern – Erfahrungen mit Haredim

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An einem Samstagnachmittag eilte ich zu Fuß durch Jerusalem zum Busbahnhof. Die Sonne stand schon ziemlich tief. Ich wollte den ersten Bus nehmen, um noch nach Hause in den Norden Israels zu kommen. Der startet kurz nach Sonnenuntergang.

In ganz Israel fahren am Schabbat, von Freitagabend bis Samstagabend, weder Busse noch Bahnen. Das haben vor Jahrzehnten die Haredim, die Ultraorthodoxen, durchgesetzt, obwohl sie nur eine Minderheit sind. Die säkulare Mehrheit bedauert das und nutzt am Schabbat umso mehr Taxis und Privatwagen.

Ich nahm die Prophetenstraße, eine der auch am Schabbat vielbefahrenen Straßen in Jerusalem, die den palästinensischen Teil mit dem Zentrum des jüdischen Teils verbindet. An einer Kreuzung bot sich mir ein bizarres Bild: Eine Traube von circa hundert Teenagern und einige erwachsene Männer; die Jungen und Männer sämtlich mit weißen Hemden, schwarzen Anzügen und großen schwarzen Hüten auf dem Kopf, unter denen die Schläfenlocken herausquollen, die Mädchen in knöchellangen Kleidern.

Die Jungen, angefeuert von den Mädchen, warfen ziegelsteingroße Steine auf die vorbeifahrenden Autos. Zwischendrin querten einzelne Übermütige die Straße und schlugen palästinensische Familien, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite gingen, mit Steinen und Stockhieben in die Flucht. Die Erwachsenen applaudierten ihnen. Das war ihre Art, den Schabbat zu heiligen.

Mir blieb der Mund offen stehen. Ich spürte, wie in mir, ja, mein Antisemitismus aufstieg. Da bemerkte ich, dass um mich herum andere standen, die nicht weniger entsetzt waren als ich: eine Gruppe jüdischer Israeli. Einer holte gerade per Handy die Polizei herbei.

Ich schämte mich, dass mein Abscheu gegen die Untaten der extremen Eiferer einen Moment lang zum Abscheu gegen Juden geworden war. Als ob es nicht ähnliche Phänomene in jeder Religion gäbe. Wenn extreme Christen gegen Schwule und Lesben zu Felde ziehen zum Beispiel. Und gerade eine Woche vorher hatten muslimische Palästinenser in der Jerusalemer Altstadt Juden mit Steinen und Stöcken malträtiert.

„Gott wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.“ (Psalm 130,8) heißt es in der Bibel. Die Haredim denken bei „Israels Sünden“ an die, die am Schabbat Auto fahren. Ich denke eher an sie, die andere mit Steinen und Stöcken traktieren.

Dieser 130. Psalm war übrigens einer von Martin Luthers Lieblingspsalmen. Luther hat sich hier mit Israel identifiziert, um sich seine eigenen Sünden vor Augen zu führen. Der Balken im eigenen Auge macht bescheiden, die Splitter in den Augen der anderen zu kritisieren. Und stärkt die Sehnsucht, dass Gott nicht nur Israel, sondern alle Welt erlösen wird vom Zwang zum Bösen. Diese Sehnsucht kann helfen, das Böse zu meiden und das Gute zu suchen.

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