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Einer, der seine Feindbilder bestätigt finden möchte

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Wir hatten Besuch von einem anderen Stern. Und gewöhnlich fragt man sich am Ende: War er Traum oder Wirklichkeit? Es begann mit einem Anruf am Freitagnachmittag. Eine Frauenstimme teilte mit, dass sie und ihr Mann für ein Buch über „Deutsche in Israel“ recherchieren und ihnen Nes Ammim „sehr empfohlen“ worden sei. Sie seien im Zug nach Akko und würden uns gerne besuchen. Arglos erzählte ich, was für die nächsten Tage auf dem Programm stehe. Ob sie nicht noch am gleichen Abend kommen könnten, drängte sie. Nun, am Freitagabend begrüßen wir mit einer üppigen Mahlzeit den Schabbat. Kurz entschlossen lud ich sie zu diesem festlichen Erew-Schabbat-Essen ein mit dem Hinweis, dass sie während und nach der Mahlzeit Gelegenheiten nutzen könnten, deutsche Freiwillige zu interviewen und auch ich für Informationen zur Verfügung stehe. Sie nahmen die Einladung an und verabredungsgemäß erschienen sie etwas früher, so dass ich ihnen vorab einige Informationen über Idee und Geschichte Nes Ammims geben konnte. Dabei stellten sie sich als in New York lebende Juden vor.

Als die ersten Freiwilligen in unserem festlich geschmückten Raum erschienen, widmete sich die Frau brav dem Smalltalk, während ihr Mann sich mit seinem iPad auf die Terrasse zurückzog. Erst nach mehrmaliger Einladung bequemte er sich an den Tisch, ohne sich von seinem iPad zu lösen. An einem Gespräch mit den am gleichen Tisch sitzenden deutschen Freiwilligen war er nicht interessiert. „Wie unhöflich!“, dachten diese. „Wie unprofessionell!“, dachte ich, weil ich jemanden erwartet hatte, der Gelegenheiten zur Recherche zu nutzen weiß.

Als es schließlich zu einem Gespräch kam, inszenierte er schon nach wenigen Sätzen einen kleinen Wutanfall, in dem er uns wie besessen beschimpfte. Wir in Nes Ammim seien wie alle Deutsche in Israel verkappte Antisemiten. Wir würden vorgeben, von Juden zu lernen, in Wahrheit wollten wir die Juden belehren. Der Konflikt mit den Arabern ginge uns gar nichts an. Speziell wir Deutsche wollten mit der Dialogarbeit nur unseren einstigen Opfern bescheinigen, dass sie nun Täter seien und damit unser schlechtes Gewissen salvieren.

Ein Mann mit einem klaren Weltbild. Da hinein hat er nach nicht einmal einer Stunde unaufmerksamer Präsenz Nes Ammim eingezeichnet. Uninteressiert an Fakten und realen Begegnungen sammelt er O-Töne, um sein vorher schon feststehendes Bild bestätigt zu finden. Wenn sich die erwarteten Töne nicht ergeben, versucht er sie durch kleine Wutanfälle zu provozieren.

Plötzlich war er für eine Weile verschwunden. Als er wieder auf der Bildfläche erschien, offenbarte er uns in einem zweiten Wutanfall, dass er bei einer Inspektion des Hauses am Schwarzen Brett entdeckt hatte, dass wir demnächst eine Exkursion nach Nazaret machen. Dass Christen gelegentlich Nazaret besuchen, ist ja nun wirklich keine sensationelle Meldung. Unserem Besucher aber ist es ein Beweis für unseren Antisemitismus. Denn, so ließ er uns wissen, Nazaret sei eine „judenfreie“ Stadt. Betont hatte er seinem Amerikanisch diesen Nazi-Begriff als deutsches Fremdwort eingefügt. In einfältiger Logik folgert er: Wer nach Nazaret fährt, ist Antisemit.

Es schien ihn nicht anzufechten, dass er damit zugleich seine Unkenntnis über die Lebensverhältnisse in Galiläa und deren Geschichte verriet. In ganz Galiläa (bis auf Haifa und Akko) leben bekanntlich Juden und Araber in jeweils voneinander getrennten Dörfern und Städten. Juden waren nie daran interessiert, in dieser größten arabischen Stadt Israels zu wohnen, und haben darum ihre eigene jüdische Stadt auf den etwas höher gelegenen Nachbarberg gebaut und sie „Nazaret Illit“ (das obere Nazaret) genannt. Das alles würde er lernen, wenn er einmal nach Nazaret fahren würde und dabei mit eigenen Augen sehen, wie viele Kippa tragende Juden in Nazaret auf der Straße zu sehen sind, weil sie dort arbeiten oder einkaufen. Die Weltsicht unseres jüdischen Gastes, der den Arabern pauschal Nazi-Ideologie unterstellt, ist also genauso beschränkt und wirklichkeitsfern wie die der militanten Freunde Palästinas, die dies „Israels Apartheid“ nennen.

Meine Weltsicht ist durch diese Begegnung insofern erschüttert worden, als ich die gängige Behauptung nicht mehr schlankweg bestreiten kann, Juden in Israel würden die Schoah-Erfahrung kalkuliert ins Gespräch bringen und als Freibrief für jede Form von Rüpelei und Unmoral missbrauchen. Allerdings ist unser jüdischer Gast in Israel auch nur Gast und sehr speziell und wiewohl in diesem Lande geboren, ausweislich seiner horrenden Unkenntnisse keineswegs in ihm zu Hause.

Bei seinem dritten Wutanfall verließ eine Gesprächspartnerin demonstrativ und empört den Raum. Er hatte inzwischen seine Attacken auf die Niederländer und dann alle Europäer ausgeweitet, die dumm und borniert und resistent gegenüber seinen Belehrungen die wahre Gefahr verkennen würden, die Israel und Europa und am Ende der ganzen Welt drohe: das Wachsen des Islam und die muslimische Weltverschwörung. Es beeindruckte ihn nicht, dass genau das die Parolen der Rechtsradikalen in allen europäischen Ländern (und in Israel) sind. Mehr und mehr zogen sich die Freiwilligen, die an einer kritischen Auseinandersetzung interessiert waren, enttäuscht zurück. Zum Schluss stand ich ratlos schweigend mit dem Ehepaar allein auf der Terrasse, das ich flugs zurück in ihr Hotel nach Akko fuhr. Kamen sie von einem anderen Stern? Hatte ich geträumt?

„Tenenbom“. Der Name war mir nicht unbekannt, aber ich konnte ihn nicht gleich einordnen. Nun, Google macht’s möglich: Tovia Tenenbom, der für sein kleines jüdisches Theater in New York Stücke schreibt und in der ZEIT eine Rubrik „Fett wie ein Turnschuh“ unterhaltsam bestückt, ist auf Kosten des Rowohlt-Verlages sechs Monate durch Deutschland gereist und hat am Ende das Manuskript für ein Buch über Antisemitismus in Deutschland abgeliefert, das der Verlag nicht publizieren wollte. Darüber gab es eine Debatte in deutschen Medien, die zwar nicht die Qualität des Manuskriptes erwies, wohl aber Publizität brachte und Verkaufserfolg versprach. Dieser Versuchung konnte Suhrkamp nicht widerstehen und hat das Buch unter dem Titel „Allein unter Deutschen“ publiziert und das Geschäft gemacht. An diesen Zug wird nun ein zweiter Wagen angehängt. Auf Kosten des Suhrkamp-Verlages reist das Ehepaar Tenenbom nun schon fünf Monate durch Israel, um im sechsten Monat das Buch über deutsche Antisemiten in Israel zu schreiben. Nach unserer Begegnung in Nes Ammim müssen wir das Buch nicht lesen, um zu wissen, was darin stehen wird. Und natürlich wird das Buch wieder ein Erfolg. Denn gefällig-populistisch wird es schon werden.

Vielleicht arbeitet Herr Tenenbom aber in Wahrheit wieder an einem unterhaltsamen Stück für sein kleines Theater in New York. So viel wissen wir schon, sein amerikanisches Publikum wird sich vor Vergnügen auf die Schenkel klopfen … Es geht nämlich um einen großen deutschen Verlag, der sein gutes Renommee an einen kleinen Schlaumeier verspielt, der ihm (und sich) einen großen Geschäftsgewinn für kleine triviale Unterhaltungsliteratur verspricht. Ähnlichkeiten mit Lebenden und Verstorbenen natürlich ausgeschlossen.

1 Mehr dazu siehe Rainer Stuhlmann, Was in der Juden Schulen für die Weihnachtspredigt zu lernen ist, in: Göttinger Predigtmeditationen 69/1, 2014.

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