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Zwölf Monate zuvor

„Ihre Zahlen aus den letzten Monaten sind miserabel, Herr Pracht. Wir sind eine Bank und kein Altersruhesitz“.

Die Stimme von Klaus Bechtle sollte genauso hart und eindringlich klingen. Er war es endgültig leid, dass er sich für seinen Mitarbeiter wieder und wieder bei der Geschäftsleitung rechtfertigen musste. Er stand selbst unter großem Druck und hatte mit seiner Abteilung die geforderten Zahlen zu bringen.

Jakob stand alleine auf der inneren Bühne in der Nähe der Kontaktlinie und sah hinüber auf die Außenwelt. Er hatte damit gerechnet, dass es kein einfaches Gespräch werden würde, aber nun fühlte er sich klein und überfordert.

„Mann, ist dieser Typ ätzend“, dachte er.

Wie gerne hätte er einem anderen Darsteller diese Aufgabe übertragen, aber er war nun mal der „Verantwortliche“ in dem Ensemble. Es war seine verdammte Aufgabe in dieser Situation der Kapitän zu sein, der auf der Kommandobrücke das Schiff in diesem schweren Sturm auf Kurs halten musste.

„Wo ist eigentlich Janos, unsere Kämpfer-Natur?“, fluchte Jakob innerlich. „Sonst hat er eine große Klappe, aber immer, wenn man ihn braucht, ist er nicht da, so eine Scheiße“.

Janos bekam natürlich mit, was Jakob über ihn gedacht hatte, doch er hielt sich weiter im Hintergrund. Er wusste wirklich nicht, was er hätte tun sollen und hatte sich deshalb ganz nach hinten zurückgezogen.

Die Situation war kompliziert. Die Abhängigkeit von diesem Scheiß-Laden ließ sich nicht leugnen, denn sie mussten die Kohle für ihren Lebensunterhalt verdienen, obwohl niemand von ihnen diese Art von Arbeit mochte.

„Für was sollte ich kämpfen? Oder gegen wen? Mein Chef sitzt eindeutig am längeren Hebel, das hat alles keinen Sinn“.

In der Ausbildung zum Bankkaufmann hatte es noch Spaß gemacht, die Kunden zu beraten. Doch in den letzten Jahren wurde der Druck für Neuabschlüsse immer höher, und sie mussten unzählige Überstunden machen, um die Vorgaben irgendwie zu erreichen. Für seinen Geschmack war es auch keine wirkliche Beratung mehr, sondern eher ein Aufschwatzen von Versicherungen und Finanzprodukten, die kein Mensch wirklich brauchte.

„Es tut mir leid, Herr Bechtle, aber sie wissen ja, dass ich einige Tage krank war. Das habe ich noch nicht aufholen können, aber ich bin dran.“

Jakob hatte in letzter Zeit auch schon verschiedene Stellenbörsen durchforstet und feststellen müssen, dass er es schwer haben würde, einen neuen Job zu finden.

„Augen zu und durch“ war die Überlebensstrategie, der sich die meisten Bühnenkollegen gebeugt hatten.

„Sie haben sicherlich gehört, dass nächstes Jahr wieder Umstrukturierungen und vermutlich auch Entlassungen anstehen“, machte Bechtle zusätzlichen Druck.

„Überzeugen sie mich, dass sie ihre Zahlen schaffen, dann werde ich mich für sie einsetzen, Herr Pracht“.

Damit war das qualvolle Personalgespräch endlich beendet, der Vorhang schloss sich nach dieser Szene, so dass Jakob mit Gefühlen von Erleichterung, aber auch der Resignation wieder in sein Büro gehen konnte.

Es war bereits nach 16:00 Uhr, aber er musste noch einige wichtige Telefonate führen.

„Ey Leute, und wann kommen wir endlich mal wieder auf unsere Kosten?“, fragte Jay, der Playboy im Ensemble, der Spaß und am besten auch Sex haben wollte.

„Lasst uns Feierabend machen und in unsere Stammkneipe gehen. Nach ein paar Bier und einer Pizza können wir auch abchecken, ob nette Frauen da sind“, grinste er.

„Ja, wir müssen auch an uns denken“, unterstützte Jack den Vorschlag, was durchaus ungewöhnlich war, weil er Jay eigentlich nicht sonderlich mochte.

Jetzt war sie wieder spürbar, diese tiefe Zerrissenheit im inneren System. Es gab diese äußeren Abhängigkeiten, um ihre materielle Existenz zu sichern und die vielen individuellen Bedürfnisse der Darsteller. Alles zusammen fühlte sich Scheiße an, aber der Job musste gemacht werden.

„Ich kann euch den Deal anbieten, dass wir jetzt konzentriert bis 19:00 Uhr unsere Arbeit so weit wie möglich erledigen, und dann gehen wir in unsere Stammkneipe“, gab Jakob die Richtung für die nächsten Stunden vor.

Allgemeines Gemurre auf der Bühne, aber alle wussten, dass es sein musste. Miete, Auto, Lebensunterhalt, das Ansehen bei Anderen, das alles war abhängig von einem gewissen Einkommen, und dafür musste man sich eben auch mal „durchbeißen“, hatten ihm seine Eltern eingetrichtert.

Jakob nahm den Telefonhörer und wählte die Nummer des nächsten Kunden von seiner Liste, während die gesamte Mannschaft frustriert und gelangweilt auf den Feierabend wartete.

Es war schon nach 20:00 Uhr, als sie endlich ihre Pizza bekamen.

„Und, alles gut?“, fragte die Bedienung.

„Muss“, presste Jakob zwischen den Zähnen hervor.

Nach dem fünften Bier und dem zweiten Cognac wurden die Darsteller endlich lockerer und fühlten sich besser.

„So schlimm ist das alles doch gar nicht“, kam ein Grüppchen von Darstellern überein, das in einer Ecke zusammenstand und versuchte, sich an einen Witz zu erinnern, den man bei passender Gelegenheit erzählen wollte.

Jakob hatte sich zurückgezogen und Jack die vordere Bühne überlassen, denn er wurde langsam müde. Er wusste, dass mit zunehmendem Alkoholspiegel die jüngeren Darsteller das Kommando auf der Bühne übernehmen würden.

„Ich muss aufpassen“, dachte Jack vernebelt, „dass wir hier nicht versacken. Wir können morgen nicht schon wieder krankfeiern“, wurden seine Gedanken langsam schwerer.

„Noch eins, bitte“.

Das selig berauschte Ensemble spürte, dass irgendwo tief im Innern ein Wesen mehr und mehr erwachte und bereit war sich auf die Bühne zu schleichen, sobald die meisten Darsteller betrunken genug waren.

„Das darf heute nicht schon wieder passieren“, dachte Jack, der kurz davor war, Jakob zu folgen und die Segel auf der Bühne zu streichen, um das Feld den Jüngeren zu überlassen. Er war müde, aber ein letzter Rest von Verantwortungsbewusstsein trieb ihn an, zu bezahlen und nach Hause zu gehen.

„Zahlen bitte“, sagte er zum Kellner.

Das bedeutete für ihn eine große innere Anstrengung, auch weil jüngere Darsteller protestierten, die gerade „Highway to Hell”1 mitsangen, während die Hände des Körpers Luftgitarre spielten und auf der inneren Bühne einige Köpfe im Takt der Rockmusik nickten, um die imaginären langen Haare fliegen zu lassen.

Der jugendliche Jake war ganz in seinem Element, und der Körper strahlte durch seine Energie eine Lebensfreude aus, die man am Beginn des Abends nicht für möglich gehalten hätte.

1 AC/DC – “Highway to Hell.” Musik, Text: Angus Young, Malcom Young; Bon Scott, Produzent: Robert John “Mutt” Lange. Atlantic Records, 1979

Das Theater in mir

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