Читать книгу Das Theater in mir - Ralf Michael Pape - Страница 12

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Neue Impulse

Christoph legte sein Handy auf den Beifahrersitz und fuhr los. Er steuerte den schwarzen Audi in Richtung Grafenberger Wald. Ein perfekter Tag für seine Laufrunde. Der Wetterbericht hatte bis zu 25 Grad und Sonnerschein vorhergesagt. Das Telefonat mit Nancy hatte ihn verärgert, aber er hatte auch keine Lust, sich davon den Sonntag vermiesen zu lassen. Als er auf den Parkplatz am Rande des Stadtwaldes einbog, wartete Holger bereits neben seinem großen, roten Geländewagen und dehnte seine Waden. Christoph hatte seine Jogging-Klamotten schon zu Hause angezogen, so dass sie nach einer kurzen Begrüßung sofort loslaufen konnten. Nach wenigen Metern musste er seinem Ärger Luft machen.

„Sie liegt schon wieder fast das ganze Wochenende im Bett, ich könnte kotzen.“

Holger hatte eigentlich keine große Lust, über Beziehungen zu sprechen.

„War sie mal beim Arzt, vielleicht ist sie ja krank.“

Sie liefen an eine Gruppe Spaziergängern vorbei.

„Einmal habe ich vorsichtig versucht, sie darauf anzusprechen, da wäre sie fast explodiert, und ich durfte mir anschließend einen Vortrag darüber anhören, dass ich mich nicht in ihre Angelegenheiten mischen soll.“

„Krass Mann, aber wie soll es denn mit euch weitergehen? So kann es ja wohl nicht bleiben, oder?“

Christoph wirkte resigniert.

„Unter der Woche sehe ich sie gar nicht mehr, weil sie entweder im Büro oder im Fitnessstudio ist. Und an den Wochenenden wird sie mehr und mehr zu einem weiblichen Zombie. Ich kann mich kaum noch erinnern, wann wir zuletzt gemeinsam ausgegangen sind.“

Holger wollte dieses Thema schnell hinter sich bringen.

„Sag mal, warum bist du denn noch mit ihr zusammen?“

„Tja, das frage ich mich auch immer öfter. Die ersten Monate waren richtig geil, und ich dachte nach ein paar Wochen, das muss wirklich Liebe sein. Endlich eine Frau auf Augenhöhe, die nicht nur einen Versorger sucht. Aber in den letzten Monaten hat sie sich verändert, und ich weiß nicht, was ich machen soll.“

Sie liefen eine schöne Strecke durch den Grafenberger Wald, vorbei an Bäumen und Büschen, die dem geneigten Betrachter ihre Blätter in allen nur erdenklichen Grüntönen darboten. Sie atmeten den von den Pflanzen produzierten Sauerstoff und die umherschwirrenden Pollen, ohne jedes Bewusstsein für all die Geschenke der überfließenden Natur. Ihre Körper liefen im Autopilot-Modus. Sie wichen Hunden aus, nahmen eine hübsche Joggerin wahr, die ihnen ohne jedes Lächeln entgegenkam. 100 Meter weiter hatten sie es vergessen. Sie waren hier, um zu trainieren, und wenn es sich ergab, konnten sie dabei ein Gespräch unter Männern führen. Immerhin!

Sie bogen rechts in einen Weg, der langsam nach unten führte und den Blick auf die vor ihnen liegende Stadt freigab. Sie schauten auf den Boden und ihre Füße.

„Ganz ehrlich, ich bin weit davon entfernt, dir Ratschläge zu geben, aber eine Freundin hat mir mal gesagt, nur sprechenden Menschen kann geholfen werden. Eine offene Aussprache kann sicher nicht schaden“, schlug Holger vor.

„Ja, Männer unter sich. Sie versuchen immer Lösungen anzubieten. So hat es die Evolution wohl eingerichtet, um den Fortbestand der Menschheit zu sichern“, dachte Christoph ein wenig amüsiert über Holgers Vorschlag.

„Sie ist da ziemlich dünnhäutig. Ich will nicht riskieren, dass alles kaputtgehen könnte. Du weißt ja, dass ich nicht gut alleine sein kann.“

Christoph wollte seinem Freund gegenüber nicht zugeben, dass er sogar eine Scheiß-Angst davor hatte, Nancy nach nur gut 9 Monaten wieder zu verlieren. Für ihn hatte es sich so toll angefühlt, als er sie seiner Familie und im Freundeskreis vorstellen konnte.

„Jetzt schon wieder alles aus? Nein, das durfte er nicht riskieren“, dachte er.

Seine letzten drei Beziehungen erreichten alle nicht die magische 12- Monate-Grenze, doch nun war er ganz nah dran.

Er wechselte das Thema.

„Wie läuft es eigentlich bei Dir und Daniela? Ihr seid ja schon über 10 Jahre zusammen.“

„Ich bin zufrieden. Wir verstehen uns meistens gut, und alles läuft seinen geregelten Gang. Das weiß ich sehr zu schätzen und kann mich auf meinen Job konzentrieren.“

„Das klingt ja sehr leidenschaftlich.“

„Sei nicht so zynisch! Machen wir uns doch nichts vor, die Schmetterlinge und die Leidenschaft überleben das erste Jahr nicht. Ich kenne niemanden, der etwas Anderes erlebt hat. Für mich kommt es darauf an, den Weg trotzdem gemeinsam fortzusetzen.“

„Wahrscheinlich hast du Recht, aber ich habe es mit meinen letzten Beziehungen nicht mal ins zweite Jahr geschafft. Nach meiner Scheidung vor über sieben Jahren hatte ich nur Affären oder kurze Beziehungsversuche. Ich weiß nicht, was ich falsch mache.“

„Ich finde Du machst gar nichts falsch. Du siehst doch gut aus, bist gebildet, hast einen trainierten Körper und verdienst genügend Kohle. Die Richtige kommt einfach noch. Vielleicht ist es ja auch Nancy, die momentan einfach eine Krise durchlebt und hoffentlich bald wieder auf dem Damm ist?!“

Sie näherten sich einer Gruppe von Spaziergängern. Einige hatten Hunde dabei, so dass sie besonders aufpassen mussten. Mit leicht verringertem Tempo umkurvten sie das Hindernis. Dann schauten sie sich mit blitzenden Männeraugen an und animierten sich gegenseitig zu einem höheren Tempo, als plötzlich aus einem Seitenweg ein größerer Hund an einer Leine vor ihnen auftauchte. Holger hatte Glück und konnte gerade noch ausweichen, aber Christoph stolperte über die Leine und stürzte auf den Waldboden.

Als er wieder zu sich kam sah er in die tiefbraunen Augen eines Golden Retrievers, der besorgt, oder freudig, oder mitfühlend, oder alles zusammen das Gesicht des Unfallopfers abschleckte.

„Narco, komm zurück“, hörte er eine angenehme, weibliche Stimme, und dann schob sich schon die dazu gehörende Frau in sein Blickfeld.

„Hallo, können sie mich hören?“ fragte sie besorgt.

„Ich rufe am besten einen Krankenwagen“, hörte er Holgers Stimme, und da Christoph das auf gar keinen Fall wollte, richtete er sich langsam auf.

Im Sitzen konnte er sein Gegenüber besser sehen, auch wenn dabei sein Schädel leicht brummte.

„Wow“, dachte er, „tolle Frau.“

Sie war hübsch, aber das war es nicht, was ihn faszinierte.

„Sie hat etwas Natürliches und Herzliches, wie damals meine Tante Hannelore, bei der ich mich immer so wohlgefühlt hatte“, träumte er im Sitzen vor sich hin.

„Warten Sie bitte“, sagte die Frau in Holgers Richtung. „Vielleicht ist es ja nicht so schlimm.“

„Wie geht es Ihnen?“, wandte sie sich an den Verletzten und reichte ihm eine Hand.

Christoph lächelte und stand mit ihrer Hilfe etwas umständlich auf.

„Ich bin noch wackelig auf den Beinen, aber es wird schon gehen.“

„Das tut mir wirklich sehr leid, und ich bitte um Entschuldigung. Ich heiße Nina und übernehme selbstverständlich die Verantwortung für diesen Unfall. Mein Hund sah die anderen Hunde und zog auf einmal ruckartig auf den Hauptweg, und dann war es zu spät.“.

„Da habe ich wohl noch Glück gehabt. Es fühlt sich nicht an, als wenn etwas Ernstes passiert wäre“, sagte Christoph erleichtert.

Narco schnupperte an seiner Hand und ließ sich von ihm streicheln. Das beruhigte auch Holger. Er wollte den gemeinsamen Lauf fortsetzen, aber Christoph gab ihm zu verstehen, dass er lieber zum Auto zurückgehen wollte, um kein Risiko einzugehen.

„Wissen Sie was“, lächelte Nina, „ich bringe Sie zu ihrem Auto, dann kann ihr Freund seine Joggingrunde zu Ende laufen. Falls es ihnen schlechter gehen sollte, könnte ich einen Arzt rufen“.

Christophs kurzen, höflichen Protest, der ohne jeden Nachdruck blieb, strahlten Ninas herzliche Augen einfach weg. Holger verabschiedete sich und setzte seine Runde fort.

„Ich heiße übrigens Christoph“, sagte er und reichte der hübschen Frau ganz bewusst noch einmal die Hand.

Er fühlte sich von Minute zu Minute besser und das nicht nur auf der körperlichen Ebene.

„Können Sie mir vielleicht sagen, was hier gerade passiert? Vor wenigen Minuten lag ich noch auf dem Boden und war kurz weggetreten, und nun habe ich das Gefühl, als würde es mir besonders gut gehen.“

Nina schien diese Frage nicht zu irritieren. Sie lächelte.

„Glauben Sie an Zufälle, Christoph?“

Dann blieb sie stehen und sah ihn direkt an. Narco war ein paar Meter vorgelaufen und beschnüffelte die Duftnoten seiner Vorgänger an den im vollen Saft stehenden Brennnesseln, sonst war weit und breit niemand zu sehen.

„Ach, das war einfach Pech, so etwas kommt vor. Zufall hin oder her, ich glaube in erster Linie an mich selbst.“

„Bitte entschuldigen Sie meine Direktheit, aber sie wirken auf mich nicht wie jemand, der an sich selbst glaubt.“

„Wir kennen uns seit fünf Minuten, und Sie sagen so etwas zu mir? Woher nehmen Sie denn diese Erkenntnis?“

Christoph war einerseits etwas ungehalten, andererseits fühlte er sich ertappt.

„Das kann ich spüren, und ich sehe es in Ihren Augen. Aber bitte machen Sie sich keine Sorgen, denn ich habe nicht vor, irgendetwas mit diesem Wissen anzufangen. Wie Sie schon sagten, ich kenne Sie ja gar nicht.“

Sie setzen ihren Weg langsam fort.

„Was denken Sie denn über Zufälle?“, griff er nach einigen Sekunden des Schweigens die letzte Frage, nun neugierig geworden, wieder auf.

„Da muss ich ein wenig ausholen, Christoph. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit Spiritualität. Die meisten Menschen glauben, das hätte mit Gott oder Religion zu tun, aber das stimmt so nicht. Ich möchte Ihnen keinen Vortrag halten, aber dieses Thema der Spiritualität hat mein Leben entscheidend verändert. Wissen Sie, in der Spiritualität geht es hauptsächlich um die Frage nach einem Sinn für dieses Leben. Ist alles zufällig in unserem Leben oder gibt es eine »sinnvolle« Ordnung und es fällt uns im richtigen Augenblick zu, was wir für unseren Lebensweg benötigen.“

„Sie glauben also nicht an Zufälle? Und was ist dann der tiefere Sinn des kleinen Unfalls und unserer Begegnung?“

„Vielleicht genau dieses Gespräch. Vielleicht ist es der Tag für neue Impulse in ihrem Leben. Ich kenne Sie nicht, aber viele Menschen kommen im Leben irgendwann an einen Punkt, der eine Tür für eine neue Sichtweise öffnet.“

Während sie langsam gingen und sich unterhielten, waren sie an dem Parkplatz angekommen, auf dem Christophs Auto stand.

„Ich hoffe, Sie verstehen das nicht falsch, aber ich hätte gerne Ihre Kontaktdaten - nur für den Fall, dass der Unfall doch noch körperliche Nachwirkungen hat.“

Christoph hatte das Gefühl, dass Nina ihn durchschaute. Er spürte die Anziehungskraft dieser Frau, aber auf eine für ihn unbekannte Art und Weise. Deshalb konnte er sie nicht gehen lassen, ohne zumindest ihre Telefonnummer zu bekommen.

„Ich gebe Ihnen gerne meine Karte. Aber ich möchte gleich klarstellen, dass ich nicht auf einen Flirt mit Ihnen aus bin. Wissen Sie, es ist für mich sehr hilfreich geworden, dass ich direkt und klar sage, was ich will und was ich nicht will. Bitte nehmen sie mir das nicht übel. Sie dürfen sich gerne bei mir melden, wenn es um den heutigen Unfall geht, oder wenn Sie irgendwann das Gefühl haben, etwas in ihrem Leben verändern zu wollen. Dafür hätte ich einige Angebote. Sie können sich auch erst in ein paar Jahren melden. Legen sie meine Karte einfach gut weg“, lächelte sie ihn herzlich an.

Er sah auf Ihre Karte:

Nina Paulus

Lebensberaterin

„Klingt interessant, was da auf ihrer Karte steht. Was sind denn das für Angebote?“

„Zum Beispiel Seminare, ich mache aber auch Einzel-Beratungen. Zu mir kommen Menschen, deren Leben sich nicht mehr stimmig anfühlt und die nicht mehr weitermachen wollen oder können wie bisher. Aber das muss in jedem Einzelnen reifen. Ich kann Menschen auf ihrem Weg begleiten, aber ich kann sie nicht wie in einem Rollstuhl schieben, verstehen Sie Christoph?“

„Ja, ich denke schon. Vielen Dank für Ihre Begleitung und das interessante Gespräch. Irgendwie habe ich das Gefühl, das war wirklich kein Zufall.“

„Gute Besserung und alles Gute für Sie. Wenn Sie Lust haben, denken Sie doch ab und zu über einen möglichen Sinn in Ihrem Leben nach.“

„Auf Wiedersehen, Nina. Hat mich sehr gefreut.“

Das Theater in mir

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