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Die Burg

Es war schon Zwölf Uhr mittags, als sie aufstand, um ihre tröstende Burg zu verlassen, die ihr wie jedes Wochenende ein trügerisches Gefühl von Sicherheit gab. Im Badezimmerspiegel sah sie in meerblaue Augen. Das »Meer« verbindet man mit Lebendigkeit und Schönheit, aber aus ihren traurigen Augen schien jedes Leben gewichen zu sein. Als sie genauer hinsah, bemerkte sie, dass sich das Wasser an den Ufern rötlich eingefärbt hatte. Ein kurzes Gefühl der Hoffnung keimte in ihr auf, dass ein wunderschönes Morgenrot dieses Farbenspiel auf Ihre innere Wasseroberfläche gezaubert hätte, aber je länger sie hinschaute, desto deutlicher glaubte sie einen blutig eingefärbten Strand an den Rändern eines toten Meeres zu erkennen.

„Ekelhaft, wie in einem Horrorfilm“, schoss es ihr in den Sinn.

Fast hätte sie sich übergeben müssen. Ihr Gesicht verschwamm vor ihren Augen, und das Meer, das Blut und die Abwesenheit von Leben wandelten sich zu einem mulmigen Gefühl, das ihren Atem immer schneller werden ließ.

Als in diesem Moment das Telefon klingelte, kam Nancy aus ihrem Badezimmer-Alptraum zurück.

„Was ist das wieder für ein Scheiß-Tag“, fluchte sie und ging in den Flur.

Für ihre 42 Jahre hatte Nancy eine erstklassige Figur. Die hatte sie ihrer eisernen Disziplin bei der Ernährung und dem harten Fitness-Training zu verdanken, das sie an Wochentagen nach der Arbeit durchzog, egal wie spät es im Büro wurde. Sie selbst hatte trotzdem immer etwas an ihrem Körper auszusetzen. Ihre Waden fand sie zu dick, ihre Brüste ließen sich Jahr für Jahr mehr hängen und überhaupt hätten ihre Eltern, oder wer auch immer dafür verantwortlich war, ihr doch bitte einen schöneren Körper schenken können. Dann würde es ihr bestimmt bessergehen.

Das andere Geschlecht hingegen war immer sehr angetan von ihrem Aussehen, und Nancy genoss durchaus die Blicke und Komplimente der Männer, aber nachvollziehen, nein, nachvollziehen konnte sie das beim besten Willen nicht.

Sie selbst wusste ja, was sie alles zu verbergen hatte und was sie kaschieren musste, um einigermaßen mithalten zu können, mit den Schönheitsnormen und Idealen dieser Gesellschaft.

Vor die Tür ging sie grundsätzlich nur mit einem guten Makeup und schicker Kleidung, denn damit fühlte sie sich einigermaßen geschützt und sicher.

Das war allerdings nicht die ganze Wahrheit, denn tief im Inneren, versteckt hinter der perfekten Maske, blieb die Unsicherheit, aber das wusste nur sie selbst.

Heute war Sonntag, und an den Wochenenden schlief sie möglichst lange und verließ ihre Wohnung nur selten. So hatte es sich seit einigen Monaten eingeschlichen, als sie merkte, dass sie dem Druck und den Anstrengungen der Woche nur standhalten konnte, wenn sie das ganze Wochenende für sich und ihre Regeneration hatte.

In diesen Stunden des Alleinseins bedauerte sie sich und ihr verkorkstes Leben.

Mit Anfang Zwanzig hatte sie sich ihr künftiges Leben anders vorgestellt. Eine gute Ausbildung, ein interessanter Job und ein toller Mann an ihrer Seite, mit dem sie das Leben genießen konnte.

„Wann haben sich meine Träume in Luft aufgelöst? Was habe ich falsch gemacht?“

Als sie am Morgen aufwachte, war ihr Freund Christoph, wie in letzter Zeit üblich, schon gegangen. Sie hatten am Samstagabend zusammen einen Film angeschaut, ein paar Gläser Rotwein getrunken, und irgendwann war sie endlich locker genug, um seinem Begehren nachzugeben und Sex mit ihm zu haben. Wenn er nicht die Initiative ergriff, schliefen sie gar nicht mehr miteinander. Sie hatte keine Erklärung dafür, warum sich ihre Lust verabschiedet hatte, war sie doch zu Beginn der Beziehung eine experimentierfreudige Verführerin.

„Der gelegentliche Sex ist wahrscheinlich der einzige Grund, warum er noch nicht gegangen ist“, dachte sie immer wieder mal.

Als sie nach dem Aufwachen realisiert hatte, dass Christoph nicht mehr neben ihr lag, war sie traurig. Das Gefühl von Einsamkeit war langsam ihren Rücken heraufgekrochen, wie die Raupe eines Prozessionsspinners, besetzt mit kleinen giftigen Härchen, unterwegs sich häuslich niederzulassen und den Wirt endgültig einzuspinnen.

Auf der anderen Seite war sie froh, sich endlich entspannen zu können. Selbst im Schlaf, wenn er neben ihr lag, versuchte sie ihre Haare immer so auf dem Kissen zu drapieren und ihre Körperhaltung so zu inszenieren, dass sie hübsch anzuschauen war.

Erst wenn sie allein war, konnte sie sich fallen lassen.

Doch oft fiel sie tief, so tief, dass sie im vertrauten Sumpf ihrer Unzufriedenheit und der alten, schmerzhaften Gefühle versank.

„Hallo Schatz, ich habe Dich heute Morgen nicht wecken wollen und treffe mich jetzt gleich mit Holger zum Joggen. Hinterher gehen wir noch was trinken“, sagte Christoph gut gelaunt.

„Es ist ein herrlicher Tag. Was hältst du davon, wenn wir danach zusammen etwas unternehmen?“

„Er versucht es immer wieder, obwohl er weiß, dass es mir schlecht geht“, dachte sie mit einem Anflug von Wut.

Gleichzeitig schien eine andere Stimme in ihr sie zu warnen:

„Wenn Du so weitermachst, werden wir ihn verlieren. Wer will schon mit jemanden zusammen sein, mit dem man selbst an den Wochenenden nichts anfangen kann?“

„Mir geht es nicht so gut und ich muss mich auch noch um meine Wohnung kümmern. Ich könnte Hilfe brauchen …“, ließ sie den restlichen Satz wie die Einladung zu einer Wohltätigkeitsgala in der Luft stehen.

Christoph hatte es sich angewöhnt, auf solche Äußerungen seiner Freundin nicht mehr einzugehen. Er hatte es versucht und war einige Male zum „Helfen“ zu ihr nach Hause gefahren. Sie lag dann meist im Halbdunkeln auf ihrem Bett, hatte Migräne, ihre Periode oder einfach Weltschmerz, oder aber sie trank schon recht früh am Tag ein Glas Rotwein, was ihr den letzten Funken Energie nahm, etwas in ihrem Haushalt zu tun. Meist räumte Christoph dann die Spülmaschine ein oder aus, brachte den Müll raus und kam ziemlich schnell ans Ende seiner Motivation, die Wohnung seiner Freundin alleine auf Vordermann zu bringen.

„Ich habe Dir schon so oft gesagt, dass Du Dir endlich eine Putzfrau suchen sollst, damit das ein Ende hat. Du kannst es Dir doch finanziell locker leisten“, sagte er.

Innerlich war er dann etwas angefressen und dachte, „verdammt nochmal, so kann das doch nicht endlos weitergehen“.

Ja, er hatte sie gern und fand sie sehr sexy, aber er wollte auch eine gemeinsame Freizeitgestaltung mit seiner Partnerin. Als er sie vor 9 Monaten im Fitness-Studio kennengelernt hatte, sahen ihre ersten gemeinsamen Wochenenden noch ganz anders aus. Nancy war nicht nur sehr attraktiv und intelligent, sondern konnte auch charmant und witzig sein.

Für Christoph war es wichtig, eine adäquate Partnerin zu haben, und mit Nancy an seiner Seite fühlte er sich vor allem in der Öffentlichkeit gut und irgendwie auch wertvoller.

Im nächsten Moment kam Angst in ihm auf, dass sie Schluss machen könnte, wenn er jetzt zu hart reagieren würde.

„Weißt du was, ich melde mich einfach, wenn ich mit Holger durch bin, und dann schauen wir weiter.“

Seine Zunge schmeckte nach fader Resignation, und seine Lippen formten die letzten Worte eher widerwillig, aber er wollte es auch nicht vermasseln.

Nancy hatte kein Interesse daran, das Gespräch fortzusetzen.

„OK, dann bis nachher!“

Das Telefonat endete wie zuletzt üblich, ohne verbindliche Absprachen und ohne ein einziges liebevolles Wort ausgetauscht zu haben.

„Jeder macht sein eigenes Ding und ist trotzdem nicht alleine. Das hat doch auch Vorteile“, kamen trotzige Gedanken aus den Tiefen ihrer Innenwelt.

Nur wenige Sekunden später meckerte eine andere innere Stimme etwas von Selbstbetrug, und in ihren Augen kam das Meer in Wallung und die Gischt schäumte auf ihre Nase. Schnell sperrte sie diese wenig hilfreichen Gedanken und Gefühle in den tiefsten Kerker, verriegelte die schwere Eichentür und ging zurück in ihre Betten-Burg. Die Dusche und das Frühstück verschob sie auf nachmittags.

Sie zog die Zugbrücke zur Außenwelt wieder nach oben und ließ die Krokodile zurück in den Burggraben.

„Warum immer ich? Kann ich nicht auch ein wenig Glück haben im Leben?“, flogen Gedanken an ihr vorbei, wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm, der sich anschickt, gen Süden in freundlichere, wärmere Gefilde zu ziehen.

Sie überlegte kurz, welche Freundin sie anrufen könnte, um ihr Leid zu klagen, aber das hatte ihr in letzter Zeit auch keine Erleichterung gebracht.

Ihre Freundin Marie-Anne war letzte Woche sogar so weit gegangen, ihr zu sagen „weißt Du Nancy, ich glaube Du willst gar nichts ändern, und mich nervt dieses ständige Klagen, wie schlecht es Dir geht. Ich habe genug eigene Probleme, bitte ruf mich erst wieder an, wenn Du wirklich bereit bist aus Deinem Jammerloch herauszukrabbeln, dann helfe ich dir gerne.

Boom, das hatte gesessen und wirkte immer noch nach.

„Diese blöde Kuh werde ich aus meinem Leben streichen, die soll mal sehen, wie sie ohne mich klarkommt“, hörte sie sich selbst in die Kissen fluchen.

„Als wenn Marie-Anne richtige Probleme hätte. Sie ist seit über 5 Jahren mit Jörg verheiratet und das zweite Kind ist unterwegs. Das läuft doch perfekt.“

Leichte Zweifel, ob sie das wirklich beurteilen konnte, wischte sie beiseite.

Sie ließ die Idee mit dem Telefonieren wieder los und verkroch sich tiefer in ihre Burg. Durch ein kleines Guckloch sah sie noch einmal kurz hinaus durch das vergitterte Fenster des Turms, vorbei an dem rankenden Efeu und an den mit spitzen Eisen gesicherten Wänden. Hier konnte sie sich sicher fühlen.

„Ja, so sicher wie in einem Grab“, antwortete eine leblose und traurige Stimme in ihr.

Sie ahnte noch nichts davon, aber die Veränderung war schon auf dem Weg zu ihr.

Das Theater in mir

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