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Der emotionale Aufwand bei Ablenkungen

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EIN HOCH AUF DAS AMERIKANISCHE BILDUNGSSYSTEM. Und damit meine ich vor allem unsere leider überarbeiteten und unterbezahlten Lehrer und Lehrerinnen. Es scheint, als ob sie die einzige Antriebs kraft der Lokomotive9 der amerikanischen Gesellschaft geworden seien, die sich wie niemand sonst den Berg hinaufkämpft. Ich habe den größten Respekt vor Lehrern und Lehrerinnen. Dennoch muss ich anmerken, dass die meisten von uns für mindestens zehn Jahre die Schule besuchen und dass gerade einmal die Hälfte davon sie mit einem Wissen über die fundamentalen Aspekte des Lebens verlässt. Wir haben unseren Kopf trainiert, damit wir uns Multiplikationstabellen und historische Daten merken, aber hat man uns je beigebracht, unsere Aufmerksamkeit zu trainieren, also gerade das, was Lernen und Erinnern möglich macht?

Wir verbringen endlose Stunden in Biologielabors, aber wurde uns jemals die Wichtigkeit von Bewusstheit in Körper und Geist beigebracht? Wir haben etwas über das Wunder unseres Atmungssystems gelernt, aber wurde uns jemals erklärt, wie man den Atem einsetzen kann, um das Nervensystem positiv zu beeinflussen? Wir waren stundenlang in Klassenräumen eingepfercht, aber haben wir jemals gelernt, wie man wandernde Gedanken einfängt?

Ein wandernder Geist ist ein unglücklicher Geist ist der Titel einer Studie von MATTHEW KILLINGSWORTH und DANIEL GILBERT.10 Die beiden Harvard-Psychologen haben herausgefunden, dass, sobald unser Geist und der gegenwärtige Moment nicht korrespondieren, uns das emotional aus dem Gleichgewicht bringen kann.

Erledigen wir etwas und denken währenddessen über etwas ganz anderes nach, dann sinkt unsere Motivation; übrigens auch dann, wenn die Gedanken angenehm sind. Wobei es natürlich einen Unterschied macht, worüber wir da gerade nachdenken. Was wir fühlen, so stellten GILBERT und KILLINGSWORTH bei den Teilnehmenden ihrer Untersuchung fest, hat viel mehr mit dem zu tun, wodurch wir abgelenkt werden, als mit der Situation, in der wir uns tatsächlich gerade befinden. Kurz gesagt: Bist du gedanklich nicht bei der Sache, geht es dir schlechter – lenkst du dich dazu noch mit negativem Zeug ab, fühlst du dich sogar noch schlechter. So ist es, egal ob du dabei mit der Vergangenheit oder der Zukunft beschäftigt bist oder irgendeiner Fantasie nachhängst. So gesehen nagen unsere geschäftigen Gedanken an unserer Lebensfreude – und Anlass dafür sind Geschehnisse, die wir nicht ändern können, die gar nicht passiert sind oder niemals passieren werden.

Wie ein geschäftiger Bienenschwarm summen die Gedanken durch unseren Kopf; das raubt uns Energie und zehrt an unseren Ressourcen. Wenn wir meinen, den Aus-Knopf endlich gefunden zu haben, entpuppt er sich rasch als Schlummertaste, und zehn Minuten später ist dasselbe Summen wieder da. Es ist dieselbe verkratzte Schallplatte, die uns am Tag die Kräfte raubt und uns nachts um den Schlaf bringt. Die Amerikanische Akademie für Schlafmedizin nimmt an, dass 30 bis 35 Prozent der US-Bürger und -Bürgerinnen mit Schlaflosigkeit kämpfen und dass für einen bedauernswerten Teil, 15 bis 20 Prozent, dieser Zustand länger als drei Monate anhält.11 Die Hauptgründe für die durchwachten Nächte sind Stress und eine Flut an Sorgen, meist rund um unsere Alltagsthemen wie Arbeit, Familie, Schule, Finanzen und so weiter.12 Wir greifen zu Schlaftabletten, damit unser ständig plappernder Geist endlich Ruhe gibt. Neun Millionen Amerikaner und Amerikanerinnen nehmen heutzutage Schlaftabletten.13 Für die meisten gehört das zum Abendritual, doch die Ursache ihrer Schlaflosigkeit gehen sie damit nicht an. Sobald die Medikamente abgesetzt werden, sind sie nachts wieder wach.

Hinzu kommt, dass die Anforderungen an den Einzelnen in beispielloser Weise anwachsen, besonders bei uns im Westen. Wir müssen in viel mehr Bereichen Verantwortung übernehmen und dabei neue Rollen noch besser ausfüllen; im Beruf wird eine unfassbare Flexibilität von uns erwartet und, dass wir ständig auf dem Laufenden sind inmitten der bereits jetzt unüberschaubaren, weiter wachsenden Social-Media-Welt (also genau auf dem Feld, auf dem wir gleichzeitig unsere Aufmerksamkeitsspanne verkürzen) – und ein Ende dieser Ansprüche ist nicht in Sicht.

Hatten die Generationen vor uns eine vergleichbare Liste mit Ansprüchen, die alle abgearbeitet und erfüllt werden sollten? Auf jeden Fall waren die Menschen vor nicht allzu langer Zeit einfach nicht erreichbar, wenn sie nicht zu Hause oder an ihrem Schreibtisch waren. Sie konnten auch nicht in Echtzeit auf zwölf verschiedenen Apps von jemandem kontaktiert werden, der in der nächsten Stunde, wenn nicht gar Minute, eine Antwort erwartet. (Interessant dazu zu wissen: Jedes Mal, wenn unser Handy ertönt, steigt unser Blutdruck. Das Vibrieren und Klingeln führt zu einer kleinen, aber trotzdem signifikanten emotionalen Achterbahnfahrt, jeden Tag, jederzeit.14) Die Umstände sind neu, Reizüberflutung selbst und anhaltende Ablenkungen aber sind uralte Probleme. Der BUDDHA hätte dir schon vor über 2500 Jahren von dem erzählen können, worüber KILLINGSWORTH und GILBERT heute schreiben: »Nichts kann dich mehr verletzen als ein untrainierter Geist, und nichts kann dir mehr helfen als ein gut trainierter Geist.«

Psychologen und Therapeuten wissen schon länger, dass unsere Wahrnehmung unser Wohlbefinden beeinflusst; viele Therapiemethoden setzen genau hier an. Ich bin spezialisiert auf eine der bekanntesten evidenzbasierten Behandlungsmethoden bei Traumata von Kindern und Jugendlichen, der »traumafokussierten kognitiven Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen« (kurz: TF-CBT, von Trauma-Focused Cognitive Behaviour Therapy). Diese Methode hat sich aus der traditionellen kognitiven Verhaltenstherapie entwickelt. Sie besagt ganz kurz zusammengefasst, dass unsere Probleme bei unseren Gedanken beginnen. Deshalb setzt diese Therapieform darauf, dass Patienten und Patientinnen lernen, ihr Denken zu verändern. Das Ziel dabei ist, die oft starken symptomatischen Auswirkungen des Traumas zu reduzieren. Dafür zeigen Therapeuten und Therapeutinnen den Kindern und Jugendlichen vor allem, wie sie ihre Gedanken und Erlebnisse neu ordnen und umschreiben können, egal wie überwältigend ihre Erfahrungen auch gewesen sein mögen. Ich halte das für eine ausgezeichnete Methode, um jungen Menschen dabei zu helfen, ihren Weg aus den Selbstvorwürfen und dem ausweichenden, überemotionalen und übervorsichtigen Denken zu finden (im Falle von Kindern spiegeln sich all diese Gedanken in ihrem Verhalten wider). TF-CBT gibt ihnen die Möglichkeit, aus einer fragmentarischen, traumatischen Erfahrung ein einheitliches, positives Narrativ zu entwickeln.

Wir müssen jedoch unterscheiden zwischen Bewältigen und Heilen. Wir können zwar unsere Gedanken so verbiegen, dass wir uns Glück einreden, aber dann bringen wir unsere Gedanken bloß unter Kontrolle, gehen den Problemen aber nicht auf den Grund. An unserem Hochgeschwindigkeitszug »Geist« fungieren die Gedanken wie eine Art angehängter Bremswagen. Wenn wir uns wirklich mit dem auseinandersetzen wollen, was an uns tagsüber zehrt und uns nachts überfällt, müssen wir nach vorn zur Lokomotive, genauer gesagt zum Maschinenwagen.

Psychotherapeuten und -therapeutinnen können uns dabei helfen, uns gedanklich neu zu orientieren und Gedanken umzuschreiben – also den Affen zu trainieren –, und einen ganz ähnlich eindimensionalen Zugang haben oft auch Meditierende: Sie versuchen, den Affen hinauszuwerfen.

In Meditationskreisen hat BUDDHAs Affen-Metapher bis heute oft einen negativen Touch: Als sei unser denkender Geist eine schmutzige, primitive, niedere Lebensform, die weder Erkenntnisse bietet, noch sonst einen Wert für uns hat; ein Haufen Müll, der an uns klebt (»Bring den Müll endlich raus!«). Doch diese Vorstellung widerspricht einem Grundprinzip der Neurowissenschaft: Das Gehirn kann nicht nichts tun. Es liegt in seiner Natur, ständig in Bewegung zu sein. Stell dir einmal vor, du sitzt am Lagerfeuer und verurteilst es dafür, dass es heiß ist. Klingt absurd und zwecklos, oder? Aber auf eine ganz vergleichbare Art versuchen viele Meditierende, ihren Affengeist im Zaum zu halten.

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