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VORSPIEL

Den Mythos von innen betrachten

EMPIRISCHE DATEN UND VON EXPERTEN begutachtete, evidenzbasierte Befunde sind wichtig und sie bilden die Grundlage für das, was ich auf den folgenden Seiten sagen werde. Ich erinnere mich noch gut an den Tag – es war in einem Seminar über Forschungsmethoden in meinem zweiten Mastersemester –, als diese Art des Wissens zu einer Inspiration für mich wurde. Ich hatte eine Meta-Analyse über ein Dutzend oder mehr Studien zu achtsamkeitsbasierten Interventionen vorbereitet und entdeckte zwischen ihnen viele Gemeinsamkeiten – das bestärkte mich. Zum Beispiel fanden verschiedene Forscher, die unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten von Achtsamkeit untersuchten, einheitlich heraus, dass die Teilnehmenden noch lange nach dem Ende der Studie ihre Meditationsübungen zur Achtsamkeit fortsetzten. Ein Artikel nach dem anderen erwähnte, dass die Teilnehmer Meditation so hilfreich fanden, dass sie sie langfristig in ihren Alltag integrieren wollten. Das verlieh meinem Faible fürs Meditieren eine gewisse Validität und weckte in mir den Wunsch, es zu vertiefen.

Ganz anders begann mein erster Kurs in Neurowissenschaften. Zur Begrüßung hielt unsere Professorin das Kursbuch hoch und verkündete: »In zwanzig Jahren wird dieses Buch überholt sein.« Sie sensibilisierte uns so dafür, in welch rasantem Tempo in der Forschung neue Erkenntnisse über das Gehirn gewonnen werden und wie schnell sich gängige wissenschaftliche Theorien zum Gehirn als falsch erwiesen haben. Eine gewisse Zeit lang waren die Wissenschaftler ja sogar davon überzeugt, dass die gesamte Verdrahtung des Gehirns in der Kindheit erfolge und wir anschließend einfach mit dem leben müssten, was uns einprogrammiert worden war. Aus diesem Grund wurden Alkoholiker früher dauerhaft in Anstalten eingesperrt; Sucht galt als unheilbar. Heute können wir immer wieder beobachten, wie veränderbar das Gehirn ist. Es verändert sich mit jeder Erfahrung, unterliegt einem Veränderungsprozess, der unser gesamtes Leben lang andauert.

Es gibt auch noch eine andere Interpretation der Aussage meiner Neurowissenschaftsprofessorin: Wir neigen dazu, wissenschaftliche Befunde als endgültig anzusehen, und das birgt eine gewisse Gefahr. Alles Wissen kann eine Falle sein, wenn wir uns zu sehr daran festklammern. Was wir »wissen«, egal aus welcher Quelle, wird ständig umgeworfen und aktualisiert. Diejenigen, die starr an ihrem Verständnis der Welt festhalten, enden häufig auf der falschen Seite. Denk mal an die, die GALILEO als Ketzer verfolgt haben, nachdem er sein heliozentrisches (sonnenzentriertes) Modell des Sonnensystems verkündet hatte. Die heutige wissenschaftliche Welt ist daher im Allgemeinen vorsichtig dabei geworden, ihre Behauptungen als Theorien zu formulieren. Es ist viel weiser, unser Wissen in der Schwebe zu halten und alles ständig zu hinterfragen. Bleibe offen für den Dialog.

Deshalb bitte ich dich, alles, was ich zu sagen habe, als eine »theoretische Sicht« auf Dinge zu verstehen. Die »theoretische Sicht« beinhaltet eine Reihe von Ideen, Beobachtungen und Perspektiven, die wir nutzen können, um auf die Welt zu schauen. Wir können sie uns als Mythen oder Kindergeschichten vorstellen. Kindergeschichten und Märchen sind schließlich das erste Medium, das uns außerhalb der Familie über die Welt informiert. Hier bekommen wir zum ersten Mal bedeutungsvolle Einsichten und Lebensweisheiten mit auf den Weg. Geschichten, Mythen und Wissenschaft haben etwas gemeinsam: Sie fordern uns dazu auf, dem Forscherdrang zuliebe unsere Überzeugungen und unsere Skepsis über Bord zu werfen, sodass wir Dinge ehrlich hinterfragen und dann unser Verständnis und unsere Eindrücke weiterentwickeln können. Und genau darum bitte ich auch dich: Stimme nicht zu, halte nicht dagegen, setze diese Brille einfach mal auf, um zu schauen, wie die Welt dadurch aussieht, wissend, dass wir sie ohnehin bald wieder abnehmen. Keine dieser Themen- oder Haltungs-Brillen wird dir jemals die exakte, endgültige Realität zeigen. Durch ihre Gläser siehst du nur das Abbild einer Erfahrung – aber die Erfahrung selbst ist der Schlüssel.

Das Werk des großen JOSEPH CAMPBELL hat uns gelehrt, dass alle Mythen ein Körnchen Wahrheit in sich tragen. Alle Mythen, egal wie wunderlich sie auch sein mögen, weisen uns auf etwas Bedeutsames hin – und in diesem Sinne ähnelt ihnen unsere »theoretische Brille«. Ein anderer meiner Professoren bezog sich häufig auf diese Vorstellung von CAMPBELL und forderte uns dazu auf, die Fähigkeit zu entwickeln, »den Mythos von innen zu betrachten«. Das bedeutet, dass wir, wenn wir in unserem Denken der Logik eines Mythos folgen, die darin enthaltenen Erkenntnisse gewinnen können, ohne diese als eigenes Glaubenssystem übernehmen zu müssen. Das Wichtigste an Theorie und Wissen ist ihre Funktionstüchtigkeit. Bringt uns der Einsatz unserer theoretischen Brille ein brauchbares Resultat? Bringt die neue Erkenntnis den Dialog voran und lässt sie uns besser verstehen? Der alleinige Zweck allen empirischen Wissens, aller Theorien, Philosophien, Argumentationen und Mythen ist es, uns zu Erfahrungen zu führen, die in gewisser Hinsicht befreiend sind – sie sollen uns Leichtigkeit, Stärke und Resilienz bringen. Es ist schließlich eine Sache, über Freiheit Bescheid zu wissen, aber eine ganz andere, sie auch zu erfahren.

Befreiende Erfahrungen sind immer auch in Mitgefühl verwurzelt. In diesem Buch bilde ich Ideen und Prozesse ab, die uns dabei unterstützen, unsere sich ständig wiederholenden Gedanken und Zwänge zu unterbrechen, mit schwierigen Gefühlen umzugehen und unsere Verhaltensmuster in Beziehungen besser zu erkennen und zu steuern. Aber nur, wenn unsere Handlungen und Ideen von emotionaler Wärme begleitet sind, kommen wir auch zu Ergebnissen – ein Punkt, den ich später noch ausführlich besprechen werde. Die Analogie von LAMA THUBTEN YESHE, einem tibetisch-buddhistischen Lehrer, ist hier sehr passend: Wir brauchen Mehl, um einen Kuchen zu backen, aber es sind die Butter und der Zucker, die uns den Kuchen so schmackhaft machen. In unserem Fall sind das Wissen sowie die psychologischen und somatischen Vorgänge (Meditation einbezogen) das Mehl. Sie sind essenziell, aber alleine ziemlich öde. Mitgefühl ist dann die Butter und der Zucker – es verwandelt das Mehl in etwas Genießbares, es versüßt die Bemühungen, unser Leben bewusst weiterzuentwickeln.

Wenn Belege, Mythen, Erkenntnisse und Meditation dazu führen, dass du Mitgefühl, Stärke und Wachstum erfährst, dann haben sie einen großartigen Zweck erfüllt. Ich lade dich dazu ein, »die Mythen«, die ich in diesem Buch vorstelle, »von innen zu betrachten« – in der Hoffnung, dass du so die Süße des Lebens noch satter und häufiger erfahren wirst.

Die technische Seite

ICH MÖCHTE DIR ZUM EINEN neue Gedankenanstöße zu den verwirrendsten Aspekten unserer Existenz mit auf den Weg geben, gleichzeitig soll dir dieses Buch aber auch viele ganz praktische Tipps an die Hand geben, um genau diese Aspekte anzugehen. Deshalb sind alle Ideen in diesem Buch mit Meditationsübungen gepaart und über das gesamte Buch verteilt. Mir ist klar, dass die Leser und Leserinnen dieses Buches ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Meditationsübungen haben werden. Damit alle auf ihre Kosten kommen werden, gehe ich auf die Basics ein und es werden auch die kompliziertesten Aspekte thematisiert. Über zwanzig Jahre lang habe ich die verschiedensten östlichen und westlichen Traditionen erforscht und erprobt. Für dieses Buch habe ich daraus das ausgewählt, was für mich am besten funktioniert hat. Das sind in vielen Fällen auch Techniken und Konzepte, die ich persönlich gerne schon am Anfang meiner Praxis gekannt hätte. Es gilt, was immer gelten sollte: Nimm dir das, mit dem du gut zurechtkommst – und was für dich nicht funktioniert, das vergisst du eben.

Weil es sehr nützlich sein kann, Meditationsanweisungen auch zu hören, um sowohl die Technik als auch die Aussage besser zu verinnerlichen, wurde zu diesem Buch ein Audioguide konzipiert. Du findest ihn auf https://www.kamphausen.media/monkey-mind-meditationen.

Die Information und Übungen in diesem Buch bauen aufeinander auf und sollten in der vorgegebenen Reihenfolge angegangen werden. Solltest du ein Neuling sein, was Meditation angeht, dann arbeite dich am besten methodisch durch die Texte und Meditationen und praktiziere jede neue Meditation einige Tage oder sogar Wochen – möglichst täglich oder zumindest so oft, wie es dein Terminkalender erlaubt –, bevor du dich der nächsten Übung zuwendest. Das tibetische Wort für Meditation ist gom, was so viel wie »Gewöhnung« oder »sich vertraut machen« bedeutet. Jede der hier vorgestellten Übungen machst du so lange, bis sie dir vertraut ist. Wie lange das dauert, ist ganz individuell.

Falls du schon erfahren bist in Meditation, willst du vielleicht ein paar Kapitel in diesem Buch überspringen. Für dich sind die Inhalte ab Kapitel acht wahrscheinlich am nützlichsten. Das Buch hilft dir sowohl dabei, eine neue Meditationspraxis zu erlernen, als auch dabei, deine jetzige Praxis zu festigen – das entscheidest du. So oder so, ich hoffe, es inspiriert dich dabei, dich weiter in Meditation zu üben und deine tägliche Beschäftigung damit zu vertiefen.

Wer schon erfahren in Meditation ist, stellt wahrscheinlich fest, dass ich in diesem Buch einen fast gegensätzlichen Ansatz vorstellen werde zu dem, den man sonst gewohnt ist. Vor allem, wer gelernt hat, die eigenen Gedanken zu ignorieren oder wegzuschieben, könnte die Übungen, die darauf ausgelegt sind, diese Teile des Monkey Minds gezielt einzusetzen, zunächst als befremdlich oder sogar unangenehm empfinden. Ich will dich darin bestärken, mutig zu sein und dich für diese neuen Wege, die vitalen Energien von Körper und Geist zu erschließen, zu öffnen, um zu sehen, ob sie dir nützlich sein können. Falls das, was ich dir vorschlage, am Ende nicht förderlich für dich ist oder falls nichts hängen bleibt, dann kümmere dich nicht weiter darum und mache einfach mit dem weiter, was für dich am besten funktioniert.

Wir leben im Zeitalter von »Ich lese fünf Bücher zur selben Zeit und beende keins davon«. Diesen Satz höre ich oft. Ganz ehrlich, ich bin da nicht anders. Ich hoffe, dass Monkey Mind nicht zu einem dieser Bücher gehört. Dieses Buch soll dich auf eine Reise mitnehmen. Sie beginnt an der Oberfläche dessen, was wir alle als wahr bezeichnen, und führt uns dann durchs Kaninchenloch hinunter, hin zu den Wahrheiten und Realitäten, die im tiefsten Inneren schlummern. Ich wünsche dir, dass du jedes bisschen Klarheit und Wohlbefinden mitnimmst, das du dort findest.

Oder wie meine erste Lehrerin AMMA sagte: »Die Anzahl an spirituellen Wegen ist so hoch wie die Anzahl an spirituell Suchenden.« Ganz egal, ob Meditieren für dich spirituell ist oder nicht, der Kern der Aussage trifft immer zu: Jeder und jede von uns hat ein ganz und gar einzigartiges Leben, deshalb kann oder sollte die Praxis zweier Meditierender niemals dieselbe sein. Es ist deine Energie, die du aufbringst, und nur du wirst mit dem leben, was dabei herauskommt. Der Weg der Meditation, egal, wie du ihn für dich definierst, ist ein Weg der Selbstermächtigung, ein Feiern unserer unerschütterlichen Einzigartigkeit.

Monkey Mind

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