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2.3 Kompensationsverhalten: Umgang mit unangenehmen Gefühlen

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Unangenehme Gefühle entstehen beim Säugling und Kleinkind auf vielfältige Art und Weise. Da für einen Säugling bzw. ein Kleinkind noch viele äußere Faktoren wie Geräusche, Gerüche, Lichtreflexe, Temperaturveränderungen oder auch innere Veränderungen wie Blähungen, Völlegefühl o. Ä. unbekannt sind bzw. nicht richtig zugeordnet werden können, können sie unangenehme Gefühle bewirken und zu hilferufenden Lebensäußerungen führen. Gelingt es den Eltern, die Situation richtig einzuordnen und prompt zu reagieren, indem sie ihr Kind z. B. auf den Arm nehmen, um es zu trösten, lässt es sich meistens schnell beruhigen. Schätzen die Eltern hingegen die Situation nicht richtig ein und reagieren z. B. mit Nahrungszufuhr, kann das Kind bei wiederholten Fehlinterpretationen lernen, dass Unwohlsein am ehesten durch einen Ersatzstoff reguliert werden kann. Wächst ein Kind so heran, lernt es, dass es bei dem Bedürfnis nach Nähe zu einer Bezugsperson, z. B. aus Angst wegen eins unbekannten Geräuschs, sich durch den Griff zu einem Lebensmittel selbst beruhigen kann. Gerade bei Kindern, die keine gute Eltern-Kind-Beziehung aufbauen konnten, ist dies natürlich eine charmante Lösung: Sie sind unabhängig davon, ob eine Bezugsperson ihnen den erwünschten Körperkontakt bereitwillig zur Verfügung stellt, da der Konsum der Lebensmittel als Ersatz ein vergleichbares Gefühl bewirkt. Dieses Verhalten erfolgt unbewusst und kann vom Kind noch nicht verstanden werden. Es entspricht aber nach Brisch dem Mechanismus des sogenannten Suchtgedächtnisses, dass bei nicht tolerierbarer Stressbelastung mit dem Rückgriff auf ein Konsummittel Entlastung ermöglicht wird (Brisch, 2015, S. 280).

Wie lässt sich die Ausbildung derartiger Kompensationsverhaltensweisen vermeiden? Was können Eltern konkret tun, um ihre Kinder zu unterstützen, ihre emotionalen Grundbedürfnisse auf adäquate Weise zu befriedigen? Im Kleinkindalter stellt der Umgang mit Süßigkeiten häufig ein großes Thema dar. Viele Eltern kennen die unangenehmen Situationen im Kassenbereich eines Supermarktes, wenn das Kind unbedingt eine bestimmte Süßigkeit haben möchte. Dem lässt sich frühzeitig vorbeugen. Eltern sollten von Anfang an darauf achten, in welchen Mengen und zu welchen Anlässen Süßigkeiten konsumiert werden. Im Säuglingsalter ist es den meisten Eltern noch sehr bewusst, und es werden ungesüßte Tees und Lebensmittel bevorzugt. Beginnt der Wirkungskreis des Kindes sich zu vergrößern, und Großeltern wie auch andere Erwachsene nehmen Einfluss, fühlen sich Eltern oft überfordert bewusst Grenzen zu ziehen.

Grundsätzlich sollte Essbares nicht zur Belohnung, zum Trost oder der Entzug dessen zur Strafe eingesetzt werden. Dies könnte sonst sehr schnell zu einem Verhalten führen, bei dem jede positive und vor allem auch jede negativ erlebte Situation im wahrsten Sinne des Wortes »versüßt« werden muss.

Noch allzu oft kommt es im Erziehungsverhalten vor, dass Lob und Anerkennung nicht direkt, sondern über etwas Essbares ausgedrückt werden, damit das Kind z. B. an der Kasse aufhört zu quengeln, damit es brav spielt, damit es die Eltern nicht bei anderen Tätigkeiten stört. Derartig häufig wiederkehrendes Verhalten schafft aber Erwartungshaltungen und Gewohnheiten, die schwer fallen sich wieder abzugewöhnen. Es entstehen Kompensationsverhaltensweisen, die eine unbewusste Koppelung von Essbarem und Anerkennung Ausdrücken miteinander verbindet. Ein Kind, dass an der Kasse quengelt, tut es in der Regel aufgrund von Langeweile, und der Ruf nach Süßigkeiten wird insbesondere durch das dortige Überangebot wach. Eltern sollten versuchen die Gefühle des Kindes zu erkennen und diese anzusprechen, so kann das Kind seine eigenen Gefühle lernen in Worte zu fassen und adäquat reagieren. Manche unangenehmen Gefühle muss das Kind auch einfach lernen auszuhalten, so auch die Langeweile beim Warten an der Kasse.

Eltern können Anerkennung für die Gefühle des Kindes zeigen und dadurch das Ausbilden des Selbstwertgefühls beim Kind unterstützen. Sie können das Lernen adäquater Reaktionen fördern, dass z. B. Hunger mit Essen, Durst mit Trinken und Anerkennung durch Worte, Gesten oder Zuwendung befriedigt wird. Wichtig bei dem Vermeiden der Entwicklung von Kompensationsverhaltensweisen ist es, zu erkennen, dass es sich nicht nur auf Essbares bezieht. Jegliche Form von Ersatz ist zu hinterfragen. Häufig weichen Eltern z. B. auf kleine Geschenke wie Spielzeug aus, um Lob und Anerkennung auszudrücken. Aber auch hier wird eine Erwartungshaltung gelernt, die immer eine materielle Entlohnung einfordert. Gelingt dem Kind eine tolle Leistung, reichen wertschätzende Äußerungen der Eltern völlig aus, denn dann lernen die Kinder die Freude zu empfinden, die die vollbrachte Leistung an sich schon bewirkt. Ansonsten würde wieder eine Koppelung von Leistung und materieller Entlohnung abgespeichert werden und das eigentliche Gefühl der Freude in den Hintergrund treten.

Der Umgang mit unangenehmen Gefühlen muss allerdings häufig nicht nur vom Kind erlernt werden. Gerade der stressige Alltag führt auch oft zu Konflikten zwischen Eltern und Kind. Inwieweit es Eltern gelingt, in Konfliktsituationen kommunikativ geschickt zu agieren, wird im folgenden Kapitel genauer beleuchtet. Abschließend ist noch zu den Kompensationsverhaltensweisen folgender Hinweis wichtig: Entsprechend der sozial-kognitiven Lerntheorie von Bandura ist das modellhafte Handeln von Bezugspersonen auch entscheidend für das Verhalten der Kinder. Elterliches Kompensationsverhalten wird von den Kindern genau beobachtet und bei regelmäßiger Anwendung durch die Eltern später häufig vom Kind übernommen.

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