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d) Polizeiverfügung

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Die Polizeiverfügung – eine der bedeutsamsten Maßnahmen im Polizeirecht – ist ein Verwaltungsakt (§ 35 LVwVfG), der ein Ge- oder Verbot zur Gefahrenabwehr ausspricht.

Beispiel: Das Gebot, einen bissigen Hund anzuleinen, zur Dienststelle zu kommen, das ausgeübte stehende Gewerbe anzuzeigen, die Straße bei Eisglätte zu streuen, ein kontaminiertes Grundstück zu sanieren oder das Verbot, belastetes Gemüse zu verkaufen, eine Peep-Show zu betreiben, an Sonntagen einen Trödelmarkt abzuhalten.

Das Polizeigesetz kennt den Begriff „Polizeiverfügung“ nicht, dennoch ist es sinnvoll an ihm – zur Unterscheidung von anderen polizeilichen Verwaltungsakten – festzuhalten. Eine Polizeiverfügung erfüllt alle Merkmale des § 35 Satz 1 LVwVfG: Sie ist eine hoheitliche Maßnahme einer Behörde (dazu zählen nach § 1 Abs. 2 LVwVfG auch die Polizeidienststellen, sofern sie zu eigenverantwortlichem Handeln im eigenen Namen nach außen befugt sind) zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (Polizeirechts) und sie ist auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet.

Eine Polizeiverfügung kann auch eine Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 LVwVfG) sein, d. h. ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihrer Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

Beispiele: Die Anordnung an alle Hausbesetzer, das Haus zu räumen. Aufforderung an Demonstranten, den Versammlungsort zu verlassen. Das über Rundfunk verbreitete Verbot, in allen von Typhus betroffenen Gebieten Endiviensalat zu verkaufen (BVerwG, NJW 1961, 2077). Die – allerdings rechtswidrige – Anordnung, während eines Volksfestes in bestimmten Bereichen einer Gemeinde keine alkoholischen Getränke mitzuführen und zu verzehren, VG Karlsruhe, NVwZ-RR 2009, 22.

Allgemeinverfügungen in Form der Benutzungsregelung sind auch die in Verkehrszeichen enthaltenen Ge- oder Verbote (BVerwG, NJW 1997, 1021, 1022. VGH BW, NJW 1991, 1698; VBlBW 2004, 216). Desgleichen über Funk und Fernsehen angeordnete Fahrverbote oder beschränkungen (vgl. § 45 Abs. 4 StVO).

Keine Allgemeinverfügung ist ein in persönlicher Anrede gehaltenes Blankoformular der Ortspolizeibehörde, das im Adressfeld und der namentlichen Anrede durch den Polizeivollzugsdienst aufgrund eigener tatsächlicher Feststellungen und eigener Bewertung ergänzt und dem Betroffenen übergeben wird (VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327).

Ebenso wenig adressatenbezogene Allgemeinverfügung ist die Anordnung, die sich an alle Mitglieder der Drogen- oder Punkerszene richtet, sofern im Zeitpunkt des Erlasses diese Personen nicht bestimmt oder bestimmbar sind, was i. d. R. auch nicht der Fall sein wird. Allerdings kann es sich um eine Benutzungsregelung (§ 35 Satz 2 3. Alt. LVwVfG) handeln (vgl. aber auch oben § 1, RN 43a).

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Polizeiverfügungen sind der Platzverweis, das Aufenthaltsverbot, der Wohnungsverweis, das Rückkehrverbot und das Annäherungsverbot. Sie haben in § 30 eine spezielle Regelung erfahren.

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Auch die Meldeauflage ist eine Polizeiverfügung. Sie verpflichtet den Betroffenen, sich zu einer bestimmten Zeit bei einer Polizeidienststelle oder behörde zu melden. Auf diese Weise sollen als Störer angesehene Personen (z. B. Hooligans) von bestimmten Ereignissen (z. B. Fußballspiele) ferngehalten werden.

Mangels spezieller Rechtsgrundlage wird die Meldeauflage in Baden-Württemberg auf die Generalklausel gestützt (VGH BW, VBlBW 2000, 474, 477). Umstritten ist, ob diese Maßnahme zwingend einer speziellen Ermächtigung bedarf (verneinend: BVerwG, NVwZ 2007, 1439, 1441; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2006, 613).

Bei Auslandsbezug wird die Meldeauflage häufig von Ausreiseverboten und Pass- bzw. Ausweisbeschränkungen flankiert (vgl. § 7 ff. PassG; § 6 Abs. 7 PAuswG); vgl. OVG Bremen, DÖV 2009, 86.

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Für die Anordnung einer Ausgangssperre, wie sie in Frankreich zur Bekämpfung krimineller Unruhen in den Vororten großer Städte angeordnet worden ist, fehlt es an einer speziellen gesetzlichen Grundlage. Ein Rückgriff auf die Generalklausel verbietet sich, denn ein derart schwerer Eingriff in die Rechte vieler Bürger (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 11 GG) kann nur durch ein Gesetz, das die tatbestandlichen Voraussetzungen konkret umschreibt, zugelassen werden (s. o. RN 2b).

Freiheitsbeschränkende Maßnahmen bei einem zivilen Notstand sehen z. B. § 10 ZSKG und § 29 LKatSG vor.

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Ein begünstigender Verwaltungsakt ist keine Polizeiverfügung, da dieser kein Ge- oder Verbot ausspricht, sondern eine Berechtigung begründet oder bestätigt oder eine Belastung beseitigt.

Beispiele: Gewährung einer Entschädigung nach §§ 100 ff.; Aufhebung einer Beschlagnahmeanordnung, § 38.

Nur begünstigender Verwaltungsakt ist grundsätzlich die sog. Einweisungsverfügung, die dem Obdachlosen das Recht auf Nutzung einer Unterkunft (z. B. eine beschlagnahmte Wohnung, s. u. § 38, RN 14 f.) einräumt. Belastend ist sie nur, wenn die zugewiesene Wohnung nicht den Anforderungen an eine menschenwürdige Unterkunft genügt (anders VGH BW, NVwZ-RR 1995, 326, 327).

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Die formellen Rechtmäßigkeitsanforderungen an eine Polizeiverfügung bestimmen sich zunächst nach einem einschlägigen Spezialgesetz, andernfalls nach dem Polizeigesetz oder letztendlich nach dem Landesverwaltungsverfahrensgesetz. Im Einzelnen müssen die folgenden formellen Voraussetzungen vorliegen:

– die Polizei muss zuständig sein (sachlich, instanziell, funktionell und örtlich);

– sie muss beim Erlass die bestehenden Verfahrensvorschriften einhalten (z. B. Anhörung Beteiligter – § 28 LVwVfG, Verbot der Mitwirkung ausgeschlossener Personen – § 20 LVwVfG, Begründung der Entscheidung – § 39 LVwVfG);

– die Polizeiverfügung muss in der dafür vorgeschriebenen Form erlassen werden, wobei grundsätzlich Formfreiheit besteht (§ 37 Abs. 2 LVwVfG).

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Bei den materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen sind zu prüfen:

– die Ermächtigungsgrundlage muss wirksam sein und ihre Tatbestandsvoraussetzungen müssen vorliegen. Ist die polizeiliche Generalklausel Ermächtigungsgrundlage, muss eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gegeben sein (gilt auch für die Allgemeinverfügung, vgl. VG Karlsruhe, NVwZ-RR 2009, 22); konkret ist eine Gefahr, bei der sich die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts aus einem bestimmten einzelnen (realen) Sachverhalt ergibt.

– die Polizeiverfügung muss sich an den richtigen Adressaten wenden (z. B. §§ 6, 7, 9);

– die Maßnahme muss hinreichend bestimmt sein (§ 37 Abs. 1 LVwVfG);

– soweit die Ermächtigungsgrundlage Ermessen einräumt, muss dieses fehlerfrei ausgeübt werden (s. u. RN 24 ff.). Außerdem darf die Maßnahme nicht gegen höherrangiges Recht (z. B. Grundrechte) verstoßen.

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Um wirksam zu werden, bedarf die Polizeiverfügung der Bekanntgabe (§ 43 Abs. 1 LVwVfG) nach § 41 LVwVfG oder nach den Vorschriften des Landesverwaltungszustellungsgesetzes. Grundsätzlich setzt die Bekanntgabe die Verfahrenshandlungsfähigkeit (§ 12 LVwVfG) voraus. Die an eine nicht handlungsfähige Person gerichtete Verfügung (zur Zulässigkeit s. u. § 6, RN 4) muss also dem (oder den) gesetzlichen Vertreter(n) bekanntgegeben werden (vgl. § 6 Abs. 1 LVwZG). Muss jedoch sofort gehandelt werden und erscheint der gesetzliche Vertreter nicht oder nicht rechtzeitig erreichbar, ist eine Bekanntgabe auch an den Handlungsunfähigen zulässig.

Beispiel: Ein Polizeibeamter bemerkt, dass ein ca. 10-Jähriger mit dem Auto seiner Eltern losfahren will. Er erlässt gegenüber dem Kind die Anordnung, auszusteigen und den Autoschlüssel herauszugeben.

In derartigen Fällen nur ein Handeln nach § 8 Abs. 1 (unmittelbare Ausführung) zuzulassen, ist schon deswegen nicht sinnvoll, weil die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme bei unvertretbaren Handlungen (wie im obigen Beispiel) nicht zur Anwendung gelangen kann.

Sofern Verkehrszeichen Allgemeinverfügungen sind, werden sie durch Aufstellung nach den Vorschriften der StVO bekanntgegeben (besondere Form der öffentlichen Bekanntgabe). Sie äußern damit ihre Rechtswirkungen gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Zeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht. Verkehrsteilnehmer ist nicht nur der Fahrer, sondern auch der Halter, solange er Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Fahrzeug ist (BVerwG, NJW 1997, 1021, 1022; VGH BW, Beschl. v. 2.3.2009 – 5 S 3047/08).

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Eine fehlerhafte Polizeiverfügung führt i. d. R. zur Rechtswidrigkeit mit der Konsequenz, dass – aus Gründen der Rechtssicherheit – die Verfügung dennoch gilt, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (§ 43 Abs. 2 LVwVfG). Nichtig und damit (innerlich) unwirksam ist eine Polizeiverfügung nur unter den Voraussetzungen des § 44 LVwVfG. Zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Polizeiverfügung stehen formlose Rechtsbehelfe (Gegenvorstellung, Fachaufsichtsbeschwerde und Dienstaufsichtsbeschwerde) und förmliche Rechtsbehelfe (Widerspruch und Klage) zur Verfügung.

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Im Widerspruchsverfahren, das mit Erhebung des Widerspruchs beginnt (§ 69 VwGO), wird die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Polizeiverfügung überprüft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Erfolg hat der Widerspruch, wenn dieser zulässig und begründet ist. Über den Widerspruch entscheidet zunächst die Ausgangsbehörde, d. h. die Polizeibehörde oder Polizeidienststelle, welche die Polizeiverfügung erlassen oder abgelehnt hat. Sie erlässt einen Abhilfebescheid (§ 72 VwGO), sofern sie den Widerspruch für begründet hält. Andernfalls ergeht ein Widerspruchsbescheid (§ 73 VwGO). Zuständig ist hierfür grundsätzlich die nächsthöhere Behörde (§ 73 Abs. 1 Satz 1 VwGO), d. h. die Behörde, die die Fachaufsicht über die Ausgangsbehörde hat. Bei Verwaltungsakten einer Polizeidienststelle nach § 105 Abs. 2 ist gem. § 16 AGVwGO nächsthöhere Behörde die unterste nach § 118 zur Fachaufsicht zuständige allgemeine Polizeibehörde.

Beispiel: Widerspruchsbehörde für einen Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt einer Polizeidirektion gemäß § 105 Abs. 2 ist die Kreispolizeibehörde, § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO, § 16 AGVwGO, § 73 Abs. 1 Nr. 3 VwGO.

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Rechtsschutz durch verwaltungsgerichtliche Klagen wird gewährt durch die Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 VwGO (gerichtet auf die Aufhebung der Polizeiverfügung), die Verpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 VwGO (erstrebt wird der Erlass einer abgelehnten oder unterlassenen Polizeiverfügung) oder durch eine Fortsetzungsfeststellungsklage, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (ihr Ziel ist die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Polizeiverfügung). Diese Klagen sind gem. § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO grundsätzlich gegen den Rechtsträger, dem die Behörde oder Dienststelle angehört, zu richten. Klagegegner bei Polizeiverfügungen der obersten Landespolizeibehörde (§ 107 Abs. 1), der Landespolizeibehörden (§ 107 Abs. 2) und der Polizeidienststellen (§ 115) ist das Land. Bei Verwaltungsakten, die von der Kreispolizeibehörde „Landratsamt“ erlassen werden, gilt dies ebenso (§ 107 Abs. 3, § 15 Abs. 1 Nr. 1 LVG, § 1 Abs. 3 LKrO). Bei Polizeiverfügungen einer Großen Kreisstadt, Verwaltungsgemeinschaft, Gemeinde und eines Stadtkreises als Kreis- bzw. Ortspolizeibehörde sind diese selbst Klagegegner.

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Vorläufiger Rechtsschutz wird durch Einlegung eines Widerspruchs oder Erhebung einer Anfechtungsklage erlangt. Beide haben nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung, d. h., die Polizeiverfügung wird in ihrer Vollziehung gehemmt. In den Fällen des § 80 Abs. 2 VwGO wird dieser Grundsatz allerdings durchbrochen, s. u. § 63, RN 11 ff. Nach Art. 80 Abs. 5 VwGO kann jedoch auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Falle von § 80 Abs. 2 Nr. 1-3 VwGO ganz oder teilweise angeordnet oder im Falle von § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederhergestellt werden.

Polizeigesetz  für Baden-Württemberg

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