Читать книгу Polizeigesetz für Baden-Württemberg - Reiner Belz - Страница 41

b) Bindungen des Ermessens, Ermessensfehler

Оглавление

28

Ermessen ist immer ein pflichtgemäßes, d. h. rechtlich gebundenes Ermessen. Das kommt auch in § 40 LVwVfG zum Ausdruck: Das Ermessen ist entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und es sind die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Polizeiliches Handeln, das hiergegen verstößt, ist ermessensfehlerhaft und damit grundsätzlich rechtswidrig. Insoweit unterliegen Ermessensakte auch der gerichtlichen Kontrolle (vgl. § 114 VwGO). Anders liegt der Fall bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit polizeilicher Maßnahmen. Deren Überprüfung kann nur in einem Verwaltungsverfahren (vgl. z. B. § 68 VwGO) verlangt werden. Außerdem hat die Unzweckmäßigkeit einer Maßnahme keine Folgen für deren Rechtmäßigkeit.

29

Ein Ermessensfehler ist die Ermessensüberschreitung, die dann gegeben ist, wenn die angeordnete Rechtsfolge über die von der Ermessensnorm gesetzten Grenzen hinausgeht.

Beispiel: Im Rahmen einer Durchsuchung nach § 34 wird der Betroffene auch nach Körpermerkmalen untersucht. Das sprengt den Rahmen des § 34, da diese Vorschrift körperliche Untersuchungen nicht erfasst.

30

Von Ermessensausfall (Ermessensnichtgebrauch) spricht man, wenn ein vorhandenes Ermessen nicht ausgeübt wird, sei es aus Nachlässigkeit oder weil die Polizei meint, sie besitze kein Ermessen.

Beispiel: Polizeibeamter P lehnt ein Einschreiten gegen den Fahrer eines vor einer Garagenausfahrt widerrechtlich geparkten Kfz ab, weil er irrtümlich der Auffassung ist, er dürfe hier (wegen § 2 Abs. 2) nicht einschreiten, was im Hinblick auf § 12 LOWiG jedoch unzutreffend ist. Vgl. auch die – wenig überzeugende – Entscheidung des VGH BW, VBlBW 2002, 73.

31

Ermessensmissbrauch (Ermessensfehlgebrauch) liegt vor, wenn das Ermessen nicht entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt wird, so etwa, wenn von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen wird (von mehreren Störern A und B wird A herangezogen, weil irrtümlich angenommen wird, B sei nicht erreichbar), wenn die Polizei sich von schlechthin unzulässigen Erwägungen leiten lässt (rein persönliche oder böse Absicht, Willkür) oder wenn sie sich von Motiven bestimmen lässt, die mit dem Zweck des Gesetzes nicht in Einklang stehen.

Beispiele: Bei der Entscheidung, ob eine Ausnahmebewilligung nach § 12 FTG erteilt werden kann, stellt die Behörde wettbewerbliche Argumente (z. B. Schutz eines Konkurrenten) in den Vordergrund. Das ist mit dem Zweck dieses Gesetzes (Feiertagsschutz) nicht vereinbar. Polizeiliche Kontrollen vor Beginn einer Versammlung, mit denen die Teilnahme an der Versammlung verhindert werden soll, sind mit dem Versammlungsgesetz und Art. 8 Abs. 1 GG nicht vereinbar.

Welche Erwägungen im Einzelfall ermessensfehlerfrei sind, ist nicht immer ganz einfach zu ermitteln. Grundsätzlich werden im Polizeirecht polizeiliche, d. h. der Gefahrenabwehr dienende, Motive nicht zu beanstanden sein. Andere Motive sind daneben aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen. So hat die Rechtsprechung (VGH BW, VBlBW 1990, 257, 259; BWVPr. 1995, 233) beim Abschleppen von Kfz u. a. – jedoch nicht allein – generalpräventive Gesichtspunkte als zulässige Ermessenserwägungen angesehen. In gleicher Weise können Maßnahmen zulässig sein, um (z. B. eine Drogenszene) zu verunsichern oder um (z. B. gewaltbereite Hooligans) zu beeindrucken. Selbst fiskalische Erwägungen können im Einzelfall die Ermessensentscheidung der Polizei zulässigerweise (mit-)bestimmen.

Ermessensfehlerhaft sind aber z. B. Maßnahmen, mit denen jemand gezielt angeprangert oder bloßgestellt werden soll.

Beispiele: Für eine Gefährderansprache (s. o. RN 19) wird bewusst der Arbeitsplatz ausgewählt, um den Betroffenen vor den Kollegen bloßzustellen. Dem Freier im Sperrgebiet (s. u. § 6, RN 12) wird die Anordnung des Platzverweises nach Hause zugestellt (vgl. § 2 Abs. 3 LVwZG), in der Erwartung, die Ehefrau erhalte hiervon Kenntnis.

32

Als Ermessensfehler i. w. S. können auch Verstöße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i. w. S. (s. u. § 5, RN 1 ff.) und gegen Grundrechte, vor allem gegen Art. 3 Abs. 1 GG angesehen werden. Der Gleichheitssatz verbietet es z. B., dass die Polizei von ihrer ständigen Praxis ohne sachlichen Grund abweicht (Selbstbindung der Verwaltung). Eine Polizeiverordnung über das Halten gefährlicher Hunde darf nicht willkürlich einzelne Hunde als sog. Kampfhunde aufnehmen, andere, bei denen sich diese Eigenschaft aber geradezu aufdrängt, unbeachtet lassen (VGH BW, NVwZ 1992, 1105, 1107; BVerfGE 110, 141). Eine Verletzung des Gleichheitssatzes liegt jedoch nicht ohne Weiteres dann vor, wenn die Polizei in vergleichbaren Fällen nicht eingeschritten ist.

Beispiel: Die Polizei handelt nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie nicht „flächendeckend“ alle verbotswidrig abgestellten Kfz abschleppt. Es ist zulässig, anlass-, zeit- oder ortsbezogen, z. B. wegen begrenzter personeller Kapazitäten der Polizei vorzugehen (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1992, 360; VGH BW, NJW 1989, 603; NVwZ-RR 1997, 465, 466). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG wäre jedoch das Abschleppen einzelner Fahrzeuge, ohne dass ein sachlicher Grund für die Schonung der anderen erkennbar wäre.

Polizeigesetz  für Baden-Württemberg

Подняться наверх