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Männer trauern anders

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Wenn hier gewissermaßen einleitend von Frauen die Rede war, so müsste man eigentlich auch von ihnen sprechen, wenn es um die Trauer geht. Zumal mit der relativ jungen Gender-Forschung vorwiegend das weibliche Geschlecht in den Fokus rückte, weil man hier im Zuge der Emanzipation auch die Defizite entdeckte, die mit dem Rollenbild Frau verbunden sind. Selbstredend wusste man von der Benachteiligung der Frau durch die Last der Trauerkleidung, die sie fast ausschließlich zu tragen hatte. Überhaupt wurde man sich bewusst, dass die Trauer eine Frau war. Ihre ins Bild gesetzten Personifikationen finden sich auf vielen Friedhöfen und sind in ihrer anrührenden bis erotischen Gestalt die Zierde vieler Grabmale des 19. Jahrhunderts.26 Frauen hatten allerdings auch das verbriefte Recht, ihre Gefühle offen zu zeigen und zu weinen. Die Männer schienen dabei außen vor zu sein.

Die bereits für das Rollenverständnis herangezogene Radierung des Malers Rudolf Jordan die das Begräbnis des jüngsten Kindes zum Inhalt hat und 1857 entstanden ist, mag einen Eindruck von solcher Rollenverteilung vermitteln, wenn die Mutter vor Gram gebeugt die Hände vors Gesicht schlägt und ihrem Schmerz freien Lauf lässt. Einen Schritt vor ihr trägt der Vater das Särglein des Kindes und hat den Blick nach vorn gerichtet. Mag auch er den Schmerz des Verlustes spüren, so ist ihm die Möglichkeit versagt, ihn zu zeigen. Selbst in dieser bitteren Stunde bleibt er der Handelnde, denn er muss agieren. Auch dem Töchterchen neben ihm, das sich an seinem Hosenbein festhält, ist eine Rolle zugewiesen, die des unwissenden Kindes, das noch nichts von dem tragischen Geschehen versteht und hilflos in die Welt blickt. Alles hängt am Vater, der gerade jetzt keine Schwäche zeigen darf, obwohl ihm danach zumute ist.

Dass die Mutter trauern darf, dass ihr als Frau sogar die Pflicht des Schmerzes auferlegt war, ist Teil des Familienbildes dieser Zeit und bis heute geblieben. Frauen, so glaubt man, können deshalb mit ihrer Trauer besser umgehen. Sie können darüber reden, schließen sich einer Trauergruppe an oder besuchen ein Trauercafé. Dass Männer an ihrer auferlegten Rolle scheitern können, manche Ehen deshalb den Verlust eines Kindes nicht aushalten, wird von Psychologen heute auf lang zurückliegende, archaische Zeiten zurückgeführt. Der Mann musste still sein, damit ihm das zu jagende Tier nicht wegläuft, während die Frau am Herd und mit ihrer Kinderschar zu ständiger Kommunikation gezwungen war. Andere führen die Sprachlosigkeit der Männer, die sich hinter Rationalität und dem Willen zur Kontrolle über sich selbst verbirgt, auf ihre anders verlaufende Sozialisation zurück.27 Man mag solche und ähnliche Erklärungsversuche mögen oder nicht, aber die Erkenntnis reift, dass Männer anders trauern als Frauen.28

Hierher gehört die Beobachtung, dass Trauergruppen ganz überwiegend von Frauen besucht werden; Männer sind hier Exoten und so fühlen sie sich dann auch und bleiben wieder weg, falls sie überhaupt den Mut aufgebracht haben, dort Hilfe und Unterstützung zu suchen. Die Erkenntnis, dass Männer nicht mit, vor allem nicht vor Frauen reden können, führte schließlich zur Einrichtung von Trauergruppen für Männer. Es ist eine späte Anerkenntnis der Verschiedenheit von Menschen, auf deren unterschiedliche Bedürfnisse differenziert eingegangen werden muss. Verfolgt man die Entwicklung des Prinzips Trauergruppe, die aus verschiedenen Gründen mehrheitlich an die Stelle der Einzelseelsorge getreten ist, so wird die wachsende Wahrnehmung von Verschiedenheit noch deutlicher. Trauergruppen werden nicht nur nach Geschlecht, sondern nach Situation organisiert. In der Trauergruppe „Verwaiste Eltern“ treffen sich Eltern, in deren Familie ein Kind gestorben ist; dagegen wendet sich die „Regenbogengruppe“ an Eltern, deren Kind kurz vor, während oder kurz nach der Geburt verstorben ist. Die „Trauergruppe Suizid“ wiederum ist offen für Menschen, die einen Angehörigen oder Freund durch einen Suizid verloren haben. Gerade unter großstädtischen Verhältnissen ist es durchaus üblich, dass mehrere geschlechts- oder anlassbezogene Trauergruppen nebeneinander bestehen.

Ein letzter Gruß

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