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II. Gender und Diversity auch am Lebensende?

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Gender und Diversity haben als Begrifflichkeiten noch kaum Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden und sind eher noch Themen akademischer Überlegungen und Forschungen. Die damit verbundenen Phänomene hingegen spiegeln sich in den politischen und gesellschaftlichen Diskussionen etwa um die Frauenquote oder um die politisch korrekte Bezeichnung von bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen. In der Öffentlichkeit stößt es bisweilen auf Unverständnis, dass der aus Kindertagen vertraute Negerkuss oder Mohrenkopf so nicht mehr genannt werden darf, sondern nun Schokokuss oder Schaumkuss heißen muss. Dahinter steht jedoch die wachsende Erkenntnis, dass Menschen nicht aufgrund ihrer Rasse als Neger oder Mohr bezeichnet werden dürfen, denn dahinter könnte eine Diskriminierung aus rassistischen Gründen stecken. Die Sozialwissenschaftler haben längst ausgemacht, dass es individuelle Eigenarten gibt, die zur Diskriminierung der betreffenden Person führen können. Verschiedenheiten werden als Diversity bezeichnet und sie gliedern sich nach heutigen Maßstäben hauptsächlich nach

 Geschlecht,

 Alter,

 physische und psychische Fähigkeiten/Unfähigkeiten, Beeinträchtigungen, Behinderungen, auch Handicap,

 Rasse, Ethnie, Herkunft,

 Religion und Weltanschauung,

 sexueller Orientierung, Hetero, Homo, Trans- und Intersexualität.

Es muss klar sein, dass solche Persönlichkeitsmerkmale heute nicht mehr Anlass zu Diskriminierung sein dürfen, und diese Erkenntnis hat Eingang gefunden in die Gesetzgebung, die jedoch vorwiegend die Welt des Arbeitsmarktes betrifft. Antidiskriminierungsmaßnahmen müssen sich jedoch auch über diesen speziellen Bereich hinaus auf alle Lebenssituationen und Lebensphasen erstrecken, und die Diskriminierungspotenziale sind weit größer als die sechs genannten Hauptpunkte, die nach dem Modell der amerikanischen Diversity-Pionierinnen Lee Gardenschwartz und Anita Rowe11 als innere Dimensionen bezeichnet werden. Nach diesen Forscherinnen sind zudem eine äußere Dimension (Einkommen, Gewohnheiten, Freizeitverhalten, Ausbildung, Berufserfahrung, Auftreten, Elternschaft, Familienstand) und eine organisationale Dimension (Arbeitsfeld, Arbeitsabteilung, Betriebszugehörigkeit, Arbeitsort, Gewerkschaftszugehörigkeit, Status und Funktion / Gehalt) zu berücksichtigen. Alle diese Elemente können zu einer Bevorzugung oder Benachteiligung, zu einem Vorurteil oder einer Klassifizierung der betreffenden Person führen.

Die Gefahr, dass verschiedene Merkmale miteinander verschränkt zu einer Potenzierung der Diskriminierung führen können, wird als Intersektionalität bezeichnet. So können bspw. Geschlecht, schwarze Hautfarbe, von der Mehrheit abweichende Religion, als niedrig gewertete Arbeit, geringes Einkommen, Status als Alleinerziehende(r) und Kinderreichtum potenziert als ausgrenzend wirken. Um einerseits dieser Gefahr vorzubeugen und andererseits sie für die betrieblichen wie für die persönlichen Belange positiv umzumünzen, steht heute ein Bestreben in der Diskussion, das man als Diversity management bezeichnet.

Niemand darf wegen seiner Persönlichkeitsmerkmale benachteiligt werden. Dabei setzt sich die Erkenntnis durch, dass dies nicht nur für die Arbeitswelt gelten muss, sondern für alle Lebensbereiche und Lebensphasen, deshalb auch in der letzten Lebensphase und über den Tod hinaus. Hat man die gegenwärtigen Verhältnisse vor Augen, so wird schnell klar, dass von Hospiz bis Friedhof ganz überwiegend noch eine Monokultur herrscht, die den genannten Verschiedenheiten nicht gerecht wird.

Als sich seit den 1980er-Jahren die Hospizidee durchzusetzen begann, begrüßte man sie mit wachsender Aufmerksamkeit als Hoffnungsträger für eine menschliche Sterbekultur. Man setzt erst recht heute große Erwartungen in sie, doch verschwendete man zunächst noch kaum einen Gedanken daran, das Hospizwesen geschlechtersensibel und alterskonform zu gestalten. Erst recht war nicht davon die Rede, wie eine hospizliche Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund gelingen kann, wenn Sprachbarrieren und kulturverschiedene Hindernisse dagegenstehen. Die ersten Hospize entstanden in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre, ein eigenes Kinderhospiz erst 1997 in Olpe. Die Bestattungsinstitute differenzieren ihre Angebote bis heute fast ausschließlich nach den Bestattungsarten, aber nicht im Hinblick auf die Verschiedenheiten der Verstorbenen und ihrer Angehörigen. Und auch die Friedhöfe sind nach wie vor ganz überwiegend monokulturelle Einrichtungen, in denen Differenzierungen im Sinne von Diversity kaum vorgesehen sind. Erst vereinzelt setzt ein Umdenken ein, wie bspw. die Gemeinschaftsgrabstätten für Früh- und Totgeburten zeigen.

Die Berücksichtigung von Verschiedenheiten von Menschen ist eine junge Entwicklung, die erst allmählich Fahrt aufnimmt, Rückschläge erfährt, aber letztlich zukunftsweisend sein wird. Im Hospizwesen setzte dieses Umdenken mit der Erkenntnis ein, dass es anfänglich in erster Linie im Hinblick auf Krebspatienten und mit dem Ziel der Schmerz- und Symptomlinderung entstanden ist, jedoch die Bedürfnisse der alten, multimorbiden, ggf. dementen Menschen nicht berücksichtigte. Daraus entstand seit dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts das Anliegen einer palliativen Geriatrie. Im Jahr 2004 startete das „Kompetenzzentrum Palliative Geriatrie“ als Projekt des Unionhilfswerk Senioren-Einrichtungen gemeinnützige GmbH in Berlin, das sich für hochbetagte, multimorbide (mehrfacherkrankte) und sterbende Menschen einsetzt.

In ähnlicher Weise entstand zumindest theoretisch das Bewusstsein, dass die wachsende Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund spezifische Anforderungen an ihre Pflege und Versorgung mit hospizlichen und palliativen Maßnahmen stellt. Hier sind nicht nur die sprachlichen Barrieren zu überwinden, sondern es müssen kulturspezifische Unterschiede berücksichtigt werden, wie Pflege und Fürsorge wahrgenommen und angenommen werden. In den multiethnischen Vereinigten Staaten von Amerika hat sich die Krankenschwester Madeleine Leininger schon früh als Pflegetheoretikerin und schließlich Professorin für Pflegewissenschaft einen Namen gemacht und ein Ethnopflegekonzept entwickelt. Dieses Konzept berücksichtigt, dass Kranksein in einem anderen Kulturkreis oft ein Ausgeliefertsein an fremde Bezugspersonen, fremde Behandlungsformen und fremde Medizin bedeutet. Kulturelle Prägungen beeinflussen den Heilungs- und Genesungsprozess, aber auch den Sterbeprozess im positiven wie auch im negativen Sinn, weshalb Pflegende eine Fülle an Informationen bezüglich der die Pflege betreffenden Kulturspezifika benötigen. Daraus entwickelte sich hierzulande seit den 1990er-Jahren das Konzept der kultursensiblen Pflege, auch transkulturelles Pflegekonzept genannt.12

Im Bestattungswesen, das seit fast 200 Jahren eine von Männern besetzte Domäne war, engagieren sich zunehmend Frauen, die meist als Quereinsteigerinnen diesen Beruf ergreifen. Sie berücksichtigen u. a. die Tatsache, dass Frauen zu ihrem Körper ein anderes Verhältnis haben als Männer und auch im Tode ihren ungeschützten Körper nicht den Händen und Augen von Männern ausgesetzt wissen wollen. Es keimt die Erkenntnis, dass Menschen mit homosexueller Orientierung, vor allem die Zu- und Angehörigen, ein Gespräch mit einem/einer heterosexuellen Bestatter/in scheuen. Dem Partner eines schwulen Verstorbenen fällt es möglicherweise schwer, zu sagen: „Mein Mann ist verstorben“, wenn er nicht die Gewissheit hat, auf Verständnis zu stoßen. Gay-Bestattungen und bekennend lesbische Bestatterinnen sind immer noch die große Ausnahme.

Auf Friedhöfen vollzieht sich Diversity zwar seit Jahren, aber keineswegs programmatisch, sondern als das Ergebnis eines schleichenden Prozesses von den Rändern der Gesellschaft her. Zu nennen sind etwa die mittlerweile auf einigen Großstadtfriedhöfen anzutreffenden AIDS-Gemeinschaftsgräber, die durchaus als Bekenntnisse zu schwulen Lebensentwürfen zu sehen sind. Und einer Einzelinitiative ist der 2014 eröffnete erste Lesbenfriedhof in Berlin zuzuschreiben.

Die AIDS-Szene hat sich eigene Bestattungsrituale gegeben oder erkämpft, auch eigene Formen der Erinnerungskultur kreiert, wobei erst das Internet der queeren Szene (englisch queer: etwas, das von der Norm abweicht) Räume des Gedenkens eröffnet hat. Es ist an der Zeit, sich mit Gender und Diversity in der Bestattungs- und Friedhofskultur zu befassen, um einerseits Ausgrenzungen zu vermeiden und andererseits keine Rand- oder Nebenkultur entstehen zu lassen, die sich im Zuge der Liberalisierung der Bestattungs- und Friedhofsgesetze ergeben könnten.

Relativ weit fortgeschritten ist das Bestattungs- und Friedhofswesen im Hinblick auf die Verschiedenartigkeit des religiösen Bekenntnisses. Zumindest gilt dies für Muslime, die auf vielen Friedhöfen ihre eigenen Grabfelder besitzen bzw. auf den Friedhöfen einen gewissen autarken Gaststatus besitzen. Doch auch diese Entwicklung beruht nicht auf einem Bewusstseinswandel der Mehrheitsgesellschaft, sondern ist der Eigeninitiative der Muslime zu verdanken. Sie gründeten eigene Bestattungsinstitute und die Ausländerbeiräte der Kommunen erstritten Grabareale für Muslime. Angehörige anderer Religionsgemeinschaften haben erst vereinzelt ähnliche Rechte.

Eine Gesellschaft, die mit und von der Verschiedenheit ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger lebt, muss sich der Aufgabe stellen, auch Diskriminierungen in der letzten Lebensphase, bei der Bestattung und der Trauer zu vermeiden.

Nicht minder müssen Wege gefunden werden, eine Diskriminierung derer zu vermeiden, die als professionelle Helfer die Menschen in der letzten Lebensphase begleiten. Der Sachverhalt ist verstörend: In Pflegeeinrichtungen sind ganz überwiegend Frauen beschäftigt, und viele von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Obwohl weitgehend Einverständnis herrscht, dass sie unterbezahlt sind, gehören sie zu den unteren Einkommensgruppen. Ihre gesellschaftliche Reputation ist gering, und daraus folgt, dass Pflegerinnen, aber auch Pfleger mehrfach diskriminiert werden. Bei Angehörigen des Bestattungsberufes hat in den letzten Jahren zwar eine Verbesserung des Status stattgefunden, doch begegnet man ihnen häufig noch mit Vorbehalten. Auch hat die Statusaufwertung des Bestatters im Sinne eines modernen Dienstleistungsberufes allenfalls die Vorderbühne des Geschäftsinhabers erreicht, während jene, die auf der Hinterbühne mit der Abholung und Herrichtung des Leichnams befasst sind, nach wie vor mit einem Totengräberimage stigmatisiert sind. Meist sind sie im Bestattungsinstitut nicht fest angestellt, sondern arbeiten auf Honorarbasis, je nach Bedarf, und entbehren einer sozialen Absicherung. Nicht unähnlich sind die Verhältnisse im Friedhofswesen, wo im operativen Bereich zumeist Billiglöhner beschäftigt sind. Jene, die im Krematorium mit der Einäscherung der Leichen befasst sind, wagen es in der Öffentlichkeit kaum, über ihren Beruf zu reden.

Im Sinne von Diversity Management muss die Situation dieser Personenkreise unbedingt mit bedacht werden, um ihre Situation als gesellschaftliche Randsiedler zu verbessern. Bestatter, Friedhofsgärtner und Steinmetze sehen sich zudem mit dem Vorurteil konfrontiert, mit dem Tod anderer Menschen Geschäfte zu machen.

Diskriminierungsmechanismen greifen also sowohl bei jenen, die in der letzten Lebensphase stehen, als auch bei denen, die diesen Weg begleiten und organisieren. Viele Anstrengungen, diese Situation zu verbessern, beruhen auf den Initiativen einzelner Personen, Gruppen oder Institutionen, während sie noch nicht als gesellschaftliches Anliegen gesehen werden.

Da aber heute letztlich jeder sein Recht auf Individualität beansprucht, erlangt die Verschiedenheit als Teil der Identität ihre eigene Bedeutung. Und ein Blick auf diese Verschiedenheit kann dazu beitragen, auch den Wandel der Bestattungs- und Trauerkultur besser zu verstehen, ihn vielleicht sogar als Chance zu begreifen.

Ein letzter Gruß

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