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Frau und Tod
Оглавление„Ist der Tod eine Frau?“ Diese Frage stellte der deutsch-amerikanische Germanist Karl S. Guthke 1997 in seinem gleichnamigen Buch. Indem er „Geschlecht und Tod in Kunst und Literatur“, wie es im Untertitel heißt, untersuchte, konnte er auf eine lange Kulturgeschichte verweisen, in der die Beziehung zwischen Frau und Tod eine besondere Rolle spielte. Ernie Kutter präzisierte in ihrer Analyse der weiblichen Trauerkultur, es sei die „Schwester Tod“, die uns nicht bedrohlich gegenübersteht, sondern uns dabei helfen will, das letztlich Unvermeidliche anzunehmen und in das Leben zu integrieren.34
Dass Frau und Tod in einer besonderen Beziehung stehen, ist seit dem biblischen Sündenfall, in dem die Frau durch ihre Verführung des Mannes den Tod wirkte, eine unendliche Geschichte, in der immer neue Positionsbestimmungen versucht wurden. Seit der Renaissance stehen Frau und Tod in einer erotischen Beziehung, unnachahmlich ins Bild gesetzt etwa durch Hans Baldung Grien oder Niklaus Manuel Deutsch, beide zu Beginn der Neuzeit im 16. Jahrhundert.
Der Tod und das Mädchen wurden in Dichtung und Kunst eines der beliebtesten Themen als Sinnbild von Schönheit, Erotik, Lebensblüte, aber auch von leiblichem Zerfall und Vergänglichkeit. Das besondere Verhältnis von Frau und Tod ist nie wirklich geklärt worden, aber es blieb immer ein besonderes, das heute neu definiert wird: Die Frau ist in Sterbensdingen kompetenter als der Mann.
Mit seiner Fassung von Tod und Mädchen hat Edvard Munch 1894 eine eigene Variante ins Spiel gebracht: die Motivik hat sich kaum verändert; innig ist ihre Umarmung, und der Tod drängt sein knochiges Bein keck zwischen die Schenkel des Mädchens. Doch der scheinbar ungleiche Kampf geht zugunsten des Lebens aus, denn auf dem Rahmen der Zeichnung sind Spermien und Embryonen dargestellt, den ewigen Fortgang des Lebens symbolisierend, den kein Tod hindern kann. Die Frau, die das Leben schenkt, weiß auch mit dem Tod umzugehen, der scheinbar das Leben nimmt. Daraus speist sich ihre besondere Qualität, die ihr ihre Rolle in der Totenfürsorge zuweist.
Ähnlich hat das der ostpreußische Maler und Graphiker Robert Budzinski in seiner achtteiligen Holzschnittfolge in Szene gesetzt, die 1924 als Mappenwerk unter dem Titel „Der Sieg des Lebens (Auch ein Totentanz)“ erschienen ist. Weit weniger berühmt als Munch hat Budzinski eindrücklich den Sieg des Lebens über den Tod illustriert, indem sich in der scheinbar traditionellen Bilderfolge eines Totentanzes das Blatt zugunsten der Frau wendet, die nach einem furiosen Tanz mit dem buhlenden Galan über das in seine Einzelteile zerbrochene Knochengerüst des Todes triumphiert.35 (Abb. 3)
Abb. 3: Robert Budzinski, Der Sieg des Lebens (Auch ein Totentanz), 1924, Foto: Museum für Sepulkralkultur, Kassel
Man kann schon sagen, dass beide Kunstwerke an der Schnittstelle zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert beinahe so etwas wie Schlaglichter auf ein neues Selbstbewusstsein der Frau werfen können, die in ihrer Kompetenz für das Leben und damit für den Tod wurzelt. Nicht unwidersprochen blieb der Entwurf einer Care-Ethik der US-amerikanischen Psychologin und Feministin Carol Gilligan36, in dem sie 1982 im Gegensatz zu einer männlichen Gerechtigkeitsmathematik eine „typisch weibliche Ethik“ postulierte, welche die Fürsorge (Care) für andere Menschen als oberstes Prinzip weiblicher Moral kennt. Zweifellos nährt Gilligan damit von einer ganz anderen Seite die Vorstellung einer biologischen Diversität, die die Frau besonders empfänglich für die Aufgaben der Totenfürsorge macht. Doch wandten ihre Kritiker ein, dass eine geschlechtsspezifische Ethik nicht per se existiere, sondern lediglich auf einer angelernten Rollenmoral beruhe.37 Ohne diesen Sachverhalt klären zu können, stellt sich doch die Frage, ob die Rollenzuweisung an die Frau einer so gelagerten Disposition folgte oder gegen ihre Bestimmung erfolgte. Im Zuge der Emanzipation haben sich Frauen zwar einerseits erfolgreich gegen bestimmte Erwartungshaltungen gewehrt, andererseits aber ihre frauenspezifische Veranlagung betont.
Die Realitäten, in denen die Frauen die Hauptlast der Fürsorge tragen, sind kaum aufschlussreicher, denn sie beruhen ihrerseits auf eingespielten Rollenzuweisungen. Dabei ist bemerkenswert, dass der Begriff der Fürsorge (Care) selbst in Misskredit geriet, als man die Autonomie der zu Pflegenden in den Mittelpunkt rückte. Care ist zwar wieder gesellschaftsfähig geworden, bspw. in Palliative Care, sie muss sich allerdings immer im Dienst des autonom handelnden Pflegebedürftigen wissen.