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Lokaltermin im Museum Ulm
ОглавлениеDer Autor vor der Vitrine des Löwenmenschen
Am südlichsten Rand der Schwäbischen Alb liegt die Universitätsstadt Ulm. Sie ist berühmt für ihre bezaubernde Altstadt direkt an der Donau, dem mittelalterlichen Fischer- und Gerberviertel und das Münster, das mit 161 Metern den höchsten Kirchturm der Welt besitzt. Ein bekannter Zungenbrecher lautet: „In Ulm, um Ulm und um Ulm herum.“ Ich bin dem Ruf oft und gerne gefolgt. Zuletzt 2014, als der Historiker und Autor Willi Grömling (1944 – 2015) und seine Frau Ingrid für einen kleinen kunstbegeisterten Freundeskreis eine Sonderführung durchs Ulmer Museum arrangierten.
Es war der „goldrichtige“ Zeitpunkt, um dem jüngst renovierten Wunderwesen Reverenz zu erweisen. Das Museum dokumentierte gerade die spektakuläre Schau „Die Rückkehr des Löwenmenschen“ mit den neuesten Erkenntnissen zu den Uranfängen der Kunst und ihrer genialen Schöpfer. Dazu erschien ein Begleitbuch, das die spannende Auffindungsgeschichte, das aufwendige Restaurierungsprojekt und den faszinierenden Mythos rund um das altsteinzeitliche Prachtexemplar erklärt. Kurt Wehrberger hat den packenden Archäologiekrimi gemeinsam mit Fachkollegen verfasst. Der Kurator ist einer der profundesten Kenner der Eiszeitkunst in der Schwäbischen Alb. Bei seinem liebsten Studienobjekt kommt der Urzeitforscher ins Schwärmen: „In der fantastischen Gestalt des Löwenmenschen ist uns ein einzigartiges Relikt erhalten, das in eine Sphäre geistig-religiöser Vorstellungen der Menschen der letzten Eiszeit verweist. Die Figur gibt uns einen faszinierenden Einblick in das komplexe Weltbild unserer frühesten Vorfahren, das die tägliche Auseinandersetzung mit der Natur eindrucksvoll widerspiegelt. Seit der Auffindung im Jahre 1939 bleibt seine Geschichte und die Intention seiner Herstellung spannend.“
Hüter des Löwenmenschen: Kurt Wehrberger, stellvertretender Direktor des Ulmer Museums
Mit dem Löwenmenschen sind noch etwa 50 weitere fantastische filigrane Kunstwerke in vier Höhlen der Schwäbischen Alb entdeckt worden. Die Fundorte klingen kauzig: Hohlenstein-Stadel und Vogelherd (beide im Lonetal) sowie Geißenklösterle und Hohle Fels (beide im Achtal). Die ältesten handtellergroßen Plastiken sind 40.000 Jahre alt, die jüngsten 30.000 Jahre. Gleiches gilt für acht Flöten aus Geier- und Schwanenflügelknochen sowie Mammutelfenbein. Sie haben unterschiedliche Tonlagen und gehören zu den ältesten Musikinstrumenten der Welt. Das hohe Alter der Kunstwerke bereitet manchem klassischen Prähistoriker noch Kopfzerbrechen. Doch das Fazit aus den Radiokohlenstoffdatierungen und stratigrafischen Befunden ist eindeutig: Die Wiege der Kunst lag nicht anonym im „Irgendwo“, sondern direkt vor unserer Haustüre, mitten in Süddeutschland!
Menschlicher Körper mit Löwenkopf: Wandrelief der ägyptischen Göttin Sachmet
Bei meinem Besuch habe ich Glück und genieße eine besondere Ehre: Kurt Wehrberger, der auch stellvertretender Museumsdirektor ist, lässt es sich nicht nehmen, persönlich durch die archäologische Sammlung mit ur- und frühgeschichtlichen Exponaten aus über 80.000 Jahren Menschheitsgeschichte zu führen. Highlight ist und bleibt der „Löwenmensch“ aus der Aurignacien-Kultur, dem das Museum im 1. Stock einen eigenen, imposant gestalteten Themenbereich gewidmet hat. Jeder Gast, der vor der Vitrine des Löwenmenschen verweilt, ist fasziniert und erstaunt über die ästhetische Ausdruckskraft des aufrecht stehenden Wesens mit leicht gespreizten Beinen und herabhängenden Armen. Es hat zweifelsfrei den Körperbau eines Menschen. Der Kopf dagegen ist der eines Löwen. Die Schnauze deutet ein Lächeln an und der Blick ist in die Ferne gerichtet. Im Angesicht dieser Tier-Mensch-Figur werde ich an die Gestalt anderer Mischwesen erinnert, die mir aus der altägyptischen Mythologie bekannt sind: die mächtige Schutzgöttin Sachmet und die sanftmütige Katzengöttin Bastet. Beide werden meist stehend in Menschengestalt mit Tierkopf dargestellt. Auch im alten Babylon und später in der griechischen und römischen Historie wird von Hybriden – halb Mensch, halb Löwe – berichtet. Der Löwenmensch aus der Stadel-Höhle entstand jedoch locker 35.000 Jahre früher. Ein gewaltiger Zeitsprung, der nur unter Zuhilfenahme einer Zeitmaschine zu überbrücken wäre, dennoch springt dem Betrachter die optische Parallele der Wunderwesen ins Auge.